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Der Bock als Gärtner

Also was wird?« fragte Frau Geheimrat Becker ihren Gatten.

Und der erwiderte: »Was heißt, was wird? – Was soll werden? – Nichts kann mehr werden – leider; denn es ist! – Was soll man jetzt noch anderes tun, als möglichst geräuschlos die Sache totmachen und jeden Skandal vermeiden.«

»Wie totmachen? – Etwa indem man das Kind …«

»Hast du vielleicht die Absicht, dein Kind Mutter werden zu lassen?«

Und Frau Geheimrat Becker erwiderte sehr bestimmt: »Allerdings! Das habe ich!«

»Du bist verrückt!« platzte er heraus und erhielt zur Antwort: »Menagier' dich!«

»Den Rat hättest du bester Käte geben sollen – als es noch Zeit war.«

»Das war sehr unklug von Leo, denn da er die Generalversammlung der Dürner Metallwerke nicht versäumen wollte, so hätte er alles vermeiden müssen, was Frau Geheimrat Becker als einen Vorwurf empfinden und daher reizen mußte.

Als sie ihre Verteidigungsrede, die reich an Ausfällen gegen ihren Gatten war, beendete, gab Leo jeden Widerspruch auf und stimmte allem zu, was Frau Geheimrat Becker billigte; und mißbilligte alles, was Frau Geheimrat Becker zu tadeln fand.

»... und darum«, schloß sie ihre Rede, »halte ich es für ein Glück, wenn sie sich schon einmal von diesem Grafen von Torny verführen ließ, daß es wenigstens Folgen hatte.«

Leo machte ein sehr dummes Gesicht; aber er widersprach auch jetzt nicht.

»Oder findest du etwa nicht?«

»Gewiß, Ida!«

Sie wußte, wenn er dem zustimmte, geschah's aus Taktik; – das reizte sie maßlos.

»Wieso findest du das? – Wie kannst du das überhaupt finden?« schrie sie ihn an. »Belüg mich doch nicht! – Du denkst ja ganz anders.«

»Ich habe dich mißverstanden,« lenkte er ein, »natürlich ist es ein großes Unglück; – es wäre nicht halb so schlimm, wenn das mit dem Kind nicht wäre … darum eben mein' ich …«

Frau Geheimrat Becker ließ ihn nicht zu Ende sprechen. »So! – meinst du? – Na, dann will ich dir sagen, daß ich es ganz und gar nicht für ein Unglück halte; im Gegenteil.«

Leo geriet in Verlegenheit. Nun wußte er überhaupt nicht mehr, wie er sich zu verhalten hatte, um schnell zu Ende zu kommen. – Weiß Gott, sie macht es einem schwer, dachte er.

»Du mußt doch deine Gründe dafür haben,« sagte er endlich, »so red' doch, ich kann doch nicht raten, was du vorhast.«

»Eine schöne Stütze habe ich an dir, das muß man sagen. – Wenn du ein Mann wärst …«

»Was wäre dann?« unterbrach er sie.

»Daß du noch fragen kannst! Als ob das nicht selbstverständlich wäre! Heut noch würdest du zu ihm gehen und ihm sagen: Herr Graf, Sie haben meine Gastfreundschaft mißbraucht! Sie haben mein Kind verführt! Dafür würde ich Sie vor die Pistole fordern …«

Leo wurde unruhig; er vergaß in diesem Augenblick sämtliche Generalversammlungen; na ja; das fehlte ihm, wo er sich seit Jahren kein Theaterstück mehr ansah, in dem geschossen wurde.

Und Frau Geheimrat Becker fuhr fort: »... wenn Gott nicht gewollt hätte, daß die Folgen …«

»Was willst du vom lieben Gott? Laß den gefälligst aus dem Spiel bei solchen Dingen.«

»Darauf kommt es auch nicht an,« wehrte sie unruhig.

»Nu also; das mein' ich auch,« sagte Leo, »wozu noch 'nen Dritten verantwortlich machen. Er wird dir dann höchstens erwidern: Was kann ich dafür, daß Gott gewollt hat; ich wollt' nicht, also halten Sie sich gefälligst an ihn.«

Frau Becker aber wurde feierlich: »Ich würde Sie vor die Pistole fordern …«

»Hör' endlich mit dem Unsinn auf,« sagte Leo zitternd.

»... und Sie über den Haufen schießen.«

»Wer bürgt mir, daß nicht er … er muß doch auch eine Pistole haben … er wird doch auch schießen wollen …« Leo war's, als wenn ein Strom eiskalten Wassers durch seinen Körper schoß.

»So laß mich doch ausreden,« fuhr sie ihn an: »Da Ihr Verkehr mit meiner Tochter aber nicht ohne Folgen blieb, so kann ich und will ich dem Kinde natürlich nicht den Vater rauben.«

Leo atmete auf: er brauchte sich also nicht zu schießen. Alles andere schien ihm nun nebensächlich.

»Du mußt ihm sagen, daß wir unser Kind zwar gern noch ein paar Jahre zu Hause behalten hätten; das ginge nun freilich nicht, da er die Ehe erzwungen habe. Du kannst ja hinzufügen, daß sein Mittel zwar etwas radikal und eben nur mit seiner großen Liebe zu entschuldigen sei. Du würdest noch heute die Verlobung veröffentlichen, denn länger könne man sie auf keinen Fall hinausschieben; es gäbe zu viel niederträchtige Menschen, die gerade in solchen Fällen ganz genau die Tage berechnen. Du läßt dich weder unterbrechen, noch auf irgendwelche Diskussionen ein. Es hängt alles davon ab, daß du fest und energisch auftrittst.«

Leo nickte und stimmte zu. Hm, das wäre freilich eine bequeme Lösung.«

»Es gibt keine andere, verlaß dich darauf – oder gefällt sie dir etwa nicht?«

»Gewiß,« gab er zur Antwort, »sehr! Außerordentlich.«

»Ich glaub's. Das hätten wir in unseren kühnsten Träumen nicht erhofft; solch einen Schwiegersohn.« – Sie war ganz feierlich. »Da sieht man wieder, wie sich im Leben aus einem Unglück ein großes Glück entwickeln kann!«

Leo war mit der schnellen Erledigung sehr zufrieden Er stand auf, legte seinen Arm um ihre Schultern und sagte sehr höflich: »Gewiß, Ida, aber nur, wo so kluge Frauen wie du es auch richtig zu nutzen wissen.«

Ida war gerührt; ihre Stimme klang weich, als sie sagte: »Du kannst dich darauf verlassen, Leo, eine Mutter weiß immer den besten Rat, wo es sich um das Glück ihres Kindes handelt.«

Und Leo verließ sich darauf. Er stieg in sein Automobil und fuhr zum Grafen von Torny.

*

Egon Graf von Torny, Oberleutnant im 1. Garde-Dragoner-Regiment Königin Viktoria von Großbritannien und Irland, lag mit offener Litewka und hohen Stiefeln, auf denen noch dick der Staub der letzten Felddienstübung lag, auf seiner Chaiselongue und schlief. Vor ihm auf einem weichen Kissen hockte Anny. Sie mühte sich mit zwei jungen Teckeln ab, die durchaus nicht Schön-machen wollten, sich immer wieder auf ihre Ruten setzten und zur Seite glitten.

Franz, der Bursche, erschien und brachte auf einem silbernen Tablett eine Karte.

»Tramps nicht so elefantenmäßig auf; du siehst doch, er schläft,« fuhr sie ihn an. »Wer ist da?«

Franz trat an sie heran, bückte sich und reichte ihr das Brett. Sie nahm die Karte und las: »Leo Becker, Kgl. Preuß. Geh. Kommerzienrat und Senator der Kaiser-Wilhelm-Stiftung. Ritter p. p.« »Nanu, was will'n der?«

»Den Herrn Oberleutnant sprechen.«

»Rein mit ihm! Solang er schläft, werde ich mich mit dem Ritter p. p. unterhalten.«

»Zu Befehl, gnädiges Fräulein.«

Franz ging. Es klopfte. Anny rief halblaut: »Herein«, und in der Tür erschien im Gehrock, den Zylinder in der Hand, Leo, der Herr Senator. Die Teckel erhoben lautes Geheul und stürzten ihm entgegen; er wich vor Angst zurück, schob sich durch die Tür und verschwand wieder. Egon Graf von Torny flüsterte im Halbschlaf: »Schmeiß doch die Tölen raus!« dann schlief er fest wieder ein. Franz erschien abermals und bestellte, der Herr ließe bitten, man möchte die Hunde entfernen, er sei schreckhaft.

»Er hat Angst vor Hunden! Schon sehr unsympathisch! Bring' die Maulkörbe her! – Merci! – So, seht ihr, jetzt gefährdet ihr kein Menschenleben mehr. – Still gesessen! Schön gemacht! Herein mit dem Helden!«

Franz öffnete die Tür, und der Senator trat ein. Die Hunde rührten sich nicht, Anny wies mit der Hand auf die Chaiselongue: »Sprechen Sie leise – kommen Sie hierher–.« Sie nahm behutsam von der Chaiselongue noch ein Kissen, legte es neben sich auf die Erde, faßte den Senator bei der Hand und zog ihn zu sich hinunter: »So, hier setzen Sie sich, bis er aufwacht.« Sie ließ ihm keine Zeit zu widersprechen; es war nicht ganz einfach; er kam erst auf die Knie, sein Zylinder rollte auf den Boden. Mimi, der weibliche Teckel, kullerte mit ihm durch die Stube. Dann kam Leo endlich neben sie zu sitzen; sie ließ seine Hand los und beide sahen sich in die Augen.

Anny hielt noch immer seine Visitenkarte in der Hand; »Sie sind also der Kgl. Preuß. Geh. Kommerzienrat, Senator und Ritter p. p.; sozusagen also ein verflucht feines Aas!« Sie besah ihn genau. »Nicht mehr jung! Auch nicht gerade aufregend schön, aber ein sympathischer alter Herr.«

»Sehr schmeichelhaft,« erwiderte Leo, dem allmählich zum Bewußtsein kam, in welcher Situation er sich eigentlich befand. Er überlegte: wenn der Graf erwachte und ihn in dieser Stellung auf der Erde fand, neben seiner Geliebten, – das war unmöglich: seine Mission konnte dann nicht mehr ernst wirken. Also mußte er sich erheben; auf der Stelle! – Doch war das nicht unhöflich und zugleich beschwerlich? – Und dann: Anny war, davon überzeugte er sich jetzt gründlich, jung, aufregend schön und ein sympathisches junges Mädchen. Er war leichtsinnig genug und sprach das aus. Das bewirkte, daß Anny ihren Arm um seinen Hals legte und ihm einen herzhaften Kuß auf die Stirne gab.

»Also, Großpapa, legen Sie los! Was wollen Sie von meinem Egi?«

»Um Himmels willen, reden Sie leise! Wenn er jetzt aufwacht!« Und Leo faßte den festen Entschluß, sich zu erheben. Er sah ängstlich auf die Chaiselongue, auf der Graf Torny regungslos lag und schnarchte.

»Seien Sie unbesorgt! Der wacht die nächsten zwei Stunden nicht auf. Wenn er eine Felddienstübung hinter sich hat, dann schläft er wie'n Affe; oft bis zum nächsten Morgen.«

»Ja, aber – ich kann doch unmöglich bis morgen früh hier – in dieser Stellung – sitzen bleiben – etwas anders hatte ich mir diesen Besuch ja gedacht –.« Er sah sie ratlos und verzweifelt – und doch so freundlich – an. Er wußte wirklich nicht recht, was er beginnen sollte. Diese Anny war ja in der Tat ein reizvolles Geschöpf! Für solche Dinge war ihm neben seinen Geschäften niemals Zeit geblieben. Ein dummer Kerl war er, der sich für andere quälte, nie an sich und sein Vergnügen dachte. Ganz schüchtern – denn er schämte sich noch vor sich selbst – faßte er hier den Entschluß, sich zu ändern und Abwechslung in sein Leben zu bringen. Bald, sehr bald; denn das war nötig, wollte er die wenigen Jahre nutzen, die ihm noch blieben.

»Wollen wir ihn nicht wecken?« fragte er sie. Und er spürte, daß dies sein letzter Versuch war, sich aus dieser Situation, die er, der ewig stumme Beobachter, »höchst reizvoll« fand, zu befreien.

»Aber nein! Ausgeschlossen! Vor sechs Uhr nicht!« erwiderte Anny. »Sonst ist er des Nachts wieder nicht zu gebrauchen und schläft mir, statt zu tanzen, vor allen Menschen in den Sälen ein.« Sie schob ihr Kissen ganz dicht an ihn heran. »Also, nun erzählen Sie endlich los, was wollen Sie eigentlich von ihm?«

Da er ihr das beim besten Willen nicht sagen konnte, mit seinen Gedanken auch schon ganz wo anders war, so gab er zur Antwort: »Erst muß ich wissen, wer Sie sind.«

»Sie scheinen nicht sehr begabt zu sein, Herr Senator, – ist das eigentlich ein Name oder ein Titel?« – Und ehe er noch antworten konnte, hatte sie schon wieder ihre Arme um seinen Hals geschlungen; diesmal gab sie ihm einen herzhaften Kuß auf den Mund, so daß er ganz verlegen wurde. »So – das bin ich für ihn – wissen Sie's nun?«

»Ich vermute!« – Ihm war warm geworden; Teufel ja! Dieser Graf hatte es gut! Er nahm ihre weiße, gepflegte Hand und küßte sie; »nicht wahr, das?« fragte er sie.

»Aber nein!« gab sie zur Antwort, stürzte sich über ihn, drückte und küßte ihn. »Ich bin ja so jung und brauche Liebe, Liebe, Liebe! Viel mehr, als er mir geben kann. Denn er hat ja so viele. Ich aber sehne mich nach einem Mann, den ich für mich allein besitze, der niemand liebt außer mich. – Die Jungen sind Windhunde und taugen nichts! So einen wie dich suche ich längst.« – Wieder küßte sie ihn; und er merkte, daß er nicht schüchtern blieb, daß er ihre Zärtlichkeit erwiderte.

»Willst du?« fragte sie ihn, und er gab »Ja« zur Antwort. »Dann gebe ich alles andere auf; auch den Egi, obgleich ich ihn lieb hab', und lebe nur noch für mich und meine Gesundheit, – wie habe ich mich nach so etwas gesehnt; nach Ruhe, – komm'!«

Sie stand auf und zog ihn mit sich empor; das war nicht einfach, gelang aber. Sie drückte auf den Knopf; Franz kam.

»Meine Sachen bring' und die vom Herrn Senator – der Hut liegt da in der Ecke.« Sie zogen sich an. Egon schlief noch immer. »Und bestell ihm,« Franz half ihr in den schweren Zobel, »ich käme nicht wieder … er soll's sich nicht so zu Herzen nehmen … vielleicht schreib' ich ihm noch ein paar Zeilen.«

Sie gingen. Franz blieb im Zimmer. Anny kam noch einmal zurück: »Daß du ihn nicht weckst vor sechs Uhr, verstanden?« – Dann ging sie an die Chaiselongue, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und Mund und stürzte mit Tränen in den Augen hinaus. Draußen wartete der Senator:

»Sie haben geweint?«

»Ich hatte ihn ja so lieb,« schluchzte sie. Dann schob er sie in sein Auto, und sie fuhren davon.

So entführte Leo dem Grafen, statt ihn als Schwiegersohn in sein Haus zu bringen, seine Geliebte.

Franz befreite die Teckel, die ängstlich in der äußersten Ecke des Zimmers hockten, von ihren Körben; sie berochen mit großem Interesse das Kissen, auf dem noch eben Leo, der Senator, gesessen hatte; zerfetzten es dann, verstreuten die Federn über den Teppich und trugen stolz die Seidenreste im Zimmer umher. Dann rissen sie die Visitenkarte aus feinstem Elfenbeinpapier, die neben Annys Kissen lag, in tausend kleine Stücke und sprangen, nachdem sie so die letzten Spuren des Herrn Senators, in dem sie einen Feind ihres Herrn witterten, vernichtet hatten, auf die Chaiselongue, legten ihre klugen Köpfe auf Egons hohe und bestaubte Stiefel, deren Geruch sie entzückte, und schnarchten mit ihm um die Wette.


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