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Der Teich streckte sich mit langer, blanker, schmaler Zunge tief in die Wiesen hinein. Daniel fühlte, daß der Reisemeister seinen Träumen den Boden entzogen habe, und doch fing er an, des Teiches Größe zu schätzen und zu messen, um festzustellen, daß auch zur trocknen Zeit der Vorrat der Triebkraft nicht ausgehen könne. Es waren sicherlich ein Dutzend Tonnen Land. Und man konnte, so hatte er gehört, an den meisten Stellen einen Windelbaum versenken, ohne auf den Grund zu kommen. An einzelnen Stellen sollte die Tiefe haushoch sein.
Langsam ging er weiter, von der Tiefe des Teiches konnte er mit seinen Gedanken nicht los. Warum? Das war ihm nicht klar, er wußte nicht, daß Liebesgedanken wie schwingende Kurbeln alles an sich reißen und um ihre Achse winden, was in ihren Bereich kommt.
Bei dem Weidenbusch sah er sich um nach den Giebeln und nach den Bäumen von Reiherwisch. Die bewahrten und behüteten, was ihm allein gehörte.
So hatte er noch vor einer Stunde geglaubt. Aber im Gedanken an das, was der Reisemeister gesagt, kamen auch ihm die Tränen in die Augen. Waren es Tränen der Trauer, des Zorns auf den von ihm so hoch geschätzten Mann, der ihm ein Leid zugefügt hatte, wie noch kein Mensch? Und immer noch wollte er glauben, daß es sein Eigen sei, was sie behüteten.
Die Dachfirst des Wohnhauses und ihre blanken Grassoden leuchteten herüber, der saubere Schaft der Schornsteine über Busch und Baum. Die Dächer liefen darunter hin, grau und grün vor Alter und Moos. Sie wohnte darunter. Und der in weicher Federwolke emporwirbelnde Rauch sprach von seiner Liebe. ›Sie ist lieb und nett, sie hat, wie sie nach ihrer Kammer flog, sicherlich mit eigener Hand ein paar Soden nachgefeuert‹. So redete die weiße Wolke zu Daniel Dark, als sie in gefälliger Säule emporstieg.
So weit wie der Teichspiegel sich hinzog, führte der Fußweg über Tiefland, dann stieg er die Äcker sachte hinauf. Oben war eine einsame Esche; von der Esche her schaute Daniel zum letzten mal nach Reiherwisch.
Vom Teich ein Silberstreif, von dem Hof etwas Graues, warm in die Waldlandschaft Eingebettetes, noch immer ein feiner, jetzt blau erscheinender Rauch, erst steil wie eine Säule, dann, wo der Luftzug über die Baumkronen fuhr, wagerecht und bauschig. Und Haus und Hof und Wald in einem trüben, dunstig und duftig aufsteigenden, einem breiten, bläulichen Grau.
Daniel schritt erst auf der Höhe, dann zu Tal und wieder hinauf noch einmal über Berg und Tal. Er ging in raschen Schritten, und sturmbewegt ging auch sein Herz. Und mitten in dem Gedankensturm sah er Julius Kirchners fettes, bleiches, sommersprossiges, spöttisches Lachen. Julius aß mit ihr zusammen auf Reiherwisch. Und Eifersucht krallte Daniel an. Aber es war nicht so sehr ein Weh der Gegenwart, wie ein Sorgen und Bangen um die Zukunft. Dann sprangen die Gedanken wieder auf Wirtschaftliches ab. Er hatte gesehen, Springe hielt sich noch an die alten, einheimischen Rinderrassen. Das war verkehrt, es mußte die neue, schottische Art sein. Das werde sich lohnen, dachte er. Mit diesen Gedanken ging er weiter. Die Zeit bringt immer Neues auf. Erst hielt man die alte, schmal gebaute Milchkuh mit dem Hängeleib, dann kamen die schmucken, rund abgedrehten Breitenburger und Angler und darauf die blaue Tondernsche Kuh. Und nun die schottische.
Wo der Weg sich gabelte, kam man links nach Bilsen und Kurzenmoor, rechts über die Schleuse nach Lohfelderkamp. Weit hinten im Busch ostwärts lagen die Dörfer – erst Westerhorn, dann Lohe. Scheltendes Hundegebell, Trauertöne einer Harmonika ... alles verweht. In Lohe war Tanz, und am Rande der Feldmark ging ein einsamer Junge unter der Last und mit der Lust seiner großen, ersten, hoffnungslosen Liebe.
Zur linken Hand begleiteten ihn der schwarze Rand und die struppige Heide. Frage auf Frage, aber alles verblaßte vor der einen um seine große, von allen Seiten bedrohte Liebe.
Die Schleusentore waren geschlossen, Weststürme hatten die Wasser des Hauptstromes aufgestaut. Zum Spiegel der Branderau ging es tief hinab. In großen Tropfen klang es hohl und dumpf und voll aus den Ritzen und Fugen. Und alles tropfte und fragte und bangte um Daniels große Liebe. Er kam später nach Haus, als der Mittag festgesetzt worden war. Die Konfirmanden aus Lohe waren schon lange zurück ... Man wußte nicht recht, was mit Daniel sei. Wäre nicht just sein Konfirmationstag gewesen, er hätte Schelte bekommen; nun aber ging es mit einem mehr fragenden: »Jung, wo blivst du so lang?« vorbei. Die aus dem Dorf beigeladenen Gäste waren anwesend, und mit Lachen und Glückwünschen ging es zu Tisch.
Abel Wendel, eine Tochter des früheren Nachbarn und Mitsünders, saß Daniel gegenüber, ein paar Jahre älter als er, aber eine frische, junge Deern. »Jung, Daniel«, sagte sie, »daß du ein Kluger bist, weiß ja das ganze Dorf, aber so ... Alle Leute sagen ja, du seist der Klügste im Saal und so was sei noch gar nicht da gewesen.« »Ich weiß nicht«, erwiderte Daniel. »Bin ja auch ein paar Jahre älter als die andern.«
»Nur zwei«, fiel die Mutter ein. »Nur zwei, mein Daniel.«
»Ja, zwei«, erwiderte Daniel. »Also jedenfalls älter. Und die Jahre tun was.«
»Da ist ja auch wohl«, fuhr Abel fort, »eine Tochter von Reiherwisch? Die Leute sagen ja, daß sie schmuck ist und nett ist. Kennst du die, Daniel?«
Daniel wurde bis über die Ohren rot.
»Ihr sollt ja gegeneinander über im Kirchensteig stehen. Da kennst du sie natürlich.«
»Ich kenne sie, Lene Springe läßt es gut und ist ein nettes Mädchen.«
Eine Weile besann er sich, dann setzte er hinzu: »Springe hat mich auf seinen Wagen genommen und Lene hat mir Kuchen mitgegeben.«
»Sieh, sieh«, sagte ein bejahrter Mann. Er und Frau Grete waren Schwester- und Brüderkinder, Daniel nannte ihn Ohm. Im Dorf hieß er Mars Tischler denn er besorgte die Tischlerei in Lohe und Umgegend. »Sieh, sieh!«
»Du mußt sie ja kennen, Ohm, arbeitest ja auf Reiherwisch«, bemerkte Abel Wendel.
»Ich kenne sie, auf Reiherwisch sind lustige Leute.« Daniel langte in die Schoßtasche seines Konfirmationsrockes, aber was er hervorzog, war Brei, dessen Beschreibung nicht lohnt. Er hatte sich richtig in die Kuchen gesetzt.
Ihm war, als höre er des Reisemeisters Stimme: »Du wirst dich noch öfters in die Kuchen setzen.« Es war aber nicht Klaus Frahm, sondern Tischler-Ohm, der dem jungen ›Knecht‹ diese Voraussage auf den Konfirmationstisch legte.