de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Fünfundsechzigster Brief

Der Chevalier Danceny an Frau von Volanges (Dem Briefe des Vicomte an die Marquise beigelegt.)

Gnädige Frau! Ohne mein Betragen rechtfertigen zu wollen, noch mich über das Ihrige zu beklagen, kann ich nur tief das Ereignis bedauern, das Unglück über drei Menschen gebracht hat, die eines glücklicheren Loses würdig wären. Empfindlicher davon getroffen, die Ursache dieses Kummers zu sein als dessen Opfer, habe ich gestern öfter versucht, Ihnen zu schreiben und fand die Kraft nicht dazu. Ich habe Ihnen jedoch so vieles zu sagen, daß ich meine Schwäche zwingen muß; und wenn dieser Brief wenig Ordnung und Folge hat, müssen Sie das aus der schmerzlichen Situation erklären, in der ich mich befinde, und nachsichtig entschuldigen.

Erlauben Sie, daß ich zuerst ein Wort gegen den ersten Satz Ihres Briefes sage. Denn dies darf ich aussprechen: ich habe weder mit Ihrem Vertrauen noch mit der Unschuld von Fräulein von Volanges sträflich gespielt und habe beides in dem, was ich tat, durchaus respektiert. Und allein das, was ich tue, habe ich in meiner Gewalt, und wenn Sie mich für ein Gefühl verantwortlich machen, über das wir keine Macht haben, so muß ich sagen, daß das Gefühl, das mir Ihr Fräulein Tochter einflößte, Ihnen vielleicht mißfallen, nie Sie aber beleidigen kann. Über diese Sache, die mir näher geht, als ich Ihnen sagen kann, sollen Sie allein richten und meine Briefe sollen Zeugen sein.

Sie verbieten mir, mich in Zukunft bei Ihnen zu zeigen, und ich werde nicht verfehlen, mich in dieser Angelegenheit ganz Ihren Befehlen unterzuordnen; aber dieses völlige und plötzliche Fernbleiben wird ebensoviel Anlaß zu Bemerkungen geben wie der Befehl, den Sie aus diesem Grunde Ihrer Dienerschaft nicht erteilen wollten. Ich lege um so mehr Wert auf dieses Detail, weil es für Fräulein von Volanges wichtiger ist als für mich. Und deshalb bitte ich Sie inständig, alle Ihre Vorkehrungen genau zu überlegen und Ihre Vorsicht nicht von Ihrer Strenge Schaden leiden zu lassen. Überzeugt, daß allein das Interesse Ihres Fräulein Tochter Ihre Maßnahmen bestimmt, erwarte ich von Ihnen neue Befehle, was ich tun soll und was nicht.

Für den Fall jedoch, daß Sie mir erlaubten, von Zeit zu Zeit meine Aufwartung zu machen, verpflichte ich mich, gnädige Frau (und Sie können sich an mein Versprechen halten), keine dieser Gelegenheiten zu mißbrauchen; ich werde nie den Versuch machen, Fräulein von Volanges allein zu sprechen oder ihr einen Brief zukommen zu lassen. Die Furcht, daß das ihrem guten Ruf schaden könnte, zwingt mich zu diesem Opfer, und das Glück, sie doch wenigstens manchmal zu sehen, wird mich entschädigen.

Das ist alles, was ich Ihnen auf Ihre mir mitgeteilte Absicht mit Fräulein von Volanges antworten kann, deren wirkliche Tatwerdung Sie von meinem Betragen abhängig machen wollen. Es wäre Betrug, verspräche ich Ihnen mehr. Ein gemeiner Verführer kann seine Pläne nach den Umständen richten und mit den Umständen rechnen – die Liebe aber, die mich beseelt, kennt nur zwei Gefühle: den Mut und die Beständigkeit.

Wie? Ich sollte darein willigen, von Fräulein von Volanges vergessen zu werden, sollte selbst sie vergessen? Nein, niemals! Ich werde ihr treu bleiben. Sie hat meinen Schwur und ich wiederhole ihn zu dieser Stunde. Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich mich hinreißen lasse – ich will wieder auf Ihren Brief kommen.

Es ist noch etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen muß; es betrifft die Briefe, die Sie von mir verlangen. Es tut mir sehr weh, zu all dem Unrecht, das Sie schon an mir finden, auch noch dieses fügen zu müssen: ich kann die Briefe nicht zurückgeben. Aber hören Sie meine Gründe, ich bitte Sie darum. Habe ich auch schon Ihre Freundschaft verloren, so ist die Hoffnung, mir Ihre Achtung zu erhalten, mein einziger Trost.

Die Briefe von Fräulein von Volanges sind mir in diesem Augenblick noch kostbarer als sie es schon waren. Sie sind das einzige, was mir von ihr bleibt, und Zeugen einer Liebe, die das Glück meines Lebens ausmacht. Doch dürfen Sie mir glauben, daß ich keinen Augenblick zögern würde, Ihnen das Opfer zu bringen; der Schmerz, mich von den Briefen trennen zu müssen, würde dem Wunsche weichen, Ihnen einen Beweis meiner Ergebenheit zu geben: und doch kann ich die Briefe nicht zurückgeben und bin überzeugt, Sie werden die Gründe, die mich dazu bestimmen, nicht mißbilligen.

Es ist wahr, Sie wissen nun das Geheimnis durch Fräulein von Volanges; aber ich fühle mich zu dem Glauben berechtigt, daß Sie Ihr Wissen um diese Angelegenheit der Überraschung verdanken und nicht dem Vertrauen. Ich kann ein Vorgehen nicht tadeln, zu dem vielleicht die mütterliche Autorität ein Recht gibt, und dieses Ihr Recht respektiere ich. Es reicht aber nicht so weit, mich von meinen Pflichten zu entbinden, deren heiligste die ist, nie ein bewiesenes Vertrauen zu verraten. Und ein solcher Verrat wäre es, die Geheimnisse eines Herzens vor einem anderen zu enthüllen, für den sie nicht bestimmt waren. Wenn Ihr Fräulein Tochter wünscht, daß ich Ihnen die Briefe übergebe, so möge sie es sagen; will sie aber selbst ihr Geheimnis bewahren, so werden Sie doch nicht von mir erwarten, daß ich es Ihnen anvertraue.

Was Ihren Wunsch betrifft, daß diese Angelegenheit im Schweigen begraben bleiben möge, so können Sie, gnädige Frau, darüber beruhigt sein. Über alles, was Fräulein von Volanges angeht, kann ich selbst das Herz einer Mutter beruhigen. Um Ihnen jede Unruhe zu nehmen, habe ich alles getan. Das kleine Paket der kostbaren Briefe, das zur Aufschrift hatte »Zu verbrennen«, zeigt jetzt: »Eigentum der Frau von Volanges« – was Ihnen noch beweisen kann, daß Sie in diesen Briefen nichts finden würden, worüber Sie sich persönlich beklagen könnten.

Dieser lange Brief, gnädige Frau, wäre noch nicht lang genug, ließe er in Ihnen auch nur einen einzigen Zweifel über die Ehrlichkeit meiner Gefühle übrig, über das aufrichtige Bedauern, Ihr Mißfallen erregt zu haben und der tiefsten Hochachtung Ihres sehr ergebenen Danceny.

Paris, den 9. September 17..


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