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Neunzehntes Kapitel.

Die Mobilmachung von 1790 gegen Oesterreich. – Kriegsunlust der preußischen Soldaten. – Marsch nach Berlin. – Tschechen in Deutschland. – Unsere Quartiere in Berlin. – Die Berliner Bordelle. – »Stille Wirtschaften«. – Madame Schuwitz. – Rache eines Grafen. – Niedrige Lasterhöhlen. – Die »Talgfabrike« und andere schöne Namen. – Befreiung einer Unglücklichen. – Liebe zu halben Preisen, – Abmarsch nach Schlesien. – Die Frankfurter Studenten. – Da« Schlachtfeld von Zorndorf. – Viehische Roheit russischer Soldaten. – Schlesische Quartiere. – Die schlesischen Bauern. – Warme Stuben.

Schon seit dem Tode König Friedrichs des Großen schien das gute Vernehmen zwischen Preußen und Oesterreich sehr erschüttert zu sein. Josef II. war eben kein persönlicher Freund von unserem jetzigen König, und das Bündnis des Kaisers mit Rußland schien vollends gegen das Interesse von Preußen zu verstoßen. Daher plauderte man immer sehr viel von einem nahen Krieg, wenigstens hatten die politischen Kanngießer aller Stände reichhaltigen Stoff, bei Wein, Bier und Schnaps über Krieg und Frieden ihre Lungen zu erschüttern. Ich habe mich mein Tage über solche Sachen wenig bekümmert, doch hab' ich meine Zirkel gern über dergleichen reden hören.

Im Februar 1790 starb Josef II., und nun kam es bald zu Irrungen. Preußen verlangte, Oesterreich sollte Frieden mit den Türken machen, aber Leopold sträubte sich. Also wurden von preußischer Seite Anstalten zum Feldzuge gemacht, und endlich wurde selbst marschiert.

Der preußische Soldat, im ganzen genommen, geht weit ungerner ins Feld als irgend ein anderer. Ich sage dies gar nicht, als zweifelte ich an dem Mut unserer Krieger; ich bin vielmehr versichert, daß sich bei keiner Armee mehr wahrer Mut findet, als bei der unsrigen. Die Sache hat aber einen ganz anderen Grund. Bei der kaiserlichen Armee und bei der ehemaligen französischen, wie auch bei anderen Heeren ist das Heiraten dem Soldaten sehr erschwert, allein bei unserer Armee ist nichts leichter als einen Trauschein zu erhalten. Es ist daher sogar das Sprichwort entstanden: »Für einen Taler und vierzehn Groschen bekommt man eine Frau!« Eben darum sind auch unsere meisten Soldaten verehelicht, und wenn es käme, daß unsere Weiber und Kinder mit ins Feld ziehen, so würde unsere Armee allerdings einem Haufen ziehender Nationen aus den Zeiten der Völkerwanderung ähnlich sehen. – Außerdem sind wenigstens die Hälfte unserer Soldaten Landeskinder, welche immer Urlaub haben, auf dem Lande bei den ihrigen leben und sich da von Ackerbau und anderen Gewerben nähren. Nimmt man das alles zusammen, so findet man den wahren Grund, warum ich sagen kann, daß unsere Leute ungern ins Feld ziehen. Weib und Kind und Nahrung fesseln sie ans Haus und machen ihnen den Feldzug verhaßt. Allein eben das, was den Feldzug erschwert, macht die Leute auf der andern Seite getreu, gibt ihnen Anhänglichkeit an ihr Vaterland und bewahrt sie vor dem Ausreißen.

Am 5. Junius 1790 marschierten wir aus der Garnison zu Halle, und unser erster Ruhetag war in Dessau. Unterwegs waren unsere jungen Soldaten gleich vom Anfange munter und lustig, die älteren aber hingen den Kopf und sahen mürrisch aus, bis sich endlich nach und nach der Geist der Munterkeit durchaus verbreitete und das ganze Regiment zu einem Haufen lustiger Brüder ward. Ich habe es immer gern gesehen, wenn unsere Leute sangen und jubelten, ob ich gleich selbst nicht mitsinge. Die gewaltigen Zoten, welche gewöhnlich gesungen werden, konnten mich nicht beleidigen, sie beleidigen auch wohl niemanden, weil sie zu diesem Wesen zu gehören scheinen.

Unser Marsch ging über Berlin, oder vielmehr in Berlin sollten wir bis auf weitere Order kantonieren; und so war unser nächstes Nachtquartier in Nowaweß, einem böhmischen Kolonistendorf bei Potsdam. Ich logierte beim Schulmeister, welcher zugleich auch ein Kattunweber war. Der Mann klagte sehr über den Verfall der böhmischen Sprache in dem Dorf, so daß die Jugend nicht mehr böhmisch lernen wollte, die böhmischen Bücher nicht mehr verstände, und daß die Leute sogar keine böhmischen Predigten mehr verlangten; alles sollte auf deutsch gehen. Ich stellte dem Manne vor, daß es großer Unsinn sei, mitten in Deutschland noch die böhmische Sprache unter den gemeinen Leuten fortsetzen zu wollen; die Leute könnten sonst was Nützlicheres lernen. Aber da hatt' ich des Herrn Schulmeisters Gunst gehabt! Er behauptete den Vorzug seiner Sprache vor allen anderen, und als ich ihn noch weiter widerlegte, ward er grob, und ich mußte, um Händeln vorzubeugen, dem Meister nachgeben und stille sein. Er sagte nachher zu einem meiner Kameraden, ich sei ein superkluger Mensch, der das Gras wachsen hörte. – Du lieber Gott!

Berlin hat zwar recht hübsche Häuser, und in diesen Häusern gibt es ganz artige Zimmer, allein wir wurden größtenteils in Gemächer geworfen, welche den Höhlen wilder Tiere ähnlicher sahen, als Lagerstätten für Menschen. Die reichen Bürger gaben den ärmeren, besonders Soldatenweibern u. dgl., Geld, daß sie ihre Mannschaft einnehmen mußten, und so wurden wir zu armen Menschen hingelegt, welche freilich nicht in Palästen wohnen. Wer uns selbst aufnahm, der hatte entweder eine unterirdische Wohnung oder einen Boden oder sonst ein Loch, wohin er uns werfen konnte; kurz die Quartiere in Berlin waren durchaus schlecht und gaben zu sehr vielen Klagen der Soldaten Anlaß; allein was war zu tun? Man mußte Geduld haben.

Die Berliner Bordelle hab' ich auch besucht: allein in ganz anderer Absicht, als ehemals die der Madame Agricola zu Frankfurt. Da ich in diesem Fache bisher sehr aufrichtig im Bekennen war, so werden mir meine Leser doch auf mein Wort glauben, daß ich in Berlin mit keinem feilen Mädchen näheren Umgang gehabt habe; aber die Bordelle habe ich besucht oder besehen. Es versteht sich von selbst, daß ich weder bei der Madame Schuwitzn, noch bei der Madame Lindemann, noch sonst in einer vornehmen »stillen Wirtschaft«, wie man dergleichen in Berlin nennt, gewesen bin; denn wie sollte ich, als Soldat, eine Schuwitzn besuchen, die sogar Kandidaten der hochheiligen Theologie abgewiesen hat, wie das vorige Ostern noch geschah – vielleicht, weil nichts Unreines ins Himmelreich hineingeht.

Die Schuwitzn hatte, kurz vor der Zeit, als wir nach Berlin kamen, sehr gelitten. Ihre Mädchen oder ihre Damen waren eines Abends unter den Linden geneckt worden und hatten angefangen, dagegen zu schimpfen. Einige Offiziere bestellten hierauf einen pudelnärrischen Kerl, welcher die Gassenbuben wider die Nymphen aufbringen mußte. Die Jungen insultierten die Mädchen nach Noten, bis sie sich endlich aus lauter Angst in ihren Wagen zusammenpackten und nach Hause fuhren. Die Jungen waren aber auf Anstiften ihrer Führer noch nicht zufrieden und verfolgten den Wagen mit Steinen und Kot und machten selbst bei dem Hause der Schuwitzn einen gefährlichen Spektakel. Die Dame, welcher es bekannt sein mochte, woher eigentlich der Skandal entspringe, wollte eine Klage einlegen; allein das Resultat davon war, daß ihr untersagt wurde, Kutsche und Bedienten zu halten.

In Berlin ist das Haus dieser Makerelle sehr bekannt, und wer die Friedrichstraße mit einem Fremden geht und an das kleine niedliche Häuschen kommt, der spricht: »Sehen Sie hier das Haus der Madame Schuwitz.«

In allen vornehmen und geringeren Gesellschaften wird von Madame Schuwitzn gesprochen, und die Berliner berühmen sich, daß selbst ein gewisser Herzog, welcher während seines ersten Aufenthaltes in Berlin von diesem Freudenort beinahe nicht wegkam, gestanden habe, er habe sogar in London keine so gute Wirtschaft von der Art angetroffen. Die Dame soll auch wirklich immer für recht gute Ware sorgen, d. h. für Mädchen von schlankem Wuchs und einnehmenden Gesichtszügen, welchen hernach die Schminke, dieses große Ingredienz aller feilen Mädchen, noch zu Hilfe kommen muß. Wenn nun die Schuwitzn eine solche Person annimmt, so läßt sie selbige einige schöne Stellen aus empfindsamen Romanen, Dichtern und Schauspielen auswendig lernen, übt sie im Komplimentemachen und im Putzen, und das gefällige Mädchen, vulgo Hure, ist fertig. Bei der Madame Lindemann und an einigen andern vornehmen Orten ist's beinahe ebenso, obgleich die Schuwitzn allemal das Prae hat, wie man sagt.

Billig ist es da nicht. Der Verfasser der »Galanterien von Berlin« hat gesagt: an manchen teuren Orten dieser Art müsse man einen Louisdor zuviel haben, wenn man sich ein Vergnügen machen wolle. Allein bei der Schuwitzn reicht wirklich der Louisdor nicht zu, auch bei der Lindemann schwerlich. Wer nun vollends sich will sehen und etwas aufgehen lassen, der kommt unter vielem schwerem Gelde nicht weg.

Den neuesten Nachrichten aus Berlin zufolge soll die Wirtschaft der Madame Schuwitz jetzt gänzlich zugrunde gerichtet sein. Ein gewisser in diesem Bordell beleidigter Graf schickte, wie man erzählt, einen Schinderknecht dahin, der sich wer weiß wofür ausgab und daselbst die Nacht zubrachte. Den folgenden Morgen versetzte der Kerl selbst bei der Schuwitzn seine Uhr, weil er, wie er vorgab, nicht Geld genug bei sich hätte, seine Schuldigkeit abzutragen. Gegen Mittag fuhr er mit einer krepierten Sau auf seinem Karren vor das Haus der Schuwitzn, trat in seiner Schinderuniform hinein und forderte seine Uhr, um sie auszulösen. Diese Begebenheit wurde gleich in der ganzen Stadt bekannt, und das berühmte Haus verlor durch diese skandalöse Geschichte alles Ansehen und soll seitdem wenig oder gar nicht mehr besucht werden.

Die Bordelle waren von der Einquartierung nicht frei, nämlich die von geringerem Kaliber, und ich habe selbst, nachdem ich mich mit meinem ersten Wirt überworfen hatte, einige Tage in einem solchen Loche gewohnt. Ich hatte schon von langen Zeiten her so viel von berlinischen Bordellen gehört, die alle anderen, selbst die zu Strasburg und Frankfurt am Main, übertreffen sollten, daß ich recht im Ernst begierig war, diese Dinge in natura zu besehen. Was ich fand, will ich kürzlich mitteilen.

Ich besuchte die »Talgfabrike«, die »Tranpulle«, den »zottlichen Juden« und einige andere. Es ist allerorten Mode, daß man den Bordellen schimpfliche Namen gibt: das soll noch von einigem guten moralischen Gefühl des Publikums zeugen. Und wer das bedenkt, der wird bei den Namen »blutiger Finger«, »rotes Läppchen«, »schwarze Schürze« allemal hübsche Reflektionen machen können. Es soll hingegen eine große Verdorbenheit der Sitten anzeigen, wenn man dergleichen obskure Sachen mit seinen Namen belegt, wenn man z. B. eine Hure ein Freudenmädchen nennt; warum nicht schlechtweg gesagt »Hure«, »Hurenhaus«? Wer diese Wörter nicht hören kann, verrät, daß er ein systematischer Wollüstling ist. Doch solche Benennungen sollen den Kindermord befördern helfen!!

In Berlin war's allerorten dasselbe. Es halten sich gemeiniglich sechs, acht bis zwölf Nymphen in einer Wirtschaft auf, meist Mädchen von ganz geringem Stande, welche ehemals von adligen oder unadligen Wollüstlingen verführt oder benutzt wurden und hernach, der Arbeit entwöhnt, keinen anderen Weg wußten, sich zu ernähren, als den der feilen Wollust. Einige davon fühlen das Unwürdige ihrer Hantierung und wünschen sich eine bessere Lebensart. So fand ich in der »Talgfabrike« ein Mädchen namens Jettchen, von Schwedt, welche mir feine Gesichtszüge zu haben schien und mit der ich mich daher abgab. Sie erzählte mir ihren Lebenslauf, und ich ward gerührt. Ich fragte sie, ob sie Lust hätte, aus diesem Leben heraus zu kommen, und sie gestand, nur ihre Schulden hielten sie zurück, sonst ginge sie herzlich gern gleich wieder weg. – Das Ding fuhr mir im Kopf herum, ich wußte aber nicht, wie ich es anfangen sollte, sie zu retten, da ich kein Geld hatte, um für sie zu bezahlen und sie dadurch auszulösen. Endlich machte ich gemeinschaftliche Sache mit einigen derben Kavalleristen und zwei Soldaten von unserem Regiment. Ich stellte ihnen die abscheuliche Lage des unglücklichen Mädchens vor und den Wunsch, den sie hatte, zu ihren Verwandten zurückzukehren. Dann versicherte ich sie, das Vorgeben solcher Wirte von Schulden sei nur ein Kniff, die Mädchen festzuhalten, die Kerls wären Erzpreller; es sei übrigens ein sehr gutes verdienstliches Werk, ein solches Geschöpf vom Untergang zu retten. Dabei brauchte ich meine militärische Beredsamkeit dergestalt, daß die braven Kavalleristen und Musketiers schwuren: der Teufel sollte sie samt und sonders holen, wenn das Mädchen nicht innerhalb 24 Stunden frei sein sollte! Den folgenden Abend gingen wir alle auf einen Haufen in die Talgfabrike, tranken Bier und schäkerten so herum. Endlich gab ich Jettchen ein Zeichen, daß sie sich nur zu uns halten sollte; dann nahm ein Kavallerist sie beim Arm und wollte mit ihr weg. Der Wirt aber hatte helle Augen, lief hinzu und sagte:

»Wohin, mein Herr?«

Der Kavallerist: Spazieren!

Der Wirt: Die Mamsell geht nicht spazieren!

Der Kavallerist: Warum denn nicht? Ich will sehen, wer's ihr wehren soll!

Der Wirt: Sie soll nun nicht! (Will sie wegreißen.)

Ein anderer Kavallerist: Kerl, reise! oder der Teufel soll dich frikassieren! (Schleudert ihn weg.)

Der Wirt setzte sein loses Maul fort, bekam aber derbe Rippenstöße; der Kavallerist und einige andere waren indes mit Jettchen abgefahren, und Meister Maquereau hatte das Nachsehen. Er sprach zwar viel von Räubereien, drohte mit Verklagen, aber wir lachten ihn nur aus, da er uns alle nur nach der Uniform, nicht aber nach dem Namen, ja nicht einmal nach der Kompanie kannte. Jettchen ging nach der Neustadt zu einer alten Frau, mit der sie bekannt war, und begab sich hernach, wie ich gehört habe, zu den ihrigen nach Schwedt. Vielleicht ist sie auf den Weg der Tugend zurückgekehrt, und dann haben wir ein gutes Werk getan.

Um den reumütigen Mädchen es unmöglich zu machen, ihr schändliches Gewerbe zu verlassen, so sorgen die Wirte dafür, daß sie immer viel von ihnen zu fordern haben. Der Wirt schafft der Unglücklichen Kleider, Wäsche, Putz, beköstigt sie und gibt ihr Quartier; alles rechnet er übermäßig teuer an, so daß das Mädchen nimmermehr bezahlen kann. Ihren Verdienst teilt er obendrein mit ihr, und läßt ihr nur eine Kleinigkeit, welche das zu Leckereien verwöhnte Mädchen in lauter Kuchen und Zuckerwerk vernascht. So müssen denn die Kreaturen bleiben, bis entweder der Wirt selbst sie fortjagt oder bis sie entwischen oder irgend ein Liebhaber sie auslöst. Zu wünschen wäre es immer, daß die Berliner Polizei hier angemessene Gegenanstalten träfe, um einer Unglücklichen das Laster nicht wider Willen zur Zwangspflicht werden zu lassen.

Im Durchschnitt sind diese Mädchen unverschämte Nickel, die gar nichts von Anstand und Delikatesse wissen. Schamlose Worte begleiten alle ihre Reden, und durch schändliche Gebärden wiegeln sie die tierische Lüsternheit nur noch frivoler auf. Dabei können sie saufen, sogar Branntwein, wie die Packknechte. Kommt jemand in so ein Saus, so greift ihn gleich die erste beste an, nennt ihn »lieber Junge«, duzt ihn und fordert sogleich, daß er ihr Wein, Schokolade, Kaffee, Branntwein und Kuchen geben lasse; und das alles ist in diesen Häusern noch einmal so schlecht als anderswo, und doch noch einmal so teuer. Nun kommt es darauf an, ob der angehaltene Mosjeh so galant ist, daß er dem Nymphchen willfahrt oder nicht. Im ersteren Fall bleibt das Mädchen bei ihm, streichelt ihm die Backen, nennt ihn allerliebst, bis ihre Viktualien verzehrt sind oder jemand anders sie zu einem ernstlicheren Geschäft auffordert. Im andern Fall trollt sich das Kreatürchen gleich und sucht eine willfährigere Gesellschaft. Und auf diese letztere Weise kann man ganz ungestört in einem Bordell sitzen, seine Pfeife rauchen und dem Spektakel zusehen, ohne daß man nötig habe, der niedern Wollust zu frönen oder etwa mehr als das, was man selbst verzehrt, zu bezahlen.

Es wird überhaupt in Berlin gar nicht für anstößig oder schändlich gehalten, in ein Bordell zu gehen. Viele, selbst angesehene, Ehemänner gehen dahin, und kein Mensch, selbst ihre Weiber, nehmen ihnen das nicht übel. Man weiß, daß der Zehnte bloß aus Neugierde hingeht oder zum Zeitvertreib.

Während der Zeit, da sich die fremden Regimenter in Berlin aufhielten, standen viele Bordelle den Soldaten offen, wohin sonst bloß Vornehmere zu kommen pflegen. Ob das vielleicht Achtung für die Fremden war? Die Mädchen selbst waren so höflich, ihren Preis auf die Hälfte herabzusetzen: wo man sonst zwölf Groschen zahlen mußte, zahlte man jetzt nur sechs, doch ohne den Pudergroschen mitzurechnen.

Von den berlinischen Straßennymphen gibt es eine große Anzahl; man heißt sie schlechthin »Straßenmenscher«, »Kurantmenscher« u. dgl. Sie schwärmen trotz der scharfen Aufsicht die ganze Nacht auf den Gassen, teils einzeln, teils haufenweise, herum und sehen zu, wer ihnen für den Genuß schmutzigen Vergnügens einige Groschen zollen will. Ich bin einigemal Augenzeuge von Auftritten gewesen, worüber ich errötete. – Die Gesellschaftsmamsellen, welche ganz einzeln für sich wohnen und dann und wann für Geld und gute Worte sich von schmucken jungen Leuten besuchen lassen, habe ich nicht kennen gelernt. – Aber nun mag's genug sein! Im Anfang des Julius marschierten wir an einem Montag aus Berlin auf Frankfurt zu. Das Land hier ist sehr sandig und unfruchtbar, die Leute sind größtenteils arm. Sie heißen nach der berlinischen Sprache die »Sandmärker«.

Gern hätte ich die Universität zu Frankfurt an der Oder näher kennen gelernt: allein wir gingen die Stadt nur eben durch, und da ließ sich freilich wenig bemerken. Ich sah zwar einige Studenten auf der Straße, die alle recht artig gekleidet gingen und gar nicht renommistisch aussahen: ich schloß daher, daß der Komment auf dieser Universität jetzt auch sehr verfeinert sei. Allein nach meiner Zurückkunft nach Halle sprach ich mit einigen, die sonst in Frankfurt studiert hatten, und diese Herren beschrieben mir den Frankfurter Ton als sehr roh, viel roher, als er in Halle ist.

An der Oder betrachtete ich die Säule, welche dem vortrefflichen Herzog Leopold von Braunschweig errichtet ist, Der Prinz ertrank bei dem Versuch, einen Soldaten aus der Oder zu retten. P. und fühlte recht lebendig, daß dieser edle Fürst eines schöneren Todes starb, als mancher Held, der hunderttausend unschuldige Menschen auf die Schlachtbank führt, und endlich auf Trümmern der Menschheit im Triumph als Sieger einherschreitet, uneingedenk des schönen Lessingschen Spruches: »Was Menschenblut kostet, ist Menschenblut nicht wert!« – dann sich hinlegt und stirbt und nun aus widervernünftiger Verwöhnung ein Mausoleum erhält. Wahrlich, Leopold hat die Ehrensäule mit größerem Recht verdient!

Zu Trebbin, einem Dorfe unweit Frankfurt, konnte ich das Feld überschauen, wo vorzeiten Friedrich II. die ungebetenen Gäste, die Russen, teils zusammengehalten, teils in die Oder gejagt hat. Mein Wirt hatte dieser Menschenschlächterei beigewohnt und konnte vielerlei Partikularitäten davon erzählen. Er sprach von den Russen sehr erniedrigend und führte viele Beispiele von Grausamkeiten an, welche sie in jenen Gegenden verübt hätten. Sie pflegten, um nur eins anzuführen, die Haare der Weiber und Mädchen um ihre Säbel zu wickeln, hernach die armen Geschöpfe vermittelst des Säbels an der Erde zu befestigen und auf diese Art ihre viehische Wollust ungestörter zu stillen. Die russischen Offiziere erlaubten das alles und lachten über die Klagen des gedrückten Landmanns. Aber so soll auch ihre Schande fortdauern bis an den jüngsten Tag. Der Feind sei immerhin Feind, nur vergesse er die Menschlichkeit nicht, und man wird ihn loben und ehren!

In Dittersbach bei Sagan standen wir, das zweite Bataillon, bei welchem ich mich befand, vierzehn Tage still. Dies verursachte der Reichenbacher Kongreß, von dessen Ausgang Krieg und Frieden nun abhing. Unsere Leute disputierten täglich bis zum Zanken und zu Grobheiten, ob Leopold nachgeben oder den Krieg fortsetzen würde. Sie wurden oft aufeinander so erbittert, daß sie sich mit Schlägen drohten. Ich sah dergleichen Auftritte gern, sie erinnerten mich an die Zänkereien und die Spektakel der älteren und neueren Theologen und Philosophen, welche oft über Dinge disputierten, die kein Mensch bejahend oder verneinend entscheiden kann.

Hier in Dittersbach machte ich mich mit der Landesart bekannt, und ich muß mit Erlaubnis der Herren Schlesier bekennen, daß ich wenig Genugtuung gefunden habe. Ganze Strecken recht guten Landes lagen öde, und niemand konnte sich entsinnen, daß je ein Pflug darauf gekommen wäre. Der Gartenbau taugt vollends nichts, wenigstens auf den Dörfern nicht. Die Leute sehnen sich nicht einmal nach Gartenfrüchten: sie essen jahraus jahrein ihre Knödel, d. h. Mehl wird in Wasser gerührt, sehr schwach gesalzen, zu länglichen Stücken geformt, und in bloßem Wasser gesotten. Das sind schlesische Knödel, welche noch obendrein ohne Schmelze gegessen werden. Außerdem haben sie ihre Suppe, bloßes Mehl mit Salz und Wasser, selten mit Milch, und sind damit zufrieden. Es gibt Familien, die das ganze Jahr hindurch auch nicht ein Lot Fleisch essen. An Einschlachten und an Geräuchertes ist gar nicht zu denken, ich meine immer: auf den Dörfern, denn in schlesische Städte bin ich nicht gekommen. Die Tracht oder Kleidung dieser Leute ist sehr einfach und zeugt von der Armut der meisten. Fast alle beklagten sich, daß sie kaum so viel erwerben könnten, als hinreicht, die Abgaben an den König und den Edelmann zu entrichten: woher nun Kost und Kleidung!

Der schlesische Landmann ist in allem Betracht ein Sklave. Die königlichen Abgaben, hörte ich mehrere sagen, wollten sie gerne geben, wenn sie nur von der Tyrannei des Adels befreit wären. Der größte Teil des Adels tyrannisiert zwar allerorten, wo er nur kann, und sieht die Landsleute als Geschöpfe an, die aus einer ganz anderen Masse gebildet sind, als der gnädige Junker. Aber nirgends ist die adelige Tyrannei ärger als in Schlesien, da können die Herren Unmenschen so recht nach Herzenslust die armen Untertanen scheren. Der Bauer da muß seinem Edelmann oder Gutsherrn arbeiten, so oft und viel er es verlangt, und was der Edelmann ihm dafür erstattet, ist der Rede nicht wert. Widersetzt sich der Bauer, so läßt ihn der Junker einsperren. Ein Bauer wollte seinen Sohn zu einem edelmännischen Amtmann qualifizieren lassen, und bediente sich dabei in vollem Ernst des Ausdrucks, er sollte ein Bauernschinder werden. – Und so fädelt man Volksaufstand ein!

Wenn also Schlesien auch gleich ein recht gutes und fruchtbares Land ist, so ist doch der Wohlstand der arbeitenden Klasse, vornehmlich auf dem Lande, sehr gering, und die armen gedrückten Leute sehen leider das Unnatürliche noch nicht ein, was Hofrat Schlözer darin findet: »daß ein hochwohlgeborner Schwachkopf und Faulenzer von dem Verstand und der Arbeit hundert gescheiter und arbeitsamer Leute leben solle«. – An Holz haben die Leute freilich einen Ueberfluß, gehen aber damit so unsparsam um, daß es eine Schande ist. Um eine Wassersuppe zu kochen, verbrennt der Schlesier so viel Holz, als man in Halle braucht, eine ganze Mahlzeit zuzurichten. Den ganzen Tag brennt da das Feuer auf dem Herde, damit, wenn ja einem einfällt, etwas anzusetzen, er nicht nötig habe, erst Feuer anzumachen. Die Leute brauchen dreimal täglich warmes Wasser für das Vieh: da nun das Wasser in Ofenschiffen gewärmt wird, so werden die Stuben in diesem Lande täglich wenigstens dreimal geheizt. Ich konnte in solchen Stuben gar nicht bleiben, ebensowenig meine Kameraden: die Einwohner aber rührte das gar nicht. Wenn also überhaupt, wie man sagt, diese Nation von etwas schwachem Geiste ist, so mag das ewige Heizen der Stuben vielleicht ebensoviel dazu beitragen, wie der despotische Druck ihrer Gutsherren.

In Kleinigkeiten sind die Schlesier erfinderisch. So sah ich in Sprottau eine Wiege, welche durch ein Triebrad vom Wasser in Bewegung gehalten wurde. Ich habe noch mehr Raritäten von der Art bemerkt, die aber keineswegs Beweise für die Kultur eines Landes sind.


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