Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wer festhält des
Lebens Völligkeit,
der gleicht einem neugeborenen Kindlein:
Giftige Schlangen stechen es nicht.
Reißende Tiere packen es nicht.
Raubvögel stoßen nicht nach ihm.
Seine Knochen sind schwach, seine Sehnen weich,
und doch kann es fest zugreifen.
Es weiß noch nichts von Mann und Weib,
und doch regt sich sein Blut,
weil es des Samens Fülle hat.
Es kann den ganzen Tag schreien,
und doch wird seine Stimme nicht heiser,
weil es des Friedens Fülle hat.
Den Frieden erkennen heißt ewig sein.
Die Ewigkeit erkennen heißt klar sein.
Das Leben mehren nennt man Glück.
Für sein Begehren seine Kraft einsetzen nennt man stark.
Sind die Dinge stark geworden, altern sie.
Denn das ist Wider-
Sinn.
Und Wider-
Sinn ist nahe dem Ende.
Zur Erklärung der Besiegung aller Gefahren vgl. Abschnitt 50. Eine Parallele findet sich übrigens in den Verheißungen der apokryphen Stelle Marc. 16, 17f. Den Ausdruck: »Es weiß noch nichts von Mann und Weib, und doch regt sich sein Blut usw.« gibt Strauß wörtlich genau auf griechisch wieder: οϋπω γιγνωσχει τήν τών γυναιχών άνδρών τε σύμιξιν. χαίτο τό αίδοίον στύετά – σπέρματος περισσεία.
»Weil es des Friedens Fülle hat« ist soviel wie innere Harmonie.
Zum Schluß ist wieder interessant die unmerkliche Antithese: »Den Frieden erkennen heißt ewig sein. Die Ewigkeit erkennen heißt klar sein« zu den nachfolgenden Zeilen: »Das Leben mehren nennt man Glück (vgl. dazu Abschnitt 50). Für sein Begehren seine Kraft einsetzen (wir würden sagen: Nervenkraft) nennt man stark«, eine Antithese, die durch die abschließende Verurteilung eine grelle Beleuchtung bekommt.
Die Schlußzeilen passen hier besser in den Zusammenhang als in Abschnitt 30.