Joseph von Lauff
Die Brinkschulte
Joseph von Lauff

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Neuntes Kapitel

Und er kam von der Wegescheide her, barhaupt, mit eisgrauen Haaren, die seidene Schirmmütze in der einen Hand und den geschälten Weißdorn in der anderen führend – und blieb stehn, dort, wo ein breiter Fahr- und Heckenweg zum Hof führte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine Augen revierten das Land seiner Kindheit ab, so wie wilde Stoßvögel dicht über die Erde gleiten, um nach Beute zu spähen. Hierauf bückte er sich, und wie am ersten Tage griff er in den mulmigen Boden, entnahm ihm eine Handvoll Humus und ließ die Partikelchen durch die geöffneten Finger rieseln.

Mit gespannter Aufmerksamkeit folgte er den rinnenden Körnern.

Ein wahrer Heißhunger nach Besitz durchwühlte seine Eingeweide. Dieser Hunger hatte sich im Laufe der Tage nicht abgeschwächt; im Gegenteil, er war stärker geworden und quälte den zermürbten Körper wie eine fressende Krankheit.

Heute sprach er nicht vergebens vor.

Er hatte in Soest gewartet und die Züge beobachtet, die langsam in die Halle einfuhren. Aber erst mit dem fünf Uhr Schnellzug kam die Ersehnte.

Da stahl er sich auf die Seite und folgte dem Wagen, der alsbald seinen Blicken entschwand und im Flimmern der Landschaft untertauchte.

Josepha Brinkschulte war wiedergekommen.

Er aber stand einsam und allein auf der immensen Ebene und betrieb das amüsante Spiel mit dem fruchtbaren Boden. Seine Gier nach Erwerb und Besitz steigerte sich ins Ungemessene, vornehmlich jetzt, wo die Sonne tiefer sank und ihr rotes Feuer mit leckenden Züngelchen über die Spitzen der Halme und Rispen dahinglitt. Jede einzelne Ähre leuchtete auf und verhieß dreißigfältige Ernte.

Hierauf begann er, die ungeheuren Weizen-, Roggen- und Haferschläge zu zählen. Das da drüben war Gerste. Er unterschied die einzelnen Bestände nach den Färbungen. Schachbrettförmig lagen sie vor ihm. Jedes Fleckchen Erde, jedes Ackerstück interessierte ihn. Er schätzte sie auf ihren Ertrag ab. Schwindelnde Summen stiegen vor ihm auf. Wenigstens die Hälfte davon mußte er als sein Eigentum ansprechen. Nicht nach dem Anerbenrecht, aber von Rechts wegen. Am liebsten hätte er alles für sich allein gefordert. Seine aufrührerischen, weltbeglückenden Ideen änderten daran nichts. Er lag vor ihnen nur so lange auf dem Bauch, als er ein Habenichts war. Sein Evangelium von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit ging in Rauch und Dampf auf, je nachdem es die Zeitläufte erheischten und die Karten zu seinen Gunsten fallen würden. Das wußte er. Bis dahin gab er sich mit den Glaubensartikeln von Marx und Konsorten zufrieden. Er hatte Gewalt über sich und konnte sie aufpäppeln oder ihnen wie Enten den Hals umdrehen – je nach Wunsch und Belieben.

Er grapste eine Ähre ab und kaute sie zwischen den Zähnen, die blank und starkknochig hinter den schmalen Lippen arbeiteten.

Es mochte auf sieben gehen, als der Alte den Weißdorn fester umgriff und sich wieder gegen den Brinkschultenhof in Bewegung setzte.

Der heiße Dunst des Tages hatte sich tiefer gelagert. In der bewegungslosen Ruhe der Luft wurden die Geräusche des werdenden Abends lebendig. Das Zirpen der Grillen gab sich lebhafter; die Heupferdchen setzten mit lauterem Geigen ein. Ab und zu ließ sich eine ferne Stimme vernehmen.

Inzwischen hatten die auf dem Brinkschultenhof Feierabend gemacht. Die letzte Fuhre der Heuernte war pünktlich eingebracht worden. Nach gemeinsamer Mahlzeit verloren sich Knechte und Mägde im Schatten der Bäume, erzählten sich allerlei Geschichten oder lauschten den Klängen einer Ziehharmonika, die der fünfundsiebenzigjährige Schäfer Matthias Brügelmann zum besten gab, ein Mann mit einer straffen und weißlichen Bartfräse und einem Gesicht, das an die Physiognomie eines gutmütigen Rambouilletbockes erinnerte. Schon fünfzig Jahre hindurch war er auf dem Hofe seßhaft gewesen, war allermanns Freund und hatte schon lange fünfzig Jahre hindurch dazu beigetragen, die Winternächte zu verkürzen und die Sommerabende erfreulich zu machen. Eben spielte er:

»In des Gartens dunkler Laube
Saßen heute Hand in Hand
Ritter Ewald neben Minna,
Von der Liebe festgebannt,«

ein Lied, das zu seinem eisernen Bestand gehörte und nie seine Wirkung verfehlte. Alle sahen sich denn auch mit einer gewissen Rührseligkeit an und dachten bewegt darüber nach, ob ihnen nicht vielleicht Ähnliches im Leben passiert sei. Einzelne Mädchen schluchzten, die Knechte sahen stur vor sich hin, besonders bei der Stelle, wo der Alte tränenreich und mit fadenscheiniger Stimme einfiel:

»Doch was sieht er statt der Minna?
Ach, ein Kreuzlein, schwarz und leer,
Und in Marmor steht geschrieben:
Deine Minna lebt nicht mehr.«

Auch Juffer Eli hörte es und dachte über den tiefen Sinn des Liedes ernstlich nach, hatte auch allen Grund dazu, denn so richtig bei Licht betrachtet, war ihr ganzes Leben nur ein unabsehbares Feld von geknickten Lilien, Scherben und Hoffnungen, die nicht auf die Beine gebracht werden konnten. Mit einem nassen und einem traurigen Auge packte sie denn auch ihre Siebensachen zusammen, um den Heimweg anzutreten. Für heute war sie mit ihrer Arbeit fertig geworden. Von sanften Harmonikaklängen begleitet, zog sie in den Abend hinein, ein geheimnisvoller Schatten, der sich lautlos weiterbewegte. Den Weg durch die Kleeäcker, obgleich er der nächste und bequemste war, vermied sie mit Absicht, und zwar der vielen Hasen wegen, die hier übermütig trommelten, Purzelbäume schlugen und sich noch ihres Daseins erfreuten. Sie wollte keine unliebsamen Erinnerungen auffrischen, nicht an die Stunde gemahnt werden, die mit unbarmherzigen Schroten ihren schönsten Traum zusammengeknallt und Jans Sandhage zu einem Märtyrer gemacht hatte. Also nicht über die Kleeäcker! und daher, so ungemütlich es ihr auch ankommen mochte, wählte sie den Umweg über das Düstermoor, wo um diese Zeit die Unken ihre schwermütigen Rufe vernehmen ließen und die ›weißen Schwestern‹ spazieren gingen.

Die tiefe Sonne trippelte bereits mit blutroten Füßchen auf Lachen und Binsentümpeln herum, als Juffer Eli glücklich das Düstermoor mit seinen unheimlichen Stimmen, seinen Erlenstrünken und seinen verwunschenen Wiesen hinter sich hatte und mit frischeren Schritten auf Sönnern zuging. Gerne hätte sie vorher noch mit Dörte gesprochen, hätte für ihr Leben gerne noch Einzelheiten über das Trauerspiel in Dortmund erfahren, denn Hand aufs Herz: ihr Fall und der Dörtes lagen ähnlich, waren beide plötzlich und wie aus heiterem Himmel gekommen, nur mit dem Unterschied, daß Jans minderwertigen Schroten, der Zechendores jedoch regulären preußischen Geschossen zum Opfer gefallen war. Dennoch lagen gemeinsame Interessen vor, und sie hätten sich wechselseitig Trost zusprechen können. Allein Dörte blieb unsichtbar. Die Herrin hielt sie zurück, und da hatte Eli keine andere Wahl, als ohne Trost nach Hause zu gehen. Still und gefaßt, eine Braut in Trauer, schritt sie daher durch die abendlichen Felder. Aber die liebe Sonne hatte ein Einsehn. Köstliche, purpurfarbige Rosen streute sie ihr auf den Weg, wie Rosen der Freude, die gewissermaßen auf eine bessere Zukunft hinweisen sollten. Und Juffer Eli pilgerte in diesen Rosenzauber hinein. Sie nahm ihn kindlichen Sinnes hin, ihn und die zarten, wundersamen Abendstimmen, die um sie waren.

Einzelne Rosen fielen auch über die Dächer des Brinkschultenhofes und legten sich über die Fliesen der geräumigen Küche, die jetzt einsam und leer war. Alles, was Atem und Leben hatte, war draußen. Nur Ignaz saß am offenen Fenster, genau dort, wo kurz zuvor noch Juffer Eli gesessen und genäht hatte, rauchte sein Pfeifchen Tabak und lauschte den Harmonikaklängen, die der laue Wind herüberwehte.

Auf dem Herd glummsten noch etliche Flämmchen. Mit bläulichen Zipfelmützen liefen sie ab und zu, auf und nieder. Der darüberhängende Wasserkessel näselte mit feinen Lauten dazwischen. Es war so, als drehte eine schnurrende Miezekatze ihre Tageserlebnisse, ihre Leiden und Freuden aus der Nasenspitze heraus, so sehnsüchtig tönte es näher, so verlangend und glücklich und doch wieder mit einer tiefgründigen, aber abgeklärten Wehmut durchzittert.

Ignaz Greving machte Feierabend. Er freute sich seines Tagwerkes. Nichts störte ihn in seinen Betrachtungen, auch die Schritte des Spökenkiekers nicht, die monoton über ihm waren, seit einer Viertelstunde auf- und niedergingen und an Stärke zunahmen.

Ignaz Greving hatte eben seinen inneren Frieden und seinen äußeren Frieden, und er bemerkte es nicht, daß einer in diesen Frieden einbrechen wollte. Und dieser eine kam von der Wegescheide her, barhaupt und mit eisgrauen Haaren.

Die Felder lagen hinter ihm. Er sah noch einmal zurück und sah, wie eine sanfte Brise das unermeßliche Korn gegen den Horizont anwellte – unaufhaltsam, majestätisch und von hundert und aber hundert züngelnden Sternchen begleitet. Dann trat er durch den Torweg und ging über den Hof fort.

Er mußte dicht an den Leuten vorbei, die sich der Abendkühle freuten.

Noch immer spielte der Alte auf seiner Harmonika. Eben stimmte er eine neue Melodie an, die ein junger Knecht aus dem Münsterschen mitgebracht hatte, und alle sangen dazu:

»Warum weinst du, schöne Gärtnersfrau?
Weinst du um das Veilchen dunkelblau,
Oder um die Rose, die man bricht?
Nein, ach nein, um diese wein' ich nicht.«

Da hörte plötzlich Matthias Brügelmann mit Spielen inne. Der hochgewachsene Mann mit dem langen, faltigen Gesicht reckte sich starr in die Höhe und sah verstört auf den Eindringling, der auch seinerseits den Fuß anhielt und den geschälten Weißdorn vor sich hinpflanzte.

»Herr Jesus Christus!« sagte Brügelmann, »so wahr mir Gott helfe, das ist ja . . .«

Seine Augen leuchteten dabei phosphorisch auf, sowie die der Schafe in der Nacht aufleuchten, wenn sie im Pferch sind und über die Latten fortgeistern.

Dann aber kam es aus seiner Brust heraus, wie herausgestoßen, als wäre einer mit der Peitsche dahinter: »Feuer, Feuer! – die Scheune . . .« um jählings abzubrechen.

Die Harmonika entfiel seinen Händen. Sprachlos stierte er auf den einsamen Menschen.

Die anderen verstanden ihn nicht. Sie waren noch nicht lange genug auf dem Hof, um das Verhalten des Schäfers begreifen zu können. Dieser aber hatte mit angesehn, wie das Entsetzen alle Gesichter in den Nacken drehte, damals, vor Jahren, als die brennenden Garben sich durch die Sparren fraßen und dann wie feurige Fledermäuse gen Himmel flatterten. Dieser Augenblick schob sich ihm wieder vor die Seele.

Der Angekommene blieb ruhig.

»Was schreist du?« fragte er höhnisch, und ein häßliches Lächeln zog seinen Mund auseinander. »Man keine Bange. So'n Feuer hat keinen ewigen Brand im Leibe. Brügelmann, du bist doch ein Lappes.«

Gemächlich ging er dem Herrenhaus zu, ohne sich weiter um den Versteinerten zu kümmern, der zuerst keine Worte mehr hatte, dann aber, von allen zugesetzt, etwas hervorstammelte, aus dem die meisten so recht nicht klug werden konnten.

Soviel aber stand fest: für heute abend hatte die Harmonika ihre Stimme verloren und bekam sie erst wieder, als der Erntekranz mit den ersten Roggengarben eingebracht wurde.

Alle sahen dem Alten beklommen nach.

Fest setzte er den Stock auf, und seine messerscharfen Blicke untersuchten jede Ecke des weiten Hofes. Nichts war ihm unbekannt. Alles trat ihm noch wie früher entgegen. Nur die Scheune mit den roten Ziegeln war neu. Daneben lag der Ziehbrunnen. Tief unten blenkerte es auf. Es schien so, als wäre ein Zyklopenauge in den Brunnen gefallen, kreisrund und noch immer lebendig. Er beugte sich über den gemauerten Rand und sah hinein, gerade so, wie er es als Junge getan hatte.

Aus der Tiefe sah ihm ein verzerrtes, schadenfrohes Gesicht entgegen.

Es war sein Gesicht.

Mit diesem Gesicht ging er über die Dielenschwelle. Die Dämmerung einer Kirche empfing ihn.

Er hörte den gleichmäßigen Pendelschlag der alten Kastenuhr. So war sie schon in seinen Kindertagen gegangen, bedächtig und langsam – immer dasselbe, immer dasselbe.

Er blieb stehn und horchte, mit eingezogenen Schultern, aber dürr und gerade wie eine Kardendistel. Der Pendelschlag brachte ihm die alte Zeit näher. Er erinnerte sich wieder, und mit dieser Erinnerung wuchs das Ungerechte, was man ihm angetan hatte, ins Ungeheuerliche. Er, der Enterbte, stand hier auf dem Grund und Boden seiner Väter, also auch auf seiner eigenen Scholle, nur: andermanns Pflugschar brach sie und andermanns Sense heimste die Frucht ein.

Ein langsam hervorgeholter Fluch bröckelte von seinen trockenen Lippen.

Er hatte hier reine Bahn zu schaffen.

Und Jaspers ging weiter – Schritt für Schritt – ein Eindringling – einer, der die mörderische Hand auf fremdes Eigentum legen wollte, um es für den jetzigen Besitzer absterben zu lassen . . . Und er ging die Pfosten entlang, die Ställe entlang – und als er entlang ging, da wurde das Vieh unruhig und schreckte zusammen. Die Pferde schnaubten und drängten gegen die Latierbäume. Der gekörte Stier stampfte die Streu. Mit angeschwollenem Halse und gefältelter Haut brüllte er auf, daß der Boden davon erzitterte.

Alle mußten es hören.

Auch Ignaz.

Da mußte etwas passiert sein, oder die Stallknechte hatten nicht die Raufen bestellt.

Ignaz Greving erhob sich.

Wieder brüllte der Stier.

Die Scheiben klirrten, und die Grundpfosten des Hauses gerieten ins Wanken.

Da dachte Ignaz an den Spökenkieker.

Er erinnerte sich seiner Worte.

Da sollte ja einer auf den Hof kommen.

Vielleicht war es das, warum die Tiere unruhig wurden.

Dem mußte Einhalt getan werden.

Mit großen Schritten verließ er das Fenster.

Aber da stand er schon zwischen Küche und Diele – der Fremde, der Mann mit dem Vogelkopf, der ungebetene Gast und trug das Grauen bis an die heilige Feuerstelle des Brinkschultenhofes. Aber nicht lange stand er so.

Ohne weiteres setzte er sich an den zunächst stehenden Tisch, stützte die Ellenbogen auf und legte die Hände übereinander.

»Ist die Brinkschulte zu Haus?« fragte er kurz abgebrochen.

»Was soll's mit ihr?« gab Ignaz ebenso kurz zurück, nicht ohne dabei sich überrumpelt zu fühlen.

»Ich habe nach der Madam gefragt. Das Weitere findet sich.«

Die Worte drangen verächtlich aus dem zusammengekniffenen Munde.

»Ja, sie ist wiedergekommen,« sagte Ignaz.

»Dann muß ich sie sprechen.«

Dem gutmütigen Riesen kam das Besinnen zurück. Unwillkürlich beschäftigte er sich damit, seine Hemdärmel in die Höhe zu rollen.

Er trat näher.

»Wer seid Ihr eigentlich,« kam es schwerfällig von seinen Lippen, »daß Ihr hier so 'reingestolpert kommt? Hier hat nur eine zu befehlen, und die ist jetzt nicht zu haben. Im übrigen – ich kenne Euch nicht.«

»Geb's zurück,« sagte der Alte. »Zu meiner Zeit kannte ich alle, von der Milchmamsell bis zum Schweinemarkör herunter. Das ist jetzt anders geworden. Ganz anders. Alte Zähne wurden ausgerissen, neue eingesetzt. Ihr seid auch wohl so'n frischer?«

»Natürlich.«

»Der Großknecht?«

»Zu dienen, seit vergangene Lichtmeß, und habe hier toujours nach dem Rechten zu kucken.«

»Na, denn bitte, holt die Madam her.«

Mit dem Stock, den er auf den Tisch knallte, gab er seinen Worten den gehörigen Nachdruck.

»Man sachte, man sachte!«

Der langsame Mensch patzte auf und legte in aller Gemächlichkeit, aber auch mit aller Bestimmtheit die Arme so kräftig ineinander, daß sie sich in ihrer ganzen Wucht präsentierten.

»Im übrigen,« setzte er nachdenklich hinzu, »sucht Euch einen andern. Ich habe keine Vollmacht.«

Der Alte erhob sich, faßte den Weißdorn und trat einige Schritte näher.

»Oder keine Kurasch,« grielachte er in sich hinein. »Mensch, gehört Ihr auch zu dem verprügelten Pack, das immerzu katzebuckelt, wenn irgend einer, so ein vom Gesetz Salvierter, Euch in den Nacken tritt? Seid ein Mannskerl und verschluckt 'nen Ladestock, dann wird Euer Kreuz nicht krumm. Hättet bei denen in Dortmund in die Lehre gehn sollen.«

»Bei denen in Dortmund?«

»Aber natürlich.«

»Bei denen? – die sind ja gepurzelt wie die armseligen Karnickel am Sandloch.«

»Sollten sie auch.«

»Dann sage ich Euch, die habt Ihr und ähnliche Räsoneurs auf dem Kerbholz.«

»Haben wir,« lachte der Alte, »und wollen wir haben, denn es ist Guano und Mist für unsern Zukunftsacker. Was den einzelnen Karnickeln begegnet, dran profitiert die Masse. Wer mit der Laterne vorgeht, der stolpert eher, als wer hinter ihr herzieht. Das mußte so kommen, aber die letzten besorgen erst die richtige Arbeit, und dann heißt das: Der Geldsack muß platzen und aufgeteilt werden. Das geht so seinen gewöhnlichen Gang. Immer allmählich, immer man so sachte weg: zuerst in der Stadt und dann bei den dämlichen Bauern. Es pressiert nicht, aber kommen tut's, wie die Nägel in den Weihwasserkessel, denn ich glaube an eine Auferstehung der Roten, Nachlaß der Schulden, Verteilung der Säcke und eine Gemeinschaft der Weiber.«

Der Alte reckte den Kopf aus den Schultern, den Marabukopf mit dem Raubvogelgesicht.

»Na, Großknecht, wie gefällt Euch mein Kredo?«

»Jesses!« sagte dieser, »wie soll's mir gefallen?«

Alle Gutmütigkeit war von ihm gewichen.

Der Alte sah es und schlug einen weicheren Ton an.

»Großknecht,« meinte er so nebenher, »Ihr könntet doch ebenso gut ein selbständiger Bauer sein wie die übrigen Schulten?«

Ignaz nickte stumm vor sich hin.

»Und Euren eigenen Acker bemisten?«

»Könnte ich schon.«

»Und Eure Frucht einfahren: Hafer und Gerste und alles, was Euer ist, und den Grummet dazu?«

»Könnte ich schon, wenn ich die Monetens dazu hätte.«

»Das ist es ja, was ich eben schon sagte: die Sache müßte aufgeteilt werden. Ist ein Mensch nicht soviel wert wie der andere? Warum liegt hier alles doppelt und dreifach, bis unter die Sparren hinauf, und nur ein Fraumensch ist da?! Ich verlange mein Recht, und Ihr verlangt Euer Recht – und das mit den Weibern, das müßte zuerst an die Reihe.«

»Wieso das?«

»Großknecht,« und der Alte zwinkerte ihm zu, »warum sollt Ihr zum Beispiel im neuen Staat die Brinkschulte nicht freien? He, Großknecht, warum nicht?!«

Ignaz riß die Augen auf und ließ die Muskeln auf seinen untergeschlagenen Armen spielen.

»Jawoll,« knurrte er vor sich hin, wie ein Hund, den man aus seiner Ruhe aufstöbert, »das könnte ich schon, aber das täte ich nicht. Ich bin toujours immer derselbe. Herrin und Knecht, das sind konträrige Dinge, und wer dran 'rumstochert, der ist meistens ein Ferkel an der Seele.«

»Gott's den Donner! – was möchtet Ihr denn, und wie denkt Ihr über die Sache?«

»Was ich darüber dächte und möchte . . .?!«

Ignaz Greving bäumte sich auf wie ein Pferd unter der Peitsche.

»Mensch!« legte er los, »in die Haselbüsche, das möcht' ich, und einen Zölligen schneiden, das möcht' ich auch, und dann« – er spuckte in die rechte Hand und zog mit ihr einen pfeifenden Hieb – »gute Armlänge ab, um dem leigen Kerl mit dem infamen Kredo die Schwarte zu verhauen. Das ist mein Katechismus. Gebt's weiter und schert Euch in Dreiteufels Namen 'runter vom Hof. Wir sind christkatholisch und reichstreu.«

Seine Stimme begehrte auf, und die Scheiben klirrten davon.

»Was?!« zeterte der Alte und streckte die Hand in die Höhe. Die einzelnen Finger krampften sich ein. »Sieh, was ich für tote Finger habe! – Mit dir ist kein reden. Ich will die Brinkschulte sprechen.«

Ignaz hätte den geifernden Alten niederschlagen können, ihn zerbrechen können wie Glas, so erbärmlich sah der greise Eiferer gegen seine Urkraft aus, aber er getraute sich nicht. Wie eine Lähmung packte es ihn, und er fand nur eben Kraft genug, seine Hand zu heben und auf den Ausgang zu deuten.

»Nee!« wieherte ihn der Eindringling an und ließ den Weißdorn auf den Tisch fallen, »ich bleibe. Was ich unter den Füßen habe, mit dem bin ich in eins zusammengewachsen, ewig und unveränderlich. Das Weib will ich sehn. Ich habe mit der Brinkschulte zu sprechen – und du, Troddelmensch, gehe hin und sage ihr: Ohm Jakob Brinkschulte, der alte Jaspers, sei wiedergekommen. Das macht sie mobil. Her muß sie, denn – Gott's den Donner noch mal! – die Vergangenheit läßt sich nicht weglügen und fortdisputieren.«

Da ging die Tür auf, die zur Kammer der Herrin führte.

Hochaufgerichtet stand Josepha Brinkschulte auf der Schwelle.

Auge bohrte sich in Auge. Da sah sie: da steht einer, der will sich an dich fressen, wie der Hausschwamm das kernige Holz angeht. Hier frommt kein Händeschütteln, hier helfen keine Familienbande, hier sind alle Worte vergebens, die darauf ausgehen, eine erträgliche Stunde zu schaffen.

Hart auf hart mußte es kommen. Kein Mitleid, kein Erbarmen. Der Boden wankte unter ihren Füßen. Der Hausschwamm fraß sich langsam an sie heran. Niemand entrinnt seinem Schicksal, und da stand es jetzt zwischen ihr und jenem da und hielt das Messer zwischen den Zähnen.

Aber sie faßte sich.

In dem regungslosen Antlitz entstand eine Bewegung, ein verächtliches Lächeln.

»Ignaz,« sagte sie eisig, »laßt uns allein; ich habe mit diesem Manne zu sprechen.«

Da schloß Ignaz die Fenster und zog die Tür, die zur Diele führte, lautlos hinter sich zu.

 


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