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Siebzehntes Kapitel

Meine Unterrichtsstunden. – Brotneid. – Privatstudien im Tertullian. – Bartolini. – Die Herbstmanöver. – Bemühungen meines Vaters um meinen Abschied. – Unsere Geheimschrift. – Urlaubspläne. – Böse Manichäer. – Wanderung nach der Pfalz. – Neujahrsbräuche. – Aberglaube eines Weimarschen Herzogs. – Herder und die Pfaffen. – Wiedersehen in Jena. – Ein deutscher Professor und seine Laufbahn. – Vornehme Reisegesellschaft. – Junker Karl. – Empfang in Gießen.

Ich hatte schon vor der Revue einige Studenten zu unterrichten im Lateinischen und Französischen; nach und nach erhielt ich mehrere. Als ich von der Revue zurückkam, nahm ich Stadturlaub, das heißt, ich ließ das Traktament dem Kapitän, tat keine Wachen und konnte daher meine Lehrstunden nach mehr Ordnung und Bequemlichkeit abwarten. Dies nötigte mich aber, meine Sachen so einzurichten, daß ich von meinem Verdienst bei Studenten leben konnte, welches an einem Orte wie Halle, wo so ziemlich alles teuer ist, und bei einer bloß von Studenten abhängenden Lebensart, etwas schwer fällt. Ich kann indessen nicht sagen, daß es mir jemals an Scholaren gefehlt habe; meine Stunden waren so ziemlich besetzt, würden es aber nicht gewesen sein, wenn ich soviel dafür hätte nehmen wollen, wie die gewöhnlichen Sprachmeister. Daß ich das nicht tat, kann man mir im geringsten nicht verdenken; ich konnte ja meine Lektionen ganz und gar umsonst geben und folglich auch so wohlfeil, als ich dies für mich und meine Kundschaft für gut fand. Wie es indes zu gehen pflegt, daß das Handwerk neidet, so war es auch hier. Ein italienischer Sprachlehrer setzte meine Lektionen überall herab, bloß darum, weil ich mir ja nur zwei Groschen für die Stunde geben ließe. – Ebenso machten es einige andere dieser Herren; ich ließ sie aber machen und versah meine Scholaren, so gut ich konnte.

Für mich selbst studierte ich nach Semlers Rat in Tertullians Werken, aus welchen ich die dogmatischen Stellen auszeichnen sollte. Es ist gewiß sehr seltsam, daß ein Soldat den alten Knaster liest, und noch seltsamer, daß er ihn liest, um die Historie der sogenannten heiligen Lehren und Fratzen dadurch aufzuhellen. Dogmatische Stellen zog ich viele heraus, die ich ordnete und Semlern hernach vorzeigte; er war damit zufrieden und riet mir, fortzufahren. Weil es aber eine Holzmacherarbeit ist, den Tertullian so zu lesen, mir auch das Ding weiter keinen Nutzen brachte, so gab ich diese Arbeit auf.

Um diese Zeit fing ich auch an, Romane und Komödien zu lesen; ich hatte zwar schon vorher dergleichen Sächelchen in Händen gehabt, sowohl französische wie deutsche, aber niemals war ich erpicht darauf, und ward es erst im Jahre 1784 und blieb es lange Zeit. Anfangs durchblätterte ich sie nur so, dann las ich sie mit Behagen, und endlich verschlang ich sie gar. Dies ging so weit, daß ich zuletzt nicht mehr imstande war, zwei Stunden nacheinander bei einem ernsthaften Buche auszuhalten.

Ich legte mich um diese Zeit auch stärker als sonst auf die italienische Sprache. Es kam damals, als ich ungefähr ein halbes Jahr beim Regiment war, ein gewisser Italiener hierher, namens Bartolini, der sich für adlig ausgab. Der Mensch hatte sich im Reiche anwerben lassen und kam so zum hallischen Regiment; er ist schon vor zwei Jahren wieder fortgelaufen. Er hatte in seiner Jugend bei den Jesuiten studiert und echte jesuitische Grundsätze eingesogen, auch echtes jesuitisches Latein. Sonst war er ein ganz guter Mensch und mir besonders zugetan. Da er sah, daß ich seine Muttersprache liebte, so gab er sich Mühe, mich in derselben weiter zu bringen, und sprach, wenn wir beisammen waren, beständig italienisch mit mir. Seine Schicksale hat er mir oft erzählt, wie er den Venedigern, Franzosen und Spaniern gedient habe, wie er als Schnurrant durch ganz Italien, die Schweiz und Deutschland gereist sei, in Heidelberg, Gießen und Göttingen Kollegia gehört habe usw. Er war ein wahrer Aventurier, dessen Umgang allemal unterhaltend war, ob er gleich jene Wissenschaften bei weitem nicht besaß, die er zu besitzen vorgab. Er gab hier in seiner Sprache Unterricht und ernährte sich ganz ordentlich. Unser gemeinschaftlicher Broterwerb verband uns noch genauer, besonders da wir niemals in Kollision kamen, indem er ganz andere Lektionen gab als ich. Allein für mich hatte Bartolinis Umgang eben nicht die besten Folgen. Freund Bartolini war stark an die geistigen Getränke gewöhnt und trank den Branntwein wie Wasser. Ich habe ihn mehrmals drei bis vier Nößel oder zwei Kannen binnen sechs Stunden trinken sehen, ohne daß er stark wäre besoffen worden. Wollte ich also seinen Umgang recht genießen, so mußte ich die Schnapskneipen auch besuchen, die er besuchte, mußte mich oft halbe Tage lang hinsetzen und beim kleinen Glas philosophieren. Ein gewisser Stantke, welcher ebenfalls post varios casus unter die Soldaten gekommen war und sich von Gelegenheitsdichterei und Kollegienrepetieren mit Juristen nährte, schloß sich auch an uns an; er machte sich aber durch sein übertriebenes Saufen sogar zum Kinderspott, so daß wir ihn von unseren Gelagen entfernten.


Unter dem verstorbenen König mußte sich die Magdeburgische Brigade jährlich im Oktober in Magdeburg versammeln, und da manövrieren. Der König wohnte diesem Manöver nicht bei, sondern der Gouverneur von Magdeburg, General Saldern, mußte die Regimenter drei Tage nacheinander exerzieren lassen. Daß dergleichen Marsch im Herbste nicht allein sehr beschwerlich, sondern auch für den armen Soldaten, der dabei alle gesparte Habe zusetzte, ein wahrer Ruin war, ist gewiß. Ich habe drei solche Manöver in Magdeburg mitgemacht, und allemal ist meine Kleidung von dem üblen Wetter verdorben und meine kleine Kasse rein ausgeleert worden. Die Revue im Frühling ist nicht so beschwerlich. Der jetzige König hat aber unter anderen für uns Soldaten vorteilhaften Aenderungen auch die getroffen, daß das Hallische Regiment seine Herbstübungen jetzt bei Halle macht, und nicht mehr nach Magdeburg zu marschieren braucht. Man will auch sagen, daß in Zukunft die Revue nur alle drei Jahre gehalten werden solle. Das wäre eine herrliche Anstalt und ein wahrer Vorteil für den armen Soldaten. Man könnte zwar einwenden, eine beständige Uebung sei eigentlich die Seele des Soldatenstandes. Allein wenn nur die Offiziere, Unteroffiziere und etwa die Hälfte der Soldaten den Dienst pünktlich versehen, so hat es für das Ganze keine Not.


Mein Vater schrieb mir fleißig, wenigstens hatte ich alle zwei Monate einen recht langen Brief von ihm, worin er sogar über Dinge schrieb, welche in die Gelehrsamkeit einschlugen; von meinem tückischen Bruder konnte ich aber keine Zeile herauszwingen, so sehr ich ihn auch darum bat. Ich hatte ihn einmal seiner Meinung nach beleidigt, und das vergab er mir auf echt levitisch nicht mehr. Mein guter Vater bemühte sich auch recht ernstlich, mich vom Soldatenstande loszumachen; er schrieb an den General Leipziger, sogar an den Herzog von Braunschweig, aber alles war umsonst; ich selbst wünschte es nicht einmal im Ernst. Meines Vaters wegen wäre ich freilich gern los gewesen; aber wenn ich nun überlegte, was alsdann aus mir werden würde, so entfiel mir aller Mut, und das: »Du mußt Soldat bleiben!« blieb mir allein zurück. Weil ich überdies, seit ich diesen Stand erwischt – ja, erwischt! – hatte, mich niemals ganz unglücklich fühlte, vielmehr manchen frohen Augenblick genossen hatte, so war mir die Vorstellung einer ewigen Soldatenschaft gar nicht bitter, viel weniger unerträglich.

Da mein Vater sah, daß ich den Abschied nicht erhalten würde, so entschloß er sich, Kaution für mich zu stellen, damit ich ihn noch einmal besuchen könnte. Freilich war seine Absicht dabei, mich bei sich zu behalten, den Preußen die 150 Reichstaler zur Anwerbung eines andern an meiner Stelle zu lassen, und so den Abschied selbst zu nehmen. Er eröffnete mir sein Vorhaben in einem Briefe, fügte aber hinzu, daß ich es mir ja nicht sollte in den Sinn kommen lassen, ihn auf eine andere Art zu besuchen; in Desertion könne und wolle er aus gar vielen Gründen nicht einwilligen, und er würde es mir sehr übelnehmen, wenn ich so was auch glücklich ausführte. Unsere Briefe waren in einer Sprache geschrieben, die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt war; wir hatten sie zusammen erfunden und oft darin gesprochen und geschrieben. Ich gebe hier eine Probe für die Herren, die alle kryptischen Schriften lesen und verstehen können:

»Fa, fis fa, foti Schroft mitip wolst, dist Eip Itim Monrip lirl and mil noch on ersch.«

Wer sich üben will, bringt es in einigen Wochen in dieser Sprache, die nicht bloß Steganographie ist, zu einer großen Fertigkeit.

Allein meines Vaters Vorsicht war nicht nötig; Herr von Müffling forderte mir nie die Briefe ab, welche ich bekam, und las auch die nicht, die ich fortschickte.

Im Sommer 1786 trieb mein Vater das Geschäft mit dem Urlaub weit emsiger, als die ganze Zeit her. Er wollte mich durchaus noch einmal sehen, und so ließ ich mir's denn gefallen, ihn mit Urlaub zu besuchen. Der Kapitän bestimmte 150 Reichstaler zur Kaution, wofür der hiesige Herr Leveaux nur gutsagen sollte, wie hernach auch geschehen ist. Mein Vater war das zufrieden, und so wurde Anstalt gemacht, daß ich auf Jakobstag abreisen sollte, aber auf einmal machten mir die Herren Philister einen Querstrich.

Ich hatte, wie man schon weiß, als ich Soldat ward, noch eine artige Menge Schulden zu bezahlen. Als Soldaten ließen mich die klügeren meiner Gläubiger freilich gehen und mußten mich schon in Ruhe lassen, weil ich von keinem Gericht konnte zur Zahlung gezwungen werden, und – nichts hatte. Der Schneider Thieme nur und der Buchbinder Münnich beliefen den Kapitän einige Male und forderten, daß er mich zum Zahlen anhalten sollte. Dieser, endlich des Laufens überdrüssig, schmiß sie zur Treppe hinunter, und ihr Rennen hatte ein Ende. Freilich attackierten die Kerls mich oft auf der Straße, allein da ich anfing, ihnen grob zu begegnen – es war ja doch ein toller Gedanke, bei einem Menschen Zahlung zu fordern, der gar nichts hat! –, so ließen sie mich alle in Ruhe. Nur der Schuster Sauer ließ sich durch die ärgsten Grobheiten und angebotenen Nasenstüber nicht abhalten, mich beinahe täglich anzuzapfen und nach Noten zu manichäern. Aber ich habe mich für seine Impertinenz auch gerächt; denn als alle meine Gläubiger bezahlt wurden, bekam Meister Sauer nichts, bloß deswegen, weil er zu unbescheiden und grob gewesen war. Als er hernach seine Flegeleien fortsetzte, ja gar einige derbe Redensarten einfließen ließ, machte ich meine Drohungen einmal reell, und da hörte er denn ganz auf, mich zu quälen. Wird er so fortfahren, so soll ihm sein Taler, 16 Groschen binnen hier und Weihnachten richtig bezahlt werden, wenn ich nämlich bis dahin wieder aus dem Felde zurück bin.

Meine Herren Manichäer also, da sie vernahmen, daß ich abreisen würde, wandten sich mit einer Schrift gegen mich an den General Leipziger. Der General war ein guter Mann, der viel Gefühl für Recht und Billigkeit hatte. Er ließ also den Hauptmann Müffling wissen, daß ich erst zahlen müßte, ehe ich nach Hause reisen könnte. Dieser war sehr darüber aufgebracht, und das mit Recht; denn nach den Kriegsgesetzen ging meine Schuld den General gar nichts an. Doch ließ er mich kommen und sagte mir, daß ich mich selbst beim General stellen und meine Sache ausfechten müßte; er hoffe, die Philister würden abgewiesen werden. Allein als ich einwendete, daß es doch recht wäre, daß ich meine Schulden bezahlte, und ihn um die Güte ersuchte, meinem Vater vorzustellen, daß ohne Zahlung meiner Schulden von 130 Talern kein Urlaub zu haben sei, so lobte er dies, schrieb gleich hin, und in Zeit von drei Wochen antwortete mein Vater, daß er seine Pflicht kenne und jemanden schicken würde, der in allen Stücken tun sollte, was man von einem ehrlichen Mann fordern könnte.

Es verging indessen noch ziemliche Zeit, und es war bereits mitten im Winter 1786, als mich mein Vetter, der Weinhändler Dietsch, zu sich auf den »Kronprinzen« kommen ließ und mir sagte, er habe Vollmacht von meinem Vater, Kaution für mich zu stellen und mir Urlaub auszuwirken. Ich kann nicht sagen, daß mich diese Nachricht sehr erfreut hätte. Ich hatte damals viele Herren, welche mich alle sehr ordentlich honorierten; fürs andere war es Winter und das Reisen um diese Zeit sehr beschwerlich. Dann hatte ich auch gar wenig Lust, die Pfälzer Mosjehs je wiederzusehen und mich von den schwarzen Hans-Narren in meinem Vaterlande bekritteln zu lassen. Aber diese und andere Gründe wichen dem Willen meines ehrlichen Vaters, den ich zwar immer, leider nur nicht auf die rechte Art, geehrt und geliebt habe.

Nun fragte sich's, wie wir's mit meinen Schulden machen sollten. Die größeren Gläubiger mußten etwas von ihren Forderungen ablassen, von kleineren Schulden wurde nichts abgezogen. Nachdem die Schuldensache in Ordnung war, erlaubte der General, daß ich abreisen konnte.

Ich hatte noch einiges Geld von Studenten zu fordern; an diese wies ich meinen Wirt Müller, der es auch richtig bekommen hat; eben diesem Müller schenkte ich meine sonstigen Effekten, die ich nicht mitnehmen konnte. Auch löste ich meine Uhr ein, welche viele Jahre versetzt gewesen war, kaufte mir ein Paar Stiefel und einen blauen Oberrock zur Reise, erhielt meinen Paß und schob ab. Herr Leveaux hatte nach meines Vaters Einrichtung die Kaution beim Regiment ausgestellt.

Man kann sich leicht denken, daß die Empfindung der Freiheit, die ich jetzt wieder genoß, eine sehr angenehme gewesen sei. In Passendorf schon kehrte ich ein, so auch in Schlettau und Lauchstädt. In Neumark traf ich die Neujahrssänger an; es war gerade der Tag nach Neujahr. Es ist nämlich in Sachsen Mode, daß die jungen Bursche auf den Dörfern zur Neujahrszeit in die Häuser der begüterten Bauern einkehren und da Neujahrslieder, z.B.: »Das alte Jahr vergangen ist« – »Das neugeborne Kindelein« – »Hilf, Herr Jesu, laß gelingen« u. a. herkrächzen und dafür nach der Observanz belohnt werden. Das Geld wird hernach gemeinschaftlich versoffen. In der Pfalz singt bloß der Nachtwächter in der Neujahrsnacht dergleichen Lieder, und die jungen Bursche schießen das neue Jahr an, indes die älteren Bauern es anläuten. Alle sind zu der Zeit en canaille besoffen. Das ist so der Anfang der neuen Zeit.

Ein sehr erbaulicher Neujahrsbrauch fand sich zu meiner Zeit bei den Gießener Studenten. Abends ging jeder Student wie gewöhnlich in eine Kneipe, zum Eberhard Busch, in die »Krauskopferei«, die »Reiberei« oder sonst wohin; Schnaps und Bier wurden getrunken, und das lustige Leben währte bis um halb zwölf. Wenn's so hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hause; schon vorher war der Nachttopf ans Fenster gesetzt worden, nachdem man ihn mit Unflat aller Art angefüllt hatte; manche patriotische Studenten versahen sich mit mehreren Nachttöpfen zu diesem noblen Geschäfte. Auf den Glockenschlag zwölf erscholl ein helles: »Pereat das alte Jahr!« aus allen Fenstern, wo Studenten wohnten, und die Nachttöpfe, zu Gießen »Brunzkacheln« genannt, flogen mit ihrem garstigen Inhalt auf die Straße. Dann ertönte ein munteres: »Vivat das neue Jahr!«, worauf die meisten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu Gießen sahen also früh am Neujahrstag gar häßlich aus, und allerwegen hörte man Verwünschungen über die Garstigmacher. Dieser löblichen Gewohnheit wegen waren zu Gießen nur irdene Nachtgeschirre; denn zinnerne zum Pereat des alten Jahres auf die Straße zu werfen, wäre doch zu kostbar gewesen.

Doch zurück zu meiner Wanderung! Auf dem Wege von Naumburg nach Erfurt mußte ich liegen bleiben; meine engen Stiefeln hatten mir die Füße aufgerieben; ich kehrte daher in einem Weimarschen Dörfchen, Neustadt, gemeinhin Neischt genannt, beim Wirt Krippenstapel ein und blieb dort vier Tage, bis ich zu Fuß wieder fort konnte. Um mir die Zeit zu vertreiben, las ich in einem alten lateinischen theologischen Schmöker, den mir der Herr Kantor borgte, und unterhielt mich des Abends mit diesem selbst. Der Mann, sonst ein großer Liebhaber vom Schnaps, liebte das Sprechen über theologische Sachen und haßte alle Freigeisterei, doch war er, wie er sagte, dem Aberglauben gram und sprach von Gespenstern, Hexen und Kobolden mit Verachtung. Er erzählte mir eine Anekdote von seiner gnädigen Herrschaft, welche mir damals unwahrscheinlich vorkam, die ich aber hernach in einem Buche bestätigt gefunden habe. Des jetzigen Herzogs von Sachsen-Weimar Großvater sollte nämlich vor ungefähr vierzig Jahren befohlen haben, daß man in jedem Dorfe an einem gewissen Tag einige hölzerne Teller auf eine gewisse Weise konsekrieren sollte. Diese konsekrierten Teller sollte man unter gewissen magischen Zeichen und Worten, wenn eine Feuersbrunst entstünde, einen nach dem anderen hineinwerfen; es würde alsdann beim dritten Wurf das Feuer gewiß erlöschen. – Wenn aber vor vierzig Jahren der weimarische Landesherr und seine Räte so finster waren: wen könnte es wundern, daß noch 1787 die dickste Finsternis auf den weimarischen Dörfern herrschte! Man sollte gar nicht glauben, daß diese einem Landesherrn angehörten, dessen Residenzstadt mit den hellsten Köpfen Deutschlands geschmückt ist! Hier sieht man recht augenscheinlich, daß auch die besten Schriftsteller nicht einmal in ihrem nächsten Umkreise auf die Volksklasse wirken, wenn Kirchen- und Schullehrer nicht die verdolmetschenden Vehikel ihrer Belehrung werden. Selbst lesen tut der gemeine Mann in Städten und Dörfern selten, und liest er auch, so ist das meiste für ihn zu hoch. Wo soll er also Licht hernehmen, wenn man es ihm in der Schule und Kirche unter Scheffeln versteckt, oder, was noch ärger ist, wenn selbst Schul- und Kirchenlehrer so düster leuchten, daß sie des Putzens von allen Seiten selbst bedürfen? Stechen nicht auch die Predigten des jetzigen Vizepräsidenten Herder gegen die Predigten seiner orthodoxen Herren Amtsbrüder in und um Weimar ab wie Tag gegen Nacht und Licht gegen Finsternis? Und doch haben die letzteren mehr Zuhörer als er – allerdings aus der Klasse der christlichen Kreti und Pleti, die auch im Weimarschen noch über alle Erwartung hinaus ist. Hierzu nehme man den Weimarischen Katechismus nebst Gesangbuch und Kirchenagende: welch ein alter Sauerteig riecht nicht in allen dreien! Herder, der göttliche Herder, hat gewiß Verbesserungen vorgeschlagen: aber die übrige liebe Geistlichkeit hat vielleicht die Delikatesse ihrer orthodoxen Denkungsart so weit getrieben, daß sie lieber alles aufopfern, als Herdern folgen wollte – so folgsam, wie nämlich die Buchstabentheologen gegen Christi Geist, den gesunden Menschenverstand, sind, und so zärtlich leise sie auf den Wunsch eines väterlichen Landesherrn horchen, um durch die Verbreitung besserer Einsichten glücklichere Menschen machen zu helfen. Und so hätte auch Weimar seine Gelehrten mehr fürs Ausland, als für sich!

Als ich wieder gehen konnte, wanderte ich nach Jena; dort kehrte ich sogleich, nachdem ich mich beim Invalidenmajor gemeldet und als beurlaubten preußischen Soldaten legitimiert hatte, im »Halben Mond« ein, meinen hungrigen Magen auszufüllen. Nach dem Essen ging ich auf den »Fürstenkeller«, wo ich Studenten anzutreffen dachte. Ich betrog mich auch nicht, denn der Tisch war mit fidelen Mosellanern besetzt. Ich forderte eine Maß Köstritzer Bier und setzte mich auf die Seite. Da kam der Perückenmacher Stahlmann und glotzte mich an; hernach der dicke Fleischer Schmidt, der es ebenso machte. Sie wiederholten ihre Besichtigung mehrmals. »Er ist's, hol' mich der Teufel!« fing endlich Schmidt an. »Freilich ist er's, oder ich will ein Hundsfott sein,« erwiderte Stahlmann. Ich hatte Mühe, mich des Lachens zu enthalten. Nachdem sie lange so räsonniert hatten, trat Schmidt zu mir und sagt: »Gelt, du bist's?«

Ich: Herr, seit wann sind wir denn Duzbrüder? Weiß der Herr nicht besser zu leben?

Schmidt: Sag du, was du willst, du alter lieber Bursche; mich soll gleich der Teufel holen und in Lüften zerreißen, wenn ich dir nicht gut bin!

Ich: Herr, ich kenne Sie ja gar nicht!

Schmidt: Nicht! Alter Laukhard, sei kein Narre! durch hundert Türen kenn' ich dich durch. Komm, trink! – Schmollis!

Indessen waren die Herren am langen Tische auf uns aufmerksam geworden und hatten von Stahlmann vernommen, wer ich wäre. Sie kamen also alle um mich herum, freuten sich meiner und nötigten mich, mich mit an ihren Tisch zu setzen und mit ihnen zu trinken. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich schon alle die Herren, an der Zahl über dreißig, zu Duzbrüdern. Ich wollte wieder nach dem »Halben Mond« zurückkehren, aber das hieße die jenaische Gastfreiheit beleidigen, und daher mußte ich bei einem Burschen einkehren und bei ihm übernachten. Ich habe drei Nächte bei ihm zugebracht, habe täglich den Fürstenkeller besucht und bin einmal zu Dorfe gewesen.

Ich kannte zwei Professoren in Jena, die Herren Fabri und Schnaubert. Letzteren wollte ich besuchen und versprach mir gute Aufnahme; allein, ich irrte mich. Schnaubert war ehemals als katholischer Kaplan, unweit Bingen am Rhein, in einen zu genauen Umgang mit seiner Köchin geraten, und da die Folgen dieses Umgangs sichtbar wurden, fürchtete sich Meister Schnaubert vor Marienborn – dies ist ein Dorf, eine Stunde von Mainz, wo man die Pfaffen, die sich vergangen haben, einsperrt – ward mit seiner Dulzinea flüchtig und kam nach Gießen, wo man von jeher die Proselyten willkommen hieß. Hier meldete er sich bei der Geistlichkeit, insbesondere bei Benner, der ihm aber ein saueres Gesicht machte. Benner nämlich, so orthodox er sonst war, hielt nichts auf Proselyten, die mit dickbäuchigen Mamsellen ankamen. Andere Herren aber nahmen ihn besser auf; ob man gleich keine Konvertitenkasse in Gießen hat, so erhielt doch Freund Schnaubert fünfzig Gulden, und dieser heilige Geist machte, daß er das lutherische Glaubensbekenntnis in die Hände des Herrn Diez ablegte. Eben das tat auch seine Madonna. Nun adressierte sich Schnaubert, der von der Welt nichts mitgebracht hatte, als einen alten verschabten grauen Flausch, schwarze Weste, Hosen und dergleichen, Strümpfe, einen Hut mit marasmus senilis, und dessen Mamsell auch nichts hatte, als wie sie ging und stand – an die Studenten, und diese gutmütigen Jünglinge gaben her, soviel gerade in ihrem Vermögen war. Ich habe, ohne Ruhm zu melden, auch zu denen gehört, welche Herrn Schnaubert unterstützt haben, ja ich habe in meinem Kränzchen, dessen Senior ich damals war, eine Kollekte für ihn angestellt.

So versorgt, studierte Herr Schnaubert Jura und ward mit den Studenten so fidel, daß er für einen ordentlichen Kerl und guten Zotologen gehalten wurde. Durch Fleiß und Bücherlesen erlangte er in kurzer Zeit eine artige Kenntnis der Rechte, und sein kriechendes jesuitisch-pfäffisches Wesen erwarb ihm die Gunst des Kanzlers Koch in hohem Grade, und er wußte sich derselben durch Anbringung neuer Märchen von allerlei Art, besonders von Studentenhistörchen, immer mehr zu versichern.

Indessen ward Herr Schnaubert Doktor und Schriftsteller und ließ etwas drucken. Das verschaffte ihm einigen Ruf; er kam als Professor nach Helmstedt und von da nach Jena, wo er nach Art der jenaischen Herren Professoren, die mit dem simplen Professortitel mein Tage nicht zufrieden sind, sich mit dem Hofratstitel schmücken ließ.

Schnaubert war noch nicht lange in Jena, als ich jetzt dahin kam. Ich dachte, gewiß von einem Manne gut aufgenommen zu werden, um den ich mich mehr als einmal verdient gemacht hatte. Ich trat also an seine Tür und klopfte; Herr Schnaubert kam heraus.

»Was will Er?«

»Ei, ei, Herr Professor, Sie kennen mich wohl nicht mehr?«

Hier hatte ich vergessen, den Hofrats-Titel herzubeten, und auf diese Art hatte ich den Meister vollends außer Fassung gebracht.

»Ja, ja,« sagte er, »Sie sind Laukhard; ist mir lieb, Sie zu sehen; aber pardonnieren Sie, ich hab' Geschäfte!«

Sapperment, wie mich das Ding ärgerte! In die Augen hätte ich ihm spucken mögen.

»Ich habe,« fuhr er fort, »von Ihren Suiten gehört; der Kanzler Koch hat mir's nach Helmstedt geschrieben!«

»So!« erwiderte ich; »wahrscheinlich wollte er Ihnen die Märchen wieder vergelten, die Sie ihm in Gießen so reichlich zutrugen. Hat er Ihnen vielleicht auch sein Heft übers Kanonikum von Böhmer geschickt, daß Sie es damit machen können, wie Sie es mit dem Gatzertschen getan?«

Man muß wissen, daß Schnauberts berufener Kommentar über das Compendium juris feudalis weiter nichts ist, als die Vorlesungen des gelehrten Herrn Gatzert. Mein Mann erboste und lief in seine Stube, und ich – schob ab.

Ich schied an einem Sonnabend von Jena, in Gesellschaft mehrerer Studenten, welche mich bis Weimar begleiteten, wo sie die Komödie sehen wollten. Ich hatte keine Lust dazu und lief noch ein Stunde weiter auf ein mainzisches Erfurt nebst Gebiet gehörte damals zu Kurmainz. P. Dorf, wo ich die Nacht blieb. Früh wollte ich die Reise fortsetzen, als ein Kutscher hereintrat und Schnaps forderte. »Wohin die Reise, Schwager?« – »Nach Gotha.« – »So? Kann ich mitfahren?« – »Warum nicht; acht Groschen, und Sie sitzen hinten auf.« Ich pränumerierte und saß hinten auf. – »Wer sitzt denn da hinten?« fragte ein fünfzigjähriges Fräulein. – »Ja, das weiß der liebe Gott,« antwortete der Schwager; »er muß doch wohl einen Paß haben, er will ja durch Erfurt.« – Es währte nicht lange, und Fräulein mußte aussteigen; es war, wie Yorik sagt: rien que pisser. Ich stieg auch ab und steckte meine Pfeife an. Da ließ sich das Fräulein mit mir ins Gespräch ein, erzählte, daß sie ein Hoffräulein von Gotha wäre, in Weimar Freunde besucht hätte, und daß der junge Mosjeh, den sie bei sich hätte, Junker Karl hieße. Ich belehrte sie jetzt auch von meinen Umständen, und Fräulein, nach vielen »Herr Gott! Herr Jesus!« gestattete mir, mit in der Kutsche zu sitzen und sie da mit Gespräch zu unterhalten. Fräulein war belesen, verstand auch Französisch und Musik, wie sie sagte, hatte viele Freier gehabt, auch recht angesehene Kavaliers und Offiziere, hatte sich aber niemals entschließen können, sich in die Bande der heiligen Ehe zu begeben. Diese Sprache war mir schon seit meiner lieben Jungfer Tante bekannt.

Am Erfurter Tor mußte ich absteigen, meinen Paß vorlangen und mich sodann von einem Gefreiten auf den Petersberg zum General führen lassen. Im Preußischen, wo doch gewiß das Militär zur hohen Vollkommenheit gestiegen ist, macht man nicht soviel Umstände; da ist das Vorzeigen des Passes am Tor hinlänglich, weil die preußischen Generale mehr zu tun haben, als daß sie jedes fremden Soldaten Paß durchsehen sollten. Hierauf begab ich mich in das Wirtshaus, wo meine Gesellschaft abgestiegen war, aß daselbst zu Mittag und ging sodann ins Tor, bis die Kutsche ankam und ich mich wieder einsetzen konnte. Fräulein wollte doch nicht, daß ich mit durch die Stadt fahren sollte! Junker Karl hatte sich gar sehr bezecht und machte allerlei närrische Possen, welche erst recht drollig heraus kamen, wenn er ausstieg, seine Notdurft zu verrichten. Der Schwager lachte laut ob des Junkers Possen, dem Fräulein aber war nicht recht wohl zumut. Wir kamen am Abend in Gotha an.

Von meiner weiteren Reise ist nichts Besonderes zu berichten, allenfalls noch von Gießen ein paar Worte. Dort kam ich gleich nach zwölf Uhr mittags an, und die Gießener Bürger, welche mich noch recht gut kannten, blieben auf der Straße stehen und sagten zueinander: »Da ist ja Laukhard!« oder: »Wißt ihr was Neues? Der Laukhard ist hier!« Und so war binnen einer Stunde die Nachricht von Laukhards Ankunft durch die ganze Stadt. Als ich zu Magnus in den »Stern« kam, hatte dieser schon längst gewußt, daß ich da war. – Auf dem Billard versammelten sich die Bursche um mich, und da mußte ich denn erzählen, was ich so wußte. Die waren von meinen Schicksalen unterrichtet, weil einige Hallenser dorthin gekommen waren und von mir erzählt hatten. Von meinen alten Bekannten besuchte ich bloß wenige; die Studenten blockierten mich so, daß ich die vier Tage, die ich in Gießen war, beinahe immer in ihrer Gesellschaft sein mußte.


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