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Zwölftes Kapitel.

Reise mit Aaron F. nach Straßburg. – Die französischen Offiziere. – Die Straßburger Universität. – Die »Schanzer«. – Mediziner und Barbiergesellen. – Die Kontroverspredigten im Münster. – Straßburger Deutsch. – Aussöhnung mit meinem Vater. – Neue Zukunftspläne. – Briefe an D. Semler in Halle. – Ein Pfarrer als Kuppler. – Reise nach Metz. – Französisch plappern. – Ein Kloster. – Lebensweise der Nonnen. – Ich gehe abermals als Vikar nach Obersaulheim. – »Se sein doch ä guter Parre.« – Abschied von der Pfalz.

Ich reiste mit F. über Neustadt, Landau und Hagenau nach Straßburg. Gleich über Neustadt geht das französische Gebiet an. Ich halte mich mit Reisebeschreibungen nicht gern auf und will also die trefflichste aller schönen Gegenden, welche man dortlandes antrifft, nicht beschreiben. Ludwig XIV. war kein Narr, daß er den Elsaß wegnahm! – Ich war schon mehrmals in diesen Gegenden gewesen, hatte die Stadt Straßburg mehrmals gesehen, aber so innig vergnügt hatt' ich dort noch nie gelebt, als damals in der Gesellschaft des Barons von F.

Wir nahmen unser Quartier im Gasthof zum »Tiefen Keller«. Meiner Mutter Vater, d'Autel, hatte noch Brüder in Straßburg gehabt, deren Kinder und Verwandte recht vetterlich mit mir umgingen; aber dem Baron gefiel diese Wirtschaft nicht. »Die Philisterei,« sagte er, »ist mein Tod; laß das verdammte Philisterzeug gehen; hast ja sonst Bekanntschaft!« Ich mußte ihm nachgeben und durfte nur höchst selten meine Verwandten besuchen.

Unsere Gesellschaft waren meistens französische Offiziere; die Lebensart dieser Herren ist äußerst fein, und ihre Sitten so einnehmend, so gefällig, daß ich mich gar nicht wundere, wenn ein französischer Fähnrich einen deutschen Grafen beim Frauenzimmer aussticht, wie sich's oft zugetragen hat. Diese Leute haben keinen Ahnenstolz und bilden sich auf ihren Adel ganz und gar nichts ein; die Ehre eines französischen Offiziers besteht einzig und allein in der genauen. Erfüllung seiner Pflichten, gerade wie ehemals in Athen und in Rom, wo nur der Ehre genoß, der seiner Pflicht aufs genaueste entsprach. Das ist wahres, rühmliches point d'honneur, womit sich aber auch viel falsches point d'honneur vereinigt. Dahin gehören die häufigen Balgereien, die sich sehr oft mit einem gewaltsamen Tode endigen. Ein hitziges beleidigendes Wort ist hinlänglich, ein Duell anzuzetteln. Daher gehen die Herren auch auf die höflichste Art miteinander um. Das Duzen ist unter ihnen nicht gebräuchlich; es scheint auch gegen das Genie der französischen Sprache zu sein. Aber beim Revolutionsheer, von dem Laukhard weiterhin berichtet, duzten sich alle Franzosen untereinander und sogar jeden Fremden. P.

 

Die Straßburger Universität ist im kläglichsten Zustande. Juristen sind beinahe gar keine da, und nur wenig Theologen. Diese sind lauter »Schanzer«, die sich mit Informieren durchbringen müssen. Diese theologischen Studenten sind das non plus ultra aller Schmutzerei. Sie sitzen mittags und abends in den Schmudelbuden oder Garküchen, verzehren da für einige Sous Gemüse und Fleisch, und sind gekleidet, wie weiland Don Quichottes Schildknappe.

Hier werden manche Leser stutzen und fragen: wie ist es möglich, daß in einer Stadt, wo so viel guter Ton, so viel Galanterie herrscht, die Studenten doch ein so schmutziges Leben führen? Ich werde das Rätsel lösen: Der gute Ton in Straßburg findet sich bloß bei Katholiken und solchen Lutheranern, die eigentlich zur Bürgerschaft nicht gehören. Alle anderen hängen an der alten Mode, wovon sie nicht abweichen, aus Furcht, alle ihre Privilegien zu verlieren, sobald sie sich nach französischer Sitte gewöhnen würden. Daher spricht auch ein Straßburger Philister selten französisch, wenn er es auch noch so gut kann, und die Bürgermädchen tragen noch ihre geflochtenen Zöpfe wie vor zweihundert Jahren. Unsere Wirtstochter war ein artiges Ding, aber die verfluchten neunundneunzig Zöpfe auf dem Kopf entstellten sie ganz. Ich sprach davon mit der Mutter und riet ihr, ihrer Tochter doch einen anderen Kopfputz anzuschaffen.

»Ach, behüte Gott!« antwortete die Alte. »Ich sollte meine Tochter zur Hure machen?«

Man denke an die Logik der Straßburger Philister!

Der Student, welcher als Schanzer, d. i. Informator, bei einem Philister von der Art steht, muß sich aufs niedrigste behandeln lassen. Er muß seinen Prinzipal, den Herrn Fleischer, Schuster, Schornsteinfeger usw. allemal auf einem hohen Fuß behandeln. Daß er einen solchen Klotz nie anders anreden dürfe, als: »Um Vergebung, mein Herr, wenn es Ihnen gefällig wäre, mir die restierenden zwei Sols auszuzahlen –«, das versteht sich von selbst, wenn man die Herren Philister solcher Städte überhaupt nur ein wenig näher kennt. Daß aber der Straßburger Philister seinen Schanzer per »Er« traktiert, ihm ganz unten am Tische seinen Platz anweist, und sein philistrisches Uebergewicht bei jeder Gelegenheit geltend macht, das ist abscheulich und nicht bei allen Philistern anderer Orte so. Wehe aber allemal dem Studenten, der der Gnade der Philister leben soll!

Auf diese Art müssen die theologischen Studenten in Straßburg kleinmütig und niederträchtig werden. Der verstorbene Herr La Roche, Vater des Majors dieses Namens, sagte einmal in einer Gesellschaft, wo ich zugegen war, beim Anblick eines Kandidaten:

»Der hat gewiß in Straßburg studiert; ich seh's an den Komplimenten, denn gerade solche tiefen demütigen Bücklinge fordern die Straßburger Philister.«

Medizinische Studenten gibt es dort auch wenig, aber desto mehr Barbiergesellen. Im Jahr 1780, wenn ich nicht irre, war ein großer Krieg zwischen den Medizinern und Barbieren, allein letztere siegten wegen ihrer Menge. Professor Lobotein versagte hierauf den Balbierern seine Kollegien, auch Professor Spielmann und andere; allein der hochweise Magistrat zwang sie, nach wie vor den Bartphilosophen aufzuwarten.

Es ist in Straßburg gewöhnlich, oder vielmehr, es ist erforderlich, daß der Student, wie auch der daselbst lernende Barbiergeselle, sich einen Beichtvater halte und zu gesetzten Zeiten zum Nachtmahl gehe. Wer das nicht tut, wird zum Rektor gefordert, und wenn er dann noch nicht hingeht, wird er exkludiert, d.h. es wird ihm verboten, ferner Kollegia auf der Lutherischen Universität zu hören.

Zu den Zeiten der Jesuiten war alle Sonntage nachmittags eine Kontroverspredigt in der Domkirche oder dem sogenannten Münster. An diesen Predigten nahm der Pöbel den wärmsten Anteil und jubelte oft laut auf. Sie wurden von zwei Jesuiten geführt, davon einer, der die römische Kirchenlehre in Schutz nahm, auf der Kanzel, der andere aber, der den Sachwalter der Protestanten spielte, unten stand. Da wurde nun geschimpft und gespektakelt, daß der Pöbel in einem fort immer lachte und die armen Protestanten immer den kürzeren zogen. Nach dem Fall der Jesuiten trieben andere Geistliche dieses jesuitische Farcenhandwerk, aber seltener, und ohne den Opponenten, obgleich immer noch nach einem Avis ans Publikum in der Zeitung.

Die Sprache der Straßburger ist Deutsch: aber das jämmerlichste Deutsch, das man hören kann, in der allergröbsten, widerlichsten, abscheulichsten Aussprache. »Hoscht, bescht. Madeli, Bubeli« usw. ist Straßburger Dialekt. Auch Vornehme sprechen so, und der Pfaffe auf der Kanzel predigt vum Herr Jesses Kreschtes. Die Sprache ist hier noch zehnmal gröber als in der Pfalz, sehr viel Französisch wird indes da auch geredet, besonders beim Militär. Das sonstige Straßburger Französisch taugt eben nicht viel, und der Akzent ist vollends gar nichts nütze.

 

Ich hatte beinahe fünf Wochen in Straßburg zugebracht, als ich einen Brief von meinem Vater erhielt, dem ein anderer vom Pirmasenser Regierungsrat Stauch beigelegt war. Stauch meldete mir, daß er mich seinem Herrn, dem Landgrafen, von neuem mit Erfolg empfohlen hätte; und obgleich die üblen Gerüchte über mich einen nachteiligen Eindruck gemacht hätten, so sollte ich doch nur getrost sein, die Darmstädter Herren würden mir nicht schaden können. Ich freute mich, daß ich noch Freunde auch unter solchen fand, die mir helfen konnten; denn andere hatte ich mehr als zuviel. – Mein Vater schrieb mir, ich sollte bald zu ihm kommen, das Vergangene sollte vergessen werden, wir wollten wieder gute Freunde sein; er hatte ein Mittel aufgefunden, mich auf den Weg des Glückes zurückzubringen. Sein Brief war über die Maßen sanft abgefaßt. Nicht einen einzigen Vorwurf, auch nicht eine harte Redensart enthielt er. Zugleich hatte er 6 Karolins beigelegt und ließ den Herrn von F. bitten, ja mit nach Wendelsheim zu kommen, wo er sich seiner Schuld gegen ihn entledigen wolle.

Nachdem F. unsere Rechnung im »Tiefen Keller« für fünf Wochen mit 139 Gulden berichtigt hatte – er weigerte sich, von mir auch nur einen Teil anzunehmen –, machten wir uns auf den Weg nach Wendelsheim.

Mein Vater empfing uns sehr freundlich und mit einer Herzhaftigkeit, welche ich lange an ihm nicht gesehen hatte. Das Ding drang mir in die Seele. Am ersten Abend fing F. an, eine Apologie für mich zu machen; aber mein Vater versicherte, daß er alles vergessen habe, daß er nichts sehnlicher wünsche, als meine Besserung; versorgt und glücklich würde ich schon werden, wenn ich nur wollte klug sein. Ich hätte nun meine Hörner abgelaufen. – Hernach bat er den Baron, ihm anzuzeigen, was er für mich bei unserer Lustreise – so nannte der ehrliche Mann unsere Fahrt – ausgelegt hätte; er wollte es herzlich gern ersetzen.

Aber F. drohte, noch die Nacht unser Haus zu verlassen, wenn noch ein Wort der Art geredet würde, und so blieb's beim alten.

Nach des Barons Abschied redete mein Vater ernstlich mit mir. »Höre, mein Kind,« sagte er, »du hast einige meiner Hoffnungen erfüllen sollen, aber leider habe ich mich in dir geirrt – bisher nämlich. Dein Leichtsinn – denn daß Bosheit bei deinen Possen ist, widerlegt schon die Natur dieser Possen selbst – also, dein Leichtsinn hat dich verführt. Du bist aber angerannt, und ich will das Schicksal preisen, wenn's zu deiner Besserung geschehen ist. – Sieh, es ist noch nicht aus mit dir, du hast noch Hoffnungen; aber erst mußt du zeigen, daß deine Seele geheilt ist. Ich habe hin und her gedacht, wie das am besten zu machen sei. Da fiel mir ein, dich noch einmal auf eine Universität zu schicken. Was meinst du?«

Ich: Das hängt von Ihnen ab. Ich habe Ihre Güte zu sehr mißbraucht; ich muß mir alles gefallen lassen.

Mein Vater: Nicht so, mein Kind. Sieh, ich dächte, du gingest nach Halle zu meinem Freund, dem D. Semler. Ich werde dich da noch ein Jahr ungefähr unterhalten, so daß du keinen Mangel leidest. Unterdes verraucht dein übler Name in unseren Gegenden; du vermehrst deine Kenntnisse unter der Anführung dieses trefflichen Mannes und kommst zurück, mir nichts, dir nichts. Schau, so mach' es, mein Kind, und versprich mir und deiner Mutter, unser Alter noch einmal froh zu machen. Du willst doch?

Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und noch weniger ein Wort hervorbringen. Unser Entschluß wurde so gefaßt, wie mein Vater ihn angegeben hatte, und von dem Augenblick an schien Ruhe und Frieden in unsere Familie zurückzukehren. O des guten, edlen Vaters! Heilig sei mir sein Andenken! er hat's wahrlich gut mit mir gemeint! – Und ich? – O es liegt eine Hölle in diesem Gedanken.

Mein Vater schrieb an Semler; ich auch. Unsere Briefe waren lateinisch, nach meines Vaters und meiner damaligen Mode, mit griechischen Versen und Prosa ausgeschmückt.

Indessen wir auf Antwort warteten, besuchte ich meinen Major zu Guntersblum und brachte dessen Jagdgeschäfte in Ordnung. Auch sorgte ich für einen rechtschaffenen Jäger an meiner Stelle. Gern hätte der Major mich behalten: aber er fand sich in meinen Abzug, weil er von der Notwendigkeit desselben überzeugt war.

An meinem erklärten Feind, dem Pfarrer Fliedner von Bornheim, hätte ich mich damals gewaltig rächen können, wenn ich gewollt hätte. Ich bin aber froh, daß ich's unterlassen habe. Dieser Pfarrer hatte ein Frauenzimmer im Hause, dessen Ursprung und Charakter der ganzen Gegend ein Rätsel war. Sie gab sich für die Frau eines hessischen Kapitäns aus, der nach Amerika gegangen sei; sie sah sehr gut aus und war ungefähr zwanzig Jahre alt. Die Bauern, welche ohnehin ihrem Pfarrer nicht gut waren, späheten der Geschichte nach, und endlich brachte der Schulmeister aus authentischen Nachrichten heraus, daß das Frauenzimmer ein gemeines Mädchen aus dem Hanauischen wäre, das aber ein gewisser junger Freiherr zur Maitresse genommen hätte. Die Eltern desselben, die ihn gern mit einem Fräulein von *** verheiraten wollten, hätten dies erfahren, und dem jungen Herrn, der sonst eine Zierde des dortigen Adels und ein vortrefflicher junger Mann war, allen Umgang mit dem Mädchen scharf untersagt. Aber nun schlug Pfarrer Fliedner sich ins Mittel; er nahm das junge Frauenzimmer zu sich und gestattete, daß der junge Herr manche Nacht in seinem Hause zubrachte und sich in den Armen seiner Dulzinea divertierte. Das alles hatten die Bauern herausgebracht, und der Schulmeister trug mir jetzt an, die Sache dem Vater des Barons zu hinterbringen, aber so in einem anonymischen Briefe. Er wisse, daß ich den Curtius Rufus hasse und ich würde mich also der Gelegenheit bedienen, ihm eins zu versetzen. Aber ich schlug diesen Antrag aus und ermahnte den Schulmeister zur Ruhe. Die Sache kam nach meiner Abreise aus der Pfalz erst heraus, und Herr Fliedner kann Gott danken, daß man ihn so durchschlüpfen ließ; solche Unterhandlungen hätten eine derbe Züchtigung verdient.

Der Baron F. war diese Zeit über sehr oft bei mir und brachte es sogar bei meinem Vater dahin, daß ich eine Reise mit ihm nach Metz tun durfte, um ein Mainzer Frauenzimmer von da abzuholen.

Man muß wissen, daß es in den Gegenden überm Rhein für einen großen Vorzug des Frauenzimmers gehalten wird, wenn sie Französisch plappern kann. Diese Raserei geht so weit, daß Frauenzimmer, die kein Französisch verstehen und doch den Schein davon haben wollen, viele dergleichen Wörter und Redensarten in ihre deutsche Sprache einmischen und sie jämmerlich verhunzen. »Ich bin Ihnen oblischiert« – »das scheniert mich« – »er trätiert ihn nur ang Bagatel« – »o faschieren Sie sich doch nicht« u. dgl. sind gewöhnliche Phrasen der dortigen Weibsleute, die sie obendrein nicht selten am unrechten Orte anbringen und dadurch Gelächter erregen.

Um aber das Französische recht zu lernen, schicken viele Eltern ihre Töchter in Pension nach Metz, Straßburg, ja selbst nach Lyon und Paris, wo sie freilich das Französische ziemlich fertig plappern lernen, aber auch einige Sitten mitbringen, die ihnen gar nicht zur Empfehlung dienen.

Aus eben dieser Absicht hatte auch ein Mainzer Fräulein, eine Verwandte des Barons von F., einige Jahre zu Metz in Lotharingen bei den relegierten Augustiner Kanonissinnen zugebracht und sollte nun wieder abgeholt werden. Dieses hatten ihr Bruder und der Baron F. übernommen. F. wählte mich zum Reisegefährten, und ich verstand mich gern dazu. Das Herumfahren war in früheren Jahren so meine Sache.

Unterwegs fiel nichts vor, das verdiente aufgezeichnet zu werden. Das lotharingische Volk unterscheidet sich von den übrigen Franzosen durch seinen Haß gegen die französische Regierung und durch seine Freundschaft für die Deutschen; wenigstens habe ich das so getroffen.

Unser Fräulein erhielt gleich bei unserer Ankunft von unserem Dasein Nachricht und lud uns auch bald zu sich. Da ich niemals Nonnen gesehen hatte, so war ich froh, daß ich hier einige sehen sollte. Aber diese Kanonissinnen gefielen mir sehr. Ich hatte solche heilige Schwestern erwartet, wie die Mönche heilige Brüder sind, allein das war gefehlt. Die geistlichen Damen waren munter, froh, und scherzten trotz einem weltlichen Frauenzimmer. Nur wenige trugen das Ordenskleid; andere gingen wie Weltmädchen. Sie haben keine Klausur, aber Horas halten sie. Denn kaum waren wir eine Stunde im Saal, so schlug die Glocke, und alle Nonnen eilten zum Chor, um da das lateinische Brevier hinzuplärren. Es ist doch in der Tat ein erztoller Gedanke, Weibern ein Buch zum Singen aufzugeben, das sie nicht verstehen. Und wie sehr ist schon dagegen geeifert worden! Aber was hilft´s! Der kurialische Herrenverstand befiehlt, und der ans Gängelband gewöhnte Kirchenverstand gehorcht. Das ist so das Steckenpferd aller Heiligen von der Tiber bis zur – Spree!

Die Elevinnen dieser Augustinerinnen werden gar nicht streng gehalten und bekommen leicht Erlaubnis, auszugehen. Doch begleitet sie in diesem Fall eine Beate, auf welche die Abbesse Vertrauen setzt. Die Nonnen werden durchgängig Mes Dames genannt. Sie haben auch Eigentum und spielen sogar l'Hombre und Tarock um Geld. Wir machten viele leichtsinnige und lustige Streiche, besuchten auch einmal Luneville, wo das Andenken des würdigen Fürsten Stanislaus, des »wohltätigen Philosophen«, noch sehr im Segen ist, und machten uns nach einigen Wochen wieder auf den Heimweg.

Herr Semler hatte bald geantwortet. Seine Briefe an meinen Vater und mich waren in dem herzlichen, aber etwas steifen Tone geschrieben, der dem großen Manne so eigen war. Er schrieb, wenn ich nur hundert Taler in Halle hätte, so könnte ich mich da recht gut durchbringen. Er habe dem Direktor Freylingshausen unsere Briefe gezeigt, und dieser habe ihm sogleich versprochen, mir den Tisch und ein Logis auf dem Waisenhause zu geben, wofür ich bei der Lateinischen Schule Unterricht erteilen würde.

Von diesem Augenblick an dachte ich an nichts weiteres, als meinen Abzug nach Halle, wohin ich auf Ostern ziehen wollte.

Indessen schrieb mir der Konsistorialrat Dietsch, wenn ich wollte, könnte ich als Vikarius wieder nach Obersaulheim gehen; der bisherige Vikar wäre wieder fort, und wenn ich mich klug und ordentlich betragen würde, so würde auch der üble Ruf, den ich in der Gegend hätte, verschwinden. – Allein das Ding mit dem Vikariat wollte mir nicht in den Kopf. Ich antwortete, daß ich die Pfalz verlassen und mich um die Gespräche der Frau Basen nicht weiter bekümmern würde.

Mein Vater dachte in diesem Stück konsequenter. Das Vikariat schien ihm recht zu sein, die üblen Nachreden zu tilgen, und er drang drauf, daß ich nach Obersaulheim gehen solle. Ich mußte also nachgeben. Meine Bauern waren herzlich froh, daß sie mich wieder hatten; denn der Herr Simon, mein Vorgänger und Nachfolger, war ein trauriger Wicht gewesen, der auf der Kanzel wie ein Hahn krähte und alle seine Weisheit wörtlich herlas. Ich las niemals etwas ab, und das gefiel den Bauern. Einer derselben schüttelte mir ganz traulich die Hand und sagte:

»Mer sein grausam froh, daß mer Se wedder hun: der anner war ach gar neischt guts: der hot alles abgeles. Mer wolle Se gehrn beholen, wann Se sich schund mannichmol behaen; Betrinken. L. Se sein doch ä guter Parre.«

Meine Leser glauben vielleicht, daß so vielfältige Züchtigungen mich werden gewitzigt haben, und ich endlich einmal zu einer besseren Lebensart geschritten sei; aber Sie irren, meine Leser! Ich fuhr fort, wie ich's ehedem getrieben hatte.

Meinem Vater konnten meine Possen nicht lange unbekannt bleiben, wenigstens schrieb er mir, daß er selbst einsähe, es wäre nicht gut, mich länger in jenen Gegenden aufzuhalten, ob er gleich nicht gewiß darauf rechne, daß ich mich bessern werde, wenn ich anderswohin zöge; das alte Sprichwort:

»Es flog ein' Gans wohl übers Meer
Und kam ein Gaggak wieder her«

mache ihn zwar schüchtern, doch wolle er's noch einmal versuchen: ich sollte mich also zum Abzuge anschicken. – Ich ärgerte mich zwar etwas über den Brief meines Vaters, allein der Ekel, womit ich schon lange die Pfalz und alles, was pfälzisch war, ansah, und die Nahrung, die bei dieser Veränderung meine sehr übel geleitete Neugierde erhalten muhte, verwandelten alle bisherigen Empfindungen meiner unstäten Seele in lauter Hoffnungen und Erwartungen, und diese Lage macht vergnügt und gibt uns einen gewissen Mut, den der wirkliche Besitz reeller Güter schwerlich geben kann. Ich folgte also dem Willen meines Vaters, schickte mich zum Abzug an, hielt aber von neuem in Obersaulheim eine Abschiedspredigt voll von Anzüglichkeiten und wahren Impertinenzien, und verließ mein Vikariat, ohne dem Konsistorium das geringste davon angezeigt zu haben. Hierauf kündigte ich allerorten, wo ich hinkam, meinen Abzug an, meldete aber nicht, wohin ich mich wenden würde, sondern sagte bloß, daß ich die Pfalz nicht fernerhin sehen, wenigstens in derselben nicht weiter leben wollte. Auch mein Vater hatte von meiner Reise nach Halle nichts erwähnt, und so waren die lieben Leute wegen meiner künftigen Bestimmung in Ungewißheit. Viele sprengten aus, ich würde nach Holland und von da nach Indien gehen; andere gaben ein Müssen vor, und zwar wegen skandalöser Geschichten, an denen aber kein wahres Wort war.

Nachdem ich zu Hause angekommen war, wurden alle ernstlichen Anstalten zur Abreise getroffen. Ich ergötzte mich auch noch, so lange ich konnte, mit meinen lieben Freunden. Da ich wußte, daß in Halle der Wein sehr teuer sei, und mein Beutel nicht hinreichen würde, ihn zu trinken, so machte ich mir die wenige Zeit in der Pfalz noch recht zunutze und trank gerade so viel, als ich bezwingen konnte. Zu meiner eigenen Schande muß ich aber sagen, daß ich ein Meister im Saufen war und wenigstens vier Bouteillen recht guten Bechtheimer vertragen konnte, ohne mich zu übernehmen. Als ich vor einigen Jahren wieder in der Pfalz war, glaubte ich noch eben die Fertigkeit im Weintrinken zu haben, wie vorzeiten, aber ich irrte mich. Denn ohnerachtet ich kaum halb so viel Wein zu mir genommen hatte, als ich sonst ohne merkliche Veränderung meines Gehirns vertragen konnte, fing ich doch an zu wanken und mußte aufhören. Also auch garstige, unanständige Fähigkeiten vermindern und verlieren sich durch Mangel an Uebung.

Meine Mutter war die Zeit über ganz untätig gewesen; sie hatte oft über meine Ausschweifungen geseufzt und geweint, mir auch dann und wann gelinde Vorwürfe gemacht, aber ihre Stimme war viel zu schwach, als daß ich auf sie hätte hören sollen. Meine Tante verstand vollends von Menschenbildung und Lenkung nichts und war schon zufrieden, wenn ich nur heiter war und ihr die Zeit verplaudern half. Sie sah nicht ein, daß eigentlich sie den ersten Grund zu meinem moralischen Verderben gelegt und dadurch den Keim meines künftigen Glückes wurmstichig gemacht hatte. Ich habe ihr deswegen nie Vorwürfe gemacht und tu' es auch jetzt nicht; sie hat es gut gemeint. Mein Vater selbst hätte besser getan, wenn er ihr gar keinen Anteil an meiner Erziehung gelassen hätte. Doch wer kann wider Verhängnis!


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