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Meine Aufführung in Halle war die erste Zeit über so beschaffen, daß selbst Herr Semler mir in seinen Briefen an meinen Vater das beste Zeugnis erteilte. Der gute Mann bot mir sogar seine Kasse an, damit, wie er sich ausdrückte, unsere Freundschaft nicht bloß moralisch bleiben möchte.
Durch meinen Umgang mit ihm, durch mein häufiges Lesen und Vorzeigen guter Bücher und selbst durch meine wenigen Kenntnisse, war ich unter meinen Bekannten in einiges Ansehen gekommen und wurde überhaupt auf der Universität als ein Mensch betrachtet, der das Seine gelernt hatte. Mehrere Studenten beredeten mich daher, ihnen die hebräische Grammatik zu erklären. Ich tat das, und die Studenten waren mit meinem Unterricht zufrieden, so daß ich im folgenden Winter nochmals dergleichen Unterricht erteilen mußte.
Semler empfahl mir, Vorlesungen zu halten. »Man lernt da viel,« sagte er, »und fühlt die Lücken besser, als wenn man so bloß für sich studiert: man setzt sich auch in den Prinzipien fester.« Er hob sogar die Schwierigkeiten, die ich ihm entgegenstellte, und riet mir, deutsche Reichshistorie vorzutragen. Ich folgte dem Rat des Herrn Doktors und fing schon im August 1782 an, über Selchows Kompendium die vaterländische Geschichte abzuhandeln. Ich hatte zwölf Zuhörer und las in einer Stube im Hause des Buchbinders Münnich, gerade gegen Semlern über. Ich setzte den Winter über diese Lektionen fort bis zu Ende des Februars, und kam bis auf das Ende des Dreißigjährigen Krieges. Auch las ich von Michaelis an über Kirchengeschichte.
Herr Semler, dem mein bisheriges Betragen gefallen hatte, riet mir, vom Waisenhause in die Stadt, und zwar in sein Haus zu ziehen. Es war nämlich ein gewisser Schmitz von Montjoie nach Halle gekommen, mit dem ich Freund geworden war. Er mietete sich ein Zimmer in Semlers Hause, und bat mich, zu ihm zu ziehen; er wolle die Miete für mich mit bezahlen. Der Vorschlag gefiel mir: ich sprach mit Semlern darüber und erhielt den Rat, nicht zu säumen; ich könnte sodann seine Bibliothek besser benutzen und besser studieren.
Also zog ich zu Anfang des Oktobers vom Waisenhaus fort, und bezog Nr. 20 im Semlerschen Hause.
Ich war auf dem Examen Lehrer der ersten hebräischen und der zweiten griechischen Klasse geworden. Dieses schmeichelte meinem Ehrgeiz so, daß ich beschloß, beide Klassen beizubehalten und meiner Pflicht in Unterrichtung meiner Schüler nach meinen Kräften Genüge zu leisten. Herr Freylingshausen mißbilligte zwar meinen Abzug vom Waisenhause nicht, doch setzte er, gleichsam ahnend, hinzu: es wäre schon mancher in der Stadt verdorben worden, der sich auf dem Waisenhause recht gut betragen hätte. Um diese Zeit kam mein Bruder, der schon zwei Jahre in Göttingen studiert hatte, nach Halle, um seine Studien hier fortzusetzen. Ich muß sagen, daß ich über seine Ankunft erfreut war, ob wir gleich sonst niemals solche herzlichen Freunde gewesen waren, als es sich für Brüder geschickt hätte. Er bat mich, ihm ein gutes Logis auszumachen, und ich verschaffte ihm ein schlechtes. Dies hatte folgenden Zusammenhang.
In der Klausstraße, rechter Hand, ohnweit dem »Halben Mond«, wohnte eine Frau, welche außer mit anderen Schimpfnamen auch »Beutlersbanise« genannt wurde. Mit dieser Frau ward ich durch deren Hausstudenten, Hano, bekannt, welcher ihrer Tochter Christel die Cour machte. Ich ließ mir's gefallen, auch den Tisch bei ihr einzunehmen. Das alte Weib war, wie mehrere ihresgleichen, eitel genug, sich »Madame« nennen zu lassen. Sie wußte von ihren jugendlichen Aventüren sehr viel zu erzählen. Ich hörte ihre Schnurren gern, und konnte so beim Bierglas und einer Pfeife Tabak bis zehn Uhr abends sitzen und mich belügen lassen. Diese Madame Cheminon – so hieß sie, vorher Frau Dörnerin – hatte erfahren, daß mein Bruder kommen würde, und ersuchte mich, ihn bei ihr einzumieten; ich tat's, und mein Bruder zog mit einem gewissen Herrn Michaelis, der auch von Göttingen gekommen war, bei ihr ein.
Herr Semler erfuhr dies und nahm es mir übel; er hatte von seinem Aufwärter gehört, daß das Haus eben nicht im besten Rufe stehen sollte. Wirklich führte es damals den Beinamen »Hanauer Puff«, weil immer mehrere Hanauer da gewohnt hatten. Aber es war nun einmal nicht anders. Anfänglich waren auch mein Bruder und sein Freund Michaelis ungehalten, daß ich sie in ein solches Loch gebracht hatte; aber dies gab sich: sie fanden bald Geschmack an der dasigen Fidelität und wohnten gern weiter da. Es kamen immer viele Studenten und hübsche Mädchen dahin, und das war so was für sie. Noch jetzt sehe ich manche angesehene Frau hier herum figurieren, welche vorzeiten im »Hanauer Puff« eine Rolle gespielt hat. So geht es in der Welt!
Hano, Christelchens Liebhaber, war im Herbst abgegangen, und mehrere Studenten strebten nach seiner Stelle bei dem Mädchen. Das merkte ich und beschloß, mein Glück auch zu versuchen – nicht aus Drang der Liebe, sondern um meine Nebenbuhler zu necken. Meine Liebelei gelang mir, und Christel ward meine erklärte Geliebte; von der Zeit an hörten die Bemühungen meiner Nebenbuhler auf; aber eben deswegen verringerte sich auch meine Anhänglichkeit merklich. Es war eine Liebschaft, der es auf meiner Seite an Grund fehlte; doch kam sie in der ganzen Stadt herum, sogar bis zu Semler, der mir Vorwürfe darüber machte und im Ernste drohte, meinem Vater von solchen läppischen Historien Semler nannte alles »Historie«. L Nachricht zu geben. – Ich bemäntelte die Sache und versprach, forthin mehr auf meiner Hut zu sein. Damit war er zufrieden.
Semlers Haus sah den Winter über einem Traiteurhause ähnlich. Moes, Schmitz, Schmid und ich wohnten bei ihm und ließen unser Essen von Pauli holen; daneben kamen noch täglich um zwölf Uhr neun andere Bekannte, die anderwärts wohnten, aber mit uns zusammen aßen, und so war unsere Tischgesellschaft dreizehn Mann stark. Das Bier gab Semlers Aufwärter für uns her, und seine Tochter holte das Essen. Um ein Uhr jagte ich, auf den Schlag, alle Gäste aus meiner Stube, damit ich mich auf meine Lektionen vorbereiten könnte, und diese fuhren dann mit der größten Eile auf ihren behufeiseten Stiefeln zur Treppe hinab, daß das Haus erbebte. Semler litt diesen Tumult einige Wochen, dann ward es ihm aber zu viel; er ließ mich kommen und stellte mir vor, daß es ihm allemal vor dem Schlage ein Uhr graute; da entstände ein Lärmen und ein Gerassel die Treppe herab, als wenn der wilde Jäger seinen Aufzug hielte. Dabei kam der gute Mann recht in Hitze: sein Haus sei ein Haus des Friedens und der Ruhe, und wir hätten es zu einer Garküche gemacht! – Ich versprach, das Unwesen einzustellen, und hielt Wort: denn die Speiserei wurde gegenüber in Münnichs Haus, auf eine Studentenstube verlegt. Semler aber dankte mir hernach sogar dafür, daß ich sein Haus vom Tumult befreit hätte.
Einmal habe ich mich auch geschlagen, und zwar wegen einer Lumperei, mit einem meiner Landsleute. Die Schlägerei hatte eine kleine Verwundung auf meiner Seite zur Folge und kam nicht heraus, weil keine Zeugen außer den beiden Sekundanten dabei waren.
Mein Kollegienlesen war bekannt geworden, und Semler befürchtete, man möchte mir das Handwerk verbieten, wenn ich mich nicht in die gelehrte Innung einschreiben ließ oder magistrierte. Ich war dazu bereit, denn ich wußte schon, wie wenig man zu wissen nötig hat, um diese akademische Spiegelfechterei mitzumachen. Ich verschrieb mir also von meinem Vater Geld, um die Fakultät und andere Promotionskosten bezahlen zu können. Mein Vater zeigte sich froh, daß ich Magister legens werden würde, und schickte mir dreißig Louisdor. Diese reichten zu, da er mir nicht lange vorher einen hübschen Wechsel geschickt hatte.
Jetzt meldete ich mich beim Dekan, dem Herrn Schulze, und dieser bestimmte mir einen Tag zum Examen. Zugleich schritt ich zur Ausarbeitung einer Dissertation über Rupprecht den Pfalzgrafen, der von 1400 bis 1410 die römische Königskrone getragen und einigen Anteil an dem 1409 zu Pisa veranstalteten Konzil gehabt hatte. Da ich aber kaum acht Tage Zeit hatte, so stoppelte ich zusammen, was ich vorfand, und teilte das Zusammengestoppelte in Paragraphen ein. Machen's doch viele Dissertationsschmiede auch so!
Nun sollte ich ins Examen, welches im Kaufe des Herrn Schulze gehalten wurde. Ich erschien, nachdem ich den Tag vorher die Herren von der philosophischen Fakultät alle eingeladen hatte, am 11. Jänner 1784, nachmittags um zwei Uhr. Nicht alle Fakultisten waren zugegen. Herr Forster sagte mir's gleich ab, mit dem Zusatz: er liebe dergleichen Prüfungen nicht, wo man nicht wissen könnte, ob man examinierte oder examiniert würde. – Die Fragen und Antworten übergehe ich; sie betrafen meistens philosophische, historische, geographische und philologische Gegenstände. Das Examen dauerte bis gegen sieben Uhr abends, wo ich abtrat und bald zurückgerufen wurde, und die tröstliche Entscheidung vernahm, daß ich immerhin promovieren könnte. Wer war froher als ich! Ich lief gleich zu meinem Bruder, teilte ihm meine Freude mit, und schlief hernach ganz unvergleichlich wohl.
Den Tag vor der Disputation machte mein Bruder über meinen Umgang mit seiner Hausjungfer einige spöttische Anmerkungen, welche mich aufbrachten, so daß es zu Bitterkeiten kam: das Gezänk endigte sich damit, daß er mir erklärte, er würde nicht opponieren. Meine Antwort hierauf war protzig, und er ging fort, schmollend. – Früh, da der Tanz vor sich gehen sollte, schickte er mir ein Billet, worin er mir meldete, daß er allerdings opponieren würde, entweder ordentlich, wenn ich nichts dawider hätte, oder außerordentlich, wenn ich ihm unter den ordentlichen Opponenten keine Stelle gestatten wollte. Ich sollte mich nur auf ganz neue Argumente gefaßt halten, denn er habe sich vorgenommen, mich zu hecheln ( carminare). Ich schrieb ihm wieder, er solle immer den dritten Platz einnehmen; seine Argumente würde ich auch schon beantworten, davor sei mir nicht bange, usw.
Als wir auf die Wage kamen, war diese so voll Studenten, daß wir kaum durchkonnten; denn fast die ganze Universität kannte mich, und jeder wollte gern hören, wie ich meine Sachen machen würde. Herr D. Semler fing die Oppositionen an und brachte einige Schlüsse vor, welche von seiner Gelehrsamkeit allerdings zeugten. Er machte es aber, weil ihm nicht recht wohl war, gar nicht lange. Ich hatte bei diesem Umstand die schönste Gelegenheit, öffentlich zu bezeugen, wieviel ich Semler schuldig war, wie sehr ich ihn verehrte, und tat dies mit einem mir sonst ungewöhnlichen Feuer. Ich konnte dazu meinen zu Hause entworfenen Aufsatz nicht brauchen, sondern ließ hier meiner Empfindung freien Lauf, und diese bildete meinen Vortrag so glücklich, daß ich mit mir selbst zufrieden war.
Mein Bruder tischte mir nun freilich ganz neue Argumente auf. Ich hatte meine Dedikation dem Herrn von Oberndorf, kurpfälzischem ersten Staatsminister, zugeschrieben, und in der Dedikation freilich Vorzüge an diesem Herrn gerühmt, die ich ihm im Herzen selbst absprach. Allein das ist ja der Fall bei den meisten Dedikationen! Mein Bruder griff also die Zuschrift an, und zwar mit Argumenten von folgender Art: Ein niederträchtiger Schmeichler ist ein Lügner, jener bist du, folglich bist du auch dieser. Ich stutzte gewaltig bei diesem Schluß, leugnete aber natürlich den Untersatz; er bewies ihn indes aus meiner Schrift. Ich hatte hier gesagt, Herr von Oberndorf mache die Pfalz glücklich; mein Bruder führte mehrere Tatsachen an, woraus das Gegenteil erhellte, und worüber die Zuhörer lachten. Ich hatte ferner gesagt, Herr von Oberndorf sorge für die Heidelberger Universität: mein Bruder bewies, daß die Universität zu Heidelberg nie elender gewesen sei, als gerade, seit Herr von Oberndorf am Ruder säße. – Daß dabei manche gröbere Invektiven unterliefen, kann man sich vorstellen. Herr Schulze, der Promotor, sagte kein Wort, wie er mich denn ganz allein meine Siebensachen defendieren ließ. Endlich wandte sich mein Bruder zu den Zuhörern und sagte ihnen auf Lateinisch: »Der Verfasser der Dissertation weiß selbst sehr gut, daß er der Wahrheit Schnippchen geschlagen hat; aber er bildet sich ein, er würde durch seine schamlose Schmeichelei die verlorene Gunst der großen Herren in seiner Heimat wiedergewinnen!« Was sollte ich auf dergleichen Sarkasmen antworten? Mein Bruder hatte freilich recht, aber sagen hätte er's doch nicht sollen.
Die beiden anderen Opponenten brachten nicht gerade viel gegen mich vor.
So hatte ich nun meinen akademischen Gradus und konnte ein großes M. vor meinem Namen hinpflanzen; das hab' ich aber doch nur selten getan. Auch hörte ich lieber meinen Namen als den Magistertitel; denn alle akademischen Würden kommen mir so zunftmäßig vor und waren mir immer lächerlich. Da ich jetzt mehr Recht als vorher hatte, Vorlesungen zu halten, so erklärte ich, um mich als Magister zu produzieren, die dunkeln Satiren des Persius; und so gewaltig viel Erudition ich auch dabei auskramte, so war ich doch mit meinen Lektionen innerhalb zwei Monaten fertig. Diese Vorlesung war gratis, und meine Zuhörer hörten mich gern. Daraus schloß ich, daß, wenn ich auf Ostern meine Kollegien ankündigen würde, ich nicht wenig Zuhörer haben dürfte. Meine Stunden auf dem Waisenhaus gab ich auf.
Ich muß hier eine philologische Schnurre erzählen. Mein Landsmann Sch., ein nicht unebener Lateiner, wollte nach Art aller Philologen von geringerem Gehalt nichts Lateinisches leiden, was in Meister Mark Tullius' hinterlassenen Büchern nicht befindlich wäre. Sein zweites Wort war immer ciceronianisch. Ich hatte für jemand ein sogenanntes curriculum vitae aufgesetzt, und Herr Sch. hatte es wohl an fünfzehn Stellen verbessert, weil es nicht echt ciceronianisch abgefaßt wäre. Das ärgerte mich, und ich beschloß, dem Kritiker einen Possen zu spielen. Ich stellte mich also, als hielte ich ihn für einen Mann, der den Geist des Cicero neunundneunzigfach inne hätte, und unterwarf einiges seiner Kritik. Das freute den Ciceroner so sehr, daß er mich mit lateinisierender Salbaderei fürchterlich quälte und mir da ein langes und breites von der ciceronischen Wortstellung herschwatzte, wovon er ein Buch schreiben wollte. Ich übersetzte endlich ein Stück aus Ciceros Buch von der Natur der Götter, schrieb Ciceros Latein daneben, und gab mein Geschreibsel an Herrn Sch., um seine Zensur zu vernehmen. Er korrigierte den Text des Cicero an mehr als dreißig Stellen und gab mir ihn so wieder. Ich versuchte es, meine Konstruktionen in Gegenwart mehrerer Studenten als ciceronisch zu verteidigen, aber vergebens: Sch. wollte und mußte recht haben! Endlich holte ich meinen Cicero aus der Tasche und zeigte ihm, daß er den Meister selbst, seinen angebeteten Cicero, korrigiert hätte. Gelächter auf meiner und der Studenten, große Beschämung auf Sch.s Seite war die Folge. Nachher ist Herr Sch. mir niemals wieder recht gut geworden. – Man werfe dem Afterphilologen allerhand dumme Streiche vor, schelte ihn einen Esel, er wird nicht so böse werden, als wenn man ihm beweist, er verstehe das Wesen des ciceronianischen Stils selbst nicht recht. – Wer schön denkt, wird schön schreiben, und wenn er gleich mit Fehlern schreibt, wird man doch lieber sein Geschriebenes lesen, als das allerfeinste grammatisch Richtige, welches ohne Gedanken ist. Wer mag gern die Deklamationen des Quintilian lesen, mitsamt dem schönen Latein?
Ein künftiger Dozent hätte billig sollen klug handeln. »Wir brauchen keine Tugend,« sagt der große Rousseau, »wenn wir nur klug sind.« So übersetzt Laukhard, obwohl man das Wort richtiger mit ›weise‹ oder etwa ›lebensklug‹ wiedergeben müßte. Der Spruch heißt: »Il ne faut point de vertu, si nous sommes sages.« P. Ich habe nachher gelernt, daß man unter dem Namen: Rechtschaffenheit, Menschenliebe, und überhaupt Tugend, bloß Klugheit – so oder so modifiziert – meint. Damals aber verband ich noch mit diesen Worten die Bedeutungen, die ich in der Moralphilosophie gelernt hatte, und fand erst späterhin, daß die Moralisten üble Sprachmeister sind, wie auch die Herren Metaphysiker.
Das war nun schon dumm genug! Demzufolge schmeichelte ich niemand, ich besuchte sogar keinen, weil ich mich nicht genieren wollte; und die Herren sagten denn auch, wenn von mir die Rede war, allemal: »Den Magister Laukhard kennen wir nicht; wie wir aber hören, so soll er ein Kerl ohne Kopf und von sehr schlechten Sitten sein.« Dieses löbliche Gezeugnis gaben mir die Herren aus Menschenliebe, um die Leute vor mir zu warnen. Ganz unrecht hatten sie wohl nicht: denn im Grunde hatte ich diese Stimmung der Herren gegen mich vielleicht selbst verschuldet.
Ich machte einen Aufsatz, dem ich den Titel gab: » Deutsche Synonymen«. Da brachte ich alle mir bekannten Wörter zusammen, welche die Besoffenheit und den unflätigen Umgang mit Frauenzimmern auf deutsch bezeichnen. Das war nun so ein Stück Arbeit aus der lieben Zotologie. Ich machte den Aufsatz gemeinnützig, indem ich erlaubte, daß jeder Student, der nur wollte, ihn abschrieb; ich war sogar willens, ihn drucken zu lassen, und Herr Adelung hätte alsdann einen derben Beitrag zu seinem Wörterbuch gefunden. Herr Semler erfuhr das und koramierte mich nicht schlecht; da ließ ich denn das Ding. Aber mein Aufsatz war schon zu sehr ins Publikum, als daß er hätte unterdrückt werden können: sogar die Philister auf dem Ratskeller lasen die »Deutschen Synonymen« von Magister Laukhard und gaudierten sich höchlich über die drolligen Ausdrücke.
Einst kam ich nach Reideburg, wo gerade eine gewisse Studenteninnung ihren Landtag hielt. Der Beschluß davon war ein Kommers, zu dem ich eingeladen wurde. Ich ging hin und mußte, weil ich Magister war, honoris causa das Präsidium übernehmen. Ich präsidierte mit allem Ansehen und aller Würde eines echten alten Burschen, der nicht » Rien! rien!«, sondern »Courage! Courage!« ruft und den Komment recht versteht. Da ging's munter über munter! »Es leb' der Bruder Magister hoch! Ein Hundsfott, der ihn schimpfen sollt'!« erschallte zu meiner Freude aus allen Kehlen. Ich dachte dabei an nichts Arges; doch kam es mir selbst etwas spanisch vor, daß ein Mann, der auf dem Katheder dozierte, auch Präses eines Burschen-Komments sein sollte, aber – ich setzte mich darüber weg. Zwei Tage nachher wußte mein Semler schon alles; er nahm mich vor und las mir den Text nach Noten. Ich hätte ohnehin, sagte er, bei der philosophischen Fakultät keine Freunde: ich sollte sehen, daß man mir die Erlaubnis, Kollegien zu lesen, verweigern und mich aus der Lehrerliste ausstreichen würde. – Das tat mir freilich wehe, machte mich aber nicht klüger. Ich fuhr fort, die Wirtshäuser nach wie vor zu besuchen.
Auf einen Sonntag war ich bei Herrn Prof. Trapp zu Gaste: ich war gut angezogen und trug seidene Strümpfe. Abends gegen zehn Uhr ging ich fort und traf unterwegs meinen alten Freund Köster, der mich bat, ihn in den »Puffkeller« auf dem Markt unterm Rathause zu begleiten. Dieser sogenannte Puffkeller war ein Bordell der niedrigsten Gattung: er gehörte zum Rathause und wurde für 12 Reichstaler jährlich vermietet. Erst seit der Aufsicht des jetzigen Stadtpräsidenten, v. Barkhausen, hat diese skandalöse Wirtschaft da aufgehört. – Ich stellte Köster vor, daß es für einen Magister sich schlecht schicken würde, in den Puffkeller zu gehen, aber er besiegte alle meine Gründe und Einwendungen, und der Herr Magister ging in den Puffkeller. Hier war ein gewisser Herr, den ich nur Firlefanz nennen will. Ich ließ mir Schnaps geben, konnte ihn aber nicht trinken und stellte ihn mit einem Fluche auf den Tisch. Mosje Firlefanz sagte drauf mit einer altklugen Miene, es sei freilich kein Magisterschnaps. Blox! steckte ich ihm eine Ohrfeige, Köster half, und Meister Firlefanz wurde zum Loch hinausgeschmissen. Wir blieben nicht lange. Als wir in der Galgstraße der Ulrichskirche nahe kamen, trat plötzlich Mosje Firlefanz vor uns und forderte Rechenschaft wegen der Beleidigung im Puffkeller. Da wir ihm jetzt noch gröber antworteten und mit Prügeln drohten, siehe, da kamen noch zwei baumstarke Bengel aus dem Hinterhalt und schlugen auf uns zu. Wir wehrten uns ritterlich, warfen einen von den Bengeln zur Erde, und Mosje Firlefanz selbst bekam derbe Schläge mit der Faust ins Gesicht, daß die Marken davon noch vierzehn Tage zu sehen waren. Endlich kam der Nachtwächter, der alte ehrliche Hase; er kannte den Firlefanz und mich, und drohte, wenn wir nicht Ruhe hielten, mit der Kompanie des Herrn Karzerwächters Bär. Wir hielten also inne und schieden von dannen. Aber man denke, wie mein hellgrüner Rock, meine seidene Weste und meine seidenen Strümpfe ausgesehen haben. Ich mußte selbst über meine Figur lachen; Köster sah nicht besser aus; er schlief die Nacht bei mir.
Bei allen meinen erzdummen Streichen, die einem akademischen Dozenten so sehr unanständig waren, machte ich immer meine Apologie und verteidigte mich mit dem Beispiel anderer angesehener Männer, welche auch dergleichen getrieben hätten; besonders half ich mir mit den Taten des verstorbenen Geheimrats Klotz, des Herrn M. Schirach, des Professors Hausen und des M. Träger, von welchen damals noch allerhand skandalöse Anekdötchen herum gingen.
In unserem Hause ging es auch recht niedlich her. Da wohnte ein gewisser Z. aus Berlin, ein witziger, heller Kopf, aber ein Hans ohne Sorgen. Er ging beinahe in kein Kolleg, studierte aber doch fleißig für sich und lernte mehr als die Herren Heftenschmierer; er war vollkommen erfahren in der lateinischen, griechischen und deutschen Sprache. Also Z. war ein Ohnesorg und zog sich nicht eher an, als bis er ausgehen wollte, und er ging nur alle drei oder vier Tage einmal aus. Er saß da ohne Beinkleider in der warmen Stube und zeigte sich nicht selten in puris natura libus. Wenn nun ein Narr ist, so machen gleich ihrer zehn die Torheit nach, und so ging es auch hier: die Gewohnheit, sich nicht anzuziehen, riß im ganzen Semlerschen Hause ein, mich ausgenommen; denn an dieser Sauerei fand ich trotz meinen zotologischen Ideen doch keinen Geschmack. Semler selbst erfuhr es und ermahnte mich, diesem Unwesen Einhalt zu tun, und das Rauhe heraus zu kehren. Ich tat's zum Teil, aber die Hosen wurden noch nicht angezogen. Da schrieb uns Semler in lateinischer Sprache: er wundere sich sehr, wie Leute, die die Wissenschaft lernten und zum Teil sogar lehrten, so weit sich vergessen könnten, in seinem Hause den öffentlichen Anstand zu beleidigen, und den Dienstmädchen, ja zuweilen sogar seinen Töchtern Körperteile hinzuweisen, welche bessere Sitte verdeckt wissen wollte. Er müßte uns nur sagen, wenn der Skandal fortwährte, so würde er schlechterdings den Herrn Prorektor angehen und um unsere Wegschaffung aus seinem Hause anhalten usf. Das Briefchen tat seine Wirkung, doch nur halb; denn Z. zog sich, solange er da war, nämlich bis auf den Herbst 1783, wo er nach Jena ging, dennoch nicht mehr als zweimal die Woche über an.