de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Zweiunddreißigster Brief

Frau von Volanges an Frau von Tourvel.

Sie wollen also durchaus, gnädige Frau, daß ich an die Tugendhaftigkeit des Herrn von Valmont glaube. Ich muß sagen, daß ich mich nicht dazu entschließen kann, und daß ich ebensoviel Mühe hätte, nach der einzigen guten Tat, die Sie mir von Valmont erzählen, ihn für anständig zu halten und einen durchaus guten Menschen deshalb für lasterhaft, weil man mir von ihm einen Fehler hinterbringt. Die Menschen sind nach keiner Richtung hin vollkommen, nicht nach dem Guten hin und nicht nach dem Bösen. Der Verbrecher hat seine guten Seiten wie der Anständige seine Schwächen. Diese Wahrheit scheint mir um so glaubensnötiger, weil aus ihr die Notwendigkeit der Nachsicht für die Bösen wie für die Guten kommt und die einen vor Stolz bewahrt, wie sie die anderen vor der Verzweiflung rettet. Sie werden in diesem Augenblick sicher denken, daß ich von der Nachsicht, die ich predige, für mich selber einen schlechten Gebrauch mache; ich sehe aber darin nichts als eine gefährliche Schwäche, wenn sie uns dazu bringt, den Schlechten wie den Guten gleich zu behandeln.

Ich will mir die Motive der Handlungsweise des Herrn von Valmont zu untersuchen nicht erlauben und will glauben, daß sie ebenso lobenswert sind wie die Tat selber. Aber hat er deshalb weniger sein Leben damit hingebracht, Unehre, Zwietracht und Skandal in die Familien zu bringen? Hören Sie, wenn Sie wollen, die Stimme des Unglücklichen, dem er geholfen hat, aber es soll Sie das nicht hindern, die Stimmen der hundert Opfer, die er betrogen hat, zu hören. Wenn er auch, wie Sie meinen, nur ein Beispiel für die Gefahren der leichten Liaisons wäre, ist er selbst deshalb weniger eine gefährliche Liaison? Sie halten ihn einer Umkehr zum Besseren für fähig, ja, sagen wir mehr, nehmen wir dieses Wunder als wirklich geschehen an – würde nicht gegen ihn die öffentliche Meinung bestehen bleiben und müßte das nicht genügen, Ihr Verhältnis zu ihm danach einzurichten? Gott allein kann im Augenblick der Reue verzeihen, denn er liest in den Herzen – die Menschen aber können die Gedanken nur nach den Worten beurteilen, und keiner, der einmal die Achtung der anderen verloren hat, hat ein Recht, sich über das natürliche Mißtrauen zu beklagen, das es diesem Verlust der Achtung so schwer macht, wieder zum Guten zu kommen. Bedenken Sie, meine junge Freundin, daß es oft genügt, diese Achtung dadurch zu verlieren, daß man so tut als mache man sich nichts aus ihr, und nennen Sie diese Strenge nicht Ungerechtigkeit. Wer da glaubt, daß man auf dieses kostbare Gut, auf das man alles Anrecht hat, verzichten kann, der ist in Wirklichkeit sehr nahe daran, Unrechtes zu tun, da er sich durch dieses mächtige Band nicht mehr gehalten fühlt. So würde man es ansehen, wenn Sie eine intime Verbindung mit Herrn von Valmont zeigten, so unschuldig diese auch immer sein möchte.

Die Wärme, mit der Sie ihn verteidigen, erschreckt mich und ich beeile mich, den Einwänden, die ich voraussehe, zuvorzukommen. Sie werden mir Frau von Merteuil nennen, der man diese Liaison verziehen hat; Sie werden mich fragen, weshalb ich ihn bei mir empfange; Sie werden sagen, daß er, weit davon entfernt, von anständigen Leuten abgewiesen zu werden, er in dem was man die gute Gesellschaft nennt empfangen, ja sogar gesucht ist. Ich kann, glaube ich, auf alles das erwidern.

Was Frau von Merteuil betrifft, die wirklich eine durchaus achtenswerte Frau ist, so hat sie vielleicht keinen andern Fehler als zu viel Vertrauen in ihre eigene Kraft. Sie ist ein geschickter Lenker, der sich darin gefällt, einen Wagen zwischen Felsen und Abgrund zu lenken, und den der Erfolg allein rechtfertigt: es ist recht und billig, sie zu loben, aber töricht, ihr zu folgen, und sie selbst gibt das zu und klagt sich dessen an. Je mehr sie gesehen hat, desto strenger wurden ihre Grundsätze, und ich glaube Ihnen versichern zu können, daß sie wie ich denken würde.

Was mich betrifft, werde ich mich nicht mehr rechtfertigen als die andern. Gewiß empfange ich Herrn von Valmont, und er wird überall empfangen, das ist nur eine der tausend Inkonsequenzen, welche die Gesellschaft regieren: Sie wissen so gut wie ich, daß man sein Leben damit verbringt, sie zu bemerken, sich darüber zu beklagen und sich ihnen zu unterwerfen. Herr von Valmont mit seinem guten Namen, seinem großen Vermögen, seinen vielen liebenswürdigen Eigenschaften hat bald erkannt, daß es, um die Herrschaft in der Gesellschaft zu behaupten, genüge, mit gleicher Geschicklichkeit das ernste Lob wie den Spott der Lächerlichkeit zu handhaben. Keiner besitzt wie er dieses zweifache Talent: er bezaubert mit dem einen und macht sich mit dem anderen gefürchtet. Man achtet ihn nicht, aber man schmeichelt ihm. Das ist seine Existenz inmitten einer Welt, die mehr vorsichtig als mutig es vorzieht, ihn behutsam zu umgehen als zu bekämpfen.

Aber weder Frau von Merteuil noch irgendeine andere Frau dürfte es wagen, sich auf dem Lande mit einem solchen Mann, fast im tête à tête einzuschließen. Es war der Vernünftigsten, der Bescheidensten unter allen vorbehalten geblieben, dieses Beispiel der Inkonsequenz zu geben – verzeihen Sie mir dieses Wort, es entspringt der Freundschaft.

Meine schöne Freundin, Ihre Ehrenhaftigkeit selbst betrügt Sie durch die Sicherheit, die sie Ihnen einflößt. Bedenken Sie, wen Sie zum Richter haben werden: auf der einen Seite frivole Leute, die an keine Tugend glauben, weil sie davon bei sich kein Beispiel finden, auf der andern aber böse Menschen, die so tun werden, als ob sie nicht an Ihre Tugend glaubten, um Sie dafür zu strafen, Tugend gehabt zu haben. Bedenken Sie, daß Sie in diesem Augenblick etwas tun, was selbst manche Männer zu tun nicht wagen würden. Es gibt tatsächlich unter den jungen Leuten, für die Herr von Valmont nur zu sehr zum Muster wurde, einige ganz Vorsichtige, die es befürchten, zu eng mit ihm befreundet zu scheinen – und Sie, Sie fürchten das nicht! Kommen Sie zurück, kommen Sie zurück, ich beschwöre Sie... Genügen meine Gründe nicht, Sie zu überzeugen, so geben Sie meiner Freundschaft Gehör; sie läßt mich meine dringende Bitte erneuern, sie muß mich rechtfertigen. Sie werden meine Freundschaft streng finden und ich wünschte, die Strenge wäre überflüssig. Aber ich will lieber, daß Sie sich über meine zu große Fürsorge als über Vernachlässigung zu beklagen haben mögen.

Paris, den 24. August 17..


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