de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Fünfundvierzigster Brief

Der Vicomte von Valmont an die Marquise von Merteuil.

Freuen Sie sich mit mir, schöne Freundin – ich werde geliebt! Ich habe dieses widerspenstige Herz gezähmt und besiegt. Umsonst verstellt sie sich noch und tut anders – meine Geschicklichkeit hat ihr das Geheimnis entlockt, und ich weiß nun alles, was ich zu wissen brauche. Seit der Nacht, seit der glücklichen gestrigen Nacht, bin ich wieder in meinem Element und lebe ich wieder mein Leben. Zwei Geheimnisse habe ich entdeckt: das der Liebe und das der Gemeinheit, das eine werde ich voll genießen und an dem andern mich rächen, und so ist mein Weg von Vergnügen zu Vergnügen. Der bloße Gedanke daran gibt mir solche Wonnen, daß ich mich zusammennehmen muß, um mit einiger Ordnung zu erzählen, wie alles das kam.

Also: Kaum hatte ich Ihnen gestern geschrieben, als ich von Frau von T. einen Brief bekam, den ich Ihnen beilege; Sie finden darin, wie sie mir so wenig ungeschickt als sie kann die Erlaubnis gibt, ihr zu schreiben. Sie drängt auf meine Abreise, und ich weiß wohl, daß ich sie nicht zu lange hinausschieben kann, ohne mir zu schaden. Aber mich plagte es noch immer, zu erfahren, wer gegen mich intrigiert haben konnte, und so wußte ich nicht was tun. Ich versuchte es bei der Kammerjungfer, sie sollte mir die Taschen ihrer Herrin ausliefern. Ich bot ihr zehn Louis für die kleine ganz gefahrlose Gefälligkeit, aber das Mädel ist eine ängstliche oder eine gewissenhafte Gans, die sich weder von meiner Beredsamkeit noch von meinem Geld gewinnen ließ. Ich rede noch in sie hinein, da läutet es zum Souper. Ich muß sie stehen lassen, froh genug, daß sie mir wenigstens versprach, reinen Mund zu halten, denn ich erwartete nicht einmal das. Ich war in einer miserablen Laune und machte mir den ganzen Abend Vorwürfe wegen meiner Unvorsichtigkeit.

Etwas beunruhigt zog ich mich zurück und sprach mit meinem Diener, der als glücklicher Liebhaber doch einigen Einfluß auf das Frauenzimmer haben mußte. Er sollte von dem Mädel verlangen, was ich gewollt hatte oder sich wenigstens ihrer absoluten Verschwiegenheit versichern. Aber diesem Menschen, dem sonst nichts unmöglich vorkommt, schien der Erfolg dieses Handels unsicher, und er machte darüber eine Bemerkung, deren tiefer Sinn mich verblüffte.

»Der gnädige Herr wissen gewiß besser als ich, daß mit einem Mädchen ins Bett liegen nichts weiter bedeutet als das zu tun, was ihr Spaß macht. Aber von da bis dahin, daß sie macht was wir wollen, ist's oft noch sehr weit. Für dieses Frauenzimmer steh ich um so weniger, weil ich, und mit Grund, glaube, daß sie einen seriösen Liebhaber hat, und ich ihre Gunst nur dem etwas regellosen Leben auf dem Lande verdanke – ich stellvertrete nur.« Der Junge ist doch ein Juwel, nicht? »Und was nun das Stillschweigen anlangt, was würde uns ihr Versprechen nützen, da sie doch gar nichts dabei riskiert, wenn sie nicht schweigt und uns anlügt? Mit ihr darüber reden, das würde ihr nur noch mehr zeigen, wie wichtig uns das ist, und da bekäme sie nur noch größere Lust, sich bei ihrer Herrin als treue Dienerin zu inszenieren.«

Das war alles nur zu wahr, und meine Situation wurde nicht besser. Glücklicherweise war der Schlingel im besten Zug und ich ließ ihn reden. Er erzählt mir also von seinem Verhältnis mit dem Mädchen und kommt dabei auch darauf, daß ihr Zimmer nur durch eine Art Verschlag von dem ihrer Herrin getrennt ist, und weil man da jedes Geräusch hindurch hören könne, kämen sie jede Nacht in seinem Zimmer zusammen. Darauf baute ich meinen Plan, zusammen mit meinem Diener, und führten ihn mit bestem Erfolg aus.

Ich wartete, bis es zwei Uhr morgens war und begab mich dann wie verabredet in das Zimmer, in dem die beiden ihre Zusammenkünfte pflegten. Mit einem Licht in der Hand trat ich ein: ich hätte wiederholt umsonst geklingelt. Mein Diener war vollendet in seiner Rolle, spielte sehr geschickt eine kleine Überraschungsszene mit Verzweiflung und tausend Entschuldigungen, die ich damit zum Schluß brachte, daß ich ihn wegschickte, mir Wasser wärmen zu lassen. Die treue Kammerjungfer wußte vor Scham nicht wohin; mein Junge hatte nämlich noch ein Übriges getan und die Kleine zu einer Toilette veranlaßt, wie sie die Jahreszeit wohl mit sich brachte, aber nicht ganz entschuldigte. Ich gestattete ihr natürlich weder die Position noch die Toilette zu ändern, denn je größer die Scham, desto leichter bekam ich das Geschöpf in meine Hand. Mein Diener erwartete mich auf meinem Zimmer, und so setzte ich mich ruhig neben die Kleine aufs Bett, das etwas sehr in Unordnung war, und fing an. Ich durfte die Macht, die mir die Situation über das Mädchen gab, nicht riskieren und blieb kalt, kalt ... ich erlaubte mir nicht den geringsten Scherz mit ihr, was zu erwarten ihr die Situation und ihr hübsches Gesicht wohl das Recht gaben, und sprach mit ihr, nüchtern und sachlich wie ein Magistratsbeamter. Ich würde ihr verliebtes Geheimnis bewahren, wenn sie mir nächsten Tages zur selben Stunde ausliefert, was ihre Herrin in den Taschen hat. Und bei den zehn Louis bliebe es außerdem. Wie Sie sich denken können, versprach das Mädchen alles; ich zog mich zurück und gestattete dem glücklichen Paar, die verlorene Zeit wieder einzubringen; die meine benutzte ich zum Schlafen.

Des Morgens dachte ich an einen Vorwand, den Brief meiner Widerspenstigen nicht zu beantworten, bevor ich nicht ihre Papiere durchgesehen hatte, ging also auf die Jagd und blieb fast den ganzen Tag aus. Bei meiner Rückkehr war es ein etwas kühler Empfang – man war sicher pikiert, daß ich so wenig Eifer zeigte, die kurze Zeit meines Bleibens auszunützen, besonders nach dem liebenswürdigen Brief, den sie mir geschrieben hatte.

Ich schließe das aus ihrer Antwort auf Vorwürfe, die mir Frau von Rosemonde über meine lange Abwesenheit machte; meine Dame sagte darauf nämlich etwas spitz: »Ach, machen wir Herrn von Valmont doch nicht Vorwürfe darüber, daß er sich dem einzigen Vergnügen hingibt, das er hier finden kann.« Ich beklagte mich natürlich über diese falsche Meinung und benutzte die Gelegenheit, zu versichern, daß ich mich in der Gesellschaft der Damen so wohl fühle, daß ich ihr zu Liebe einen sehr wichtigen Brief, den ich zu schreiben hätte, versäume. Und fügte noch hinzu, daß ich seit manchen Nächten den Schlaf nicht fände und versucht hätte, ob ihn mir vielleicht die Ermüdung bringen würde – und mein Blick erklärte genügend Brief und Schlaflosigkeit. Ich war den ganzen Abend sehr um eine melancholische Zärtlichkeit bemüht, was mir gut zu gelingen schien, und unter der ich die Ungeduld verbarg, mit der ich die Stunde herbeisehnte, die mir die Entdeckung des ängstlich gewahrten Geheimnisses bringen sollte. Endlich trennten wir uns, und bald darauf brachte mir die treue Kammerjungfer den bedungenen Preis meines Stillschweigens.

Ich war also endlich der Herr des Schatzes und ging mit aller Vorsicht an seinen Inhalt; denn es war wichtig, das alles wieder richtig auf seinen Platz kam. Zuerst fand ich zwei Briefe des Gatten, ein unverdauliches Gemisch von Prozeßdetails und ehelichen Liebestiraden, was ich mit Geduld zu Ende las und worin ich kein Wort fand, das mich betraf. Verstimmt legte ich dieses Geschreibsel wieder zurück, aber meine Laune wurde besser, als ich die Stücke meines hübschen Briefes aus Dijon fand, sorgfältig zusammengelegt. Ich hatte den guten Einfall, ihn durchzulesen und können Sie sich meine Freude vorstellen, als ich darin deutliche Spuren von Tränen meiner angebeteten Frau sah? Ich benahm mich wie ein Jüngling und küßte den Brief mit einer Leidenschaft, die ich mir gar nicht mehr zutraute. Ich suchte weiter und fand alle meine Briefe, einen um den andern nach dem Datum geordnet. Was mich höchst angenehm überraschte, war, meinen ersten, den ich mir schnöde zurückgegeben glaubte, von ihrer Hand sorgfältig abgeschrieben zu finden, mit einer zitternden bewegten Hand, dem Zeugen der süßen Erregtheit ihres Herzens.

Bis dahin war alles Liebe, nun kam die Wut. Wer, glauben Sie, ist es, der mich bei dieser angebeteten Frau verleumdet? Welche Kanaille halten Sie für niederträchtig genug, so etwas auszuhecken? Sie kennen sie, es ist Ihre Freundin, Ihre Verwandte – Frau von Volanges! Sie glauben nicht, was für Scheußlichkeiten diese Megäre über mich geschrieben hat. Sie, nur sie allein, hat die Ruhe dieser engelgleichen Frau gestört, und auf ihre Ratschläge, auf ihre Befehle hin bin ich gezwungen, von hier weg zu gehen; diesem Weibe opfert man mich. Ja wahrhaftig,, man muß ihr ihre Tochter verführen, und nicht genug daran, sie soll sie verlieren! Da das Alter diese verdammte Frau in seinen Schutz nimmt, muß man sie in ihrer Tochter treffen.

Diese Frau will also, daß ich nach Paris zurückkehre! Sie zwingt mich dazu! Gut, ich kehre zurück; aber sie wird über meine Rückkunft jammern. Dumm ist, daß Danceny der Held dieses Abenteuers werden soll; er besitzt solche bedeutende Hintergründe von Ehrlichkeit, was uns die Sache erschweren wird. Aber er ist verliebt, und ich sehe ihn oft; man muß daraus profitieren. Mein Zorn macht mich ganz vergessen, daß ich Ihnen ja noch erzählen muß, was heute geschehen ist. Also weiter.

Heute morgen sah ich meine empfindsame Nonne wieder – nie noch habe ich sie so schön gefunden! Und das mußte wohl so sein: der schönste Augenblick im Leben einer Frau, der einzige, der diesen Rausch der Seele hervorbringen kann, von dem man immer spricht, den man aber so selten erlebt, ist der, wo wir die Gewißheit ihrer Liebe, aber noch nicht deren Gnaden haben. Und das war mein Fall. Vielleicht war es auch der Gedanke, daß ich bald nicht mehr die Lust ihres Anblicks genießen würde, was zu ihrer Verschönerung half. Endlich kam die Post und ich erhielt Ihren Brief vom 27.; und während ich ihn las, zögerte ich noch, ob ich mein Wort halten sollte; als ich den Blick meiner Schönen traf, da war es mir unmöglich, ihr nicht zu gehorchen.

Ich habe also meine Abreise angekündigt. Einen Moment darauf ließ uns Frau von Rosemonde allein – aber ich machte kaum vier Schritte auf meine scheue Freundin hin, als sie aufsprang und wie entsetzt rief: »Lassen Sie mich! lassen Sie mich! Um Gotteswillen. lassen Sie mich!« – Was mich nur noch mehr erregte. Schon war ich bei ihr und hielt ihre Hände, die sie mit einer rührenden Gebärde ineinander legte, und begann sehr zärtlich von meinen Qualen zu reden, als ein feindlicher Dämon Frau von Rosemonde zurückführte, was die fromme Schöne, die schon einigen Anlaß zur Furcht hatte, benutzte, sich zurückzuziehen.

Ich reichte ihr noch einmal die Hand und sie nahm sie, und ich drückte die ihre. Erst wollte sie sie wieder zurückziehen, aber ich bat, daß sie sie mir ließe. Doch sie antwortete auf das, was ich sagte, mit keiner Gebärde, mit keinem Wort. An ihrer Türe angekommen, wollte ich ihre Hand küssen und sie sträubte sich wieder sehr ernsthaft; aber ein sehr zärtliches »Bedenken Sie doch, daß ich fortgehe!« machte ihre Verteidigung zögernd und ungeschickt. Doch kaum fühlte die Hand den Kuß, als sie auch schon die Kraft fand, mir zu entschlüpfen, und sie trat in ihr Zimmer, vor dem meine Geschichte endet.

Wie ich vermute, sind Sie morgen bei der Marschallin von **, wo ich Sie sicher nicht aufsuchen werde. Wir dürften, glaube ich, sehr vieles zu besprechen haben, besonders auch die Geschichte mit der kleinen Volanges, die ich nicht aus den Augen verliere, und so lasse ich diesen Brief, so lang er auch ist, mir vorausgehen und will ihn erst schließen, wenn die Post abgeht: denn wie die Dinge jetzt stehen, kann ein Zufall alles wieder ändern, und diesen möglichen Zufall will ich noch abwarten.

P. S. Abends acht Uhr.

Nichts Neues; keinen Augenblick für die kleinste Freiheit, »Sie« zeigt aber so viel Traurigkeit, als es der Anstand mindestens erlaubt. Etwas vielleicht nicht ganz Unbedeutendes ist eine Einladung, mit der mich Frau von Rosemonde an Frau von Volanges beauftragt hat, einige Zeit bei ihr auf dem Lande zu verbringen.

Adieu, meine schöne Freundin – auf morgen oder spätestens übermorgen!

Schloß . . ., den 28. August 17..


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