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Der Mann von der Straße

Im Frühling des Jahres 1854 befand sich Topelius ungefähr in derselben Gemütsverfassung wie damals, wo er sich zuerst um die Stelle des Oberlehrers in Vasa beworben hatte. Auch jetzt ging er in der stillen Hoffnung umher, ein freundlicher Herr werde auf der Straße auf ihn zukommen, ihm auf die Schulter klopfen und sagen: »Ihre Verdienste als Journalist und Schriftsteller sind mir nicht entgangen. Es wäre schade, wenn Sie sich in einer Provinzstadt vergraben würden. Ich werde dafür sorgen, daß Sie in Helsingfors bleiben können.«

Es war ein Unglück, daß Zacharias je daran gedacht hatte, sich um eine Oberlehrerstelle zu bewerben, aber im Frühjahr 18S0 hatte er von dem Posten am Helsingforser Lyzeum Abschied nehmen müssen, und dann hatten seine sämtlichen Freunde mit seiner klugen Mama an der Spitze wiederholt gesagt, er habe eine recht unsichere Stellung. Die Zeitung könne jederzeit eingezogen werden, sie ebensogut wie Saima, und dann habe er nicht das geringste, wovon er leben könnte. Gewiß, die Doktorin vergaß nicht, daß er durch seine Bücher auch nebenher noch etwas verdiente. Für die »Heideblumen« habe er ganze fünfzig Rubel erhalten und für jedes der kleinen Märchenbücher ungefähr fünfundsiebzig, schrieb sie. Das genüge ja ganz schön als Taschengeld für Emilie und für das, was er zum Rauchen verbrauche, aber Frau und Kinder könne er unmöglich mit diesem Einkommen ernähren. Außerdem gebe es etwas, das Dienstjahre heiße. Er könne keine solchen aufweisen, wenn er auch fernerhin ein so ungebundenes Leben führe wie jetzt, und zuletzt werde es ihm gänzlich unmöglich sein, irgendeine Stelle zu erhalten, weil sich alle andern besser dafür eignen würden als er.

Und dann gebe es noch etwas, das Pension heiße. Auch auf eine solche könne er unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht rechnen. Aber was solle denn aus ihm und Emilie auf ihre alten Tage werden?

Die Doktorin und die Freunde hatten solange und so vortrefflich gepredigt, daß sich Zacharias im Sommer 1850 wirklich um die gerade frei gewordene Oberlehrerstelle für Geschichte in Åbo beworben hatte, natürlich in der leisen Hoffnung, ihr auf irgendeine Weise zu entrinnen. Und genau wie vor fünf Jahren hatte er seine kleinen lyrischen Arbeiten zusammengesucht und einen Band Gedichte herausgegeben, um zu sehen, ob dieser ihm nicht helfen könne. Aber verschiedene seiner besten, eindrucksvollsten Gedichte hatte er aus dem einem oder andern Grunde weggelassen, so daß ihm nach diesem Band niemand vollauf gerecht werden konnte. Infolgedessen wurde er ungefähr ebenso aufgenommen wie der vorhergehende. Weder Zacharias' Verhältnissen noch seinem Ansehen war damit viel gedient.

Die Mächte, die sein Schicksal lenkten, schienen seinen Wegzug aus der Hauptstadt indes nicht zu wünschen. Als die Stelle in Åbo 1851 besetzt wurde, erhielt nicht er, sondern sein Mitbewerber Oberlehrer Renvall in Vasa den Posten.

Auf diese Weise wurde die Stelle eines Oberlehrers für Geschichte in Vasa abermals frei, und Topelius reichte sein Gesuch ein.

Jetzt aber – angesichts eines derartig kurzsichtigen Eigensinnes – gerieten die Schicksalsmächte in Zorn. Wenn seine Lyrik auch keinen großen Erfolg aufweisen konnte, so war doch »die Herzogin« als Buch und im Unterhaltungsblatt der Zeitung um so besser aufgenommen worden. Die Dramatisierung des alten Barons war über Erwarten geglückt. Die Zeitung gewann immer mehr Einfluß und Ansehen. Der Reichtum und die Kräfte seiner eigenen Seele nahmen beständig zu. Wie konnte ein Mann wie Zacharias ans tägliche Brot denken? Da er indes nicht merkte, wie freundlich die Vorsehung zweimal die Folgen seiner Torheit abgewendet hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als seine Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Und so wurde er denn im Dezember 1851 zum Oberlehrer in Vasa ernannt, doch sollte er seinen Posten nicht vor Mai 1853 antreten.

Im Jahr 1852 waren Volksgunst und Erfolg im Zunehmen. Die ersten Berichte des Feldschers erschienen und wurden mit atemloser Spannung gelesen. Das Studentenlied, die Ohnmacht des Herbstes, König Karls Jagd gewannen Zacharias viele neue Freunde. Er war kein Runeberg, kein Snellman, kein Lönnrot, aber er war so unterhaltend, so nützlich, so geschickt, so liebenswürdig, er fand so leicht den richtigen Ausdruck für das, was in der Seele des Volkes schlummerte, daß er wirklich auf dem besten Wege war, die Liebe der ganzen Nation zu gewinnen.

Als das Jahr 1853 anbrach, und der Umzug herannahte, sagten plötzlich alle Leute, welch ein großer Verlust es doch wäre, wenn er Helsingfors jetzt verließe. Man könne ihn einfach nicht entbehren. Ja. man begann sogar seine Tätigkeit als Journalist zu schätzen. Sein einst so verspotteter kindlicher Stil wurde jetzt allgemein anerkannt; er sei von unberechenbarem Nutzen, hieß es. Ein Mann wie Runeberg schrieb ihm, er sei auf seinem Posten nahezu unersetzlich.

Die Schicksalsmächte mögen etwas ironisch gelächelt haben, als sie seine Reue bemerkten. Damit er seinen Irrtum noch mehr einsehen lerne, brannte im Jahre 1352 auch noch die Stadt Vasa nieder, demzufolge das Gymnasium für die nächsten Jahre nach Jakobstadt verlegt werden mußte, das ungefähr ebenso groß war wie Nykarleby.

Im Frühjahr 1853 machte Zacharias einen Versuch, das Unglück wenigstens hinauszuschieben. Er schrieb an das Domkapitel und bat um Urlaub bis zum Herbstsemester 1854, der ihm auch bewilligt wurde.

Auf diese Weise hatte er noch ein Jahr vor sich. Er fuhr mit den Erzählungen des Feldschers fort. Er verfaßte ein großes Drama, »Regina von Emmeritz«, dessen erster Teil die Würzburger Begebenheiten umfaßte. Er arbeitete an einem Lesebuch für die Knabenschule. Er fand im Frühjahr und Sommer eine neue Art der Dichtung durch seine »Sylvia-Lieder«, die von jedermann als das Melodischste, Freieste, das Frischeste und Ungezwungenste, was er bisher zustande gebracht hatte, anerkannt wurden.

Mit einem Worte, es erschien ihm immer unmöglicher, dieses Leben zu verlassen, wo er sich so wohl fühlte, wo sich sein Talent immer schöner entfaltete, wo ihm jetzt von allen Seiten Verständnis und Anerkennung zuteil wurden. War es nicht geradezu gefährlich, wenn er jetzt wegzog? Gab es in Jakobstadt wohl irgendeinen Menschen, der Sinn für seine Schriftstellerei hatte? Mußte er dort nicht gleichgültig und abgestumpft werden, wenn er nicht mehr im Mittelpunkt der Ereignisse lebte?

Seine alte Mutter war die einzige, die sich darüber freute. »Mein lieber herziger Zache,« schrieb sie, »denk' doch, jetzt kannst Du an Weihnachten, an Ostern, an Pfingsten, zum Sonnwendfest und an Michaeli heimkommen! Jetzt kannst Du wieder das Zugnetz im Fluß auslegen und beim Renkenfang Netzkönig werden, wie in Deiner Kindheit. Ab und zu aber wirst Du sicher auch Zeit finden, ein Geistesprodukt in die Welt hinauszusenden, wie Runeberg von Borga aus. Vielleicht ist eine bestimmte, gleichmäßige Tätigkeit in dem kleinen Jakobstadt, wo Du mit Gottes Hilfe vor Selbstsucht und Hochmut geschützt sein wirst, für Dich nötig, nachdem Du jetzt so große Erfolge gehabt hast.«

Aber ein so guter Sohn Zacharias Topelius auch war, er konnte doch nicht umhin, über sein Fortgehen zu trauern. Und obendrein kündigten sich jetzt große Ereignisse an. Im Herbst 1853 brach zwischen Rußland und der Türkei der Krieg aus, und manches deutete darauf hin, daß die Westmächte, England und Frankreich, auf Seite der Türkei an dem Kampfe teilnehmen würden. Der Pressezwang ließ unter dem Einfluß des Krieges ein wenig nach. Und jetzt, in dieser außerordentlich bewegten Zeit, sollte Topelius seine Zeitung verlassen und nach diesem Vandiemensland ziehen!

 

Wo blieb der Mann, der ihm auf der Straße begegnen und ihm jene tröstenden Worte sagen sollte? Zacharias schaute noch immer nach ihm aus, aber er ließ sich nicht blicken. Selbst an Neujahr 1854 war er noch nicht erschienen, und nun mußte Zacharias jede Hoffnung aufgeben und sich in das Unvermeidliche fügen. Ja, jetzt mietete er sogar eine Wohnung in Jakobstadt.

Aber siehe da, eines schönen Tages traf das Wunderbare, das längst Erwartete doch ein! Zacharias begegnete Fredrik Cygnäus auf der Straße, der in seiner gewohnten Herzlichkeit und Lebhaftigkeit auf ihn zukam. Und dieser Cygnäus schlug ihn auf die Schulter und sagte: »Hör', Freund Topelius, ich kann mich gar nicht damit aussöhnen, daß du nach Jakobstadt hinaus sollst. Wir müssen es einrichten, daß du in Helsingfors bleiben kannst. Ich werde mit Armfelt sprechen.«

Topelius hat höchstwahrscheinlich etwas schwermütig gelächelt, als er das, wonach er sich solange gesehnt hatte, von dieser Seite hörte. Cygnäus war tatsächlich mit dem finnischen Staatssekretär Graf Armfelt bekannt, und Zacharias hatte ihn nicht zum erstenmal ebenso vertrauensselig wie jetzt sagen hören: »Ich werde mit Armfelt sprechen.« Aber unter seinen Kameraden wurde diese Versicherung stets mit einer gewissen Vorsicht aufgenommen. Und dann war es keineswegs sicher, ob Cygnäus Armfelt sehen würde, da dieser dienstlich in Petersburg zurückgehalten wurde.

Aber im März 1854 beschloß der Kaiser, mit seinen Söhnen Helsingfors einen Besuch abzustatten, um Vorkehrungen für die Verteidigung des Landes zu treffen, und Graf Armfelt kehrte ein paar Tage vor dem Monarchen in die Hauptstadt zurück.

In diesen Tagen traf Cygnäus wieder mit Topelius an einer Straßenkreuzung zusammen. Er hielt ihn an, erzählte, daß er mit Armfelt gesprochen und daß dieser ihm zugestimmt habe. Was für einen Posten Topelius eigentlich haben möchte?

O ja, Cygnäus brannte vor Eifer, Zacharias zu helfen, das war leicht zu erkennen. Trotzdem hielt Zacharias die ganze Sache für vollkommen aussichtslos. Um den Freund nicht zu kränken, schlug er vor, man solle ihn zum außerordentlichen Lektor der schwedischen Sprache an der Universität machen.

Cygnäus ging hin, aber als er mit diesem Bescheid zu Armfelt kam, erklärte dieser sofort, Topelius sei schon ordentlicher Lektor, und so könne man ihn schwerlich zu einem außerordentlichen machen.

Hierauf änderte Cygnäus auf eigene Faust seinen Vorschlag, und als die kaiserliche Familie eingetroffen war, wurde die Angelegenheit an allerhöchster Stelle vorgebracht. Da der Zar in diesen gefährlichen Zeiten den Finnen gern einen Beweis seines allergnädigsten Wohlgefallens geben wollte, wurde Zacharias Topelius wirklich am fünfzehnten März zum außerordentlichen Professor der finnischen Geschichte an der Universität Helsingfors ernannt und bezog dafür ein Gehalt von tausend Rubeln aus dem Dispositionsfond des Kanzlers.


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