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»Ist es Fräulein Rosen?« fragte Frau v. Reinhart den Diener, der mit einem silbernen Tablett in der Hand ins Zimmer trat.
Der Diener warf einen Blick auf die Karte, die auf dem Tablett lag, verbeugte sich und sagte:
»Jawohl, gnädige Frau!«
Er wußte es längst.
»Führen Sie die Dame bitte in den Salon.«
Als der Diener draußen war, wandte sie sich zu ihrem Bruder, der neben ihr saß, und sagte:
»Du kannst dir gar nicht denken, Max, wie schwer mir das fällt!«
»Ich begreif das schon!« erwiderte der und stand auf, »Immerhin …« er zog die Schultern hoch.
»Was meinst du?« fragte sie.
»Entweder oder! – Karriere oder Gefühl! Beides geht nicht.«
»Leider!« seufzte sie.
»Und da du willst, daß er Karriere macht …«
»Er selbst will es,« unterbrach sie ihn.
»Also bleibt keine Wahl, und er muß seine kleine Freundin trotz aller Qualitäten, die man ihr nachrühmt, diesem Fräulein Rosen opfern, von der ihr nicht mehr wißt, als daß sie die einzige Tochter eines zehnfachen Millionärs ist.«
Frau v. Reinhart seufzte, stand auf, gab ihrem Bruder die Hand, und ging in den Salon.
Sie begrüßte Fräulein Rosen, das allerliebst aussah, zurückgelehnt auf einem Sessel saß und in einem Barockspiegel, der ihr gegenüberhing, mit ihren hübschen Beinen kokettierte.
Als Frau v. Reinhart ins Zimmer trat, stand sie auf und ging ihr ein paar Schritte entgegen.
»Guten Tag, mein Fräulein,« sagte Frau v. Reinhart freundlich und gab ihr die Hand. »Ich freue mich, daß ich Sie kennen lerne.«
Margot war gar nicht verlegen. Sie machte einen tiefen Knicks und küßte Frau v. Reinhart die Hand.
»Oh! Wie artig!« sagte die. – »Bitte, nehmen Sie Platz.«
Als sie sich gegenübersaßen, sagte Frau v. Reinhart:
»Sonderbar! Da wohnt man nun jahrelang nebeneinander und kennt sich nicht einmal vom Sehen.«
»Wir kennen Sie ganz genau,« erwiderte Margot.
»So?« fragte Frau v. Reinhart, »woher denn?«
»Ach schon ewig lange!«
»Nun, gar zu lange kann das bei Ihrer Jugend ja wohl kaum der Fall sein.«
»Ich entsinne mich noch genau, als ich vor zwölf Jahren zur Schule kam und einer Freundin wegen in eine Privatschule wollte, daß Mama sagte: ›Unsinn!‹ – das ist nämlich ihr zweites Wort – ›Du gehst in die Charlottenschule! Wie alle jungen Mädchen aus ersten Häusern,‹ und dann zählte sie eine ganze Reihe von Namen auf, und ich weiß genau, darunter auch Fanny und Elise Reinhart.«
»Das sind allerdings meine Töchter. Und Sie kamen auf die Charlottenschule?«
»Ja! Das heißt, lange hat das Vergnügen nicht gedauert.«
»Wie? Sie sind nicht bis zu Ende dagewesen?«
»I Gott bewahre! In diesen städtischen Schulen ist man ja so gewissenhaft und kleinlich.«
»Die Leute verlangen, daß man sich an ihre Ferien hält.«
»So?«
»Sie stehen ganz außerhalb der großen Welt und wundern sich, wenn man während der Schulzeit nach Meran oder St. Moritz fährt.«
»Da haben sie auch recht.«
»Aber ich bitt Sie! Dann sollen sie die Ferien anders legen. Sie können doch von einer Familie, die auf sich hält, nicht verlangen, daß sie im Februar statt in St. Moritz in Berlin sitzt.«
»Man hat Ihnen also den Urlaub verweigert?«
»Denken Sie, Frau Geheimrat, die Frechheit! Der Direktor sagte: nein! Obgleich mein Vater persönlich bei ihm antelephonierte.«
»Sehen Sie mal an!« sagte Frau Geheimrat, und Margot war so im Reden, daß sie die Ironie gar nicht herausspürte.
»Papa war natürlich außer sich und wollte sich beim Minister beschweren. Aber Mama meinte:›Unsinn! Was versteht denn so 'n Schulmeister von gesellschaftlichen Dingen!‹ – Unser Hausarzt schrieb ein Attest.«
»Was schrieb er denn da hinein?«
»Irgendwas, was Mama ihm diktierte – jedenfalls, ich bekam den Urlaub.«
»Nun also!«
»Ja, aber dann, zwei Monate später, im April, als wir natürlich nach Meran reisten …«
»Aha! Ich kann mir schon denken,« sagte Frau v. Reinhart, »der Herr Direktor fand das vermutlich ganz und gar nicht natürlich.«
»Richtig!« rief Margot, »Sie kennen diese Outsider.«
»Wen?« fragte Frau v. Reinhart.
»Sie interessieren sich nicht für Rennen?«
»Durchaus nicht!«
»Schade!« sagte Margot, »für mich fehlt einem Sommer ohne die große Woche in Baden-Baden der richtige Abschluß; also Outsider, das ist ein sportlicher Ausdruck und bedeutet so viel wie …«
»Danke!« unterbrach sie Frau v. Reinhart, »wir standen noch bei der Schulbildung, dazu gehört das ja wohl kaum.«
Übermäßig sympathisch ist sie nicht, dachte Margot – und wußte nicht, daß Frau v. Reinhart in diesem Augenblick dasselbe dachte. Es war wohl das einzige Mal, daß beide gleich empfanden.
»Was geschah also im Februar?« fragte Frau v. Reinhart, der daran lag, das Leben und den Bildungsgang ihrer präsumtiven Schwiegertochter kennen zu lernen.
»Papa nahm mich von der Charlottenschule herunter, und ich kam in eine Privatschule. Na, da konnte ich natürlich machen, was ich wollte. Wenn einem da etwas nicht paßte, drohte man einfach mit Abgang, und der Direktor wickelte einen in Watte.«
»Und was haben Sie da gelernt?«
»Gelernt?« sie dachte nach, »viel nicht; aber Mama meinte: ›Unsinn! Du hast es ja Gott sei Dank nicht nötig.‹«
»Und später, nach der Schule, haben Sie da noch irgendwie etwas Ernstes getrieben?«
»Gott ja! So zwischen Sport und Gesellschaften 'n bißchen Literatur, Malerei, Kunstgewerbe, soziale Fürsorge, Pädagogik, Klavier und Gesang.«
»Eines gründlich wäre wahrscheinlich praktischer gewesen.«
»Nein! Nein!« widersprach Margot, »dafür bin ich nun gar nicht! Nur nichts gründlich! Zuerst, da interessiert mich alles. Wenn ich mich dann aber damit beschäftigen soll, kaum, daß ich hinein sehe, habe ich auch schon genug. So ist's mir bisher mit allem ergangen, außer mit dem Sport. Na, und dann – aber das wissen Sie wohl?«
»Was?« fragte Frau v. Reinhart.
»Daß ich eine der besten Tänzerinnen von Berlin bin.«
»Das wußte ich nicht.«
»Richtig, da fällt mir ein!« rief Margot, »als ich vor fünf Jahren Tanzstunde bekommen sollte, da war auch von Ihnen die Rede.«
»So?«
»Da ging Mama nämlich alle Familien durch, die uns damals erreichbar waren. Viel waren es nicht. Sie wissen, Papa hat sein großes Vermögen erst in den letzten acht Jahren erworben.«
»Das interessiert mich nicht,« sagte Frau v. Reinhart, und Margot dachte: so'n Schwindel! Als ob ich sonst hier säße. – Aber sie erinnerte sich ihrer Kinderstube und sprach es nicht aus, sondern sagte:
»Jedenfalls war auch damals von Reinharts die Rede, und ich weiß noch genau, daß Mama ihren Friseur beauftragt hat, doch mal einer gemeinsamen Tanzstunde wegen bei Ihnen anzutippen – o Gott, schon wieder so'n Sportausdruck!« sagte Margot und erschrak.
»Bei ihrem Friseur?« fragte Frau v. Reinhart ganz entsetzt.
»Ja!« erwiderte sie und war erstaunt, »weshalb denn nicht?«
»Ja, wer ist denn dieser Friseur?«
»Wir haben doch seit Jahren denselben.«
»Soo?«
»Das wußten Sie nicht?« sagte Margot und dachte: die Frau kann sich aber verstellen.
»Und durch den läßt Ihre Frau Mutter so etwas erledigen? Der vermittelt Ihren Verkehr?«
»Gott, Frau Geheimrat, ohne ihn wüßte man doch überhaupt nicht, was in der Berliner Gesellschaft vorgeht!«
»Und der hat Ihnen erzählt, daß er sich mit mir über Ihre Tanzstunde unterhalten hat?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls: aus Reinharts wurden Beers; Sie wissen, von Beer und Maß.«
»Ich kenne sie nicht.«
»Da verlieren Sie auch nichts; es ist nämlich nicht viel los mit ihnen. Er ist erst kürzlich Kommerzienrat geworden; soll sonst aber 'n ganz anständiger Mensch sein. – Jedenfalls Verkaufsklasse.«
»Wie?« fragte Frau v. Reinhart.
Margot erschrak:
»Ach so! Ich bin schon wieder bei meinen Pferden – jedenfalls, ich weiß …«
Frau v. Reinhart wurde unruhig – sie brach ab:
»Auf alle Fälle: Sie lernten tanzen; mit wem, das spielt ja wohl keine Rolle.«
»Unsinn!« platzte Margot heraus – beide erschraken. Margot wurde sogar verlegen.
»Verzeihen Sie bitte,« sagte sie, »ich habe mir das so von Mama angewöhnt – es ist schrecklich! Ich wollte sagen: eine Rolle spielt es schon, mit wem man tanzt. Mir zum Beispiel …«
»Lassen wir das!« unterbrach Frau v. Reinhart. »Mit dem, was wir zu besprechen haben, hat es jedenfalls nichts zu tun.«
Margot widersprach.
»Ich möchte doch aber, daß Sie mich kennen lernen!« sagte sie lebhaft.
»Ich kann mir schon ein Bild machen,« erwiderte Frau v. Reinhart.
Margot strahlte.
»Das freut mich,« sagte sie, »daß ich Ihnen gefalle. Ich bin im Anfang nämlich immer etwas schüchtern …«
Frau v. Reinhart konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»... aber das verliert sich. Ich gewinne im näheren Verkehr.«
»Das sollte mich freuen!«
»Ganz bestimmt,« ereiferte sich Margot, »fragen Sie Bertholds – das sind doch Bekannte von Ihnen – die kennen mich.«
»Ich meine,« erwiderte Frau v. Reinhart, »wir sollten, statt uns von Bertholds zu unterhalten, doch lieber über Dinge reden, die uns im Augenblick näher liegen.«
Margot tat verlegen. Sie sah zur Erde und sagte:
»Gott ja! Ich kenne ja Ihren Sohn.«
»Er hat es mir geschrieben.«
Margot war erstaunt:
»So? Erinnert er sich meiner? – Ich glaube, wir sind mal irgendwo auf einer Gesellschaft zusammengewesen.«
»Ich glaube auch!« sagte Frau v. Reinhart und sah Margot fest in die Augen.
Margot dachte nach:
»Ich komme nicht drauf.«
»Sollte es nicht auf einer studentischen Feier gewesen sein?«
Margot besann sich:
»Richtig! – Auf dem Stiftungsfeste des S. C.«
»Stimmt!« sagte Frau v. Reinhart, »und wenn er sich nicht irrt, dann hat er Sie damals in Ihrem Auto auch nach Hause begleitet.«
»So?« sagte Margot so ungezwungen, daß man deutlich sah, sie entsann sich nicht. Und Frau v. Reinhart schloß daraus, daß dies zärtliche Renkontre im Automobil, das sie aus einem Briefe ihres Sohnes kannte und das sie so empörte, für Margot durchaus kein ungewöhnliches Erlebnis war. –
»Sie wissen, daß es der Wunsch meines Sohnes – und auch der Ihrer Familie ist, daß Sie und mein Sohn sich näherkommen.«
»Das meine ich auch; wenn wir uns verloben, so müßte er – schon der Leute wegen – wenigstens auf ein paar Tage herüberkommen.«
»Wie …?« Frau v. Reinhart verstand – oder begriff sie nicht.
»Nicht wahr, das meinen Sie auch? Denken Sie Mama ist darin so komisch.«
»Wieso? – Was meint denn die?«
»Sie sagt: Unsinn! Rüberkommen! Als wenn das so'n Katzensprung wäre! Konstantinopel! Ihr wohnt – wenigstens für die Welt – lange genug nebeneinander, um euch zu kennen.«
Das ist auch eine Auffassung!« sagte Frau v. Reinhart, und Margot die den Spott nicht fühlte, erwiderte:
»Gewiß! Mama ist überhaupt eine gescheite Frau! Wenn man bedenkt, was wir heute für ein Haus ausmachen! Und wie es noch vor fünf Jahren bei uns aussah! Und Sie dürfen nur glauben, das ist – vom Gelde abgesehen – allein Mamas Verdienst.«
»Ich glaube es!« sagte Frau v. Reinhart. »Und ich habe auch schon gehört, daß man sich Leute ins Haus lädt, von denen man nichts weiter als den Namen und das Einkommen kennt. In diesem Falle aber, ich meine bei Kurt und Ihnen, wo es sich doch immerhin um etwas mehr als ein Diner, nämlich um eine Ehe, handelt, da scheint mir doch, daß man sich erst etwas näher kennen müßte, ehe man sich verlobt! Sie können ja gar nicht wissen, ob Ihnen mein Sohn gefällt?«
Margot lächelte überlegen; sie öffnete ihre Handtasche, die sie am Arme trug, und entnahm ihr ein kleines Blatt, auf dem ein Bild war.
»Bitte!« sagte sie und reichte es Frau v. Reinhart. »Kurt gefällt mir ganz ausgezeichnet! Sie kennen das Bild? Es war vorige Woche in ›Sport im Bild‹. – Schade, wenn wir da schon verlobt gewesen wären, wäre ich mit hineingekommen – oder glauben Sie, daß sich das später noch einmal machen läßt?«
Frau v. Reinhart reagierte nicht.
»Ihre Frau Mutter und Sie wären also bereit, ohne daß Sie mit meinem Sohne auch nur gesprochen haben, die Verlobung zu veröffentlichen?« fragte sie.
»Gott, wissen Sie, wir sind doch moderne Menschen! Auf das, was wir miteinander zu sprechen haben, werden wir beide gern verzichten. Ich weiß, was er mir sagen will, und er weiß, daß ich nicht nein sagen werde. Wenn es also Umstände macht, so kann er meinetwegen da unten bleiben.« »Aber zur Hochzeit, nicht wahr, da müßte er sich schon selbst bemühen?«
Margot wußte nicht, ob sie das ernst meinte, oder ob es ein Scherz war, und auf gut Glück sagte sie:
»Natürlich! Das müßte er!« und sie war froh, als Frau v. Reinhart erwiderte:
»Na, dann bin ich beruhigt!«
»Aber,« meinte Margot, »über die Hochzeit sprechen Sie wohl besser mit Mama.«
Frau v. Reinhart schüttelte den Kopf. Margot sah sie groß an und begriff das nicht.
»Und Sie sind das einzige Kind?« fragte sie Margot.
»Ja! Ich möchte auch gar keine Geschwister haben. Familienanhang ist was Gräßliches.«
»Und Ihre Frau Mama ist so ohne weiteres damit einverstanden, daß sie Sie nun an meinen Sohn abtreten soll?«
»Mama ist glücklich!«
»Glücklich ist sie?«
»Sie ist ja so ehrgeizig!«
Sie merkte nicht, wie widerlich Frau v. Reinhart das alles fand, und hörte es auch nicht aus ihrem Ton heraus, als sie jetzt sagte:
»Auf eins möchte ich Sie noch aufmerksam machen.« »Bitte!« sagte Margot.
»Es fällt mir außerordentlich schwer, davon zu sprechen – aber es ist meine Pflicht; nicht Ihnen gegenüber – wenigstens nicht ausschließlich – wenngleich auch Sie es wissen müssen …«
»Also Kurts Herz ist nicht frei!«
»Was heißt das? – Was bedeutet das?«
»Das heißt, daß er eine andre liebt.«
»Ich verstehe noch immer nicht – hat er eine unglückliche Liebe?«
»Es ist kein Mädchen der Gesellschaft.«
»Ah so! – Also ein Verhältnis!«
Ganz ungeniert sprach sie das aus.
»Ja!«
»Was geht das mich an?«
»Ich weiß nicht! – Ich hatte ja auch nicht die Absicht, es Ihnen zu sagen. Aber während unseres Gespräches hatte ich plötzlich das Gefühl, als wenn das Mädchen ein Recht darauf hätte, daß Sie es erfahren.«
»Ich finde es sehr lustig und modern, daß Sie mir das erzählen. – Nun verraten Sie mir aber auch: wer ist es?«
»Sie verstehen mich falsch! Das Mädchen …«
»Nein! nein! Ich verstehe Sie schon! Das arme Ding sitzt jetzt gewiß in irgendeinem Geschäft und plärrt. Oder ist sie gar vom Theater? Das wäre natürlich weit amüsanter. Also bitte, Sie haben mich neugierig gemacht, nun will ich alles wissen.«
»Ich hatte freilich eine andere Wirkung auf Sie erwartet. Jetzt tut es mir leid, daß ich überhaupt etwas davon gesagt habe.«
»Wie? Dachten Sie etwa, ich würde mich daran stoßen oder gar moralisch zusammenbrechen?«
»Ich sagte Ihnen bereits: die beiden Menschen haben sich lieb.«
»Wenn schon! – Wenn es so eine ist, dann werden sie beide auch gewußt haben, daß sie nicht zeit ihres Lebens zusammenbleiben können. Obgleich – von mir aus …«
»Was?« fragte Frau v. Reinhart scharf.
Margot schwieg, denn sie empfand, daß Frau v. Reinhart irgend etwas mißfiel. Nach einer Weile sagte sie:
»Sie wollen mir also nicht sagen, wer sie ist?«
Frau v. Reinhart besann sich – einen Augenblick – dann stand sie auf und trat vor Margot hin; beinahe feierlich klang es, als sie jetzt sagte:
»Doch! Ich will es Ihnen sagen! Sie heißt Änne Hoffmann. Ihre Nerven haben dem Schmerz über die Trennung, die Ihrethalben ja nötig wurde, nicht standgehalten. Ich wollte ihre Zukunft sicherstellen, aber sie hat jede Unterstützung abgelehnt.«
»Gott, wie dumm!« meinte Margot.
»Finden Sie?« erwiderte Frau v. Reinhart. »Da sie eine alte Mutter zu ernähren hat, so habe ich sie gebeten, wenigstens für die Herstellung ihrer Gesundheit sorgen zu dürfen.«
»Nicht möglich!« rief Margot erstaunt. – »Sie sind doch nicht etwa eine Sozialistin?«
Frau v. Reinhart lächelte:
»Muß man das sein, um ein Herz für die zu haben, die durch uns ins Unglück kommen?«
»Mama hätte es jedenfalls nicht getan und gesagt: Unsinn, was gehen uns solche Leute an? Aber ich denke anders.«
»So?« sagte Frau v. Reinhart freudig und glaubte, endlich einem sympathischen Zuge bei Margot zu begegnen.
»Selbstredend. Solche Frauenzimmer sind routiniert. Die verstehend, mit Männern umzugehen und sich zu kleiden. Da kann unsereins lernen.«
Frau v. Reinhart schüttelte den Kopf.
»In diesem Falle, da glaube ich kaum, daß Sie auf Ihre Kosten kommen werden.«
»Doch! doch!« widersprach Margot. »Also, bitte, wo hält sich dies Fräulein Hoffmann auf?«
»In Schandau, im Sanatorium!«
»Gott, wie vornehm!« erwiderte Margot. »Ich hätte nicht übel Lust, sie mir anzusehen.«
»Tun Sie das!« erwiderte Frau v. Reinhart und reichte Margot die Hand. »Es kann nichts schaden!«
Margot machte einen Knicks, küßte Frau v. Reinhart die Hand und ging.
*
Änne hatte die Hauptmahlzeit eben hinter sich und war grade im Begriff, sich nach Vorschrift des Arztes schlafen zu legen, als Schwester Anna ihr den Besuch einer jungen Dame aus Berlin meldete.
»Das muß ein Irrtum sein,« sagte sie, »Sie werden sich verhört haben.«
Im selben Augenblick ging auch schon die Tür, und ein bildhübsches, elegantes, junges Mädchen stand vor ihr.
»Guten Tag!« sagte sie. »Sie sind Änne Hoffmann?«
»Kennen Sie mich?« fragte Änne erstaunt.
»Nein! Aber ich möchte Sie kennen lernen.«
»Und aus welchem Grunde, wenn ich fragen darf?«
»Wir haben gemeinsame Beziehungen!«
»Wir? – Ja, wer sind Sie denn?«
» Kurts Braut!«
Änne war, als bliebe ihr Herz stehen.
»Ich dachte, es ist besser. Sie erfahren es durch mich, als durch einen Fremden.«.
»Und … Kurt …?« – Es waren die einzigen Worte, die sie herausbringen konnte.
»Gewiß: der hätte es Ihnen auch sagen können; – aber, Sie wissen vielleicht, der ist in der Türkei.«
Was Änne in diesem Augenblick nicht begriff, war, daß sie nicht laut aufschrie und zusammenbrach. Aber ein ganz großer Schreck wirkt wohl wie ein Wunder! Er lähmt das Gefühl! Der Eindruck ist zu stark, man faßt es und begreift es nicht. Erst später, wenn sich nach und nach die Stumpfheit löst, wird man sich klar, und dann erst empfindet man die ganze Schwere seines Unglücks. Wenigstens ging es Änne so.
»Ich … meine, … Kurt … weiß«
»Ob er was weiß?«
»Daß … Sie … hier …«
»Aber nein! Das weiß er natürlich nicht! Das darf er auch nicht wissen – wenigstens vorläufig nicht. – Als ich Mama sagte, ich gehe zu Ihnen, da sagte sie: ›Unsinn, das schickt sich nicht! Wie kann man sich so viel vergeben!‹ – Aber später, wenn wir verheiratet sind, dann werde ich's ihm gelegentlich schon mal erzählen.«
Änne sah sie groß an.
»Sie … sind – seine … Braut?« fragte sie, da sie es nicht fassen konnte.
»Ja! Was wundert Sie daran? Gefalle ich Ihnen nicht? Bin ich Ihnen nicht hübsch genug für Ihren Kurt?«
»Doch! – doch! – sehr hübsch sind Sie!«
»Also! Dann freuen Sie sich doch, daß Ihr Kurt eine so hübsche Frau bekommt – oder sind Sie gar eifersüchtig?«
Änne schüttelte den Kopf.
»Sie sind auch nicht übel! Sehr hübsch sogar! Hübscher als ich, und haben, was mich bei Ihnen besonders wundert, sogar ein ganz feines Profil. – Aber unelegant! So gar nicht Dame! – Sind Sie am Theater?«
»Nein!«
»Was sind Sie denn?«
Änne antwortete mechanisch.
»Korrespondentin.«
»Wie langweilig! – Überhaupt, ich hatte Sie mir ganz anders gedacht; wissen Sie: flotter! mondäner! – Liebt er denn das?«
»Was?«
»So wie Sie sind – ich weiß nicht, wie ich sagen soll – so entsetzlich solide!«
»Das … müssen … Sie … doch … wissen!«
»Ich? Wieso ich? Ich habe ihn vor fünf Jahren einmal gesehen – ich war ein Kind – dann nie wieder!«
» Waas?« sagte Anne, »ich denke – Sie – sind … seine …«Sie brachte das Wort ›Braut‹ nicht über die Lippen.
»Seine Braut! Gewiß! Aber Sie sind seine Geliebte – und zwar seit Jahren – und lieben ihn sogar, wie mir seine Mutter erzählte – das heißt, ich bin nicht etwa eifersüchtig,« – sie verzog spöttisch den Mund, – »ich gönne Ihnen das Vergnügen, Sie werden nicht die einzige sein, – jedenfalls. Sie kennen ihn besser als ich – nicht wahr, er ist doch ein flotter, eleganter Mensch?«
Änne nickte.
»Liebt er Pferde?«
»Ich glaube.«
»Interessiert er sich für Rennen?«
»Das muß er! Hören Sie! Das ist meine größte Leidenschaft! Ich habe mir immer mal gewünscht, daß mein Mann Rennen reitet – hat er die Figur dazu?«
»Ich weiß es nicht!«
»Wieviel wiegt er?«
»Zweiundsiebzig Kilo, glaub ich.«
»Entsetzlich! Das geht nicht! Damit kann er ja keine Rennen reiten. Er muß sofort etwas dagegen tun! Hören Sie! Mindestens zwölf Pfund müssen herunter: Sie haben gewiß Einfluß! Sie müssen mir helfen! Es wird Ihr Schade nicht sein!«
Änne war sprachlos.
»Treibt er sonst Sport?«
»Ich glaube.«
»Er spielt doch Tennis?«
»Ja!«
»Aber mäßig, nicht wahr? Sonst wäre man ihm doch auf Turnieren irgendwo mal begegnet.« Sie dachte nach. »Aber Reinhart, Kurt v. Reinhart? Ich entsinne mich nicht, ihm irgendwo begegnet zu sein. Aber – da fällt mir ein! Richtig! Hat er nicht vorigen Winter in St. Moritz beim Bobsleigh einen Preis bekommen?«
»Ja!«
»Nun also!« rief sie erfreut, »dann ist er auch kein schlapper Kerl! Dann hat er was weg! Dann läßt sich auch was aus ihm machen! Und nicht wahr. Sie versprechen mir, daß Sie mir helfen werden! Sie verstehen doch mit ihm umzugehen, und Sie wissen, wie man ihn nimmt, wenn man etwas bei ihm erreichen will. Sie wickeln ihn doch gewiß um den Finger! – »Wenn ich mir vorstelle, fünf Jahre von früh bis spät an der Schreibmaschine sitzen, und dann des Abends als Zerstreuung ein und denselben Mann! Nicht auszudenken! Na, ich wüßte, was ich an Ihrer Stelle täte, wenn ich unabhängig und darauf angewiesen wäre, Geld zu verdienen. – Aber das geht mich nichts an: jedenfalls, Sie müssen ihn ja in- und auswendig kennen und können mir helfen! Wollen Sie?«
Sie streckte Änne die Hand hin.
»Verzeihen Sie,« sagte die zögernd, »aber ich verstehe noch immer nicht; wann und wo haben Sie sich verlobt?«
Margot dachte nach, dann sagte sie:
»Ja, eigentlich haben Sie recht, das weiß ich selbst nicht.«
»Hat Kurt Ihnen geschrieben?«
»Mir? Nein! Wie sollte er darauf kommen, wo wir uns doch kaum kennen?«
»Ja! Wenn Sie sich doch mit ihm verlobt haben.«
»Kind, das verstehen Sie nicht! Das ist doch nicht wie bei euch, daß man sich da erst groß kennen lernt, womöglich wochenlang miteinander herumzieht und abwartet, ob man sich am Ende gar ineinander verliebt. Dazu kommt's bei uns nie! Dazu haben wir viel zu viel vor! Gott sei Dank! Also die Verlobung haben Papa und Mama mit Kurts Familie gemacht. Na, und dann sind wir gefragt worden. Wenigstens ich. Ob auch Kurt, weiß ich nicht! Na, und ich habe es mir nicht lange überlegt. Was hängt schon schließlich an so 'ner Ehe? Klappt's, ist es gut! Klappt's nicht, dann ist's noch ebenso. Dann geht eben jeder stillschweigend seine Wege; oder wenn ein Teil unmodern ist und sich daran stößt; – na, so trennt man sich. Und da ich als Frau v. Reinhart gesellschaftlich auf alle Fälle mehr bin als Fräulein Rosen, so kann ich bei der ganzen Geschichte nur gewinnen.«
»Und Kurt?«
»Der wird auch wissen, warum er's tut! Umsonst heiratet der mich nicht. Mama sagt zwar: ›Unsinn, du bist hübsch genug, um jedem Esel einzureden, er hat sich in dich verliebt.‹ Aber ich weiß doch Bescheid. Reinharts sind in der vierten Generation getauft. Wir in der ersten. Bei denen denkt kein Mensch mehr daran, daß sie je Juden waren. Sein Großvater war schon Offizier. Wenn da der einzige Sohn bei uns reinheiratet, ohne daß er mich kennt, nicht wahr, dann hat's doch 'n Grund?«
»Das kann ich nicht beurteilen.«
»Jedenfalls ist mir lieber, Kurt v. Reinhart heiratet mich des Geldes wegen, als irgendein Arzt oder Anwalt aus Liebe.«
»Davon verstehe ich nichts.«
»Wie sollten Sie auch! Sie Glückliche können ein Dutzend Männer haben, ohne daß Sie einen zu heiraten brauchen; ich muß heiraten, um einen einzigen Mann zu haben, der mich womöglich nicht einmal reizt. Bei Kurt, na, da werd ich erst einmal sehen. Übrigens, ist Kurt eigentlich hübsch? Nicht wahr, er ist blond? Ich liebe eigentlich mehr dunkle Männer – aber Mama sagt: ›Unsinn, schwarze Männer haben schweres Blut und einen tiefen Charakter, das ist nichts für dich. Blonde sind oberflächlich.‹ – Ist Kurt oberflächlich?«
»Nein!«
Sie verzog das Gesicht.
»Schade!« sagte sie.
»Kurt hat also zugestimmt?«
»Ich meine auf die Anfrage seiner Familie – –«
»Ach so! Wegen der Ehe?«
»Ja!«
»Er muß doch wohl. Oder seine Familie nimmt es wenigstens an. Direkt gesagt haben sie's nicht!« –
»So! so!« sagte Änne, und Margot merkte, wie Änne sich an dieser Hoffnung aufrichtete.
»Jedenfalls werde ich es mir schwarz auf weiß zeigen lassen, ehe eine offizielle Anzeige erfolgt. Sie glauben gar nicht, wie vorsichtig ein junges Mädchen aus unseren Kreisen auf seinen guten Ruf bedacht sein muß. Seien Sie froh, daß Sie das nicht nötig haben.«
»Ich gestehe gern, ich beneide Sie nicht.«
»Und ich kann mich auf Sie verlassen?«
»Nach welcher Richtung?«
»Daß Sie mir helfen, den Kurt richtig zu behandeln.«
»Ich Ihnen?« fragte Änne erstaunt.
»Anderenfalls! … Sie wissen! …« Sie drohte mit der Hand. »Gucke ich euch auf die Finger!«
»Ja! Was meinen Sie!« fragte Änne entsetzt. »Sie glauben doch nicht etwa, daß, wenn Sie seine Frau sind, daß ich dann …«
»Papperlapapp!« erwiderte sie und hielt ihr den Handschuh vor den Mund, »keine künstliche Erregung!«
»Ja! Erlauben Sie!« sagte Änne wütend.
Aber Margot lachte überlegen und erwiderte:
»Nein! Ich erlaube nicht! Nämlich, daß Sie mir einen Bären aufbinden. Sie sehen zwar eher wie eine Pastorentochter, als wie die Geliebte Kurt v. Reinharts aus; aber stille Master sind tief! – Also!« und sie hielt ihr die Hand hin, »auf gute Freundschaft!«
Mechanisch legte Anne ihre Hand in die Margots.
In diesem Augenblick empfand sie Mitleid mit dieser Frau! Wie trostlos öde muß es in einem solchen Menschen aussehen! dachte sie.
»Aber eleganter müssen Sie werden!« sagte Margot und betrachtete Änne nochmals ganz genau: »Famos!« rief sie, »Sie haben meine Figur! Sie können meine Kleider tragen!«
Änne sah sie entgeistert an.
Margot drückte ihr die Hand und ging.