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Juni 1909
Eine Lehrerswitwe in der Provinz, die gehört hat, daß einmal ein Artikel der ›Fackel‹ über die Pension der Offizierswitwen »viel zur Regulierung dieser Sache beitrug«, wendet sich im Namen der Genossinnen ihres Elends an mich. Sie klagt, daß das Land die Witwen von Männern, die ihm fast ein halbes Jahrhundert gedient haben, hungern und frieren lasse, und belegt diese Klage mit Daten und Ziffern. Eine Frau V. in Frankenfels etwa muß im Alter von über achtzig Jahren in einer Mühle arbeiten, weil ihre jährliche Pension nur dreihundert Kronen beträgt. Ihr Mann hatte vierzig Dienstjahre. »Und wie schwer früher der Dienst war, das weiß ich von meinem Vater her; sein Anfangsgehalt betrug jährlich zwölf Gulden und die Kost, dabei mußte er als Mesner, Schreiber, ja sogar als Totenbeschauer fungieren. Ohne Organistendienst konnte der Lehrer damals kaum leben. Die Folge dieses schweren Berufes war ein Herzleiden. Als Schwerkranker schleppte Vater sich im November 1893 in die Schule, weil er die nächste Gehaltserhöhung erreichen wollte. Doch da diese erst 1895 ins Leben trat und Vater 1894 starb, beträgt die Witwenpension trotz der fünfundvierzig Dienstjahre nur siebenhundert Kronen« … Die gute Frau, die sich die Mühe genommen hat, mir in langem Brief, mit Worten und Zahlen dieses Elend zu beschreiben, weiß nicht, daß sie sich an die unrichtige Adresse gewendet hat. Soziale Hilfe anzuregen, war nie die Pflicht der ›Fackel‹, wenngleich sie sie früher gelegentlich dort erfüllte, wo es ihr um den Beweis zu tun war, daß die Verpflichteten aus Feigheit oder Feilheit sie verletzt hatten. Auch hier freilich bin ich bereit, den Hilferuf zu hören, um durch ihn den größeren Jammer zu entdecken. Denn das Schreiben der Frau schließt mit einer Pointe des Grauens, die alles Elend der Lehrerswitwen überbietet, über die Not einer sozialen Gruppe hinaus in die schmerzlichste Schmach der Zeit trifft. Ein Majestätsgesuch ist nicht befördert worden; so glauben sie, daß es noch eine Instanz gibt: die Presse. Und die Wortführerin setzt ihrer Schilderung das folgende Postskriptum hinzu: »Im Falle Sie, sehr geehrter Herr, die Güte hätten, unsere Notlage in der ›Fackel‹ zu beleuchten, worum wir Sie recht herzlich bitten, so wollen Sie mir unsere Schuldigkeit hiefür mitteilen« – – Die Bittstellerinnen wissen von der ›Fackel‹ nicht mehr, als daß sie über jenes gedruckte Wort verfügt, von dem Hilfe erhofft werden kann. Das aber wissen sie, daß die Hilfe, die das gedruckte Wort verspricht, bezahlt werden muß. Es ist jener gesunde Volksglaube, den die Aufklärung an die Stelle des Aberglaubens gesetzt hat. Presse ist etwas, wofür man zahlt. Und die Pension von fünfzehn Lehrerswitwen in und um Krems ist nicht so klein, als daß sie nicht noch so viel zusammenbrächten, um einen Publizisten für ihre Not zu interessieren. Wird halt die Achtzigjährige täglich eine Stunde länger in der Mühle arbeiten! … Die Vorstellung solcher Bereitschaft sollte uns alle, die wir an die soziale Sendung der Presse glauben, in den Schlaf verfolgen. Und diese Vision ist das einzige, was mein antisozialer Sinn der Lage der Lehrerswitwen absehen kann. Ich höre den Notschrei, aber ich kann ihn nur weitergeben. Mögen die Vertreter jener Publizistik, deren Interesse dem bürgerlichen Wohl gehört, nach der Mühle in Frankenfels eilen und schauen, wie sie zu ihrem Geld kommen. Und wenn es dort einen Mühlstein gibt – er möge aufstehn und sich seiner biblischen Schuldigkeit erinnern!