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Das Korsett

I

Als die wunderschöne Bürgermeisterstochter von Kalteneck – im vierten Monat – auf einem Spaziergange von den andern etwas abseit ging

Weh! könnt' ich mein Mieder lüften!
Wer ist elender als ich?
Alle Lust versperrt in Grüften.
Alle Ketten wider mich.
Wider Brust und wider Lenden.
Oh ich unglücksel'ges Weib!
Dreimal eingesperrter Leib
zwischen unbarmherz'gen Wänden!

Wie mir's unterm Herzen schwillt
wild und wilder wie Verlangen,
das ich einstmals blind erfüllt
in wahnsinnigem Umfangen:
In dem Maße wie es drängt,
wilder drängt und wilder dränget,
wird es stärker eingezwängt,
schmerzlicher nur eingezwänget.

Drüben singen meine Freunde.
Wenn sie ahnten, wo ich blieb!
Wenn sie sähen, daß ich weinte!
Wenn sie wüßten, was mich trieb,
einmal – wenn nur in Gedanken! –
aufzuatmen aus den Schranken,
aus dem würgenden Geschling,
das die Lust wie Tod umfing! –

Wenn sie wüßten, was ich ach!
unbesonnen ach! verschuldet.
Trat ein Jüngling ins Gemach
und ich hab es ach! geduldet!
Einmal einem hingegeben
und schon büß' ich meine Lust:
Unterm Herzen keimend Leben
und so weh ach! weh die Brust!

Doch – in Ketten wachs und werde,
Kind, du Mein Kind, trübste Lust:
Einmal schaust du Licht und Erde,
einmal trinkst du meine Brust,
einmal –: Und dann laß ich nicht,
läßt die Mutter nicht vom Kinde,
Kind, dann sterben wir: Die Sünde
ist's, die unsre Blüten bricht ...

II

Als die wunderschöne Bürgermeisterstochter von Kalteneck – im siebten Monat – ein zweites und letztes Zusammentreffen einging

Unsere Stadt ist klein.
Die wenigen alten Häuser
sehen so ernsthaft drein.

Und kommt die dunkle Nacht:
Hinter Fenstern und in Herzen
nicht Licht noch Liebe wacht.

Dunkel löscht alles aus,
Es ist wie ein großes Sterben
nächtens in jedem Haus.

Und mußt' ich zu dieser Stund
um alles dir hier begegnen:
ich schloß dem Tod den Mund.

Der blies kein Lichtlein an,
das uns verraten hätte,
eh' wir uns g'nug getan.

Doch länger verzieht er nicht.
Sieh dort: in meinem Hause
weckt er das erste Licht!

Nun weiß ich meiner Wege.
Ein Kuß noch deinem Mund.
Bald schauen hoch vom Stege
viel Lichter in schwarzen Schlund ...


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