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Frida Braun arbeitete in dem Bureau eines Anwalts. Da sie nicht nur »perfekt stenographierte« und »firm in allen Bureauarbeiten« war, sondern auch die französische und englische Sprache in Wort und Schrift beherrschte, so bezog sie ein Monatsgehalt von hundertsiebzig Mark. Davon gab sie hundertzwanzig Mark dem Vater, dem Oberpedell eines Berliner Gymnasiums, bei dem sie wohnte. Den Rest verwandte sie für sich. Sie bestritt davon die kleinen Ausgaben des täglichen Lebens und ihre Kleidung, auf die sie besondere Sorgfalt verwandte.
Als Peter Freiherr von Langen, der als Referendar bei dem Anwalt arbeitete, ihr in der üblichen klausulierten Form, die zu nichts verpflichtet, die Ehe versprach, war sie eben siebzehn geworden.
Und als Peter Freiherr von Langen dann ein paar Jahre später als Regierungsreferendar nach Südwest ging, wiederholte er, diesmal beinahe formell, sein Versprechen, so daß Frida in dem guten Glauben zurückblieb, seine Braut zu sein.
Bis sie eines Tages folgenden Brief erhielt:
An Fräulein Frida Braun.
Nachdem nun Ihre Beziehungen zu meinem Schwager, dem Regierungsreferendar Dr. jur. Freiherrn von Langen, durch dessen Übersiedelung nach Südwest ein natürliches Ende gefunden haben, will die Familie ein übriges tun und sich mit Ihnen auseinandersetzen. Wir ersuchen Sie, sich zu diesem Zwecke am Sonntag vormittag 10 Uhr im Bureau des Justizrats Willi von Horst, Joachimsthalerstraße 24, einzufinden.
Hochachtungsvoll
K. von Zobel.
Frida erwiderte:
Herrn Rittergutsbesitzer K. von Zobel.
Da Baron Langens Versetzung nach Südwest außer der räumlich bedingten keinerlei Veränderung in unsere Beziehungen gebracht hat, so bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit seiner Familie. Sie entschuldigen also, wenn ich Sonntag nicht erscheine.
Hochachtungsvoll
Frida Braun.
von Zobels Antwort lautete:
Wertes Fräulein!
Es handelt sich um keine Hinrichtung. Was wir Ihnen zu sagen haben, ist in fünf Minuten geschehen. Wir handeln dabei nur im Auftrage der Frau Baronin von Langen, die – wie Sie vielleicht wissen – ihren Sohn, den Regierungsreferendar von Langen, bis Cherbourg begleitet hat. Ihr Interesse für Nachrichten über den Baron dürfte wohl groß genug sein, um ein Viertelstündchen eines Sonntagvormittags zu opfern.
Hochachtungsvoll
K. von Zobel.
Sehr geehrter Herr!
Wenngleich ich keinen Zusammenhang zwischen Ihren beiden Briefen finde und geneigt bin, dem ersten mehr Glauben zu schenken als dem zweiten – so komme ich doch!
Nicht, weil ich den Vorwurf fürchte, daß ich mich scheue; sondern weil ich ahne, was Sie mir sagen werden, und weiß, was ich Ihnen zu antworten habe.
Hochachtungsvoll
Frida Braun.
Punkt zehn Uhr stand Frida Braun vor der Tür des Justizrats von Horst in der Joachimsthalerstraße. Sie zog kräftig an der Klingel, ein Diener öffnete, sie hörte deutlich Männer laut durcheinander lachen, fühlte, daß der Diener sie mit mehr Interesse musterte, als sich schickte.
Als sie ihren Namen nennen wollte, unterbrach er sie: »Ich weiß schon!« sagte er, klopfte an eine Glastür, hinter der noch immer laut gelacht wurde, und öffnete sie, noch ehe jemand »herein« rief.
Frida sah vier Herren. Als wenn jemand auf einen elektrischen Knopf drückte, ging ein Ruck durch ihre Körper, das Lachen brach jäh ab; man empfand förmlich den Knacks, mit dem sie zusammenrückten, steif wurden, ernste Mienen aufsetzten und Frida, die eben eintrat, entgegensahen.
Sie saßen in einem Halbkreis auf schweren, tiefen Sesseln von dunkelrotem Leder, von denen an sich schon eine gewisse Behaglichkeit ausging, und wirkten so in ihrer korrekten Gespreiztheit, die etwas Gemachtes hatte und durchaus unnatürlich war, beinahe grotesk. Frida wenigstens hatte sofort die Empfindung und fühlte sich dadurch wenn möglich noch sicherer. Sie nickte leicht mit dem Kopf, und sie erwiderten ihren Gruß – sehr knapp, aber doch so, daß man es merkte.
Gegenüber dem Halbkreis, den die Sessel mit den vier Herren bildeten, stand ein einsamer Stuhl mit magerem Strohgeflecht und unnatürlich schlanken Beinen. Oder er wirkte doch so neben diesen schweren Sesseln. Das erste, was man empfand, war Mitleid. Wie ein verhungertes Bettelkind neben satten Protzenkindern nahm er sich aus! Zwei dieser Sessel brauchten jetzt nur ein wenig zusammenzurücken, und der magere Stuhl war nicht mehr.
Diese Gedanken beschäftigten Frida eben, als einer der Herren mit einer kurzen Bewegung des Kopfes auf diesen einsamen Stuhl wies und ihr sagte:
»Bitte, nehmen Sie Platz!«
Sie wußte nicht recht, war es Mitleid mit dem Stuhl, dessen trauriger Eindruck sie so rührte, daß sie erwiderte:
»Danke, ich stehe lieber!«
»Aber es wird lange dauern,« sagte er. Und während er dies sagte, nickten sich zwei der Herren, die erheblich jünger als die beiden anderen schienen, zu; spitzten vergnügt den Mund, grienten über das ganze Gesicht und verständigten sich durch Blicke, daß sie sie ganz passabel fänden.
Frida aber erwiderte: »Fünf Minuten halt ich's schon aus,« und zog, da sie diese Antwort scheinbar seltsam fanden, den Brief aus der Tasche, mit dem man sie hierher gelockt hatte, und las: »Wertes Fräulein, es handelt sich um keine Hinrichtung. Was wir Ihnen zu sagen haben, ist in fünf Minuten geschehen.«
Der Ausdruck ihrer Gesichter wurde nicht klüger.
Frida aber sagte ganz munter:
»So schreibt mir wenigstens ein Herr Justizrat v. Horst.« Dann sah sie sie der Reihe nach an. »Ich habe zwar nicht das Vergnügen, die Herren zu kennen,« – jetzt war's ihr, als wenn sie unter dieser Ohrfeige die Köpfe etwas zur Seite bogen, – »aber möglich ist's ja immerhin, daß einer von Ihnen dieser Herr Justizrat von Horst ist.«
Sie bewegten sich jetzt alle in ihren Sesseln und beugten den Oberkörper etwas nach vorn. Einer von den beiden Jüngeren schob sogar die Arme zurück, drückte die Hände auf die Sessellehnen und machte Anstalten, sich zu erheben.
»Lassen Sie nur,« wehrte Frida mit beiden Armen. »Mir ist ganz gleich, wie Sie heißen. Mir genügt's, zu wissen, daß Sie« – und sie hielt ihnen den Brief hin – » die hier sind …«
Aber sie merkten nun doch, daß ihre Überlegenheit ihnen nicht das Recht gab, sich über alle Formen hinwegzusetzen. Sie nannten also der Reihe nach ihre Namen. Der Herr ihr gegenüber war Peters Onkel, Justizrat von Horst, sein Nachbar Peters Schwager von Zobel; der andere alte Herr, der sogar aufstand und eine Verbeugung machte, Medizinalrat von Horst, und der jüngste, der etwas Unverständliches vor sich hin brabbelte und dabei die Augen schloß, ohne daß sein Monokel herausfiel, war Peters Vetter, der Landrat von Scholl.
Ein starkes Aufgebot gegenüber einer wehrlosen Frau, dachte Frida. Trotzdem fühlte sie sich keinen Augenblick unbehaglich. Sie hatte ein so sicheres Gefühl, als wenn Peter neben ihr stände. Ihr war durchaus nicht feierlich zu Mute. Das Ganze wirkte – sie wurde das Gefühl nicht los – einfach grotesk. Sie begriff nicht, daß diese fremden Menschen, die von ihr genau so wenig wußten, wie sie von ihnen, berechtigt und befähigt sein sollten, über das, was sie mit Peter zusammenhielt, zu Gericht zu sitzen.
Als sie sich vorgestellt hatten, sagte Frida:
»Nun steht auch nichts mehr im Wege, daß ich mich setze.«
Dann ließ sie sich vorsichtig auf den schmalen Stuhl nieder. Sie hatte das Gefühl, als müßten jene sich schämen, daß sie auf Sesseln lagen.
Landrat von Scholl wandte sich an den Justizrat, fuchtelte nervös mit den Händen und sagte:
»Nu man los!«
Und der Justizrat, dem das alles ziemlich peinlich schien, setzte sich gerade und begann:
»Sie wissen, daß mein Neffe, der Referendar …«
»Regierungsreferendar,« berichtigte der Landrat.
Der Justizrat, der froh war, daß er einen Anfang hatte, war ärgerlich und sagte:
»Na ja – das spielt doch in diesem Falle keine Rolle – «
»Das spielt in jedem Falle eine Rolle,« verbesserte der Landrat.
»Da möchte ich doch wirklich wissen, wieso,« holperte der Justizrat ärgerlich und erhielt zur Antwort:
»Das will ich dir sagen: – weil die Rücksichten, die ein Regierungsreferendar zu nehmen hat, der eines Tages möglicherweise mal königlich preußischer Landrat wird, natürlich ganz andere sind, als die eines x-beliebigen Referendars, der es im besten Falle zum Landgerichtsdirektor oder Präsidenten bringt.«
Der Justizrat, der während dieser Belehrung immer unruhiger geworden war, wandte sich jetzt erregt zu seinem Neffen und sagte:
»Mein lieber Anton! Du scheinst die Situation zu verkennen. Ich habe deiner Schwiegermutter – –«
»Die deine Schwester ist – « unterbrach ihn der Landrat.
»Allerdings!« stimmte der bei, »sonst hätte ich den Auftrag, der mit meinem Amte als Anwalt und Notar nicht das mindeste zu tun hat, auch sicher abgelehnt –«
»Nu also!« näselte von Scholl, zog mit großer Nachlässigkeit erst sein goldenes Zigarettenetui, dann sein goldenes Gehänge aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Frida dachte, daß Peter an seiner Stelle sich bestimmt erst an sie gewandt und gefragt hätte: »Sie gestatten doch?« – Und sie war sich klar, daß dieser Landrat keine Manieren hatte.
Der Medizinalrat versuchte zu vermitteln:
»Aber das hat doch wirklich nichts mit den …« begann er. Doch sein Bruder, der Justizrat wandte sich im selben Augenblick an Frida und sagte:
»Fräulein, Sie wissen, weshalb wir Sie hierher gebeten haben.«
Und die erwiderte:
»Ja.«
»Der Fall liegt ja so einfach wie nur möglich. Und es ist ja schließlich auch in Ihrem Interesse, ihn nicht unnötig zu komplizieren.«
»Gewiß nicht!«
»Eben! – Sie wissen, daß mein Neffe in Afrika ist.« –
»Nun, dann werden Sie auch zugeben, daß das Wesen eines Verhältnisses« – er zog dies Wort endlos in die Breite, so daß es etwas Gemeines bekam – »zunächst mal zur Voraussetzung hat, daß die beiden beteiligten Teile in erreichbarer Nähe zueinander sind.«
Das war eine Begriffserklärung, die Frida an die juristischen Seminararbeiten erinnerte, die sie für Peter abgeschrieben hatte; und da sie sie einwandsfrei fand, so sagte sie:
»Ja!«
»Nun also,« fuhr der Justizrat fort, und der Ausdruck seines Gesichts zeigte, daß er mit dem, was er sagte, zufrieden war, – »dann werden Sie auch zugeben, daß, wenn ein Teil des Verhältnisses in Berlin, der andere in Südwest lebt, von einer erreichbaren Nähe keine Rede sein kann.«
»Sehr gut!« brummte Baron von Zobel, und Frida, die kaum noch das Gefühl hatte, daß das Peter und sie anging, sagte:
»Gewiß nicht!«
»Womit bewiesen wäre« – und bei diesen Worten sah er sie scharf durch seine Gläser an, – »daß bei Fortfall der für den Bestand eines Verhältnisses notwendigen Voraussetzung dies Verhältnis überhaupt nicht mehr existiert!« Hier machte er eine Pause und stellte einen starken Eindruck bei seinem Bruder, Zobel und dem Landrat fest.
»Und damit«, fuhr er fort, »habe ich zugleich den Beweis erbracht, daß es ein Trugschluß ist, wenn in Ihrer Phantasie etwa dies Verhältnis noch fortbesteht.«
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit,« sagte Frida.
»Nämlich?« fragten die Verwandten und sahen sie an.
»Daß ein Verhältnis zwischen Peter und mir niemals bestanden hat.«
»Wie?« fuhr der Justizrat auf – »das heißt doch nicht etwa …?« Und Herr von Zobel rief sehr ungehalten:
»Das ist doch stark! Sie wollen uns doch nicht etwa weismachen …«
»Dumm machen!« verbesserte Landrat von Scholl und zerknitterte zwischen den Fingerspitzen den Rest seiner Zigarette.
»Ich wollte nur sagen,« erwiderte Frida ruhig und bestimmt, »daß, wenn das Sein oder Nichtsein eines Verhältnisses von der Kilometerzahl der Entfernung beider Beteiligten abhängt,« – sie gab sich Mühe, in ihrer Sprache zu ihnen zu sprechen, – »daß das, was mich mit Peter verbindet, dann eben etwas anderes als ein sogenanntes Verhältnis sein muß.«
»Papperlapapp!« sagte Zobel, führte aber gleich die Hand vor den Mund, was wie eine Entschuldigung wirkte, und sah zur Seite.
»Nämlich?« fragte der Justizrat.
»Wortklauberei,« näselte von Scholl, der mit seinem erquälten Landratston wie ein mittelmäßiger Schauspieler in einer schlecht gespielten Komödie wirkte.
»Sie meinen?« wiederholte der Alte.
»Ja, darüber habe ich wirklich noch nicht nachgedacht,« gab sie zur Antwort.
»Es wäre doch immerhin wünschenswert, daß Sie sich darüber klar würden,« meinte Zobel; aber der Justizrat, der schlauer war als der Landrat, widersprach:
»Das Denken nehmen wir Ihnen gern ab. Und ich bitte Sie, sich nunmehr mit der Tatsache abzufinden, daß es zwischen Ihnen und dem Regierungs-Referendar Baron von Langen aus ist. Wie Sie das, was zwischen Ihnen bestand, nun nennen, ist dabei ganz nebensächlich.«
»Die Ehe wird er Ihnen ja wohl nicht versprochen haben,« sagte Zobel.
»Wir haben uns überhaupt nichts versprochen,« erwiderte sie.
»Vielleicht notierst de dir das,« wandte sich von Scholl zu dem Justizrat. Und als ihn der Onkel erstaunt ansah, wies er mit einem nachlässigen Blick auf Frida und sagte:
»Für den Fall, daß später mal Ansprüche gestellt werden … Man kann in solchen Dingen jarnich vorsichtig jenug sein.«
»Ich bin bisher mit Wünschen und Ansprüchen an Sie noch nicht herangetreten,« erwiderte Frida. »Wenn ich nicht irre, sind Sie es, die von mir etwas wollen.«
Und der Justizrat, der die Taktlosigkeit von Scholls empfand, trat ihr bei und sagte:
»Ich meine auch, daß wir keinen Grund haben, Ihnen mit Mißtrauen zu begegnen.«
»Das is ja noch schöner!« rief von Scholl, klemmte sein Monokel fester und machte eine ruckweise Bewegung auf seinem Sessel. »Eine Frau, derenwegen man bis nach Südwest retiriert, flößt mir nu nich jrade besonderes Vertrauen ein.«
»So stimmt das denn wohl doch nicht …« sagte der Medizinalrat, der bisher geschwiegen, aber noch keinen Blick von Frida gewandt hatte, ziemlich erregt.
»Aber ich bitte, Herr Medizinalrat,« – vermittelte sie, – »woher sollte der Herr Landrat denn über den Peter und mich Bescheid wissen? Soweit ich unterrichtet bin, hat er den Peter seit einem Vierteljahr überhaupt nicht mehr gesehen.«
»Na,« erwiderte der Landrat, schnalzte mit der Zunge und stand auf, – »jetzt wird mir die Sache aber zu dumm. Schließlich sind wer ja hier nich zusammenjekommen, um uns über den Jrad der Intimität Ihrer Beziehungen zu unterhalten, sondern um es endlich festzustellen – und zwar klipp und klar, – daß von diesem Augenblick an ein Regierungs-Referendar Dr. Freiherr von Langen für Sie nicht mehr existiert!« – Pause. – Während der Herr Landrat einen Schritt nach vorn machte, so daß er sie jetzt beinahe berührte, und dann mit einer Stimme, die ihr weh tat, fortfuhr: » Überhaupt – nie – existiert – hat!«
Das verstand nicht jeder. Aber der Landrat fuhr fort:
»Mit der Tatsache haben Se sich einfach abzufinden. Wie, das is Ihre Sache.« –
Diese kategorische Form verblüffte alle – nur Frida nicht; denn sie empfand deutlich, wie dieser gemütvolle Mensch den andern ihre an sich nicht leichte Mission erschwerte. Sie hatte also allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein.
Aber der Diplomat war nun mal im Reden. Er stand dicht vor ihr, stemmte die Hände in die Hüften, beugte den Oberkörper nach vorn und sagte in einem Tone, der impertinent und verächtlich war:
»Überhaupt, was jeht das Sie an, ob der Herr – Schulze, Müller oder von Langen heißt? Für das, was Sie miteinander abzumachen hatten, hätte es am Ende auch genügt, wenn Sie wußten, er hieß Peter; obschon« – und er wandte sich jetzt zu den anderen – »ich für meine Person in solchen Fällen nicht einmal so weit gehe.«
»Aber so nimm doch Rücksicht!« erregte sich der Medizinalrat und sprang auf.
»Hat der Herr, dessenwegen wir uns hier in dieser peinlichen Situation befinden« – er tupfte mit seinem langen Daumen, wie wenn er Staub entfernen wollte, auf seine Schulter, – »etwa auf uns Rücksicht genommen?«
»Lieber Neffe,« sagte der Justizrat höflich, aber entschieden zu dem Landrat, »entweder du oder ich. Ich überlasse dir gern das Feld.«
»Danke! danke!« sagte von Scholl und streckte zur Abwehr beide Handflächen nach vorn. »Ich habe keinen Ehrgeiz.« Dann glitt er wieder in den Sessel, knickte ein und schloß die Augen.
»Also, mein Fräulein,« sagte der Justizrat, »so kommen wir natürlich nicht weiter. Wenn Sie Ihre Beziehungen zu meinem Neffen denn nicht als Verhältnis im landläufigen Sinne betrachten – eine Ehe ist es nicht – ein Verlöbnis ebensowenig – ja, schließlich unter irgendeinen Begriff werden Sie es ja wohl schon bringen müssen.«
»Wir haben uns lieb,« sagte Frida, ohne es zu wollen. Und sie hatte es kaum ausgesprochen, da tat es ihr auch schon leid, denn was ging das die an?
»Schön! Und zu welchem Endzweck?« fragte der Justizrat.
»Endzweck?« wiederholte sie leise und sah ihn an. – »Zu gar keinem!«
»Also! Sehen Sie! Das ist es, was ich wissen wollte! Gar keinen! Natürlich!«
»Ja, was sollten wir denn für einen Zweck haben?« fragte Frida. »Uns genügt doch, daß wir uns lieb haben. Das ist doch gerade unser Zweck. Weiter wollen wir doch nichts.«
Der Justizrat schlug die Hände zusammen und schüttelte den Kopf.
»Und wenn sich mein Neffe nun beispielsweise eines Tages in eine andere verliebt?«
Frida schüttelte den Kopf und sagte:
»Nein – das tut er nicht.«
»Nehmen Sie an, es geschähe doch – was dann?«
»Ja, das wäre furchtbar!«
»Was täten Sie?«
Frida merkte, wie ihr Kopf sich unwillkürlich senkte.
»Was sollte ich dann noch tun?« sagte sie. – »Gar nichts! Ich wäre fertig! Aber ich würde es ihn nicht fühlen lassen. – Vielleicht würde ich auch versuchen, darüber hinwegzukommen. – Schon seinetwegen!«
»Und was weiter?«
Sie verstand ihn nicht.
»Ich meine, aus den Ansprüchen, die Sie in einem solchen Falle aus Ihren Beziehungen herleiten würden, ließe sich vielleicht erkennen, als was Sie Ihr Verhältnis zu meinem Neffen aufgefaßt wissen wollen.«
»Ich will ja gar nichts. – Ich stelle auch keine Ansprüche – –«
»Notier das!« brabbelte der Landrat verschlafen vor sich hin. »Man kann … in … solchen Dingen … gar nicht … vorsichtig genug …« – dann bewegten sich seine Lippen nicht mehr.
Frida wandte sich wieder zum Justizrat und sagte:
»Der Peter und ich, wir wollen nichts weiter, als daß man uns uns selber überläßt und sich um uns nicht kümmert.«
»Das widerspricht leider dem Standpunkt der Familie. Wir sind – und zwar die Mutter, wie wir« – und er wies auf den Medizinalrat – »die wir Vormünder und Onkel zugleich sind, wie auch« – und er wies auf von Scholl, den Landrat, und Zobel, den Rittergutsbesitzer – »unsere Neffen, zu der Überzeugung gelangt, daß die Trennung im Interesse der Zukunft des jungen Mannes liegt. Diese unsere Überzeugung ist unerschütterlich. Wir werden ihr also Geltung verschaffen. Sie werden nicht zweifeln, daß uns Mittel und Wege dafür zu Gebote stehen. Uns, oder wenigstens meiner Schwester, liegt aber daran, von jedem Zwangsmittel abzusehen und zunächst auf gütlichem Wege zu versuchen, Sie zu einem Verzicht, wie wir ihn« – und er zog aus seiner Tasche ein großes Schriftstück – »bereits zu Papier gebracht haben, zu bestimmen. Treiben Sie aber weiter Renitenz,« er zog die Schultern hoch – »so bleibt uns, so sehr das vor allem meine Schwester bedauern würde, nichts weiter übrig, als zu Zwangsmitteln zu greifen. Aber wir erwarten von Ihrer Einsicht, daß Sie es dazu nicht werden kommen lassen.«
»Ich kann dazu nur sagen, daß ich ja gar nicht imstande bin, mich ohne den Peter zu entscheiden. Wir können doch nur gemeinsam – ich kann doch unmöglich – –«
Der Justizrat entfaltete das Papier:
»Wenn Sie mich anhören wollen …«
»Bitte!« sagte sie:
Und er las:
»Ich, die unverehelichte Frida Braun, bekenne hierzugleichen durch, von Herrn Regierungs-Referendar Dr. jur. Peter Freiherrn von Langen Jahre hindurch wiederholt Geldgeschenke angenommen, von Frau Baronin von Langen, seiner Mutter, zur Ablösung des Verhältnisses einmalig zehntausend Mark empfangen zu haben.
Dagegen verpflichte ich mich:
1. ein für alle Male auf jeden weiteren Anspruch irgendwelcher Art zu verzichten;
2. die Beziehungen zu Herrn Regierungs-Referendar Dr. jur. Freiherrn von Langen niemals wieder aufzunehmen, mich weder direkt oder indirekt jemals wieder mit ihm in Verbindung zu setzen und auch etwaige Annäherungsversuche seinerseits unerwidert zu lassen;
3. mich jeder üblen Nachrede hinsichtlich des Regierungs-Referendars – –«
» – oder eines seiner Angehörigen,« brabbelte der Landrat; »man kann in solchen Dingen – –«
»Schön, fügen wir das noch hinzu,« sagte der Justizrat und schrieb es hinein. Dann fuhr er fort:
»– – – zu enthalten.
So!« sagte der Justizrat, »das wären die Vorschläge, die ich Ihnen namens der Frau Baronin zu unterbreiten habe.«
»Und die ich – wie Sie kaum anders erwarten werden – von Anfang bis zu Ende ablehne.«
Alle stutzten.
Der Justizrat fand als erster die Sprache wieder.
»Wenngleich das, was ich Ihnen vorgetragen habe, das Äußerste an Entgegenkommen darstellt, so sind wir doch bereit, Ihre Gegenvorschläge entgegenzunehmen.«
»Ich habe keine Vorschläge zu machen. Nur eines möchte ich sagen: Ich habe niemals Geldgeschenke angenommen.«
»Was?« sagte der Landrat kurz.
Und der Justizrat meinte:
»Aber Sie werden doch – «
»Ich wiederhole: niemals!« erklärte sie mit aller Bestimmtheit.
»Sie hätten demnach«, fragte Zobel, »vier Jahre lang mit meinem Schwager verkehrt, ohne etwas davon gehabt zu haben?«
»O nein! Das behaupte ich nicht. Ich habe unendlich viel von ihm gehabt.«
»Na also!« sagte der Landrat höhnisch, »was reden Sie also! Dann ist's ja gut!«
»Freilich – Geldgeschenke waren das nicht.«
»So hat er Ihnen die Wohnung, den Unterhalt, die Kleider bezahlt!« sagte Zobel. Und der Landrat meinte:
»Als wenn das nicht auf dasselbe herauskäme.«
»Er hat weder zu meiner Wohnung, noch zu meinem Unterhalt, noch zu meiner Kleidung beigesteuert. Er hat unsere Vergnügungen bezahlt …«
»Na, und zu Weihnachten und Jeburtstag? – Wie? Was war'n da? Da hat er denn wohl fürs janze Jahr blechen müssen?« fragte der Landrat.
»Da haben wir uns gegenseitig beschenkt. – Freilich, daran hat niemand gedacht, ob ein Geschenk mehr wert war als das andere. Aber wenn Sie Wert darauf legen, diesen Dingen nachzuspüren, so will ich Ihnen gern behilflich sein. Möglich, daß sich da ein Plus zu meinen Gunsten ergibt; sogar wahrscheinlich. Aber ich bin bereit, dies auszugleichen – allmählich – denn das müßte dann von meinem Gehalt geschehen.«
»Aber ich bitte Sie, wer spricht denn davon!« wehrte der Medizinalrat ab.
Jetzt schnalzte der Landrat mit der Zunge und setzte eine äußerst schlaue Miene auf.
»Na, dahinter wer'n wer schon kommen! Das wär ja noch besser. Sagen Se mal, Fräulein, wie war denn das mit den Arbeiten?«
»Was für Arbeiten?« fragte sie.
»Se haben meinem Schwager ja wohl die Seminar- und Examensarbeiten abgetippt?«
»Allerdings! Die ganzen Jahre über!«
»Aha! Na, dann verraten Se uns vielleicht mal, was Se ihm dafür in Rechnung jesetzt haben.« – Er griente jetzt über das ganze Gesicht und sah überlegen zu dem Justizrat hinüber. – »Aber jewissenhaft, Fräulein; 's wird alles nachjeprüft! – Na? – Ne fünfstell'je – was?«
Frida streifte ihren Handschuh ab und zeigte ihm den Ring mit dem Türkis und den beiden Brillanten. – »Diesen Ring hat mir Peter am Tage seines Examens geschenkt. Ich glaube nicht, daß er dabei an die Arbeiten gedacht hat, die ich für ihn gemacht habe. Aber, wenn es Ihr Gewissen beruhigt, bitte, stellen Sie ihn dafür in Rechnung.«
»Streichen wir also den Passus über die Geldgeschenke,« sagte der Justizrat. »Ändert das etwas an Ihrem Entschlusse?«
»Nein!« sagte sie. »Geben Sie sich keine Mühe, meine Herren. So nicht!«
»Wie denn?« fragte der Justizrat.
»Ein Wort genügt, und ich leiste Verzicht! Und verspreche Ihnen, was Sie wollen, ohne daß es Sie einen Pfennig kostet.«
Sie waren platt. Sahen sich gegenseitig an, schüttelten die Köpfe und sahen dann mit Augen, aus denen die Neugier sprang, zu ihr hinüber.
»Bitte!« sagte der Justizrat.
Frida schüttelte den Kopf.
»Dies eine Wort muß Peter sprechen!« sagte sie.
Sie hatten wohl auf eine sechsstellige Zahl gerechnet. Das Wort »Peter« wirkte niederschmetternd.
Und wohl nur, um etwas zu sagen, fragte der Justizrat nach einiger Zeit:
»Und wie muß dies Wort lauten?«
» Geh!« erwiderte Frida,»oder doch so, daß ich fühle, es ist sein Wunsch, daß wir uns trennen.«
»Die Angelegenheit ist jetzt in ein Stadium getreten, in dem mein Neffe aktiv nicht mehr in die Verhandlungen eingreifen kann. Ein Kompromiß nach dieser Richtung ist also ausgeschlossen. Dagegen ließe sich über die Beträge, wie über die im Brouillon festgesetzten Fristen reden,« sagte der Justizrat.
»Ich bedauere,« wiederholte Frida mit aller Bestimmtheit, »in dieser ganzen Angelegenheit ohne Peter nicht verhandeln zu können.«
»Sie wissen, daß wir Sie in der Hand haben!« sagte der Justizrat.
»Daß wir Sie vernichten können!« setzte Zobel hinzu.
»Und vernichten werden!« ergänzte der Landrat.
»Ich habe ein gutes Gewissen und meine Arbeit; wüßte also nicht, was mir geschehen könnte.«
»Sie haben auch Eltern!« sagte der Justizrat.
Das war der einzige Moment dieser ganzen Verhandlung, der auf Frida eine ernste Wirkung übte.
»Sie werden sich für das, was Sie bei mir nicht erreichen können, doch nicht bei meinen Eltern revanchieren!« sagte sie ziemlich verächtlich.
»Wir werden nichts unversucht lassen,« sagte der Justizrat.
»Wir werden kein Mittel scheuen!« setzte Zobel hinzu.
»Wir werden über Leichen gehen!« ergänzte der Landrat.
»Wenn's nötig ist,« milderte der Medizinalrat.
Frida stand auf.
»Ich habe keine Macht, Sie zu hindern!«
Noch einmal redete ihr der Justizrat zu. Sie blieb fest; verbeugte sich und ging.
Draußen an der Korridortür stand der Diener und horchte. Als er Frida sah, nickte er mit dem Kopf und winkte sie herbei. Sie trat zu ihm. Die Tür war nur angelehnt, und die Portiere im Zimmer ließ einen Zwischenraum, durch den man den Justizrat, Zobel und den Landrat sehen konnte.
Sie saßen alle drei noch genau in der Stellung, in der Frida sie verlassen hatte, starrten verblüfft auf den schmalen Stuhl, der nun leer war. Keiner sprach ein Wort. In einem Spiegel sah sie jetzt den Medizinalrat. Er hatte das Taschentuch in der Hand und fuhr sich über die Stirn. Dann nickte er mehrmals mit dem Kopf, machte eine Schnute, griente erst und lachte dann aus Leibeskräften laut los.
Die anderen wandten sich zu ihm.
Der Medizinalrat hielt sich den Bauch.
»Hahaha, eine nette Blamage! Hahaha!«
»Lächerlich!« quakte der Landrat, »als ob so eine einen überhaupt blamieren könnte!«
»Hahaha,« brüllte der Medizinalrat und winkte mit der Hand zu dem Landrat hinüber. »Bei dir – hahaha – lieber Neffe – da war's schon keine – haha – Blamage mehr, da war's einfach ne – hahaha – regelrechte Abfuhr mit Pauken und Trompeten.«
»Das wird sich ja zeigen,« sagte der Landrat und stand auf. »Mit Federbällen bringt man Säue nicht zur Strecke; die treibt man vor die Hunde!«
Da stieß ihr der Ekel auf. Sie ging. Und im Gehen sah sie noch, wie der Diener wegsah und sich schämte.