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Es war im Jahr 1842, einige Tage nach der Sommersonnwendfeier. Zacharias Topelius saß auf einem Postgefährt und fuhr auf staubigen Wegen gen Kuddnäs. Er hatte die Heimreise in diesem Sommer später unternommen als sonst, obgleich er wußte, daß er daheim sehnlichst erwartet würde, und zwar in allererster Linie von Henrik Backmann, aber vielleicht auch noch von einer andern.
Henrik hatte nämlich die Absicht, Nykarleby zu verlassen und nach Hamburg überzusiedeln, wo er ein besseres Auskommen zu finden hoffte, als derzeitig in Finnland zu erlangen war. Er hatte Zacharias geschrieben und ihn aufs allereindringlichste gebeten, seine Heimreise zu beschleunigen, damit er ihm noch Lebewohl sagen könne, ehe er Finnland vielleicht für immer verlasse.
Aber Zacharias konnte und konnte es nicht über sich gewinnen, abzureisen, und so war die Heimreise von Woche zu Woche verschoben worden. Das Sonnwendfest war vorüber, und die ersten Tage des Juli waren auch vorüber, als er sich endlich auf den Weg machte.
Jetzt, während der Fahrt, dachte er mit einer gewissen Bitterkeit an Henrik Backmann. Dieser, sein Freund seit zehn vollen Jahren, dieser schöne, einnehmende Jüngling, den er liebte, dem sein ganzes Vertrauen gehörte, der einzige Mensch, dem er mit vollkommener Aufrichtigkeit alles schreiben, mit dem er auch alles besprechen konnte, er würde ihn also nun verlassen! Aber was hatte es dann für einen Zweck, daß ihre Herzen so eng vereint worden waren? Wenn Henrik nach Deutschland übersiedelte und sie nie wieder zusammenkamen, würde natürlich ihre Freundschaft verblassen. Alles, was während der Kindheit und Jugend in ihren Herzen als Grundlage niedergelegt worden war, auf dem sich ein lebenslängliches, brüderliches, stützendes und helfendes Verhältnis weiter hätte aufbauen sollen, das wurde nun abgebrochen. Und da es so war, konnte Zacharias es nicht lassen, sich zu fragen, warum eigentlich Henrik in sein Leben getreten sei.
War es nur gewesen, um ihn und Emilie zu trennen? Er dachte an jene Champagnernacht, wo Henrik ihm seine Liebe zu Emilie anvertraut hatte und wo er selbst in ritterlicher Entsagung versprochen, ihm nicht in den Weg zu treten, nicht zu versuchen, sie für sich selbst zu gewinnen. Drei und ein halbes Jahr waren seither verflossen, drei Jahre, während derer sein Herz unsäglich gelitten hatte, gelitten ebenso durch seine Treue wie durch seine Untreue.
Die schmerzensvolle, düstere Kahraepisode wäre nie eingetreten, wenn Henrik ihn nicht von Emilie Lindquist getrennt hätte.
Wenn nun Henrik Emilie wirklich festgehalten, wenn er sie geheiratet und sie glücklich gemacht hätte, dann hätte Zacharias an jene Geschichte mit ruhiger Ergebenheit denken können; aber in den späteren Zeiten hatte sich Henrik Emilie ganz aus dem Sinne geschlagen. Jetzt war er in Mia Hammarin verliebt, ein Mädchen aus Nykarleby, die ein größeres Erbe in Aussicht hatte als Emilie. Sie wollte er jetzt heiraten. Und das war es, was für Zacharias alles so bitter und sinnlos machte.
Zacharias legte die Hand an seine Westentasche. Da trug er einen Ring, den er auf Henriks Wunsch in Helsingfors für Mia Hammarin bestellt hatte. Er sollte ein Pfand sein, ein Zeichen ihrer heimlichen Verlobung. Diesmal war es also voller Ernst, es war kein Spiel wie damals, wo es sich um Emilie gehandelt hatte.
Nein, er wollte den Freund nicht verdammen. Der war eine Schmetterlingsnatur, und da konnte er wohl nicht anders, als bald für die eine und bald für die andere zu schwärmen. Aber warum, warum mußte er Zacharias und seiner Liebe in den Weg treten?
Und jetzt wollte Henrik wieder gutmachen. Er schrieb es zwar nicht mit klaren Worten, aber Zacharias verstand sehr wohl, daß er es nun für Ehrensache hielt, zwischen ihm und Emilie alles wieder ins Geleise zu bringen. Ehe er wegzog, wollte er offenbar die beiden glücklich vereint sehen.
»Komm!« schrieb er in jedem Brief. »Ich versichere Dir, Emilie liebt Dich! Ich habe auf dem letzten Balle mit ihr gesprochen. Die ganze Zeit von Dir! Sie ist auf dem Punkte, Dir ihr Herz zuzuwenden. Komm nur! Gib acht! Verpasse nicht Dein Recht! Komm heim und nimm sie!«
Aber wie konnte Henrik ganz sicher sein, Zacharias sei bereit, da fortzusetzen, wo Henrik aufhörte?
Er seinerseits war durchaus nicht sicher. Er wußte nicht einmal, ob er Emilie noch liebte. Wenn er sein Herz darüber befragte, war es stumm. Es gab keine Antwort mehr.
Seiner Gewohnheit gemäß hatte Zacharias ein Gedicht über diesen seinen Seelenzustand gemacht, und er nannte es der Steuermann am Steuer.
In diesem hieß es ganz spöttisch und ohne irgendeinen Anflug von der früheren überschwenglichen Anbetung:
Und ich schwur wohl tausend Male
Lotta soll das Boot jetzt leiten,
Doch sofort mit Reue wieder,
Ließ ich selbst es weitergleiten.
Ganz unehrerbietig sprach er davon, daß Lotta kalt gewesen sei wie die Wogen der Nordsee, und noch unehrerbietiger spielte er darauf an, erst seit er sich ermannt, dann weit auf die See hinausgefahren und sich um nichts mehr gekümmert habe, da sei sie kleinlauter geworden und habe sich entgegenkommender gezeigt. Immer noch stehe er jetzt allein am Steuer, und Gott allein wisse, wohin das Schiff nun kreuze.
Vor sich selbst gab er offen zu, daß alles nur auf eines hinauslief: er konnte den Gedanken nicht ertragen, Emilie würde ihn nur deshalb heiraten, weil sie seinen Freund nicht bekommen konnte. Zacharias wußte, Emilie hatte sich schon einmal im Schmerz über Henriks Unbeständigkeit mit einem Manne, dessen Bekanntschaft sie in Helsingfors gemacht, verlobt. Aber die Verlobung war wieder aufgehoben worden, und als Zacharias im letzten Herbst aufs neue mit Emilie zusammenkam, hatte er nicht anders annehmen können, als daß ihre Liebe noch immer Henrik gehöre.
Seitdem hatte Zacharias sie nicht wiedergesehen. In den Weihnachtsferien hatte er Helsingfors nicht verlassen können.
Unwillkürlich flog ein Lächeln über das Gesicht des Reisenden. An Weihnachten hatte er nicht nach Hause kommen können, weil er sich auf das kleine Abenteuer, Zeitungsredakteur zu werden, eingelassen hatte. Das war in den Augen der Welt ein höchst anspruchsloses Abenteuer, er selbst aber fand es ganz wunderbar und entzückend.
Er richtete sich gerade auf. Fühlte er sich diesmal hier auf der Reise nicht als ein ganz anderer Mensch im Vergleich zum letztenmal, wo er hier auf diesem Wege dahinfuhr? Konnte man ihm nicht ansehen, daß er ein freier, unabhängiger junger Mann war, der sich selbst seinen Unterhalt verdiente und seine arme Mutter nicht um Geldbeiträge quälen mußte? Wohl nichts drückt dem Menschen so leicht seinen Stempel auf als Unabhängigkeit.
Es war indes nicht ausschließlich des Geldes wegen, daß er sich so über seine Redakteurstelle freute. In einem Augenblick der Begeisterung hatte er einmal dem Vaterlande ein Gelübde abgelegt. Zwar wagte er es kaum zu glauben, aber möglich war es doch, daß er nun einen Ausweg gefunden hatte, dieses Gelübde in die Tat umzusetzen.
Plötzlich fiel ihm eine längst vergangene Semesterschlußfeier in der Österbottnischen Abteilung ein. Die Österbottninger hatten wie gewöhnlich einen kleinen Konflikt mit der Behörde gehabt, und sechs von den Mitgliedern waren wegen einer ganz unbedeutenden Veranlassung unrechtmäßigerweise zu einer halbjährigen Relegierung von der Akademie verurteilt worden. Bei der Semesterschlußfeier sollten die sechs Märtyrer in Versen und Prosa besungen werden, und Zacharias hatte auf Snellmanns Vorschlag hin das Festgedicht verfaßt.
Die drei kleinen Verse hatten Erfolg gehabt. Mit klopfendem Herzen hatte Zacharias das Blatt Papier, auf dem sie geschrieben standen, unter den anwesenden Honoratioren von Hand zu Hand gehen und schließlich bei Runeberg landen sehen. Dieser las die Verse und nickte Zacharias dann lächelnd zu. Nachher sagte er ihm, der letzte Vers sei sehr gut geraten und er würde Zacharias Dichterversuche gerne durchsehen, wenn er sie ihm zeigen wolle.
Dieser Erfolg hatte dazu geführt, daß Zacharias den Auftrag bekam, die handgeschriebene »Nationszeitung« zu redigieren, und Zacharias hatte diese Ausgabe gern übernommen. Da er daheim in Nykarleby schon früher eine ähnliche Zeitung herausgegeben hatte, meinte er dem Unternehmen vollständig gewachsen zu sein. Aber das Ergebnis war nicht so gewesen, wie er erwartet hatte. Die Kameraden hatten den Inhalt der Nummer, die Zacharias verfaßte, zu kindlich gefunden. Er hatte gefühlt, daß man sich in aller Stille auf seine Kosten lustig machte.
Nach diesem Hohn hatte Zacharias die Redaktion der Zeitung niedergelegt und war auch nicht weiter als Dichter der Nation aufgetreten. Daheim in Nykarleby war er fortgesetzt Zeitungsredakteur und Festpoet, aber in Helsingfors hatte er nichts veröffentlicht, nicht einmal am Jubelfest.
Im letzten Herbst hatte er es aber doch übernommen, den gewohnten Vortrag bei der Semesterfeier zu halten, und diesmal hatte er Glück gehabt.
Als Vorwurf hatte er die heimatliche Landschaft Österbotten gewählt, und um mit Ehren zu bestehen, ganz umfassende Studien darüber gemacht. Der Vortrag war als inhaltsreich und interessant gelobt worden. Überdies hatte er ihm noch weiteren Vorteil gebracht. Denn dieses Manuskript war es gewesen, das er Konsul Wasenius übergeben und das ihn dann zum Zeitungsredakteur gemacht hatte.
Im übrigen war das Jahr 1841 ein langweiliges, ereignisloses Jahr gewesen. Die tägliche Einförmigkeit war nur ab und zu durch einen jammervollen Brief von seiner Mutter unterbrochen worden, die nicht wußte, wie sie sich das Geld für Zacharias' Unterhalt verschaffen sollte.
Die arme Frau tat ihm von Herzen leid, aber sie hatte sich auch selbst Lasten auferlegt. Vetter Franz Michael Topelius, Zacharias' erster Lehrer, war gestorben, und die Doktorin hatte dessen Töchterchen Fanny zu sich genommen. Gustaf Turdin, der Stiefbruder der Mutter, hatte vor mehreren Jahren Bankrott gemacht, und dessen Frau hatte auch Aufnahme auf Kuddnäs gefunden.
Wenn Zacharias einen solchen Brief erhielt, so wirkte das auf ihn wie ein Peitschenhieb. Er hatte versucht, noch fleißiger zu studieren als bisher. Er hatte daran gedacht, noch nebenbei zu verdienen, er hatte beabsichtigt – – –
Zacharias fuhr aus seinen Grübeleien auf. Er war am Ziel. Der Wagen bog in die Allee von Kuddnäs ein.
Da überkam ihn plötzlich eine große Angst. Nun fühlte er deutlich, er hatte zu lange mit der Heimreise gezögert, und Henrik war schon abgereist. Wie schade, daß er nicht früher gekommen war! Warum hatte er sich durch den Gedanken an Emilie zurückhalten lassen? Es war ja verrückt von ihm gewesen, nicht so rasch wie möglich heimzueilen, wenn es sich darum handelte, Henrik, den Freund seiner Kindheit, noch zu treffen, ehe er Finnland verließ.
Mutter und Schwester kamen ihm entgegen, als Zacharias vor dem Hause hielt. Er merkte sogleich, daß auf der Freude, mit der sie ihn begrüßten, ein Dämpfer lag.
»Ich komme doch nicht zu spät, Mutter?« fragte er. »Henrik ist doch wohl noch nicht abgereist?«
»Doch,« antwortete die Mutter. »Er ist fort, aber er ist nicht nach Hamburg gereist.«
Zacharias hörte es an ihrem Tonfall, ja, es mußte ein großes Unglück geschehen sein.
»Ist Henrik tot?« rief er.
Und so war es wirklich. Sein Freund hatte sich eine Erkältung zugezogen, als er nach einem an und für sich ungefährlichen Nesselfieber zu früh ausging, und war nach wenigen Tagen ein Raub des Todes geworden. Während Zacharias auf der Heimreise war, hatte die Beerdigung stattgefunden. Ganz Nykarleby hatte dem frohen, frischen jungen Manne die letzte Ehre erwiesen und ihn zu seinem Grabe geleitet.
Noch an demselben Tage ging Zacharias auf den Kirchhof und warf den bestellten Verlobungsring auf des Freundes Grab. Sein Herz war voller Kummer und Trauer. Gott, der alles Zarte, Schwache, das jetzt in Finnland aufsprießte, unter seinen Schutz nahm, warum nahm er nicht auch eine solche gebrechliche junge Menschenpflanze, wie sein Freund eine gewesen war, unter seine Fürsorge und ließ sie zur Reife und Vollendung kommen?
Henrik Backmanns alte Mutter und eine kranke Schwester waren schon draußen auf Kuddnäs in der Pflege der Doktorin. Zacharias und seine Schwester Sofie widmeten sich in den nächsten Tagen Mia Hammarin, der armen Braut des Verstorbenen.
Alle drei, Mia, Sofie und Zacharias ruderten eines Abends nach der Insel Alörn hinüber, um in dem Sommerhaus der Familie Hammarin zu übernachten. Zacharias sprach mit Mia über Henrik Backmann.
»Siehst du,« sagte er, »Henrik wußte, daß er sterben würde, oder besser gesagt, es war etwas in ihm, das wußte, daß er uns für immer verlassen müsse. Für ihn selbst stellte es sich wohl so vor, wie wenn er eine weite Reise antreten würde. Er nahm Abschied von allen Menschen und auch von allen Orten, die ihm lieb geworden waren. Alles wollte er noch in Ordnung bringen, um nur ein gutes Andenken von sich zu hinterlassen. An mich schrieb er ganz merkwürdige Briefe. Deshalb dürfen wir nicht mit Verzweiflung um ihn trauern. Es wäre unrecht gegen ihn.«
Während Zacharias also sprach, waren sie einem Boot nahe gekommen, in dem zwei junge Mädchen mit ihren Angelruten saßen. Es war Emilie Lindquist mit ihrer Schwester Thilda.
Zacharias war in diesem Sommer noch nicht mit Emilie zusammengetroffen. Als er sie nun so unvermutet sah, dachte er zuerst und vor allem an den Schmerz, den auch sie empfinden mußte. Jeglicher Gedanke an sich selbst und an sein Verhältnis zu ihr lag ihm in diesem Augenblicke fern.
Bald lagen die beiden Boote Seite an Seite, und als Emilies Hand in der seinen lag, fühlte er, wie ein Zittern durch sie hinlief.
Er schaute auf, sah Emilien in die Augen, und da wußte er plötzlich, daß sie ihn liebte.
Mitten in seinem Schmerz konnte er nicht anders, als sich beseligt fühlen; das war trostreich, das war hold. Er wendete sich nicht mit Widerwillen ab, als er jetzt vor dem Ziele stand. Vielleicht verstand er jetzt besser als vorher, was Emilie wert war, wie unschätzbar es war, ihre Liebe sein eigen nennen zu dürfen. Mit demütigem und dankbarem Herzen nahm er dieses herrliche Geschenk des Glückes entgegen.
An diesem Abend konnte er mit Emilie nicht unter vier Augen sprechen. Er saß nur still da und wiederholte sich selbst: »Mein, mein eigen, endlich mein eigen, mein ganz allein!«
Nein, er fühlte weder Zweifel noch Ungewißheit. Sicherlich wollte er ihre Liebe annehmen. Er fand sie ebenso schön, ebenso erstrebenswert wie jemals, und doch verwunderte er sich darüber, daß er mit solcher Ruhe an sein Glück denken konnte. Wäre ihm das vor drei Jahren widerfahren, so wäre er vor überschwellender Freude ganz toll gewesen. Nicht ausgehalten hätte er es, still dazusitzen und mit andern Menschen zu reden. Seine stürmischen Gefühle hätten ihn zu ersticken gedroht. Mit Tränen hätte er zu Emiliens Füßen gelegen und den Staub unter ihnen geküßt.
Er konnte es nicht lassen, sich ein klein wenig darüber zu grämen, weil sie ihn nicht vor drei Jahren geliebt hatte, damals, wo er sich im heißesten Liebesrausch befand. Ach, er begriff sich selbst nicht, begriff nicht, daß er so ruhig, so gar nicht unternehmungslustig war!
Vielleicht liebte er sie nicht? O doch, er fühlte, wie er mit seinem ganzen Wesen die Gewißheit, daß sie ihm gehörte, fest umfaßte. Hätte ihm jemand diese Gewißheit entreißen wollen, so wäre ihm zugleich auch das Herz aus dem Busen gerissen worden.
Am nächsten Morgen in aller Frühe nahm Zacharias ein Boot und ruderte aufs Meer hinaus. Er fuhr indes nicht weit, nur so weit, bis er sich in einer Bucht zwischen den Scheeren verbergen konnte. Da legte er sich im Boote flach auf den Rücken, um von seinem Glücke zu träumen.
Und träumen, das tat er sicherlich, aber auf höchst merkwürdige Weise. Nicht wie in früheren Tagen von Emiliens Augen, von ihrem Haar, von ihrer Musik, von einigen Worten, die sie gesagt, sondern von ganz praktischen Dingen. Er dachte, es sei doch recht gut, daß er nun ihrem Vater, dem Kaufmann Isaak Lindquist, wenn er vor ihm als Bewerber seiner Tochter erschien, sagen konnte, er sei jetzt in der Lage, sich sein eigenes Brot zu verdienen, wenn er auch noch nicht imstande sei, eine Frau zu versorgen.
Die Helsingforser Zeitung war ja ein sehr kleines Blatt, und die Abonnentenzahl ganz lächerlich gering, aber er würde die Zeitung schon hoch bringen; sie sollte ein Kulturherd werden, Verfeinerung schaffen –
Hastig setzte er sich im Boot auf. Wie war es nur möglich, daß er an einem solchen Morgen an die Zeitung denken konnte? Warum war nicht seine ganze Seele von dem Gedanken an die Geliebte erfüllt?
Wieder legte er sich nieder, um sich in stillem Genuß Emiliens Bild vor Augen zu stellen, aber merkwürdigerweise wendeten sich seine Gedanken jetzt seinem Studium zu. Könnte er es vielleicht erreichen, Dozent der Geschichte zu werden, so daß er an der Universität bleiben könnte? Ach nein, er würde sich wohl mit einer Lehrerstelle auf dem Lande begnügen müssen!
Abermals fuhr er auf, verwundert über die Richtung, die seine Gedanken nahmen.
»Ich liebe wohl Emilie nicht,« sagte er sich. »Warum denke ich an alles andere, nur nicht an sie?«
Aber da erhob sich sein Herz wider ihn und strafte ihn.
»Verstehst du nicht, daß dies das richtige Zeichen der Liebe ist? Geradeso will sie immer daran denken, Strohhalme zum Neste herbeizutragen um der Liebsten eine warme Wohnung zu bereiten.«
Ja, endlich verstand Zacharias die Veränderung, die mit seiner Liebe zu Emilie vorgegangen war. Er fühlte keine Leidenschaft mehr, sondern Zärtlichkeit, er begehrte nicht mehr die flüchtige Lust des Augenblicks, aber er würde imstande sein, sie ein ganzes Leben lang unerschütterlich treu zu lieben.
Dies war die liebliche Überraschung, die sein Herz für ihn in Bereitschaft hatte. Wie ein eigensinniges Kind war dies Herz gewesen. Veränderlich und heftig war es gewesen, er hatte es züchtigen und quälen müssen, aber jetzt war es zu seiner schönen Reife und Vollendung gelangt.
Als Zacharias von seiner Bootfahrt zurückkehrte, fragte jemand, wo er gewesen sei.
»Ich bin hinausgefahren und habe die Insel der Seligen gesucht,« antwortete er, aber er selbst fand diese Äußerung romantisch veraltet. Wie ein ausgewachsenes Kleid erschien sie ihm, sie paßte nicht mehr zu den ernsten, tiefen Gefühlen, die jetzt in ihm wohnten.
Im Laufe des Vormittags traf man zufällig mit Lindquists im Freien zusammen. Da entfiel Zacharias unversehens ein Handschuh, und er fiel gerade vor Emilie zu Boden. Sie hob ihn auf. Da fühlte sie in einem Finger einen harten, runden Gegenstand, und ganz still behielt sie den Handschuh für sich. Zacharias fragte nicht danach; erst am Abend erhielt er ihn zurück, und da war er leer.
Am Abend machte er einen Besuch bei Lithéns, und auf dem Heimweg gingen Emilie und Zacharias Arm in Arm durch die kaum bemerkbare Dämmerung der schönen Haine.
Zacharias sprach mit Emilie von Henrik Backmann. Diesen ganzen Tag hindurch, sagte er, habe er gefühlt, wie der Tote ihn umschwebte. Aber gerade deshalb habe er es gewagt, ihr seinen Ring zuzuschmuggeln. Es sei des Freundes innigster Wunsch gewesen, sie vereinigt zu sehen, das wisse er ganz genau. Es sei keine Versündigung an der Trauer, die beide um ihn fühlten.
Lange wanderten sie Seite an Seite durch den stillen Abend dahin. Emilie hatte Zacharias etwas zu sagen, für das sie nur schwer den richtigen Ausdruck fand, aber sie fühlte, er mußte erfahren, warum sie ihn jetzt liebte. Er sollte nicht glauben, sie nehme ihn, weil der andere sie verlassen hatte.
Nein, daher war es gekommen, weil Henrik Backmann ihr einmal erzählt hatte, Zacharias habe, als er erfuhr, daß sein Freund sie liebte, in ritterlicher Aufopferung es aufgegeben, sich selbst um sie zu bewerben. Das war der Zug, der sie dazu gebracht hatte, Zacharias zu lieben. Darum, weil er sich selbst überwinden konnte.
Da fing Zacharias an, die freundliche Fügung der Vorsehung zu verstehen. Nun fragte er nicht mehr, warum Henrik Backmann in sein Leben getreten war. Ohne ihn würde er die Geliebte nie gewonnen haben.