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Dritter Teil

1

Als Dierk Offen aus Lohe (ein guter Mann, aber nicht gerade der klügste) vor Jahren dem neuen und noch jungen Landrat des Kreises einmal Herrenfuhre leistete, drehte er sich (es war im Westerhorner Grund) von seinem Kutscherstuhl nach dem Fahrgast um und fragte in seinem singenden, näselnden Ton: »Herr, nehm S' ni för ungood, wo redt man Se an?«

»Man nömt mi Landrat«, war die Entgegnung.

»Herr Landrat«, und dabei winkte Dierk unter grauen Haaren aus einem alten, von plietschen Linien durchfurchtem Gesicht zutraulich mit den Augen. ›Herr Landrat, sünd Se egentli na Knecht?«

Der Beamte war Volksgenosse seiner Untertanen, er lachte, er verstand die Frage. Nach dem Wortverstande liegt freilich in ›Knecht‹ ein Unterwürfigkeitsverhältnis, in Lohe aber und Umgegend, ja vielleicht gar in weiten Landschaften niederdeutscher bäurischer Bevölkerung ist ›Knecht‹ in bestimmten Fällen ein Ehrentitel mit dem Merkmal des Freiseins, der Unabhängigkeit. ›Knecht‹ ist der durch Schulzwang nicht mehr und durch die Ehe noch nicht Gebundene, also der Junggeselle. Ob er in fremden Diensten steht oder sein eigener Herr, ist von keiner Bedeutung.

Der Landrat antwortete daher: »Nä, Offen, Knecht bün ik mal wesen, nu hev ik Fru un Kinner.«

Daniel Dark war konfirmiert, der Schule also nicht mehr und einer Frau noch nicht untertan, mithin ein Freier ein ›Knecht‹, und nach der Bestimmung seines Vaters sollte es nun zutage kommen, ob er Bauer von Lohfelderkamp werden oder studieren wolle. Die Mutter und Johann Butenop warteten ab und zwar, nach der Eigenart ihrer Sippe, ohne Fragen an ihn zu richten – um so mehr aber sein Tun in Obacht nehmend.

Und was war das Tun von Daniel Dark?

Den ersten Tag rauchte und las er, am zweiten ging er auf den Kämpen und Wiesen umher, am dritten stieg er auf die Hausfirst und schlug Holzpflöcke ein, die geeignet und gebräuchlich sind, junge Liebesleute vom Storchenvolk zum Nestbauen einzuladen.

Er war noch oben und erfreute sich an der weiten Aussicht (gen Westen war sie schier unbegrenzt), als Johann Butenop unten erschien und hinauffragte, was das solle. – Damit der Storch baue, war die Antwort. – Warum Daniel ein Storchnest haben wolle? – Das sei doch was Nettes. Auf der alten Scheune im Dorf sei auch eines gewesen. Hier dicht bei den Wiesen und Mooren, wo ringsum die Frösche lärmten, sei es zu allermeist am Platze.

Johann Butenop lachte kurz auf, er war nicht für Störche, hatte für Tiere, die man nicht melken oder essen konnte, die nicht zum Ziehen und Reiten zu gebrauchen waren, auch keine Eier zum Verzehren legten, deren Federn nicht mal für Bettzeug taugten, für solchen ›Tiernkram‹ hatte er nichts übrig, hielt vielmehr dafür, daß alles, was kreucht und fleucht, den Menschen untertan sei, damit er es zu seinem Nutzen gebrauche oder verbrauche, koche oder brate oder auch vernichte. Er ging mit mißmutigem Lachen und mißmutiger Gesinnung ins Haus und in die Küche und sagte zu Frau Grete: »Daniel makt Adebarplöck op Hus fast, un dat hett doch gar keen Schweck.«

Frau Grete erwiderte: »Weet ni rech, mi dünkt, son grot bunt Vagel op Hus is ok wat wert; un kunn doch ok mal kam«, bemerkte sie mit weiblich klugem Lächeln, »dat he hier wat to don kriggt.«

Der nüchterne Johann verstand sie nicht, er machte den Mund weit auf, was ihn nicht gerade weiser aussehen ließ, und schaute seine Tante so klug an, wie er war. Da lachte Grete Dark hell auf. »Nu, wo kamt denn de lütten Kinner her, wenn ni von'n Adebar?«

»Son Hönerglowen«, antwortete Johann Butenop und klappte den Mund zu. Mit Redensarten und Spaß wußte er nichts anzufangen.

Er wußte nichts mit son Schnack anzufangen, auch nichts mit seinem Pflegebruder Daniel Dark. Ein Storchnest? Dabei konnte er sich nichts denken als lästiges Geklapper, Schmutz aufs Dach und Schaden für den Reth. Und all die in den Nestdornen nistenden Sperlinge mit ihrem lauten, gefräßigen Wesen.

Anders Daniel. Er dachte an das Nest im Dorf auf der alten Scheune und wie der Storchenvater bei vergehendem Tag als Einbeiner sinnend in den See Genezareth hinabgesehen hatte, wo die Frösche in seiner Vorratskammer, dem nahe am Flußufer aufgestauten Wassertümpel, sangen. Der gleichmäßig leidenschaftslose Froschgesang hatte ihm stets bestätigt, daß ihm das tägliche Brot nicht fehlen werde. Bei dem Froschgesang war eine Art Hausvatergefühl eingekehrt, die Zuversicht, wenn seine Zeit gekommen sei, Eigner von Sparstrümpfen für flaue Zeit zu sein. So mag es den Bauersmann anmuten, der auf seiner von Rauchwaren vollgehäuften Diele den Schweiß der Speckseiten tropfen sieht und aus jedem Tropfen die Zuversicht schöpft, im kommenden Winter vor Nahrungssorgen geschützt zu sein.

Johann Butenop sah das, was Daniel tat, mit Geringschätzung, anscheinend auch mit Gleichgültigkeit, im Grunde aber mit Neugier und Mißtrauen an. Was geht, so dachte er, den Priester die Dachfirst von Lohfelderkamp an? Und als nun gar ein junges Storchenpaar anfing, Dornen und Rasen und Erde zu schleppen und den ersten Zaun um die Pflöcke zu winden, da stieg seine Verdrossenheit. Noch mehr, als Daniel Beil und Reißhaken nahm und sich daran machte, einen zum Abholzen reif gewordenen Knick zu fällen, dann Schaufel und Spaten gebrauchte, die Wasserzüge der Wiesen zu lösen, überhaupt tat, als sei er Herr von Lohfelderkamp, gedenke auch, es zu bleiben.

Johann Butenop zog die Folgen, ging zu Frau Dark und sagte: »Ich dachte, Daniel wollte Priester werden, er tut aber wie ein Bauersmann, der Lohfelderkamp behalten will. Wenn das sein Sinn ist, dann nehme ich lieber mein Bündel und verdiene mir beim Bauern einen Jahreslohn. Denn zwei Knechte« (Johann Butenop gebrauchte das Wort in dem erklärten abgeleiteten Sinn, meinte daher: zwei Herren) »zwei Knechte«, sagte er, »sind zu viel für Lohfelderkamp.«

Grete Dark antwortete, sie wolle mit Daniel reden und ihn fragen, wie er denke und was er werden wolle. Das tat sie denn auch.

Daniel machte ein verlegenes Gesicht, stieß dichte Wolken aus seiner Tabakspfeife (rauchen dürfen, gehört auch zum Vorrecht der Knechte) und antwortete dann: »Mutter, ich weiß noch nicht. Ich muß mich besinnen und sehen.«

Als an Johann Butenop diese Antwort von Grete Dark gesagt wurde, erwiderte er: »Dann will ich in die Fremde gehen.« So gar weit war die Fremde gerade nicht, denn er setzte hinzu: »Detlef Galster in Westerhorn will einen Knecht für den Sommer und achtzig Taler ausgeben. Er hat bei mir danach angefragt, da will ich die Stelle annehmen.«

Daniel Dark hatte geantwortet, er wisse noch nicht, sei noch nicht mit sich einig. So war es, er schien dabei äußerlich in sich geschlossen und ruhig, ein die Gründe und Gegengründe ruhig abwägender Mensch. In Wahrheit war er aber ein innerlich durch Wirbelwinde Zerfaserter, seine äußere Ruhe das Ergebnis eines Widerstreits, worin sich entgegenstehende Stoß- und Schleuderkräfte aufhoben.

Dort das Ideal seines Lebensweges, und hier die Liebe zur Tochter von Reiherwisch. Dort die tief eingedrungenen Worte des Reisemeisters, hier die Sprache der blinden Leidenschaft. Diese zwar mächtig und Augenblickssiege erringend (die Regel bei sinnlichen Trieben), und doch nicht einheitlich, vielmehr zersplittert, gespalten: Verehrung ihrer Güte, Unwillen über die Flachheit ihrer Denk- und Willensart, glühende Sehnsucht nach dem Duft und Dunst ihrer Atmosphäre, nach Hand und Mund und Haar, nach den körperlichen Reizen bei innerer Abwehr, einer sozusagen jungfräulichen, mimosenhaften Scham und Scheu, das Schaurige aufzudecken, was sich dahinter verbergen müsse. Und allem entgegen das unbesiegbare, über alles irdische Sein hinwegfliegende Bewußtsein, was er seine Seele nannte, für und für mit morgenfrischer Leuchtkraft die Bahn bestrahlend, die er sich vorgesetzt hatte, Einlösung der Zusagen heischend, die er sich zugeschworen hatte. Wie oft hatte er vor sich mit dem Entschluß geprotzt, ›Schätze zu sammeln, die nicht Motten und Rost fressen und wonach die Diebe nicht graben und stehlen‹. Der See Genezareth hatte, seinem Winke gehorsam, die Wogen gegen die Ufer gewälzt, über die der Herr der Welten selbst zu ihm hergeschritten war. Der hatte ihn zwar getröstet, ermuntert, gestärkt, aber auch die Wege gewiesen, dahin, wo die Sterne leuchten. Und nun, wo die Zeit erfüllet war, was tat er? Nun setzte er Pflöcke auf die Dachfirst, löste den Wasserläufen die Züge und nahm den Wällen und Hecken die Büsche.

Daniel Dark glich einem in rasender Bewegung um die eigene Achse sich drehenden Kreisel, der aufrecht bleibt, weil die Schleuderkraft das Fallen verhindert. Schon aus geringer Entfernung ist das Ding für das Auge ohne Bewegung; es scheint aber nur so vor zu großer Bewegung. Aus gleicher Sinnestäuschung hieß es im Dorf: »Das Priestern hat Daniel aufgegeben, er arbeitet mit Schaufel und Spaten, und Johann Butenop hat sich bei Galster in Westerhorn vermietet.« Und weiter: »Das Priestern hat Daniel aufgegeben. Und nicht nur das, er mischt sich sogar unter das Jungvolk des Dorfes, besucht ihre Gelage, lernt tanzen, ist ein Knecht, wie andere auch. Ist zwar kein großer Tänzer, aber so gut wie mancher andere kann ers jetzt auch. Ist ein netter Mensch. Schade, daß er manchmal für sich und hintersinnig tut, und daß er so viel gelernt hat und jede freie Stunde in den Büchern kramt, die er vom Reisemeister erhalten hat.«

Es war so, wie die Leute sagten.

*

Eines Tages traf er den Hökerssohn Wille im Krug; der tat erfreut, Daniel zu sehen. »Das lob ich mir, daß du das mit dem Priestern aufgegeben hast. Nicht wahr, das ist doch so?«

Die Antwort von Daniel wartete er nicht ab. »Weißt du noch, wie wir auf dem Bramberg standen und nach Reiherwisch sahen und über Springe und seine Tochter sprachen? »Springe«, fuhr Wille fort, »muß viel Geld haben, nun fängt er richtig Handel mit künstlichem Dünger an, und die Wassermühle wird auch instand gesetzt.«

»Das hab ich gehört«, erwiderte Daniel. Butterhändler Dirks, der auf Lohfelderkamp verkehrte, hatte es in der Tat erzählt.

»Und die Lene, die hat ja am Konfirmationstage, als ihr nach Hause fuhrt, auf deinem Schoß gesessen.«

Daniel war sprachlos. Wie konnte das herumgekommen sein! »Wer sagt das?« fragte er.

»Das sagt sie selbst«, war die Antwort. »Die spricht viel, auch viel von dir, und wundert sich, daß du nicht mal nach Reiherwisch kommst und daß sie dich nie auf den Tanzböden im Kirchdorf sieht. Und daß ihr Vater dich als Schreiber hat haben wollen, hat sie mir auch erzählt. Weshalb du das nicht tätest, meinte sie, da es mit dem Priesterwerden doch nichts mehr sei.«

Daniel schwieg, vor innerer Bewegung fand er keine Worte. Der andere bemerkte seine Verlegenheit nicht, oder wollte sie nicht bemerken, und fuhr fort, von Springe und seiner Tochter zu sprechen. Der Kirchnerjung vom Schwan sei hinter ihr her, aber wenn er an Daniels Stelle wäre, würde er sie ihm abjagen. »Ich glaube«, sagte er, »du hast 'n Stein bei ihr im Brett, ebensogut und vielleicht besser als der rote Julius. Freilich an Bräutigamen fehlt es ihr nicht. Immer die erste, wenn die Geige zum Tanze streicht, an jedem Finger ein paar, die hinter ihr herlaufen. Und das macht sie flügge. Sonst aber ist es ein Staat mit ihr.«

Auf solche Weise sprach Wille noch lange auf Daniel ein, dazwischen von Heumachen und Torfstich, aber immer wieder von Lene Springe. »Ich hab ja selbst meine Liebe«, schloß er, »die werd ich heiraten, und uns beiden ist es recht. Bin also nicht dein Widerpart, aber einer wie du ... Kann Schreiber werden beim Alten, die Deern Tag für Tag vor Augen. Auf seinem Schoß hat sie gesessen, im Kirchensteig hast du sie, das erzählt sie auch, mit dem Kopf gestoßen. Und du, was tust du? Rackerst dich ab auf der Katenstelle und hast kein Auge für dein Glück.«

Ein älterer, ehrenfest aussehender Mann mit grauem Haar hatte rauchend in der Stubenecke gesessen und zugehört, was die beiden jungen Leute miteinander sprachen. Das war Mars-Ohm Tischler, derselbe, der zur Konfirmationstischgesellschaft gehört hatte, eine Art Beistand von Frau Grete. Als Wille weggegangen war, tippte er Daniel auf die Schulter und sagte: »Wir könnten wohl ein bißchen in den Garten gehen, wo wir allein sind.«

Und als sie im Garten waren, sagte der Ohm: »Ich habe mit angehört, was der Hökerjung mit dir sprach. Er will dich auf die Deern von Reiherwisch bringen. Und das wäre ja auch, da du doch beim Bauern bleiben willst, ganz gut, und doch habe ich was dawider.

Zuerst die Deern. Ich hab ja die Arbeiten auf dem Hof und komme oft dahin. Sieht gut aus und ist nett und ist gutmütig. Aber wie sie herumjachtert und spaßt, das gefällt mir doch nicht. Ich glaube, sie ist eine Hummel. Will nicht sagen, daß sie verdorben ist, aber ich bin bange ... bin bange. Was da alles kommen kann, weiß kein Mensch.

Ja, ja«. Mars Ohm tat ein paar tiefe nachdenkliche Züge aus seinem Nasenwärmer und ging mit Daniel im Gartensteig weiter auf und ab. »Da denkt man, der Alte ist da und sieht nach dem Rechten. Ach, der Alte. Eigentlich ist er ja gar kein Alter, will ihn aber mal so nennen. Ein guter Kerl. Wenn etwas wahr ist und Gültigkeit hat, dann ist er das. Auch in seiner Art tüchtig. Den Handel mit künstlichem Dünger, den er angefangen hat, glaube ich, wird er just nicht lange aufrechthalten, kann sich nicht lohnen. Es ist aber auch nicht viel dabei riskiert. Die Wassermühle und der Mehlhandel aber, das wird gehen. Auf den Kram paßt er auf, das heißt: jetzt noch. Ob das so bleiben wird, weiß ich nicht. In letzter Zeit habe ich allerlei bemerkt, was mir nicht gefallen hat. Man sagt, daß seine selige Frau ihn aus der Stadt weggebracht hat, weil die Gesellschaft, die er sich aufgeladen hatte, gefährlich wurde. Und nun kommt dieselbe Gesellschaft zu ihm nach Reiherwisch. Und da könnte es wohl passieren, daß den guten Springe hier auf dem Dorf doch noch zu Fall bringt, wovor ihn seine selige Frau in der Stadt bewahren wollte.«

Bei so großem Hof, meinte Daniel, ein bißchen müßte der doch auch hergeben können.

»Ja, ein bißchen. Aber immer sieht man Kutschen auf dem Hof, immer Gastereien und Wein übern Tisch. Auf die Dauer geht das nicht. Und wenn es noch dabei bliebe. Aber dann ziehen Wirt und Gäste nach dem Hinterzimmer: ›Wollen ein Spielchen machen – zum Zeitvertreib‹, heißt es. Und dann hört man Taler rollen und Geld klimpern, wenn man mal durchs Vorderzimmer geht. Will nichts gesagt haben, Daniel, glaube aber, da gehts hoch her.«

Der Alte rauchte wieder und nahm noch einmal den Steig. »Was ich noch sagen wollte, man sollte doch annehmen, daß er sein Kind ein bißchen im Zügel halte. Aber weit gefehlt. Da hat er gar keinen Sinn und kein Verständnis für. Er platzt selbst vor Leben und Feuer, soll Vormund sein und hat selbst einen Vormund nötig.

Glaube mir, mein Sohn, auf die junge Welt wirkt nichts schlechter als schlechtes Vorbild von Menschen, nach denen sie sich richten soll, zumal also das der eigenen Eltern. Und Springe? Der lacht über die Streiche der Tochter, und weil sie gut aussieht und noch Kindliches über allem, was sie angibt und tut und spricht, liegt, will er sich tot lachen und meint, die ganze Welt müsse es auch tun.«

Und wieder machte Ohm kehrt im Gartensteig. »Ich habe«, fuhr er fort, »wohl gesehen, wie es dir tief ging, was der Höckerssohn sagte. Dich selbst halte ich für fest und sicher so, daß man schon einen kleinen Sturm wagen darf. Einer, der von den Darks und von der Familie deiner Mutter herstammt, wird nicht fallen. Ich sage dir nur, daß du die Augen aufmachst, wenn du dem Dirnchen auf dem Tanzboden begegnest. Ich sehe, wie es in dir arbeitet. Vielleicht ist es ganz gut, daß du mal da hingehst, wo die junge Marktwelt tanzt. Aber mit offenen Augen. Denn die ist ein Jungpferd, und ihr Vater hält sie, wie gesagt, zu lose an der Leine.«

»Ja, ja, ein nicht richtig angeleitetes Jungpferd«, dachte Daniel. Der Buttermann Dierks hatte, als er mit der Mutter sprach, dasselbe Bild gebraucht. Es muß also wohl, wenn man an Lene denkt, handgerecht vor einem liegen.

Sie waren lange auf und ab gegangen, der Ohm rauchend und redend, Daniel hörend, das Empfangen und Verständnis der an ihn gerichteten Worte meistens allein durch Nicken bestätigend. Als der Alte mit seiner Rede zu Ende war, schloß er: »Da hast dus, Daniel – nun sieh zu, wie dus verarbeitest.«

Ja, verarbeiten! – Er kannte die gute Gesinnung seines Ohms, wußte auch, daß nicht zu viel gesagt sei. Ein schlecht angeleitetes Pferd, in Gefahr wild zu werden und zu verderben. Eine kleine, die Dinge der Welt nüchtern ansehende Person, die von dem Flug seiner Bilder und Gedanken nichts wußte, sie gar nicht verstand. Vielleicht nicht an ihn mit größerer Treue denkend als an andere. Und doch ... und doch. Immer wieder sah er in jedem Zug ihres knospenden und Knospen brechenden Kindergesichts, wie er es in der Erinnerung mit sich herumtrug, in jeder weichen Rundung, in ihrem Lächeln von Auge und Mund die Offenbarung einer Gemütsschönheit, die alles Erdige und alles Prosaische abgestoßen hatte. Und hinter ihrer kleinen, leuchtenden und runden, von braunem Haar (das konnte nur von Engeln geschenkt sein), hinter dieser wunderbar lachenden Stirn konnten keine anderen Gedanken wohnen, als im Äther heimische, erhabene Gedanken.

Das alles dachte Daniel in frei gewähltem Selbstbetrug, obgleich er wußte, daß sie der Geflügelvogt von Reiherwisch war und man sie eine Hummel nannte.

So dachte er von Lene Springe oder vielmehr von Helene Ottilie Juliane Springe Hohes und Niedriges, Schönes und Häßliches – lauter Widersprüche, und dachte sie Tag für Tag und zu jeder Stunde. Schwer lag ihm seine große Liebe im Herzen, aber noch immer tat er nichts, ihren Gegenstand von Angesicht zu Angesicht wiederzusehen.


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