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Margot war die Tochter des Kommerzienrats Freund. Margot brauchte einen Mann. Teils aus Gründen, die in ihrer Person lagen und hier besser unerörtert bleiben. Teils, weil sie seit ein paar Wochen zwanzig war, ein Alter, in dem es sich für ein Mädchen aus ihren Kreisen schickte, Frau zu werden. Drittens aber, weil der Fabrikdirektor Freund fühlte, daß er alt wurde und in seinem Prokuristen Doktor Moll einen Menschen hatte, der, obschon er kleiner Leute Kind war, das Zeug besaß, die Fabrik weiter zu führen.
Der Prokurist Doktor Moll entsprach zwar ganz und gar nicht dem Bilde, das sich Frau Kommerzienrat Freund zwanzig Jahre lang von ihrem künftigen Schwiegersohne gemacht hatte. Die Gründe aber, die in Margots Person lagen, sprachen so deutlich, daß sie die Wahl ihres Mannes billigte.
Auch Margot war klug genug, um das einzusehen. Sie fügte sich und sagte, so oft man ihr von dieser Ehe sprach:
»Ihr müßt ja wissen.«
Freund also sprach mit seinem Prokuristen. »Sie werden einsehen,« sagte er, »ich muß endlich jemanden haben – und je älter ich werde, um so nötiger wird das – der meine geschäftlichen Interessen in der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten nicht erschöpft sieht, jemand – wie drück' ich mich nur gleich aus? – der sich und seine Person mit dem Geschäfte identifiziert – genau wie ich es tue.«
Der Prokurist Doktor Moll sah darin einen Vorwurf.
»Ich weiß wirklich nicht, Herr Kommerzienrat, womit ich dies Mißtrauen verdient habe. Seit zehn Jahren lebe und denke ich nur für Ihre Firma, ohne mich um die festgesetzten Bureaustunden …«
Weiter ließ ihn Freund nicht kommen.
»Tun Sie auch, lieber Doktor! Darum eben wende ich mich gerade an Sie und nicht an einen andern. – Also, nicht wahr. Sie wissen schon, wo ich hinaus will: Ich möchte einen Schwiegersohn haben, der zugleich mein Associé wird. Oder umgekehrt. Aber das kommt auf eins raus.«
Moll dachte, ihn treffe der Schlag. Aber er merkte schnell, daß das ein Irrtum war. Er war, ohne daß er es wußte, aufgesprungen und stand jetzt vor dem Kommerzienrat. Der fragte:
»Wollen Sie?« und streckte ihm die Hand entgegen.
Freudig schlug Moll ein.
»Ich sehe darin das höchste Vertrauen«, gab er zur Antwort – »und werde bestrebt sein, es nach jeder Richtung hin zu rechtfertigen.«
Das hätte er bei einer Gehaltserhöhung auch gesagt, dachte Freund. Ganz gut, er nimmt die Sache nicht feierlich, sondern rein geschäftlich. Das vereinfacht den Fall. Er kniff die Augen zusammen und sagte:
»Nun, wir kennen uns lange genug, um zu wissen, daß wir auch außergeschäftlich miteinander auskommen werden. – Übrigens, es wird ganz gut sein, wenn man es nach außen so hinstellt, als wenn diese Ehe zwischen uns und Ihnen längst beschlossene Sache war. Nicht erst seit heute. Sie kennen meine Tochter ja auch schon lange genug, um das glaubhaft zu machen.«
Da Moll etwas verlegen dreinschaute, fuhr er fort: »Oder nicht? – Na, Sie waren doch jeden Winter einmal zu unseren großen Empfängen, da müssen Sie sie doch gesehen haben.«
»Gesehen schon!« erwiderte Moll, »ich habe ihr auch die Hand gereicht … aber gesprochen …«
»Das weiß kein Mensch, ob Sie mit ihr gesprochen haben oder nicht. Das spielt auch gar keine Rolle. Es genügt, daß man Sie seit Jahren bei uns im Hause gesehen hat und weiß. Sie verkehren bei uns. Alles andere ist doch Nebensache! Nicht wahr? Sie können ja Dutzende von Malen bei uns gewesen sein, ohne daß ein Dritter etwas davon zu wissen brauchte.«
Das leuchtete Moll ein.
»Sie kennen mich«, fuhr Freund fort, »und wissen, wenn ich einen Entschluß gefaßt habe, dann ruhe ich nicht eher, als bis er ausgeführt ist. Dieses endlose Verlobtsein bei Leuten, die sich seit Jahren kennen, wie Sie und meine Tochter, hat nach meinem Empfinden etwas unsagbar Kindisches. Paßt gar nicht mehr in unsere Zeit, wo man nervös wird, wenn ein Auto fünfzehn Minuten fährt, wo eine Droschke früher dreiviertel Stunden brauchte.«
Moll nickte zustimmend, obschon er durchaus keinen Zusammenhang zwischen einer Verlobung und einer Droschkenfahrt finden konnte.
»Wenn man weiß, was man will, dann soll man sehen, daß man es zu Ende führt!« sagte Freund. »Daher bin ich auch dafür – heute haben wir den elften November, na, man braucht's ja nicht gleich zu überstürzen, also sagen wir mal, daß so um den fünfundzwanzigsten herum die Hochzeit ist.«
»November?« fragte Moll, das war doch wohl nicht möglich.
»Gewiß,« erwiderte Freund, »worauf wollen Sie warten? Sie sind Weihnachten in Ägypten; prachtvoll, sage ich Ihnen! Meine Tochter weiß Bescheid, die wird Sie herum führen. Und in Berlin sorgt unterdessen schon meine Frau dafür, daß Sie alles fix und fertig vorfinden, wenn Sie im Februar zurückkehren.«
»Wenn Sie meinen, Herr Kommerzienrat.«
»Ich bin davon überzeugt!« – Er stand auf und nahm Moll, dem schwarz vor Augen wurde, unter den Arm. »Und nun komm! Ich habe in einer Stunde eine Aufsichtsratssitzung, und wenn ich nicht irre, sind meine Frau und Tochter heute nachmittag zum Tee geladen.«
Sie gingen die Treppe hinunter und bestiegen Freunds Auto. Unterwegs redete Freund unaufhörlich auf Moll ein. Alles durcheinander: von Frauenzimmern und Geschäften, von Reisen und gesellschaftlichen Pflichten, von Toiletten und Automobilen … Aber Moll verstand nichts. Er mühte sich krampfhaft in die Rolle hinein, die er nun spielen sollte. Es ging nicht. Er fühlte sich unsicher; die Lippen waren ihm trocken; er brachte kein Wort heraus, – die Angst saß ihm in der Kehle; drückte auf ihn, nahm ihm den Atem. Und zur Qual wurde ihm diese Stunde, die ihm, hätte er sie vorausgeahnt, in Gedanken alles Glück der Welt bedeutet hätte. –
Unterdessen hatte Frau Kommerzienrat Freund ihrer Tochter, während sie Toilette machte, noch einmal auseinandergesetzt, aus welchen Gründen diese Ehe die einzig mögliche Lösung war. Margot, vor die letzte Entscheidung gestellt, verzog das Gesicht. Erst als ihre Mutter versicherte, eine Ehe verpflichte heutzutage zu nichts, willigte sie schließlich ein und sagte:
»Na ja, meinetwegen.« –
Freund, der in Begleitung Doktor Molls als Triumphator kam, ließ seine Gattin auf einen Augenblick herausbitten. Im kleinen Salon trafen sich beide und fragten gleichzeitig und unvermittelt:
»Na, Julius?«
»Na, Betty?«
»Wie weit bist du?«
»Ich habe seine Zustimmung!«
»Und ich ihre.«
»Es war nicht einfach,« erklärte Julius.
»Er soll bedankt sein,« meinte sie, »oder weiß er etwa schon?«
»Keine Silbe! Ich werde mich hüten!«
»Und wann kommt er?«
»Er ist schon da!«
»Wo?«
Julius wies auf die Tür: »Nebenan im Herrenzimmer. Er ist sehr schüchtern und wird nicht recht wissen, wie er's anfangen soll. Ich glaube, man muß ihm etwas unter die Arme greifen.«
»Unsinn!« erwiderte Betty, »laß das nur Margots Sorge sein – die ist nicht auf den Mund gefallen.«
»Wenn du meinst,« erklärte wie immer Julius.
Inzwischen hatte Frau Freund ihre Tochter gerufen, die in einer übertrieben eleganten, mit venezianischen Spitzen besetzten Morgentoilette ins Zimmer rauschte. Sie trat nahe an ihren Vater heran, reichte ihm die zarte, weiße, gepflegte Hand und deklamierte mit feierlicher Ironie:
»Höre, Mutter, nun die letzte Bitte:
Einen Scheiterhaufen schichte du!
Öffne meine bange, kleine Hütte,
Bring in Flammen Liebende zur Ruh'.«
Betty, die ihren Goethe nur dem Einbande nach und aus dem Tiergarten kannte, sagte ärgerlich:
»Laß jetzt die Kalauer und nimm dich zusammen. Er ist bereits da und wartet, daß wir ihn rufen.«
»Aber bitte! von mir aus steht nichts im Wege,« erwiderte Margot.
Beide sahen sie an.
»Soll ich ihn rufen?« fragte der Alte.
»Aber Papa, das mußt du doch wissen. Ich beschränke mich darauf, ›ja‹ zu sagen, alles andere müßt ihr schon machen.«
Und Julius ging und öffnete die Tür so weit, daß er bequem hindurchkommen konnte. Moll mühte sich aus seinem tiefen und bequemen Sessel, in dem er mehr gelegen als gesessen und seine Ruhe einigermaßen wiedergefunden hatte, empor und ging ihm entgegen.
Julius hatte das Gefühl: Wie gut, daß ich nicht an seiner Stelle bin; es hatte denn auch etwas Beileidmäßiges, als er ihm jetzt die Hand entgegenstreckte und zu ihm sagte: »Geh hinein! Sie erwartet dich!« Und er war ordentlich erstaunt, mit wie sicheren Schritten sich Moll ohne Zaudern zur Tür wandte, sie öffnete, eintrat und von innen wieder schloß. Er selbst blieb unbeweglich in der Mitte des Herrenzimmers stehen; wandte kein Auge von der Tür, denn eine innere Stimme sagte ihm, daß etwas Unerwartetes geschehen werde.
Und im Wintergarten, auf der anderen Seite des Salons, in dem Margot ihren künftigen Gatten erwartete und den nur eine Portiere von dem Herrenzimmer gegenüber trennte, stand Frau Friedheim und lauschte neugierig und erwartungsvoll den Vorgängen, die nun folgten.
Moll trat ein; an der Tür schon verbeugte er sich. Margot dankte; sie bewegte sich kaum; lehnte am Flügel und streifte träge ihr Haar zur Seite.
»Mein gnädiges Fräulein,« begann er, »ich habe seit langem das Glück, Sie zu kennen …«
» Kennen kann man es wohl eigentlich nicht nennen,« erwiderte Margot heiter. » Wir wissen, wer wir sind, das ist wohl aber auch alles. Soweit ich mich wenigstens erinnere – und ich habe gerade für solche Dinge ein ausgezeichnetes Gedächtnis – haben wir noch nie ein Wort miteinander gesprochen.«
Die Sicherheit, die sich Moll vorher auf dem tiefen und bequemen Sessel mühselig abgerungen hatte, erlitt durch diese Worte einen schweren Stoß; stärker jedenfalls, als er ihn ertragen konnte. Um so mehr, als der Nachsatz seiner Rede: »das berechtigt mich dazu, was ich nun lange genug still mit mir herumgetragen habe, endlich auszusprechen, nämlich Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe,« – als dieser Nachsatz, den er sich soeben im Herrenzimmer mit Anspannung seiner ganzen Kraft zurechtgelegt hatte und von dem er sich eine starke Wirkung versprach, nun nicht mehr verwendbar war.
Statt dessen fuhr Margot fort: »Sie sind Angestellter bei meinem Vater, nicht wahr?« – Moll schwieg. – »Na, das ist doch keine Schande; Sie sollen ja sehr tüchtig sein. Papa sagte erst neulich wieder, daß Sie sein zuverlässigster Beamter wären. – Glauben Sie nicht etwa, daß mich das nicht interessiert! Daß ich das nur so hinrede, um irgend etwas zu sagen – ganz und gar nicht.« – Sie gab sich jetzt Mühe, so kokett zu sein wie nur irgend möglich. – »Ich bin sehr verwöhnt! Sehr! – Wirklich! – Sie machen ein so ungläubiges Gesicht. Aber es ist wahr! Ich koste Papa viel Geld! Kleider, Hüte, Pferde, Autos, Reisen, – ich trage meine Handschuhe nie öfters als einmal – auch die ganz teuren nicht. Sie wissen, die mit sechzehn Knöpfen – na und mit meinen Strümpfen – das Paar zu fünfundzwanzig Mark – mache ich es auch nicht viel anders. Glauben Sie, das geht ins Geld! Ich habe eine Freundin, die läßt ihre seidenen Strümpfe ›stopfen‹! Denken Sie, wie geschmacklos! ›Stopfen‹« – sie wiederholte es mit vollem Munde – »schon das Wort ist ekelhaft. Ich finde fast, darin liegt eine Mißachtung des Mannes – oder sind Sie anderer Meinung? – Denken Sie nur: man geht mal ein paar Schritte – nicht wahr, das kann ja mal vorkommen, denn schließlich sitzt man ja nicht immer in seinem Automobil oder zu Pferde – und plötzlich spürt man ein Steinchen, das drückt, oder etwas Ähnliches und bittet seinen Mann – da ist doch nichts bei, denn man hat ja nicht immer auf Schritt und Tritt seine Zofe bei sich – einem behilflich zu sein. Ja, ich glaube, ich würde vor Scham unter die Erde sinken, wenn er mir den Schuh auszöge, und ich hätte einen gestopften Strumpf« – sie schüttelte sich vor Ekel! – »o shocking! Nicht auszudrücken!« – Sie nahm ihr kleines Spitzentuch und drückte es leicht an den Mund. – »Man bekommt einen üblen Geschmack, wenn man nur daran denkt; – da riechen Sie!« – Sie hielt ihm das Tuch unter die Nase, und er spürte einen lieblichen Geruch. – »Es ist La Corida! – Finden Sie den Duft nicht berückend? Dabei ganz dezent, – das heißt, wenn man nur ein paar Tropfen nimmt. In Mengen wirkt es ordinär! Im Schlafzimmer meiner Zofe wird man ohnmächtig, so stark riecht es. Ich glaube, sie wischt damit auf! Aber ich lasse sie ruhig. Sonst nimmt so 'ne Flasche nämlich überhaupt kein Ende!«
– Pause. –
Sie stand jetzt vor ihm und sah ihm scharf in die Augen; er war völlig hilflos und wagte nicht einmal, sich zu bewegen; ihren Blick erwiderte er, ohne daß er's wußte; denn er unterschied nichts mehr. Und er überlegte daher auch nicht, was Margots Gerede denn eigentlich mit dem zu tun hatte, weswegen er, statt wie sonst um diese Zeit zwischen hundert Briefen in seinem Bureau zu sitzen, hier festgehalten wurde.
»Oder sind Sie kein Freund von Wohlgerüchen?« – Sie stand jetzt so nahe vor ihm, daß sie sich fast berührten. – »Ich nämlich sehr …«, sagte sie und streifte ihn leicht mit der Schulter. – »Sie werden sich also daran gewöhnen müssen.«
Er sagte noch immer nichts; aber er fühlte, wie lächerlich die Rolle war, die er spielte. – Wenn er sie jetzt in die Arme schloß – ganz fest! Sie auf die Chaiselongue zog und nach Herzenslust küßte! – Ja! Das wäre wohl die rechte Antwort, die ihr keckes Wesen verdiente. Das spürte er deutlich. – Aber ehe er das wagte! Kaum bewegen konnte er sich. Schwer wie Blei lag es in seinen Gliedern. Nicht einmal, daß er die Lippen auseinander brachte! Und da dachte er an so etwas!
Er begriff nicht, was sie von ihm wollte; warum sie das tat; ihn so quälte und reizte.
Margot stand noch immer dicht vor ihm; sah ihm noch immer gerade in die Augen und sagte mit einer Ruhe, die bestimmt und überlegen war:
»Ich kann Ihnen nicht helfen, bester Herr, es ist bestimmt im hohen Rat der Eltern, und Sie werden, wenn Sie nicht Ihre Stellung verlieren wollen, wohl oder übel Ja und Amen dazu sagen müssen. Genau wie ich! Ich sehe für mich daher auch gar keinen Grund, es Ihnen zu erleichtern. Oder auch nur das geringste zu tun, was nicht unbedingt nötig wäre. – Schließlich können Sie doch nicht erwarten, daß ich Ihnen einen Antrag mache – ich denk' nicht daran; im Gegenteil! Ich bin sehr gespannt, was Sie mir sagen werden. – Also, bitte.«
Moll riß das Maul weit auf. – »Gute Zähne haben Sie übrigens!« sagte Margot. Er verstand nun erst, wie sie den Gedanken ihrer Vereinigung faßte. Einen Augenblick lang erschreckte es ihn; dann aber fand er sich schnell hinein. Das war ja etwas anderes. Nun, da er wußte, daß sie den geschäftlichen Charakter dieser Ehe kannte – ja mehr, ihn würdigte und begriff, gewann er auch seine Sicherheit wieder. Denn nun stand er ja wieder auf einem Boden, auf dem er sich zu bewegen wußte und besser auskannte als irgendein anderer.
Margot merkte die Veränderung wohl, die in ihm vorging.
»Wird's nun bald?« fragte sie. »Aber ich bitte Sie um eins: tun Sie mir die Liebe und werden Sie nicht feierlich! Dazu haben wir nachher noch Gelegenheit genug, wenn andere dabei sind. Sie sind mein projektierter Gatte! Ich weiß es! Die Einleitung können Sie sich sparen.«
»Sie werden also den Wunsch Ihrer Eltern erfüllen?« brachte er nicht gerade geschickt heraus.
»Welchen Wunsch?« verstellte sich Margot. – »So strengen Sie sich doch endlich an! Ich finde es geradezu kränkend, daß Sie nicht einmal ein paar passende Worte für mich finden.«
Sie tat gekränkt und warf sich auf die Chaiselongue. Man konnte nicht gut koketter daliegen, als sie es tat. Der enge kurze Rock bedeckte sie kaum bis zu den Knien. Die Spitzen ihres leichten Negligés verrieten mehr als sie verbargen. Die weißen Hände spielten bald nervös im dunklen Haar, bald warfen sie kokett das kleine Spitzentuch hoch in die Luft und griffen danach mit spitzen Fingern, die unaufhörlich in Bewegung waren.
Moll trat jetzt einige Schritte vor; er war ganz steif; es war die erste Bewegung, die er machte, seit er im Zimmer war. Bis dahin hatte er noch immer, ohne sich zu rühren, an der Tür gestanden.
»Ich möchte nicht,« brachte er ziemlich bestimmt heraus, »daß Sie nur, weil Ihre Eltern es wünschen …«, weiter kam er nicht.
»Gut! Gut!« rief Margot. »Nur weiter so – jetzt kommen Sie endlich in Schwung … Also!«
»Zum mindesten müßte ich wissen, daß ich Ihnen nicht unsympathisch bin,« fuhr er fort.
»Wie gräßlich!« erwiderte Margot und machte mit ihren hübschen Händen deutliche Zeichen des Mißfallens. »Ich kenne Sie ja gar nicht! Wie sollten Sie mir da sympathisch oder unsympathisch sein. Genau so gut könnten Sie von mir verlangen, daß ich Sie liebe.«
Eine Pause entstand, dann wandte sich Margot zu ihm: »Also bitte! – So nicht! – Anders!«
Da begann Moll:
»Mein Fräulein! Ich verehre in Ihrem Herrn Vater seit Jahren nicht nur meinen Chef, sondern vor allem meinen väterlichen Berater, für dessen Wohlergehen ich jederzeit bereit bin, meine ganze Person rückhaltslos einzusetzen. Es ist nur natürlich, daß ich diese Verehrung auch auf die übertrage, die seinem Herzen nahe stehen.«
»Bravo!« unterbrach ihn Margot.
»Dazu gehören neben seiner Gattin und seinem Sohne vor allem auch Sie, mein Fräulein!«
»Ausgezeichnet!« rief sie. »Weiter!«
»Aber wahrhaftig, um den Wunsch zu haben, Ihnen zu gefallen, sich Ihr Vertrauen und Ihre Liebe zu erwerben, braucht man nicht erst Ihrem Herrn Vater in Dankbarkeit verpflichtet zu sein.«
»Warum nicht?«
»Man braucht nur einen Blick dahin zu werfen – braucht nicht einmal zu wissen, wer Sie sind – und man fühlt, man möchte Ihnen näher kommen,« er tat ganz unbewußt einen Schritt nach der Chaiselongue zu – »Sie erobern – Sie an sich drücken …«
»Endlich! Endlich!« rief Margot und amüsierte sich köstlich. »Habe ich Sie also doch noch warm bekommen! Einfach war das nicht!« – Sie streckte ihm die Hand hin: »Da!« sagte sie. »Nun dürfen Sie ganz artig hier einen Kuß hingeben.« Moll aber war so erregt, daß er, statt ihre Hand zu nehmen, auf die Chaiselongue zustürzte.
»Langsam! Langsam! Teuerster Gemahl!« rief sie belustigt, streckte zur Abwehr ihm beide Arme entgegen und hielt ihn zurück. – »Erst kalt wie Eis und plötzlich glüht er lichterloh! Wir hatten doch ausgemacht: ohne Feierlichkeit!« – Er beugte sich, als wenn er einen Schlag erhalten hätte, zurück.
»Also programmäßig, wenn ich bitten darf. – Hier meine Hand!« sie streckte den Arm wieder in die Höhe, und er küßte mechanisch ihre Hand. »So, und nun das Unvermeidliche« – sie richtete sich auf, warf den Kopf nach hinten, hielt ihm ihr Gesicht hin und schloß den Mund: »Bitte!« – Er beugte sich zu ihr hinab und drückte ihr, ohne sie zu berühren, einen Kuß auf die Lippen.
Sofort sprang Margot auf, stürzte erst zu dem Vorhang, der den Salon vom Wintergarten trennte, zog ihn mit einem schnellen Ruck zurück: da stand Frau Betty, fuhr zusammen und dachte, sie treffe der Schlag; stürzte dann zur Tür, die ins Herrenzimmer führte, riß sie auf: da stand Julius, der Geheimrat, und ein Schreck fuhr ihm durch den Körper, daß er an allen Gliedern zitterte.
Dann trat sie wieder in die Mitte des Salons, wo Moll, der projektierte Gatte, stand, schob leicht ihren Arm in seinen Arm und rief laut:
»Papa, Mama, erledigt! Kommt! Wir wollen uns gratulieren!«
Und Frau Betty kam von der einen, Julius, der Geheimrat, kam von der anderen Seite, und sie trafen sich in der Mitte des Salons, in dem Margot, die Hand leicht in seinen Arm gelegt, an der Seite ihres projektierten Gatten stand.
»Es war sehr rührend, nicht wahr?« sagte sie mit einem kurzen Blick zu Moll; und Frau Betty, die sich so gern rühren ließ, glaubte es, obgleich sie alles mitangehört hatte, und vergoß Tränen. Dann umarmte sie ihr Kind und küßte es.
»Ich bleibe doch deine Mutter,« sagte sie schluchzend, »wenn du von nun an auch in erster Linie zu deinem Manne gehörst.«
Dann umarmte sie Moll und küßte auch ihn. Der war längst entschlossen, alles über sich ergehen zu lassen. »Mach' unser Kind glücklich, Johannes!« schluchzte sie vor Rührung und wandte sich dann zu Julius, dem Geheimrat. Der wußte aus ähnlichen feierlichen Ereignissen in der Familie schon Bescheid, streckte ihr die Arme entgegen, nickte, noch ehe er wußte, was sie sagen würde, zustimmend mit dem Kopfe und klopfte ihr, während er sie umschlungen hielt, gefühlvoll auf die breiten Schultern.
»Nicht wahr, Julius, genau wie bei uns vor sechsunddreißig Jahren!«