Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Schulden! – Abschied von Gießen. – Ausschweifungen in Frankfurt. – Ein Schurke drängt sich an mich heran. – Der »Rote Ochse«. – Wilde Nacht und unangenehmes Erwachen. – Ich bin österreichischer Rekrut. – Rettung durch einen Ehrenmann. – Examen bei meinem Vater. – »Gut bestanden.« – Göttingen. – »Schofler Comment.« – Beim Schnapskonradi. – Das Schnapsen aus Nößeln. – Der Exjesuit Badiggi. – Ein päpstlicher Denkspruch. – Meister Dippel. – Die feine Sitte in Göttingen. – Göttinger Weiblichkeit und Gesellschaftsleben.

Ich hatte meinem Vater meine Schulden, die sich auf ungefähr 180 Gulden beliefen, ehrlich gemeldet. Der gute Mann mußte freilich stutzen, da er mir immer hinreichenden Wechsel und zur rechten Zeit geschickt hatte, daß ich recht mit einer so großen Nachrechnung auftrat. Zudem hatte er beschlossen, mich noch nach Göttingen gehen zu lassen, und da konnte er schon ausrechnen, daß ihm mein Studium eine ansehnliche Summe kosten würde. Bezahlt mußte indes einmal sein; er schickte mir also das Geld, und obgleich sein Brief viele Vorwürfe enthielt, so hatte ich doch nicht Ursache, daß ich mich fürchtete, vor ihm zu erscheinen.

Nachdem das Geld in meinen Händen war, bezahlte ich meinen Gläubigern, doch so, daß ich ein ansehnliches Reisegeld übrig behielt. Um dies zu bewerkstelligen, kontrahierte ich mit ihnen, blieb dem sechs, dem acht, dem zwölf Gulden schuldig, und die Leute ließen das gerne geschehen, weil ich sie die drei Jahre hindurch immer ehrlich befriedigt hatte.

Es war ungefähr acht Tage vor Ostern, als ich von Gießen abging. Da ich auf die erwähnte Art mit Geld versehen war, so machte ich mich in Frankfurt ausschweifend lustig, und meine Barschaft nahm zusehends ab, so daß nach Verlauf von vier Tagen nicht viel über einen Louisdor übrig war. Ich hatte vor lauter Lustbarkeit vorher nicht Zeit, meine Kasse zu untersuchen: denn ich war – zu meiner Schande muß ich dergleichen bekennen – wenig nüchtern geworden und noch weniger von der Madame Agricola weggekommen. Ich dachte: mit dem Studentenleben ist's nun alle, nach Göttingen schickt dein Vater dich doch nicht, da er dir befohlen hat, geraden Weges nach Hause zu kommen; mußt nun pauken, Predigen. L. mußt dich also noch einmal zuguterletzt recht lustig machen. Gott! wenn mein guter Vater mich da gesehen hätte!

Um wieder Geld zu bekommen, wandte ich mich an einen Bekannten meiner Familie und bat ihn, mir mit 18 Gulden Reisegeld auszuhelfen. Der ehrliche Mann tat es, und erst vier Jahre nachher ist er bezahlt worden, weil er nicht mahnte.

Nun nahm ich mir im Ernste vor, den andern Tag Frankfurt zu verlassen: doch sollte den Abend Madame Agricola noch einmal besucht werden. Ich ging zeitig hin und erklärte, daß ich morgen abreisen würde. Ein gewisser Mensch von einigen dreißig Jahren, den ich einigemal in diesem verrufenen Loche gesehen hatte, fragte mich, ob ich über Darmstadt oder Mainz gehen würde. Ich antwortete ihm, daß ich über Mainz müßte, weil ich meinen Koffer von Gießen aus dahin geschickt hatte.

»So wären wir ja Reisegefährten; ich gehe morgen auch dahin,« sagte er und trank mir zu. Ich freute mich, jemanden zu haben, mit dem ich unterwegs auf dem Marktschiff von dem Jubel in Frankfurt schwatzen könnte, und drängte mich näher an den – Spitzbuben.

Gegen neun Uhr wollte ich fort. Mein sauberer Kumpan begleitete mich; ich hatte schon eine Schnurre, und so war's ihm leicht, mich noch einmal in ein Wirtshaus zu verführen. Er sagte mir, da gäb' es herrlichen Wein und wohlfeilen, und ganz kapitale Menscher. Das war Einladung genug für mich: doch sagte ich ihm gleich, daß ich nicht viel verzehren könnte; denn ich müßte mein Geld zu Rate halten, weil ich einige Tage in Mainz zubringen wollte. »Ei was,« sagte er, »was wird's denn kosten? Drei oder sechs Batzen, das ist's all. Seien Sie doch artig!«

Der Kerl führte mich in ein Weinhaus, welches, wie ich nachher erfuhr, der »Rote Ochse« hieß und das österreichische Werbhaus war. Wir kamen in eine artige Stube, wo allerlei Leute waren, meistens österreichische Soldaten, und Musik. Mein Begleiter ging gleich zur Tür hinaus, um, wie er sagte, etwas Nötiges auszuführen, kam hernach zurück und trank mit mir einen Schoppen nach dem andern. Endlich, als er merkte, daß es mir im Kopf warm war, fragte er, ob ich nicht tanzen wollte. Ich schlug es ab. »So wollen wir,« erwiderte er, »uns wenigstens dort oben an den Tisch setzen; dort ist doch Gespräch!« Das war ich zufrieden, und wir veränderten unseren Platz. Ich kam neben einem Unteroffizier zu sitzen, welcher ganz artig von gleichgültigen Dingen sprach. Er trank mir einigemal zu, und ich tat Bescheid. Der Wein stieg mir endlich so stark in den Kopf, daß ich Brüderschaft mit dem Unteroffizier und meinem Begleiter und wer weiß mit wem noch mehr trank, daß ich tanzte und bei den anwesenden Mädchen herumschäkerte. Gewöhnlich werden nämlich in den Werbhäusern Mädchen gehalten, durch diese trägt mancher den roten, weißen, blauen oder grünen Rock.

Das Ding mag bis nach Mitternacht gedauert haben; denn bis halb zwölf hatte ich meine Besinnungskraft, was aber hernach mit mir vorgegangen ist, weiß ich nicht. Den anderen Morgen erwachte ich so um zehn Uhr und hatte schrecklichen Durst. Ich lag noch völlig gekleidet im Bette, außer daß man mir meinen Ueberrock ausgezogen hatte; doch war ich ordentlich zugedeckt und hatte ein Tuch um den Kopf. Meine Uhr, Stock und Hut lagen auf dem Tisch, wie auch der »Siegwart«, den ich in Gießen zum Zeitvertreib zu mir gesteckt hatte; er war damals die Modelektüre. Das Zimmerchen, worin ich lag, war sehr klein, doch reinlich. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, ging also nach der Tür; aber wie erschrak ich, als diese verschlossen war. Ich pochte stark an; endlich erschien ein Unteroffizier mit einem Mädchen, welches Kaffee herauftrug.

»Guten Morgen, Herr Bruder,« sagte er, »wie hast du geschlafen?«

Ich: Gut; aber mir tut der Kopf weh; und Durst hab´ ich wie'n Pferd.

Er: Glaub's halter Ein österreichisches Provinzialwort, welches die österreichischen Werber jeden Augenblick anbringen, und daher sie auch im Reiche vom Pöbel nur schlechthin die »Halters« genannt werden. L. gern: trink du nur Kaffee; es wird schon vergehen.

Ich: Ja, ja. Was kostet der Kaffee? Will gleich bezahlen, auch das Logis.

Er: Ist halter alles bezahlt, Herr Bruder! Trink du nur!

Das Mädchen:Je nun, mein Herzchen, du warst gestern abend recht selig. Schäm´ dich, du hast bei mir schlafen sollen, aber da warst du besoffen wie ein Kater.

Der Unteroffizier: Kann ja noch geschehen; will hinuntergehen.

Ich: Bleiben Sie nur und sagen Sie mir, wo ich bin.

Er: Im »Roten Ochsen«, Herr Bruder.

Ich: Gut! Wieviel Uhr ist es?

Er: Halb elf.

Ich: Potztausend, dann muß ich fort.

Er: Haha, daraus wird halter nichts: du bist ja Soldat, dienst dem Kaiser!

Ich: Was? Soldat?

Er: Ja, komm nur mit hinunter.

Ich mußte mit ihm hinabgehen. In der großen Stube fanden wir eine Menge Leute, aber mein sauberer Herr Begleiter war nicht darunter.

»Hören Sie, meine Herren,« fing der Unteroffizier an, »ist der Herr da halter nicht Soldat?«

Alle bejahten dies.

»Hat er halter nicht Handgeld genommen?«

Auch diese Frage wurde bejaht. Ich leugnete das alles, aber man befahl mir, meine Börse zu untersuchen. Ich tat es und fand, außer meinem Gelde, noch 4 Kremnitzer Dukaten. Ich erschrak zu Tode, da ich den Beweis sah von dem, was der Unteroffizier mir gesagt hatte. Doch faßte ich mich und fragte, ob kein Offizier da wäre; ich müßte mit ihm sprechen.

»Das soll schon halter geschehen,« war die Antwort, »er wird bald kommen.«

Ich setzte mich in eine Ecke des Zimmers, stieß jeden, der mit mir reden wollte, von mir, forderte ein Glas Branntwein und las vor lauter Aerger in meinem »Siegwart«. So leerte ich zwei oder drei Gläser, und da der Spiritus vom vorigen Tage noch nicht ganz verraucht war, so wurde mein Kopf wieder verwirrt.

Es schlug zwölf, und noch kam kein Offizier. Ich ließ mir etwas zu essen geben und mußte vieles von den Herrlichkeiten anhören, die bei der Armee auf mich warten sollten. Endlich riß mir die Geduld: ich forderte, daß man einen Offizier holen sollte. Man lachte. Ich wollte mit Gewalt zur Tür hinaus, aber man hielt mich auch mit Gewalt zurück, und indem wir uns so balgten, trat ein Offizier in die Stube, der, wie ich hernach erfuhr, Major war.

»Was gibt's denn da?« rief der ansehnliche Mann. »Ich glaube, ihr habt Händel?«

Ein Unteroffizier: Verzeihen S' halter, Ihr Gnaden, da ist ein Rekrut, der will ausreißen.

Major (zu mir): Haben Sie sich anwerben lassen?

Ich: Nein, mein Herr!

Major: Aber die Leute da, die Unteroffiziere, sagen's doch?

Ich: Mein Herr, ich kam gestern abend hierher und –

Major (einfallend): – und soffen sich so voll, daß Sie noch nicht nüchtern sind. Hab' davon hören müssen. Wer sind Sie?

Ich: Ein Student von Gießen.

Major: Wie lange studieren Sie schon?

Ich: Seit drei Jahren.

Major: So, so! Aber was nehmen Sie denn Handgeld? Haben wahrscheinlich nichts gelernt? Nicht wahr?

Ich: Sie beleidigen mich –

Major: Daß ich nämlich bei einem Menschen von Ihrem Betragen keine Kenntnisse voraussetze. Nun, wie hieß der erste Kaiser aus dem österreichischen Stamm?

Ich: Rudolf von Habsburg.

Major: Und der letzte?

Ich: Karl der Sechste.

Major: Wann haben beide regiert?

Ich: Jener kam 1273 zur Regierung, und dieser starb 1740.

Major: Schön. Ich bin kein Gelehrter; sonst setzte ich das Examen fort. Es tut mir leid, daß Sie Ihr Glück verscherzen. Doch ich will sehen, was sich tun läßt. Ich möchte Ihnen gern helfen. Haben Sie Bekannte hier?

Ich: Ja, den Herrn Bucher, Stadtchirurgus, den Gastwirt Tennemann und –

Major: Schon gut, wollen sehen, was zu tun ist. Ich komme hernach wieder. Unterdessen halten Sie sich ruhig; aber saufen müssen Sie nicht mehr, hören Sie?

Der rechtschaffene Mann ging fort, und die Unteroffiziere waren gleich weit höflicher gegen mich als zuvor; keiner sagte mehr du zu mir.

»Den kriegen wir halter nicht!« sagten sie untereinander.

Nach ungefähr drei Stunden kam der Major wieder zurück mit noch zwei jungen Offizieren. Der eine war der Sohn eines lutherischen Geistlichen aus Schwaben und hieß Funk. Der Major trat ganz höflich zu mir und sagte:

»Mein Freund, Sie geben die 4 Dukaten heraus.«

Ich tat dieses mit Freuden.

»Der Spektakel hier,« fuhr er fort, »hat ungefähr zwölf Reichstaler Unkosten gemacht, aber da Sie wahrscheinlich nicht so viel bei sich haben, habe ich mit Herrn Bucher gesprochen, und der haftet dafür. Sie schicken aber innerhalb sechs Wochen zwölf Taler an den ehrlichen Mann, damit er sie sonst nicht aus seiner eigenen Tasche bezahlen müsse. Uebrigens sind Sie frei, denn unser Kaiser will nicht, daß man besoffene Leute anwirbt; ja wenn Sie auch jetzt Dienste annehmen wollten, so müßten Sie erst Ihren Rausch ausschlafen.«

»Herr Major, wie soll ich Ihnen meinen Dank –«

»Stille, mein Freund! Ich tue, was Menschenliebe erfordert, und vollbringe den Willen meines Herrn, der edel denkt. Danken Sie Gott, daß der Emissär Sie nicht in ein paar der anderen Werbhäuser geführt hat. Da wären Sie, so wahr ich lebe, nicht wieder weggekommen. Diese Herren scheren sich den Henker um Menschenliebe und Menschenrechte, wenn sie nur Leute kriegen; ob's ehrlich oder unehrlich dabei zugehe, darum bekümmern sie sich nicht. Aber hüten Sie sich vor ähnlichen Händeln: Sie möchten sonst nicht so glücklich wieder herauskommen.«

Mit diesen Worten verlieh mich der edle Major, ohne meine Danksagung abzuwarten. Ich habe seinen Namen vergessen, und das ärgert mich in der Seele. So war ich also durch einen Schurken ins Unglück gebracht und durch einen rechtschaffenen Mann wieder errettet worden. – Aber in solchem Wasser fängt man solche Fische! Was hatte ich nötig, mich in solche Löcher zu begeben, wo Gesundheit, Ehre, Geld und Freiheit aufs Spiel gesetzt wird! So oft gewitzigt und doch nicht klug! Es geschah mir also recht, daß ich in diese Verlegenheit geriet. Wohl mir, und mehr als ich's verdiente, daß ein Menschenfreund sich meiner annahm! Wer war froher als ich!

Tags darauf verließ ich Frankfurt und kam wohlbehalten nach einigen Tagen bei meinen Eltern an.

Mein Vater hätte wohl Ursache gehabt, mich mit einem tüchtigen Wischer zu bewillkommnen, um so mehr, da ich eine weit stärkere Summe zum Abschiedswechsel gefordert, als er erwartete: außerdem waren ihm auch mehrere meiner Stückchen bekannt geworden, besonders die Eulerkappereien. Aber mein Vater erklärte gerne alles aufs beste, und so machte er's auch hier; er entschuldigte mich bei sich selbst und empfing mich mit freundlichem Gesicht. Die ersten Tage gingen ruhig vorbei; dann aber nahm er mich auf sein Stübchen, um, wie er sagte, zu sehen, ob ich was wüßte, oder ob Oel und Arbeit verloren sei. Ich bestand aber in seinem Examen so gut, daß er mehrmals ausrief:

» Non me poenitet pecuniae, quam in tua studia impendi.« »Mir tut´s um das Geld nicht leid, das ich für dein Studium ausgegeben habe.« L.

Da mein Vater mit meinen Kenntnissen so wohl zufrieden war, war ich selbst froh und dachte an nichts, als wie ich mich einrichten wollte, um auch zu Hause meine Tage vergnügt hinzubringen. Mein Vater hatte aber nach unserem Examen sich eines anderen besonnen und jetzt neuerdings beschlossen, daß ich noch auf ein Jahr die göttingische Universität beziehen sollte, damit ich mehr in den orientalischen Sprachen leisten und überhaupt mich in Absicht meiner Sitten bessern möchte, welche in Gießen ganz verwildert waren. Göttingen stand schon damals im Rufe sehr feiner Sitten.

Mein Vater entdeckte mir seinen Vorsatz und befahl mir, mich zur Abreise in wenigen Tagen anzuschicken. Man stelle sich meine Freude vor, abermals eine Universität zu besuchen, welche die, wo ich gewesen war, unendlich übertraf. Mein Gepäck wurde in etwas ausgebessert und mit neuer Wäsche versehen, und dann reiste ich ab. Meine Reise ging über Gießen, Marburg, Kassel und Minden. Mein Vater hatte mich abermals bis Frankfurt begleitet.

In Göttingen lehrten damals sehr viele berühmte Männer: ein Walch, Michaelis, Heyne, Lichtenberg, Kästner und viele andere sehr gelehrte, verdienstvolle Professoren. Quanta nomina!

Ich war an den D. Walch empfohlen, welchen mein Vater in Jena genau gekannt und dessen Freundschaft er genossen hatte. Walch war ein vortrefflicher Mann, sowohl von seiten der Gelehrsamkeit und Kenntnisse, als in Ansehung des Biedersinns und der Redlichkeit. Ich habe viel Gutes von ihm genossen; manchen Gefallen, manche Freundlichkeit hat er mir erwiesen, und mit manchen Kenntnissen mich bereichert.

Ich logierte bei der Prof. Köhlerin, einer recht braven Frau. Walch hatte mir sehr gute Regeln des Verhaltens gegeben und hinzugesetzt: da ich schon länger auf Universitäten gewesen wäre, so müßte ich gewiß gesetzt sein; er wolle mir also nicht weiter sagen, was ich als Student zu tun hätte. Der gute Mann hat sich nicht wenig geirrt! Ich war noch so frivol, als ich vor drei Jahren gewesen war.

Ein gewisser Sturm war in Göttingen, den ich in Gießen gekannt hatte; das wußte ich und suchte ihn auf.

»Nun, Bruder,« sagte ich zu ihm, »wie sieht's denn hier aus mit dem Komment?«

Sturm: Schofel, Bruder, sehr schofel! Die Kerls wissen dir den Teufel, was Komment ist: halten ihre Kommerse in Wein und Punsch, saufen ihren Schnaps aus lumpigen Matiergläsern, lassen sich alle Tage frisieren, schmieren sich mit wohlriechender Pomade und Eau de Lavende, ziehn seidene Strümpfe an, gehn fleißig ins Konzert zum Professor Gatterer, küssen den Menschern die Pfoten; kurz, Bruderherz, der Komment ist hier schofel.

Ich: Aber doch nicht allewege?

Sturm: Nein, Brüderchen! es gibt noch derbe Kerls, aber die stehen wenig in Ansehen; man hält sie für liederlich, und deswegen müssen sie für sich leben und miteinander ihre Sachen allein treiben.

Ich: Hör', Bruder, soviel an uns ist, müssen wir den Komment wiederherstellen oder gar einführen à la Jena –

Sturm: Hast recht: aber das wird schwer halten, wollen indes sehen, quid virtus et sepientia possit. Was mit Tüchtigkeit und Weisheit auszurichten sei. L. Du gehst den Abend doch mit zum »Schnaps-Konradi«, nicht?

Wir begaben uns wirklich denselben Abend zum Schnaps-Konradi, einem Bruder des Schnaps-Konradi in Halle. Wir fanden einige Studenten da, welche aus kleinen Bowlen Punsch und aus Fingerhutgläschen Schnaps tranken. Ich forderte ein Glas Schnaps und Sturm auch eins. Man brachte es uns, aber in kleinen Gläschen. Ich ließ mir also einen Bindfaden geben, damit ich es, wenn es in die Kehle hineinwitschte, wieder herausziehen könnte. Man lachte über meinen Einfall, beklatschte ihn, und wir ließen uns ein Nößel Schnaps geben, leerten es aus und gingen so wohlbezecht nach Hause. Wir fuhren fort, den Schnaps-Konradi fleißig zu besuchen, waren aber doch nicht imstande, die Mode, aus Nößeln zu schnapsen, einzuführen, obgleich einige es uns nachmachten, denn man kann nichts so sehr Närrisches anfangen, das nicht einige Nachahmer finden sollte.

Herr Walch erfuhr diese Wirtschaft und gab mir deshalb einen derben Wischer. Ich unterließ hierauf das häufige Besuchen des Konradi, des Kellers und der Dörfer, und fing an, ernstlich zu studieren.

Ich fand auch in Göttingen einen gewissen Italiener Badiggi, einen Exjesuiten, mit dem ich schon in Gießen Umgang gepflogen hatte. Dieser Badiggi war ein Mensch von viel Kopf und Erfahrung: aber auch ohne Religion, ohne Sitten und ohne Gesetze, kurz, ein wahres moralisches Ungeheuer. Er erzählte von sich alle möglichen Schandtaten ohne Erröten, und schrieb gewöhnlich in die Stammbücher den Denkspruch des Papstes Alexanders VI.:

Chi ha diciotto anni e non è pazzo
O buzzera, o fotto o si mena il cazzo.

Latein konnte Badiggi reden wie Wasser, und Latein, das sich immer hören ließ, das keine Schnitzer hatte. Beiher hatte er große Belesenheit in jenen freieren Schriften der Italiener, welche das sechzehnte Jahrhundert erleuchtet haben, z.B. in denen des Aretino, Pulci, Ariosto, Pallavicino usw. Einen größeren Zotenreißer und Lästerer aller Religion, aller Sitten und aller Moral, habe ich nie gehört. Das waren aber in meinen Augen damals Tugenden und verbanden mich um so mehr mit Badiggi, oder, um besser zu sagen, sie machten, daß ich seinen Umgang eifrig suchte, ohne jedoch seine Person zu lieben oder zu schätzen. Ich gewöhnte mir in seinem Umgang einen äußerst freien und schlüpfrigen Ton in Rücksicht auf die Religion und ihre Lehren an, einen Ton, der mir, wie ich bald erzählen werde, in meinem Vaterland sehr viel geschadet und mein ganzes theologisches Glück verdorben hat. Herr Walch merkte diesen Ton und verwies ihn mir.

»Hören Sie, sehen Sie,« sagte er zu mir, »das ist einfältig gesprochen. Was Sie nicht glauben, müssen Sie mit Gründen widerlegen, aber nicht beschimpfen.«

Klug war das wohl geraten: aber wo sollt' ich soviel Klugheit hernehmen, seinem klugen Rate zu folgen? Obwohl Walch mich für einen Religionsspötter hielt, so entzog er mir seine Freundschaft doch nicht, und das war sehr tolerant.

Badiggi genoß allerhand Unterstützungen, sowohl von Professoren als Studenten, welche letzteren er mit seinen Schwänken belustigte. Er erhielt auch Geld von Auswärtigen. Endlich ist er heimlich entwichen, nachdem er viele Leute geprellt, die Universitätsbibliothek um für 100 Taler Bücher betrogen und mehrere andere Lumpenstreiche begangen hatte.

Nun muß ich noch einen anderen Narren beschreiben, dessengleichen ich nicht weiter gefunden habe. Der Mensch hieß Dippel oder Timbel – ich habe den Namen nicht recht behalten, man hieß ihn gewöhnlich »Mosjeh Kilian« oder »Bruder Kilian«. Er lebte als theologischer Student von der Gutherzigkeit anderer Studenten; an einem gewissen Tische, wo ungefähr dreißig Studenten speisten, ging er herum, so daß ihn alle Tage ein anderer fütterte. Sein Logis hatte er umsonst beim Kaufmann Backhaus, hinten im Hof über dem Pferdestall und unter dem Taubenschlag. Da er sich von jedermann gebrauchen ließ, wozu man wollte, so waren die Bursche freigebig gegen ihn, wenn er etwas nötig hatte.

In einer Gesellschaft von Studenten war Meister Dippel auch. Einer davon sagte:

»Wenn ich doch nur mit Heyne nicht übern Fuß gespannt wäre, so ließe ich mir seine Ausgabe von Horazens hebräischen »Georgicis« und seiner griechischen Uebersetzung des »Eulenspiegels« geben. Sie kommen erst auf die Messe in die Buchläden, aber Heyne hat sie schon an mehrere verborgt.«

Dippel erbot sich alsbald, er wolle zu Heyne gehen und sich die Bücher ausbitten. Man stelle sich nun Heyne vor, wie Dippel vor ihm stand und sich Horazens hebräische »Georgica« und den griechischen »Eulenspiegel« ausbat. Es waren gerade Fremde zugegen, und Heyne, der sich sehr ärgerte, schmiß den guten Dippel zur Tür hinaus und schalt ihn einen dummen Esel.

Ein andermal machte ein Engländer dem Menschen weiß, man trüge jetzt nach der neusten Mode Halsbinden von buntem Stroh mit einer Schelle vorn am Hals, ströherne Kokarden und ebensolche Röschen hinten auf dem Zopf. Er schenkte ihm sogleich eine solche Garnitur, deren er etliche hatte machen lassen, um den Einfaltspinsel anzuführen, und dieser legte den Ornat auch an, wanderte solange damit durch die Straßen, bis die hinter ihm her schreienden Jungen ihm deutlich genug zu verstehen gaben, daß er ein Geck sei.

Die Studenten nahmen ihn in allerhand erdichtete Orden auf, z.B. in den Orden der Heiligen Genoveva, des Heiligen Crispinus usw., machten ihm hernach weiß, er sei nun zum Großmeister des Ordens ernannt worden, und Dippel unterschrieb sich so in den Stammbüchern. Aber nicht selten wurden Komödien mit ihm gespielt, von denen die Spielenden wenig Ehre hatten. So brachte man ihn einst in Eimbeck mit einem über und über infizierten Mensch zusammen, woher der arme Teufel ein Uebel abkriegte, welches ihn über zwei Monate gequält hat, so fleißig die Feldscherer ihn auch besuchten. Das Geld zu dieser Kur wurde an den Tischen und anderen öffentlichen Orten gesammelt Man vergleiche Laukhards Bemerkung auf S. 119: »Göttingen stand schon damals im Rufe sehr feiner Sitten!« P.

In Göttinnen konnte ich bei weitem die Figur nicht spielen, welche ich in Gießen gespielt hatte; dazu hatte ich nicht Geld genug. Mein Vater gab mir zwar so viel, als ich brauchte, um ordentlich zu leben und nicht nötig zu haben, Wasser zu trinken, wie er sagte; aber ich konnte doch nicht ausreiten, ausfahren, nach Kassel reisen, alle Tage im Wichs erscheinen, wie so viele andere, welche Geld hatten. Daher blieb ich im Dunkeln und war bloß meinen Freunden näher bekannt. Ich will nicht sagen, daß ich mich geärgert hätte, weil ich keine Rolle spielen konnte; ich stand damals in den Gedanken, daß Konzerte, Bälle, Assembleen, Spazierfahrten u. dgl. gar nicht zum Wesen des Studenten gehörten. Und doch waren die, welche dies konnten und in guten Häusern verkehrten, die angesehensten auf der ganzen Akademie. Da es hier nicht selten geschieht, daß die Professoren die Studenten auf ihren Stuben besuchen, so gehört es auch zum guten Ton, dergleichen Herren dann und wann zu sich zu bitten und sich in große Unkosten zu stecken. Ich halte nichts davon, wenn Professores die Studenten in ihrer Wohnung heimsuchen. Wollen sie Umgang mit ihnen haben, so sei es an einem dritten Ort. Der Professor verliert nach und nach sein Ansehen, und der Student macht sich schwere unnütze Kosten. Am besten ist es, wenn beide in einer gewissen Entfernung von einander bleiben.

Ich muß doch ein klein Wörtchen vom Göttinger Frauenzimmer sagen. Diese sind, mit gnädiger und großgünstiger Erlaubnis der Göttinger Damen, durch die Bank – nicht schön. Ich weiß es selbst nicht; sie haben so etwas Widerliches im Gesicht, welches durchaus mißfällt, und ihre Farbe, oder der Teint, wie man sagt, ist weit entfernt von jenen Lilien und Rosen, von denen unsere Herren Reimemacher so viel zu sagen wissen. Unter den gemeinen Mädchen findet man auch sehr wenig Rares.

Man findet keine Bordelle in Göttingen, wenigstens zu meiner Zeit nicht: aber an Nymphen, welche für einige Groschen, und an Madamen und Mamsellen, welche für einige Taler nach advenant feil sind, fehlt es auch da nicht. Auf dem »Keller« waren die Mädchen recht fidel; man hieß sie schlechtweg die »Kellermenscher«.

In Jena hat der Bursch seine sogenannte »Scharmante«; das ist ein gemeines Mädchen, mit welcher er so lange umgeht, als er da ist, und das er dann, wenn er abzieht, einem anderen überläßt. In Göttingen dagegen sucht der Student, der's zwingen kann, d.h. der Geld hat, bei einem vornehmeren Frauenzimmer anzukommen und macht dem seinen Hof. Gemeiniglich bleibt es beim Hofmachen, und hat keine weiteren Folgen, als daß dem Galan der Beutel tüchtig ausgeleert wird. Manchesmal geht das Ding freilich weiter, und es folgen lebendige Zeugen der Vertraulichkeit, die eben Ritterstöchter oft ebenso bezaubernd fesselt, als eine gefällige, busenreiche Aufwärterin.

Man hat es als einen Vorzug der Göttinger Universität angesehen, daß daselbst der Student Gelegenheit habe, in Umgang mit Familien zu kommen. Man hat gesagt, das wäre ein Mittel, wodurch er die Roheit der Sitten ablegen und sich verfeinern könnte. Ich weiß aber einmal nicht, ob der Familienton in Göttingen so fein sei, daß sich ein junger Mensch daran auspolieren könne. Und dann steht gewöhnlich nur da die Tür auf, wo man gern auf Unkosten der Studenten sich Vergnügen macht. In anderen Häusern wird der Student, so wie an andern Orten, ausgeschlossen.


 << zurück weiter >>