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Oktober 1907

Maximilian Harden.
Eine Erledigung.

 

»Da erstirbt einem das Wort – –«

Graf Kuno Moltke

 

Ich trage einen Haß unter dem Herzen und warte fiebernd auf die Gelegenheit, ihn auszutragen. Es gibt Gelegenheiten, die zu klein, und solche, die zu groß sind. Die da ist zu groß. Sie ist größer als der Haß und ich empfange, wo ich niederkommen sollte. Der Fall Harden-Moltke verstellt mir die Aussicht auf den Fall Harden. Nicht Wanzen zu töten, aber den Glauben an die Nützlichkeit der Wanzen zu vertilgen ist meine Sache. Und nun hebt in deutschen Landen ein Prozeß an, der weit über diesen Glauben hinaus in die idealsten Höhen deutschen Kulturgestankes führt. Ich kann nicht Kammerjäger sein, wenn aus jedem Schlupfwinkel die atemraubende Erkenntnis dringt: in diesem Hause herrscht die Pest! Nichts, nichts, nichts, was wir an irgendeiner publizistischen Schändlichkeit der letzten Jahre erlebt haben, an irgendeiner Affäre, die den Sexualjammer der Menschheit in dumpfen Gerichtsstuben aufbrechen ließ, vermag diesem Eindruck standzuhalten. Kein Exempel einer Schamhaftigkeit, die mit Badehosen in die Wanne steigt und vor versammeltem Volk exhibitioniert, die das Kleid nicht als Hülle trägt, sondern die Hülle als Kleid, und die sich entblößt, um zu zeigen, daß sie ein Kleid hat; kein Spektakel, dessen Erinnerung uns noch im Traum ängstigt, so daß wir per Automobil ins Mittelalter zu fahren glauben – reicht an dies Bild heran, auf dem sich forensischer Pöbelsinn und journalistischer Geschäftsgeist in der Eintracht einer päderastischen Orgie verewigt haben. Die Hölle der Neuzeit ist mit Druckerschwärze gepicht. Sei es! Sei's unser Verhängnis, daß alles, was das Leben lebenswert macht, Geist und Schönheit, hingemäht werde von diesen fürchterlichen Schnittern der Sensation, daß die Weideplätze der Kultur den neuen Hyksos ausgeliefert bleiben, und daß wir an der Rache verbluten, die wir am Christentum genommen haben: an der Übertragung des Geisterbanns von der Kirche auf die Presse. Geben wir das Holz der Wälder hin, damit Zeitungspapier in die Welt komme! Die Schmetterlinge sind tot, und die Menschheit möchte sich den Flügelstaub von den Fingern wischen. Vielleicht wird sie einmal für einen Kohlweißling eine Hekatombe Journalisten opfern. Heute will der triumphierende Fortschritt noch die letzten Trümmer kultureller Werte niedertrampeln. Sei es! Aber wir flehen den Geist der Zeit an, daß er dem Geist Zeit lasse, in Klagen auszubrechen; daß er uns noch anhöre, wenn wir die Aussichtslosigkeit, mit Worten zu wirken, gestehen; oder daß er uns wenigstens die Sinne verhärte, uns, die so sehr an der Häßlichkeit leiden, zu deren Gestaltung es treibt, uns, die der Abscheu verzehrt, da er uns nähren sollte. Wollust des Überzeugungsaktes – warum panzert sie uns nicht gleich der Gabe weiblichen Erlebens gegen alle Schmach des Genusses, ohne den Genuß der Schmach zu mindern? Wer eine Feder in der Hand hält, soll auch den Wunsch, lieber das Tintenfaß zu nehmen, noch literarisch bewältigen können! Ich konnte es, solange ich Herrn Maximilian Harden bloß eine Jugendliebe abzubitten hatte. Solange mich nur die Lust anwandelte, eine erkannte Winzigkeit zwischen die Finger meiner linken Hand zu nehmen, das Geheimnis der nachbismarckischen Epoche zu lüften, das in Hieroglyphenschrift über dem Mißverhältnis zwischen einem Schmockgehirn und einer Königsgebärde schwebt, und dem deutschen Geistespöbel den King-Fu vorzustellen, der seit fünfzehn Jahren in einem mit allem Komfort der Neuzeit ausgestatteten Zettelkasten versteckt ist. Den Feuergeist als Pedanten zu entlarven. Den Faust als Wagner. Den Wagner als sittenschnüffelnden Nachbarn. Den Heuchler als Spekulanten. Und wenn dann, nachdem alle Hüllen gefallen sind, nichts übrig bliebe, als Herr Maximilian Harden, Herausgeber der ›Zukunft‹ – so besänne sich das deutsche Volk, dem er so oft seinen Schutz gegen die Presse angetragen hat, vielleicht doch einmal zu verzichten, mit einem stolzen »Legts zu dem Übrigen«!

Vermag eine Feder durch den Nimbus geschichtlicher Bedeutung zu dringen, den die Tatsachenkanaille um einen Geschichtenträger gezogen hat? Vermag sie den Star zu stechen, der für das erbärmlichste Manöver journalistischen Geistes blind macht, welches sich je als Kampf fürs Vaterland drapiert hat? Ich kann ein Elementarereignis nicht von seiner Ungerechtigkeit überzeugen, einen Orkan nicht mit der Versicherung beschwichtigen, daß er sich den unpassendsten Anlaß gewählt habe. Und einmal mußten die normwidrigen Empfindungen einer Kultur vor Gericht, die sich von den erpresserischen Strichjungen des Geistes bange machen läßt. Dank sei dem Anzeiger Harden! Denn der lächerliche Geschmack einer Liebe, die sich mit einer gezierten Häßlichkeit abgibt, welche beim unerlaubten Handwerk sich mehr auf die Erregung von Furcht, als auf die Erregung von Lust versteht, verdiente wahrlich seine Entlarvung. Und je mehr ich die Fragwürdigkeit solches Lustknaben bedenke, je unbegreiflicher seine Beliebtheit wird, umso klarer tritt die geistige Perversität dieses Volkes ins Licht. Und wenn wir entschlossen sind, nach einem Prozeß, der mit der Verurteilung einer Nation und mit der Verzehnfachung der Auflage einer Wochenschrift endet, in alle Zukunft an die idealen Absichten des Herrn Maximilian Harden zu glauben, umso besser. Dann war diese Sensation notwendig und ich kann mirs zurechtlegen, daß ich ohne sie überhaupt nicht dazu gelangt wäre, mir einen alten Herzenswunsch zu erfüllen: Mit Herrn Maximilian Harden abzurechnen. Von seiner Größe den Snobismus deutscher Leser zu subtrahieren und ihnen zu beweisen, daß der Rest genau soviel ausmacht, wie wenn ich seine Größe mit meiner Meinung über ihn multipliziere. Wenn ich aber dann noch den Zähler von Ehebrüchen durch den Nenner von Päderasten dividiere, so kommt heraus, daß der Faktor des deutschen Kulturlebens eine Null ist, selbst wenn er sich die Einheit des Deutschen Reiches zurechnet! Ich will ihm mit jener Waffe entgegentreten, welche das deutsche Publikum, das seit Bismarcks Tod an Halluzinationen leidet, in seiner Hand sieht, mit der Waffe des polemischen Geistes. Ich werde also den Beweis, daß er ein unzulänglicher Schriftsteller ist, nicht mit Enthüllungen aus seinem Geschlechtsleben führen. Um meine Überzeugung darzutun, daß er zum Ratgeber der Nation nicht taugt, werde ich ihn nicht durch die Behauptung kompromittieren, daß er den Geschlechtsakt normal ausübe. Wenn ich sagen will, daß seinem Schreiben der Schwung, seinem Haß der Humor fehlt, werde ich nicht zu ergründen suchen, ob er im Ehebett seinen Mann stelle. Und wenn ich schließlich behaupten werde, daß noch nie ein geschwolleneres Mundstück, nie eine geziertere Zunge sich in normwidrige Beziehungen zur schlichtesten Realität gesetzt hat, so bleibe ich fein in den Grenzen literarischer Kritik. Ich bin kein politischer Schriftsteller und habe darum nicht zu untersuchen, ob Männer der Politik ihren Geschlechtstrieb auf Röcke oder auf Hosen eingestellt haben. Aber nicht einmal wenn ich einen Moralisten zu richten hätte, würde es mir einfallen, sein Privatleben zur Herstellung eines lustigen Gegensatzes heranzuziehen. Da er sich einst über einen sozialistischen Abgeordneten entrüstete, der in einem Kuppeleiprozeß als Zeuge auftreten mußte, lag's wohl nah, ihn zu fragen, ob er denn zwischen dem Klienten einer Kupplerin und dem Besucher eines Bordells einen feinen ethischen Unterschied wahrnehme; aber wer noch erröten kann, wenn er bei einer moralischen Ansicht ertappt wird, ist besserungsfähig, und soll nicht nach so vielen Jahren daran erinnert werden, daß er schon damals ein Heuchler war. Ich bedarf keiner Information, um ein Bild der geistigen und sittlichen Verfassung des Herrn Maximilian Harden zu entwerfen. »Daß einer ein Mörder ist, beweist nichts gegen seinen Stil«: auf diesen Standpunkt einer absoluten Ästhetik darf sich ein Ethiker wie Herr Harden nicht stellen. Ich gehe in der Schätzung stilistischer Vorzüge weiter und nehme sie zum Maßstab moralischer Werte. Daß einer ein Mörder ist, muß nichts gegen seinen Stil beweisen. Aber der Stil kann beweisen, daß er ein Mörder ist! Die Unfähigkeit zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes mit der Abneigung gegen den normalen Geschlechtsverkehr zu begründen, konnte nur einem Philister oder einem Freibeuter journalistischer Sensation gelingen. Aber das Charakterbild des Herrn Harden aus dem Briefwechsel zwischen Moritz und Rina sich entwickeln zu lassen, muß jeden Stilkenner locken. Ich bedarf der Informationen nicht. Ich habe auch der Aufschlüsse nicht bedurft, die der Prozeß Moltke geboten hat. Die Greuel der Sexualjustiz wären ebenso sichtbar geworden, wenn Graf Moltke lieber einen jener Revolverjournalisten geklagt hätte, die bei Geschäftsabschluß ihrer Drohungen den Schandlohn nicht vom Publikum, sondern vom Beteiligten empfangen. Und über Herrn Harden waren die Akten geschlossen, ehe sie im Prozeß eröffnet wurden. Die Völker Europas, soweit sie nicht aus der europäischen Presse sich die Direktiven für Haß und Liebe holen, mögen sich bei dem staatsretterischen Bubenstreich, der in die Schamteile etlicher Familien griff, vor Ekel schütteln –: ich bin ein alter Leser der ›Zukunft‹! Ein alter und treuloser Leser. Mein Vorurteil gegen Herrn Maximilian Harden ist gewiß unter allen Antipathien, die er sich seit der Gründung seiner Zeitschrift erworben hat, die beachtenswerteste, weil er mir persönlich so gar keinen Grund zu ihr gegeben hat. Das belastet in Wien, der Stadt der Verbindungen und Beziehungen, die sich die Niederlassung des Herrn Harden redlich verdient hätte, mein Schuldkonto. In der Reihe verlorner Freundschaften, die dem Lebensweg des Herrn Maximilian Harden unberechtigterweise das ehrenvolle Dunkel der Einsamkeit verschafft haben, bedeutet mein schroffer Verzicht die bitterste Enttäuschung. Auch das ist keine Information, sondern mehr als das, eine Ahnung. Bei allen andern Verlusten konnte er die literarische Verfeindung auf die persönliche reduzieren. Meine Untreue nahm den anderen Weg. Ich habe Herrn Maximilian Harden aus blauem Himmel angegriffen. Welch tief unbegründete Abkehr! Wie bereute ich es, daß sie notwendig war, wie schämte sich mein Verrat des früheren Glaubens! Ich erkannte damals, daß der Altersunterschied zwischen uns sich auch deshalb verengte, weil ich mir erlaubte, die Kriegsjahre des Herrn Harden nur einfach zu zählen. Der Fünfundzwanzigjährige hatte neben dem Fünfunddreißigjährigen den Nachteil, aber zehn Jahre später den Vorteil der Jugend. Zuerst konnte er nicht sehen, und dann sah er einen Blinden. Die Jugend sollte sich nur von abschreckenden Beispielen erziehen lassen und die Vorbilder sich für die Zeit der Reife aufheben. Was ihr im weiten Umkreis deutscher Kultur sich bietet, ist ein sicher fundierter Schwindel, und auch die Originale sind Surrogate. Nur die Phantasie wird mit solchen fertig, zieht sie dem Leben vor. Wie sah der große Einzelkämpfer aus, dessen Meinung gegen jenen Strom schwamm, zu dem sich alle journalistischen Schlammgewässer vereinigen? Er sah aus, wie ich mir ihn schuf, und Herr Maximilian Harden lieferte für meine Erfindung die Gebärde. Ich sah hier Blitze zucken, und hörte hier Donner krachen; denn in mir war Elektrizität. Ich war ein Theatermeister, den das Gewitter, das er erzeugt, erzittern macht. Welchen Respekt hatte ich vor Herrn Maximilian Harden, weil seine Leere meinem Ergänzungstrieb entgegenkam! Solches Entgegenkommen wird zum Erlebnis, bleibt aber nur so lange das Verdienst des Andern, als man für die Werte, die man zu vergeben hat, nicht in sich selbst einen bessern Platz entdeckt. Dann wohnt in den öden Fensterhöhlen das Grauen. Herrn Hardens Temperament gewinnt plötzlich die Berliner Lokalfarbe. Das Prinzip der maschinellen Abwicklung des äußern Lebens, das der Nüchternheit einen Rausch von Poesie gibt, wenn es die Poesie in Nüchternheit verwandelt hat, hält im Wertheim-Bazar einer neuen Kultur auch die isolierte Überzeugung des Herrn Harden auf Lager. Die echten Wälder eines Berliner Theaterdirektors sind so wenig Leinwand, wie sie Wälder sind. Und die Persönlichkeit eines Berliner Einzelkämpfers ist von der Schablone nicht weiter entfernt als von der Natur.

Der Schreibtischmensch, der eben seinen eigenen Schreibtisch hat. Sein Haus sein Zettelkasten. In der literarischen Persönlichkeit lebt der Gedanke von der Form, und die Form vom Gedanken. In Herrn Harden vegetieren sie armselig nebeneinander, die Meinung fristet ihr Dasein von der kläglichen Gewißheit, daß sie die andern nicht hatten, und die unbestreitbare Eigenart des Ausdrucks besteht von Gnaden der Indolenz, mit der die deutsche Sprache im Zeitungsdienst jegliche Notzucht zu ertragen gelernt hat. Wäre Herr Harden nicht durchaus originell, er wäre überhaupt nicht. Die tiefere Selbständigkeit, die es sich zutraut, manchmal Ja zu sagen, fehlt ihm ganz und gar, und darum kann er nur nein sagen. Weil aber die mechanische Promptheit der Negierung die Banalität des verkappten Jasagers verraten könnte, stellt sich die Sprache auf Stelzen, um sich doch über den Durchschnitt zu erheben. Aber sie unterscheidet sich nur von jenen, die auf zwei eigenen Beinen stehen. Schwulst ist Krücke. Humorlosigkeit ist immer affektiert. Witz ist kein sprachlicher Neutöner, er setzt die Sprache voraus und verträgt keine terminologische Hemmung. Temperament hat so viel zu sagen, daß es nicht Zeit hat, kalligraphische Schnörkel anzubringen. Wer sich darauf verlegt, Präfixe zu töten, dem geht's auch nicht um die Wurzel. Wer »weisen« will, beweist nicht; wer »kündet«, hat nichts zu verkünden. Hier haben wir die letzte précieuse ridicule, die sich unglücklicherweise in den Leitartikel gerettet hat, bei den nüchternsten Anlässen die schwere Brokatweis' hervorholt und noch für die Majestätsbeleidigung – pardon, Majestätbeleidigung – einen byzantinischen Stil findet. Ein Bahnbrecher in der Auffassung des Bindelautes in zusammengesetzten Wörtern! Kein Wunder, daß dieses lohende Temperament Ledernheit sprüht, wenn es zum Schreiben kommt; es hat sich schon im Redigieren abgekühlt. Denn er muß nicht nur fremden Meinungen sein apartes Kleid aufzwängen, also dartun, daß seine Form nicht mit seinen Gedanken organisch verwoben, daß sie bloß das Handwerkszeug des Journalisten ist. Nein, der »Monomachos« streicht auch in allen Beiträgen, selbst in den jüdischen Anekdoten des Herrn Roda Roda, das »s« aus den zusammengesetzten Wörtern. Da er der Meinung ist, daß in dem Wort »Reichsgericht« ein Genitiv steht, darf hier das »s« bleiben. Da er jedoch weiß, daß der Genitiv von Zeitung nicht Zeitungs heißt, so unterscheidet sich der Zukunftherausgeber von den andern Zeitungherausgebern durch eine beispiellose Gewissenhaftigkeit. Aber die deutsche Zunge besteht auf ihrer euphonischen Gefälligkeit und weist den logischen Undank eines trockenen Schleichers, der die Melodie des Hörens wie die Fülle der Gesichte stört, zurück. Nichts ist bezeichnender als diese Anbiederung des Herrn Harden an einen Genitiv, den es nicht gibt, zumal wenn man sie neben seine hartnäckigen Versuche stellt, die deutsche Sprache auch um einen Dativ zu bereichern. Das ist im wahren Sinne der Dativus commodi des Herrn Harden, der immer bemüht war, »dem Problem die Lösung zu finden«: wie er sich schließlich doch von einem Schmock unterscheiden könnte. Der geschwollene Hals, der vom vielen Silbenschlucken kommt, ist immerhin ein Zeichen der Distinktion. Auch der Drang, schon im Titel eines Artikels die Ehren einer esoterischen Bildung einzuheimsen. Freilich ist Herr Harden sich hier der Grenze bewußt. Er weiß, wo die eleusinischen Leitartikel aufhören, und würde gewiß nie dem Reiz eines unverständlichen Titels eine sichere Sensation opfern. Wenn er über gleichgültige Dinge zu schreiben hat, nennt er's »Molybdänomantie« oder »Suovetaurilia« – Worte, die den Ausrufern in der Friedrichstraße die größten Schwierigkeiten bereiten und die er darum vermeidet, wenn Sachen wie der Fall Hau akut sind. Hier hilft nur der schlichte Name. Hau; nicht einmal Haw. Nie aber hat die Feder des Herrn Harden sich der stofflichen Gelegenheit würdig gezeigt, die heute jeder Meinung, sogar der besten, das Interesse der Menge zuführt. Er lebt vom Anlaß, aber er wird dabei kleiner, als es bei der Größe des Anlasses notwendig wäre. Man muß zugeben, daß es dem Stoff gelingt, ihn zu bewältigen. Als er in Dresden von den Sozialdemokraten hart angefaßt wurde, antwortete ein wehleidiger Knabe, der zum Glück Briefe aufgehoben hatte. Seine Polemik gegen den dankbaren Sudermann, dem selbst das Interjektionstemperament des Herrn Alfred Kerr wirksamer zugesetzt hat, wurde verschlungen, und der deutsche Geschmack merkte nicht einmal, daß Salz und Pfeffer fehlten. Ein in die Politik verschlagener Epiker, der seit fünfzehn Jahren als polemisches Naturell ausgeschrieen wird. Schon das Bildungsgepäck, das er mit sich schleppt, wenn er von Berlin nach Potsdam reist, verwehrt ihm die freie Bewegung. Oder ist ein Beweis, daß er ihrer nicht fähig ist. Und mythologische Koffer, theologische Hutschachteln und Zitatenkisten – mehr als auf preußischen Staatsbahnen erlaubt sind – liegen durcheinander, belästigen die Mitreisenden und zwingen sie zum Mitgefühl mit dem schwitzenden Passagier. Herr Harden hat es einmal bestritten, daß außer seinem Kopf ein anderer Zettelkasten bestehe, aus dem er seine Herrlichkeiten holt. Gibts dennoch einen, so hat er gewiß Herrn Harden, nicht Herr Harden ihn. Gibts keinen, umso schlimmer. Das journalistische Handlangen nach einer unorganischen Bildung, das dem Leser weismacht, dem Schreiber der ›Zukunft‹ sei alles Vergangene gegenwärtig, wäre verächtlich, aber man könnte dabei vegetieren. Das wirkliche Wissen um all diese Dinge, von Urim und Thummim bis zur Orthographie der russischen Eigennamen – ist ein Selbstmordmotiv. Es möchte kein Hund so länger leben. Gott erhalte mir meine Unbildung!

Und dieser Mann ist der Kulturhort Deutschlands, zu dem die literarische Jugend wallt wie einst vor Goethes Thron. Keiner wagt das erlösende Wort zu sprechen, die Eigenart, die Herrn Harden weit über den »Troß der in deutscher Sprache Schreibenden« emporhebt, sei die Langeweile, die besondere, stolze, hieratisch unnahbare Langeweile! Keiner wagt es, weil jeder fürchtet, als Snob nicht für voll genommen zu werden. Wie aber? Dieser Philister ist in Deutschland ein Oppositionsgenie? Dieser unfreieste Stilist, durch dessen verquollenen Brei informierter Fadheit man sich nicht durchwindet, wird als Angreifer gefürchtet? Ein Kerl, der, bevor er einen Minister angreift, über die Thronfolgeordnung bei den Langobarden Bescheid sagen muß? Der, ehe er mit »Jahveh« und allen Kalenderheiligen fertig ist, dem Feind hundertmal Zeit läßt zu entkommen, und ihm höchstens dadurch gefährlich wird, daß er ihn in das Labyrinth seines Periodenbaus lockt und dort mit Stabreimen zu Tode quält! Vom gleißenden Wurm im Aug' eines Bankdirektors spricht und uns den Sachsenwald zur wabernden Lohe von Bildungsbrocken macht. Was könnte ihn gründlicher richten als die Erwartung, mit der unsereins bei besonderem Anlaß nach seinem Artikel langt? Das Publikum begnügt sich mit der stofflichen Sensation und will über ihr den Namen Harden lesen. Was er über den Fall Hau sagt, fragt keiner. Aber ich bin darauf gespannt, wieviel verschiedene Bezeichnungen er für die Stadt Karlsruhe finden wird. Und siehe, ich komme auf meine Spesen: denn Karlsruhe ist vor allem die »Fächerstraßenstadt«, dann ist es die »Hardtwaldstadt«, hierauf »Friedrichs stille Residenzstadt«, alles, alles, nur nicht Karlsruhe! Er würde sich eher die Hand abhacken lassen, ehe er Karlsruhe schriebe. Hau übersiedelte nach Amerika? Nein, er ist »zu den Sternbannerleuten gegangen«. Er kommt aus Amerika zurück? Nein, »aus Atlantis«. Er hat einen falschen Bart angelegt? Nein, sich einer »Mumme« bedient. Cui bono, fragt sich in solchen Mordaffären die Justiz? Nein, »die Frage des Lucius Cassius Longinus Ravilla klingt auf jeder Mordstätte dem Kriminalisten ins Ohr«. Hau's Verurteilung erfolgte an einem Montag um die Mittagsstunde? Nachdem er Samstag noch auf einen Freispruch gehofft hatte? Nein, »Sonnabend durfte Hau, als die Nacht sank, leise auf Freispruch hoffen. Als die Montagsonne den höchsten Punkt erreicht hatte, war er verloren«. Aber warum hat er auch »Flunkerfinten« angewendet, »die Nacht vor der Blutarbeit im Arm eines gemieteten Mädchens verbuhlt« und nach dem »Vespertee« sich in ein »Erotenmysterium« retten wollen? »Der verliebte Narr, den, da er die Traute beschleichen wollte, das Schicksal mit grausamer Tatze in blutrote Wirbel stieß«! So leben wir alle Wochen. Aber auch der Theaterkritiker Harden läßt sich nichts abgehen. Was ist Ibsen? Der Stützendichter. Frühlingserwachen? Ein Lenzmimus. Sein Inhalt? Das Männern der Knaben, das Böckeln der Mädchen. Der dramatisierte Sherlock Holmes? Der Rampendoyle … Im männermordenden Kampf, vor der Verkleinerung seines Ruhms in der Liebenberger Affäre, also bei einer Gelegenheit, die Temperamentsentladungen erwarten läßt, vergißt er nicht, daß der Monat Mai auch noch andere Bezeichnungen hat, und will unbeirrt erzählen, was sich im Deutschen Reich »unterm Weidemond begab«. Geziert und geschwollen von Hornung bis Nebelung, wird er einst noch im Tode dafür sorgen, daß die »Erdigungfeier« mit allem Prunk der Rede, aber ohne jeden störenden S-Laut vor sich gehe.

Das Vaterland, dem Herr Harden dient, hat noch keinen seiner Artikel ohne Verdauungbeschwerden zu Ende gelesen. Das ist gar nicht anders möglich. Wäre aber der ungetrübte Eindruck von einer Physiognomie, die hinter diesen Artikeln steht, gewinnbar, so sähe man ein Individuum, dessen geistig-moralischer Habitus sich aus einem Detektiv und einem Bibliothekar zusammensetzt. Dieser Mensch stellt Ehebrüche fest und erzählt uns die Biographie des heiligen Formosus. Mit einem solchen habe ich keinen geistigen Verkehr! Nicht einmal Tatsachen lasse ich mir von ihm mitteilen. Denn bis es mir gelingt, sie von den dekorativen Präzedenzfällen aus Odoakers Zeiten zu befreien, sind sie längst überholt. Seine Zitate kürzen die Darstellung nicht ab, sondern verlängern sie, und bespiegeln den Erzähler, nicht das Erzählte. Sein Fremdwort ist Hemmschuh, wenn es kein Stiefel ist. Denn der Bernhard Shaw, der geschichtliche Größen verkleinert, ist eben deshalb kein »Mikromane«, ein Kaiser ist kein »Imperat«, und wie es lästig ist, wenn einem ein Hausierer beim Essen Zahnbürsten und beim Denken ein Spielzeug anbietet, so ist es peinlich, während der Lösung der Lebensfragen des Deutschen Reiches fortwährend zum Zeugen einer stupiden Belesenheit und jenes sterilen Eruditionseifers angerufen zu werden, der sich tatsächlich einmal in der Wendung »Zitat gefällig?« selbst persifliert hat. Die Apostrophe an den Verteidiger im Hau-Prozeß: »Kennen Sie D'Aguesseau? Reformator des französischen Rechtes; hat die Bulle Unigenitus und Laws Aktienschwindel bekämpft. Der hat gesagt … Kennen Sie Beaumarchais? Der ließ, zwanzig Jahre nach dem Tode des Kanzlers D'Aguesseau, seinen Figaro einem Rabulisten vor Gericht zurufen: Continuez …« – dieses Angebot von Bildung war nach den ersten Worten mit einem Verzicht abzuschneiden. Wir haben keinen Bedarf. Mit einem verstopften Stil, der sich ohne Bildungsklistier nicht mehr ausdrücken kann, geht man nach Karlsbad – ich sage nicht »an die Heilung verheißende Quelle« –; denn man ist der aufopfernden Sorge für das Vaterland nicht mehr gewachsen. Wie sollte Herr Harden die Interessen eines Reiches, in dem Deutsch gesprochen wird, wirksam vertreten können? Das Reich versteht seine Sprache nicht, hält ihn für den Vertreter einer fremden Macht, und sagt, er spreche Russisch … Ich glaube, es ist sogar hyperboreisch. Ich bin verzweifelt. Ich bemühe mich, endgültige Aufschlüsse über die Marokko-Konferenz zu erlangen, und Herr Harden versichert mir, daß man auch Marakesch sagen könne. Im Prozeß L. wurde er wegen formaler Beleidigung verurteilt. Wie lauten die Schimpfworte? Nun, er hatte dem Kläger nicht weniger als »Klippschülergeschwätz« und »Rüpelreden« zum Vorwurf gemacht. Dabei hat er Ironie. Wenn er eine Gruppe von Politikern treffen will, nennt er sie ein »Grüppchen«, spricht von einem »flink gehaschten Weltrühmchen«, und wer ihm das Humorchen zugibt, aber den Witz bestreiten wollte, dem könnte er beweisen, daß er sogar zwei Witze habe: »Portefeuilletonist« und »Sozialüstlinge«. Ich aber habe mir den Witz erlaubt, das Bild einer Schriftstellerei nachzuzeichnen, die aus den Wolken einer politischen Mythologie zu uns spricht und von der das deutsche Vaterland sagt, sie liefere ihm die Richtschnur für sein politisches Denken. Hört, hört:

Molybdänomantie

Advent. Die in die Kulifron gespannten Söhne des unheiligen Geistes hatten der Frage nachgegrübelt, wann wieder in der betagten Europa welkem Schoß dem kraftlosen Wollen der Hohen ein neuer Gedanke, die dem stärksten Beispiel gereiften Sinnens gleichbare Tat sich entbände. Im Holzpapierreich der Meinungfabriken war mählich die angestammte Schachermachei der Redaktionweisen vor an Zeitfragen bosselnder Sachlichkeit, vor dem Spürsinn der Jüngeren gewichen, hatte die leis nur und zagend sich kündende Entwicklung Sems Sprossen, die keines neuen Heils Botschaft wirren kann, gesänftigt. Das bloß auf Brettergerüsten noch mit feinster Kunst und mit einer neidenswerten Treue gespielte Treiben der sich Helden dünkelnden Domestiken darf endlich auch dem blödesten Auge, muß dem Wahn der an Parteidogmen Glaubenden eine Stümperleistung scheinen. Mögen annoch im Fritzenstaat vor der Zeitungfeudalherren Wink die Staatskommis zittern, mag, wie der Eunuchen klanglose Rede geht, der exzellente Dernburg Tag vor Tag deutschem Handel die Wunschrichtung suchen, die Schrecken der Annoncenpacht schüchtern heut keinen Denkenden mehr, und bald wird ihr der zu starken Taten wieder, zu neuem Pflichtengefühl erwachte Preußenwille verlorner Tage peinvolles Erinnern in die Grube rufen. Dem sich im Machtwahn räkelnden Freisinn wollen wir, nach Bismarcks Rat, den Schwichtigunggrund, den lang und schmerzvoll stets gemißten, nicht neiden. Wo Klaglaute der eben noch hochmütig gekräuselten Lippe entstiegen, rücksichtlos aussprechen, was ist. (Wollens zu mindest im Geltunggebiet des vom liebenberger Stank und der Kinädenschmach gesäuberten Kursus.) Haben nicht Sozialüstlinge selbst vor Bernhard dem Großen sich erniedert? Nicht im Trugrausch gewähnt, aus modischer Warenhauspolitik werde der tiefsten Wählerschicht das Heil erstehn? Wirtschaftpolitischer Nutzen im selben Fanfarenton gezeugt werden, der Albertus Honorius, den gefälligen Mittler von Spiel und Lust, an die Seite des Deutschenkaisers rief? (Rief er wirklich? Fast möchte mans, vor dem erweislich wahren Tatbestand der Gelegenheitmacherei, nicht glauben, möchte für Täuschung halten, woran das Auge doch in gedruckten Hofberichten ärgerlich haften blieb.) Aber trübere Fährlichkeit wird den im Machtbesitz Wohnenden, deren zerebrales Wünschen selbst das Bachfischgemüt errät, die Hoffnung splittern, ernsteren Empfanges Sorge Bernhards Stirn, die der frische Wind des Nordgewässers kaum gekühlt hat, furchen. Schlimmer Ruch scheucht ihn übers Wattenmeer: in der Wilhelmstraße wolle der am Dreibund gewärmte Wahn dem Reußenherrscher den Willkomm wirken. So stöhnen eines großen Planens schwächliche Vollbringer, deren Klippschülergeschwätz den ersten Kanzler oft aus der Arbeitstube trieb und die heut noch in der Mächlerkunst nach Philis süßer Weise tänzeln. Herr Omnes freilich siehts anders. Fehmt als selbstisches Mühen die Hast, den Weg, den Eduards runde Majestät in das Marienbad nimmt, mit ungedornten Rosen zu bestreuen. August Wilhelm Robert Heinrich Ignaz Scherl aber, G. m. b. H., hat alle Truppen mobilisiert und wir stehen im Vortag gewaltigen Geschehens. Abbé Galiani, der Kluge, erkannte: (Zitat momentan verlegt.) Und der britische Kömmling, der die geputzte Fassade der Reichsverderbnis betrachtet und heimischen Maßen des Volkheithaders die vom Monomachengeist Schritt vor Schritt verdrängte Bänkermoral vergleicht, wird im Neffenreich, dem trotz dem King arglosen, der vorragenden Geltung deutscher Gafferpolitik nachdenken. Wird an dem Gesundquell noch der nach Frieden langenden turba die Ziele weisen. Den tiefsten Fragen, die zwischen Söul und Samothrake das Auge Ottos des Größten lichtete, die Lösung finden. (Wenn im Sachsenwald die Sonne den Schreibtisch beschien, durften wir den gelben Schreck verlachen, und bei Vanilleneis, das Frau Johanna als mein Lieblingsleckergericht erriet, fiel manches Winkwort, ward mir der Rat, dem Makronenmagen unsrer Tiergärtnerinnen die festere Nahrung politischer Erkenntnis nicht mehr zu weigern. Lebt solchem Vermächtnis im Zollernland ein zweiter Zeuge? …) Wo der in bismärckischer Zucht geübten Tugend der Willenskanal nicht völlig verstopft ist, mag die von Sensationenhändlern mit flinkem Finger entblößte Scham germanischen Geistes sich selbst die Hülle, die im Brunstschrei verlorne, wiederfinden. Aber dem vergreisten Sinn mit dem Volkswohl spielender Portefeuilletonisten, deren Schmeichlergeist kaum noch die Keuschheit gunstgeiler Holzböcke ins Bett der Reichsbotenmehrheit kirrt, ersteht am Jultag, da sich der Sonnwende deutschen Glücks die Feuer zünden, kein willensstarker Retter mehr.


Der Schriftsteller, dem mein Ohr eine Satzbildung abgelauscht hat, deren prunkende Geistverlassenschaft vielleicht auf den Dichter Kaspar von Lohenstein weist, wagt es, sich den Deutschen als Erbe des politischen Geistes vorzustellen, in dem der klarste Sprachmeister gelebt hat. Und ihm antwortet nicht schallendes Gelächter von Düsseldorf bis Danzig. Kein Patriot erhebt sich, dem Unfug einer Intimität, die mit der Entfernung von einem Sterbetag dicker wird, ein Ende zu machen. Keiner schlägt dem zudringlichen Gesellen die Flasche Steinberger an den Kopf oder auch nur die Tasse Vanilleeis aus der Hand. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier der öffentliche Kredit angesprochen wird, macht die immer dreistere Berufung auf Bismarckworte zu einer öffentlichen Schuld. Wenn ich heute behaupte, daß Bismarck den Journalisten, der sich ihm anbot, benützen, aber nicht ausstehen konnte, daß er sich oft in solchem Sinne geäußert hat, so habe ich mindestens denselben Anspruch auf Glaubwürdigkeit wie Herr Harden, der das Gegenteil behauptet. Bloß deshalb, weil man ihm das Gegenteil des Gegenteils nicht beweisen kann, war er noch kein Liebling in Friedrichsruh, und wenn es erlaubt wäre, das Zeugnis Verstorbener anzurufen, so würde ich ohneweiters den Geheimrat Sch., der Bescheid wußte, zu Wort kommen lassen. Indes, ich muß nicht informiert sein, und meine Berufung mag man für eine Flunkerfinte halten. Auch dürfte dieser Tote die Aussage verweigern; er lebte im Freundeskreise Bismarcks, wußte, wer dort gelitten war, aber als Techniker kümmerte er sich nicht um journalistische Angelegenheiten. Er war der Erfinder jenes rauchlosen Pulvers, das für Revolver noch nicht eingeführt ist.

Immerhin, Herr Harden fände sein Fortkommen, auch wenn man ihm den Bismarck anfechten könnte. Er hat ja den Kaiser. Er ist Monarchist, und seine Gesinnung ist das riesigste Sortiment der Monarchie. Er hat das große Thema des Kaisers. Ich habe das kleine Thema des Herrn Maximilian Harden. Aber auf die Hand, die trifft, kommts an. Der Glaube, daß der Hintere eines Fürsten die schönere Zielscheibe sei als das Gesicht eines Journalisten, ist ein bescheidener Irrtum, der bloß der Verbreitung, nicht der Bedeutung einer Wochenschrift gedient hat. Ich möchte mich mit dem Sexualtrieb der maßgebenden Politiker nicht befassen, und ich könnte mir die Meinung, daß auch dies ein großes Thema sei, nur aus einem Mißverstehen jener Ropsischen Karikatur erklären, unter der geschrieben steht, daß bei den Königen alles groß ist. Mein Ehrgeiz ist es, wichtige Verhältnisse durch nichtige Personen zu treffen, und ich halte die Stellung des Herrn Maximilian Harden im deutschen Geistesleben, diesen lukrativen Betrieb, in dem eine einwandfreie Gesinnung bedenkliche Stoffe verarbeitet, für eine ungleich bedeutungsvollere Angelegenheit als die Untersuchung, ob und warum sich Graf Kuno Moltke in Unterhosen ins Bett gelegt hat. Ich war mir über Herrn Harden schon im klaren, als ich in einem Heft der ›Zukunft‹, in welchem ich bloß die Eröffnung suchte, daß die Japaner wieder keinen irgendwie nennenswerten Sieg errungen hätten, auch ein sachverständiges Gutachten über die Sexualität der sächsischen Kronprinzessin fand und die freudige Versicherung, es sei »gerichtlich festgestellt,« daß sie mit einem Dutzend Männer die Ehe gebrochen habe. Aber ich erfuhr dann auch, wieviel er mit dem Artikel über die tote Jenny Groß verdient hatte, und konnte dem Erzfeind der Prostitution vorrechnen, um wie viel einträglicher als jener Erwerb, bei dem bloß der Leib der Frau verkauft wird, ein Zeitungsgeschäft sei, das aus ihrem Leichnam Kapital schlägt. Ich schrieb damals nieder, was ich auf dem Herzen hatte, und da ich jeden Angriff, den ich schreibe, persönlich nehme, gab ich den Verkehr mit Herrn Maximilian Harden auf. Ich sah schon, um einen Horizont zu kriegen, mußte ich nicht bis Marokko laufen, und ich wars zufrieden, daß sich mir auf dem Stefansplatz das Weltbild enthüllte. Ich lernte den Vergleich meiner Tätigkeit mit der des Herrn Harden, den banalen Schluß aus der äußeren Ähnlichkeit der publizistischen Sonderstellung, immer mehr als eine unverdiente Kränkung empfinden. Und feierlich protestiere ich gegen die Zumutung, heute noch zu einer Ehre verurteilt zu sein, die ich vor zehn Jahren auf mich genommen, die ich überstanden habe und die mir vorzuwerfen niemand ein Recht hat. Meine Stellung außerhalb des Preßlagers ist eine andere als die des Herrn Harden, dessen Isoliertheit nicht innerlich geboten, nicht eine Sache des Temperaments, sondern der Konjunktur ist. Der Glücksfall Bismarck hat den liberalen Journalisten, der damals auch anders gekonnt hat, aus seiner Bahn getragen, und ohne den Riesenschatten, in dem sichs bequem nassauern läßt, wäre vielleicht heute noch eine Rückkehr zum Glauben Mosses möglich. Dieses Apostatentum läßt mit sich reden. Diese Isoliertheit macht vor der Landesgrenze Halt und wird umgänglich, wenn sich ihr die korruptesten Vertreter der österreichischen Presse nähern. Die österreichische Presse ist es denn auch, die den schmählichen Sieg des Angeklagten im Moltkeprozeß zu ihrer eigenen Angelegenheit gemacht, die den Triumph des schicksalmordenden Nachrichtengeistes am lautesten verkündet hat. Sie fühlt die Blutsverwandtschaft, die Herr Harden der Fiktion bismarckischer Sendung zuliebe vor der deutschen Schwester verleugnet. Aber auch zum beherzten Haß gegen den Feind im Hause fehlen dem Herausgeber der ›Zukunft‹ alle jene Qualitäten, die eine Literaturlegende ihm zuschreibt: Weltanschauung, Witz und Leidenschaft. Seine literarischen Mängel sind gerade noch der Ausdruck jener Gemütsverfassung, die man »Reichsverdrossenheit« nennt. Sein Stil, der nicht revolutionieren kann, ist höchstens der Stil des Mißvergnügten, wenn er nicht das Mißvergnügen erst weckt. Daß ein Literat, der ein bißchen an der Reichsfassade herumkratzt, aber mit der Weltordnung vollauf zufrieden ist, so viel Furcht und Ansehen um sich verbreiten konnte, ist eine Tatsache, die das deutsche Geistesleben mit einem kräftigeren Griff enthüllt, als Herr Harden es je vermocht hat. Und daß sich damit hunderttausend Mark im Jahr verdienen lassen. Und daß ein Ethiker von dem Reichtum, den ihm die Sensationen des redaktionellen und die Überraschungen des – verpachteten – Inseratenteils eintragen, so wenig seinen Mitarbeitern gönnt. Daß er ihnen nicht nur die elendesten Honorare zahlt, die heute in Deutschland gezahlt werden, sondern auch die Gelegenheit kürzt, indem er Verlegern durch Benützung von Aushängebogen, Autoren durch den Abdruck von »Selbstanzeigen« raumfüllende Dienste erweist und sich die Lyrik von seinen Advokaten besorgen läßt. Von Männern, würde Herr Harden sagen, die ihm »mit ihrer Forensenkunst gedient«. Herr Max Bernstein ist, Gott sei's gedankt und geklagt, Dramatiker, aber die Versuche des Lyrikers Suse, uns Narzissen, Weihrauchpokale und Sarkophage als die typische Einrichtung einer Advokaturskanzlei einzureden, finden in der ›Zukunft‹ die liebevollste Förderung, und auf die Lyrik des andern Kollegen wurde mit der Empfehlung hingewiesen, das deutsche Publikum habe wieder einmal Gelegenheit, »einen neuen Sello kennen zu lernen«. Dafür sind manche Gedichte Frank Wedekinds, z. B. »Ilse«, »einem Dilettanten zuzutrauen«. Manche, nicht alle. Wenn sich der Dichter auch ganz gewiß nicht mit Herrn Salus vergleichen läßt, dem Lyriker, der von Herrn Harden am höchsten geschätzt wird, wiewohl er als Arzt seine Verteidigung bisher nicht übernehmen konnte, Herr Harden weiß die Begabung Wedekinds zu würdigen, ja er hat ihm sogar einige Dramenzitate ausgerenkt. Und man wird nicht sagen können, daß dies nicht notwendig war, wenn man bedenkt, daß Wedekind selbst in der Lyrik lange nicht so poetisch ist wie Harden im Leitartikel. Mit der farblosesten Kontorprosa langt jener in Seelengründe und holt Poesie daraus, während diesem die Kritik eines Regierungserlasses zur Ballade wird. Aber der Ziergärtner einer tropischen Kultur von Stilblüten und Lesefrüchten hat an Wedekind manchmal auch den »Stoff«, den ein Dichter bekanntlich »wählt«, auszusetzen. Mit der »Büchse der Pandora« hat er sich erst, wie sagt man nur, »mählich« befreunden können. Zuerst gab er bloß ihren Inhalt an, verglich sie mit einem Müllhaufen und nannte sie Hintertreppenpoesie. Nach ein paar Jahren zitierte er die Inhaltsangabe und mit ihr ein Urteil, das die Schuld an dem Unverständnis dem Publikum gab. Es lautete etwa: Ihr glaubt, dies sei die Poesie von Müllhaufen und Hintertreppe? Nein, es ist die Vision eines großen Dichters … Freilich hatte ich inzwischen durch die Wiener Inszenierung des Werkes nachgeholfen. Meinem engen Horizont gemäß, der eben noch die Erkenntnis kultureller Werte einschließt, muß ich mich damit begnügen, Herrn Harden die Schwankungen und Blamagen seiner literarischen Politik nachzuweisen. Daß er die Siege der Russen gegen die Japaner erfocht, hat man ohnedies lachend zur Kenntnis genommen. Aber eine Selbständigkeit der politischen Meinung, die bloß die Unselbständigkeit ist, die sich von der Meinung der anderen abhebt, ist ein Phänomen, das die maßgebenden Kreise bisher nicht gehindert hat, Herrn Maximilian Harden ernst zu nehmen.

Ich nehme ihn bloß dort ernst, wo er, fern allem Streben, ein Einzelkämpfer zu sein, aber nah den Zielen eines soliden Zeitungsgeschäftes, mit den gangbaren Meinungen des Philisterpacks paktiert. Seitdem ich seine Pfauenfeder sich in sittlicher Empörung sträuben sah, bestreite ich ihm das Recht, in der Reihe der Geister zu stehen, die die Menschheit um einen Schritt vorwärts bringen wollen. Ein Journalist, der den Prozeß Hau als Rehabilitierung des Indizienbeweises feiert, den Mordverdacht durch »Prahlsucht, Hang zur Lüge und zu üppigem Leben« gefestigt sieht und den Beweis für erbracht hält, weil Hau die Syphilis hat und »dem Luetiker, der den Hotelportier nach Lustmädchen fragt«, alles zuzutrauen ist – ein solcher Wortführer der Kultur meide die Gesellschaft sauberer Menschen. Es könnten Luetiker unter ihnen sein. Wer aber das Bestehen eines menschenmörderischen Strafparagraphen zu einer Chantage benützt, deren politische Einkleidung zur baren Verwerflichkeit die Heuchelei fügt, wer da glaubt, »jedes Mittel anwenden zu können, um solche Leute unmöglich zu machen«, da es doch höchstens erlaubt wäre, jedes Mittel anzuwenden, um solche Leute möglich zu machen – mit dem hatten wir nie etwas zu schaffen. Er hat Zinsen genommen von der wahrhaft tragischen Schande einer Sittlichkeit, die es erlaubt, das Rückenmark als corpus delicti zu behandeln. Er ist der Schuldige jener neuzeitlichen Inquisition, die wir schaudernd den Beschluß verkünden hören, »den Beweis darüber, daß der Privatkläger dem weiblichen Geschlecht besonders abgeneigt sei, zuzulassen«. Jener teuflischen Justiz, die in Schlafzimmern exorzisiert, Abweichungen von der »Norm« ahndet und das liebe Leben zum Tod durch den Samenstrang verurteilt. Jenes häßlichsten Indizienbeweises, der sich an die Strafprozeßordnung des Klatsches hält, ein Urteil im Namen Seiner Majestät des Cant provoziert und im Sinne eines tiefen Witzes nur den als »normal« gelten läßt, der mit einer Frau unter den Linden gesehen wird, aber für einen Päderasten, der mit einem Mann ausgeht, und wer allein spaziert, für einen Onanisten. Ich weise es von mir, mich mit einem Spießbürger wie Herrn Harden, dessen Denken über den Polizeirayon des »erweislich Wahren« nicht hinauslangt, über Probleme auseinanderzusetzen, die leider Gottes noch immer schicksalbewegender sind, als der Erbfolgestreit Lippe-Biesterfeld und selbst die Resultate der Konferenz von Algeciras. Und es hat wahrlich Homosexuelle gegeben, die man durch die Andeutung, daß sie Politik trieben, schwerer kompromittiert hätte, als Politiker durch die Denunziation ihrer Geschlechtssitten! Aber ob man die »Normwidrigkeit« der Nervenwünsche für ein Verbrechen oder für eine Krankheit, für einen Makel oder für einen Vorzug hält: hundertmal aufregender als die Enthüllung der Liebenberger Zustände, hundertmal schmerzlicher an das Bewußtsein unserer kulturellen Mündigkeit greift die Erfahrung, daß für jeden der Tag kommen kann, da er vor Gericht die Unlust zur Ausübung des normalen Beischlafes verantworten muß. Daß ein Antikorruptionist »mit flinkem Finger« ein Ehebett aufdecken kann, im Gerichtssaal einen General mit Enthüllungen bedroht, die diesen »zwingen könnten, den Rock auszuziehen«, und sich gnädig damit begnügt, ihm vor der Front der öffentlichen Meinung die Hosen auszuziehen. Daß einem Greis von einem Amtsrichter und zwei Schöffen, in Anwesenheit der Vertreter der Presse und unter Zuziehung des Dr. Magnus Hirschfeld das Geschlecht bestimmt wird. Und der Alpdruck, den man fürs ganze Leben aus der Ehe mit einer Hysterikerin mitnimmt, wird zum Belastungsmoment. Und eine geschiedene Frau, deren Zeugnis schon ihr Entschluß, es abzulegen, bedenklich macht, steht einem als vollwertige Zeugin gegenüber. Und jedes Wort, das einmal vor dem Schlafengehen gesprochen wurde, wird zum Gebet. Und durch ein Wort über die Ehe, mit dem Graf Moltke bloß eine tiefere Lebenskenntnis bewiesen hat als sein Quäler, soll ihm gelungen sein, wozu ihm dieser die Fähigkeit sonst so entschieden bestreitet: »die deutsche Frau zu schänden«. Aber wenn es auch vor deutschen Schöffen nicht zugegeben werden darf, daß die Ehe eine »legitime Notzuchtsanstalt« ist, Talleyrands Wort, sie sei »une union de deux mauvaises humeurs pendant le jour et de deux mauvaises odeurs pendant la nuit«, finde ich in einem Hefte der ›Zukunft‹. Allerdings bezeichnenderweise in einem Artikel, der die Unterschrift »Eulenburg« trägt. Dessen Abdruck in der ›Zukunft‹ rettet den Fürsten gleichen Namens wenigstens vor der Verwechslung mit dem Autor, der ein so normwidriges Bekenntnis zitiert, wenn ihn schon nichts vor der Agnoszierung durch den Kürassier Bollhardt retten kann. Nichts rettet vor den Kürassieren, nichts vor den Redakteuren, Richtern und Sachverständigen. Musikalische Anlage ist ein Verdacht, getrennte Schlafzimmer sind ein Beweis, das Taschentuch eines Freundes (das der Gemahl zur scherzhaften Bestärkung eines Argwohns vor den Augen des weiblichen Othello an die Lippen führt) wird zum homosexuellen Fetisch, und ein Spitzname, wie er sich zwischen Kindern einer Familie bis ins Alter erhält, wird zum Losungswort des Straßenpöbels. Und dem Herrn Harden, der seinem Gott nicht einmal dafür dankt, daß sein häuslicher Rufname »Maxi« ihn bis heute nicht in homosexuellen Verdacht gebracht hat, sieht man »Männer die Hand schütteln«. Man hat seine Frage gehört, wie sich denn der Kläger durch die Bezeichnung »Süßer« beleidigt fühlen könne, wenn er sich durch ein anderes Kosewort nicht beleidigt fühle – die Frage eines Schlaukopfs, der nicht versteht, daß der Gegner sich gegen Anspielungen des Herrn Harden wehrt, nicht gegen Scherze, die seine Geschwister machen, und daß er durch die Erklärung der Harmlosigkeit eines Spottnamens sich nicht des Rechts begibt, sondern sein Recht erst beweist, sich durch die üble Deutung verletzt zu fühlen. Und in diesem Bubenstreit springt der Angeklagte gegen ihn, dessen unmännliches Wesen nach Schlachten, Wunden und fünfzig Soldatenjahren endlich enthüllt werden soll, mit der Frage los, ob es denn nicht wahr, nicht erweislich wahr sei, daß er gern Süßigkeiten esse und Pralinées ins Theater mitnehme. Und eine schamlose Justiz, die die Feststellung zuläßt, daß der Kläger kosmetische Mittel angewandt habe, legt nicht Rot auf. Sie läßt eine Beweisaufnahme über männliche Abnormität zu und besinnt sich keinen Augenblick auf eine Gerechtigkeit, die solche Schmach wenigstens durch die Beweisaufnahme über einen weiblichen Zauber paralysieren müßte, dem sich der Gatte durch Flucht oder Nichtablegen der Kleider entzieht. Sie läßt eine Zeugenschaft zu, mit deren Berufung der Angeklagte auch außerhalb des Gerichtssaals groben Unfug begeht: die Zitierung von Bismarckworten, die er nun gar als Stütze homosexueller Verdächtigung parat hat. Daß Fürst Eulenburg, der unerlaubterweise bestreitet, daß er »normwidrig« ist, in Wirklichkeit doch ein Päderast sei, gehört nach Herrn Bernstein zu jenen Bismarckworten, »an denen nicht zu drehn und zu deuteln ist« und die für einen Lustspiel-Juristen, der die Norm einer Ehe von »Herthas Hochzeit« ableitet, »dreiviertel Beweis« sind. Der Rest soll sich durch Lokalaugenschein nachholen lassen; und die Nochnichtdagewesenheit dieses ganzen Prozesses gipfelt in der »Heiterkeit« des Auditoriums, die der Amtsrichter durch den Beschluß hervorruft, den schwerkranken Fürsten vorzuladen, für den »eine seelische Aufregung ja doch nicht zu befürchten sei, da er sich selbst für unschuldig halte«. Herr Harden aber, dessen Enthüllungen in ihrer zerstörenden Wirkung nur durch den glücklichen Umstand abgeschwächt werden, daß er sie in unverständliche Worte kleidet und Kinäden sagt, wenn er Päderasten meint, Herr Harden hält selbst die Arterienverkalkung noch für normwidrig und verlangt, daß der kranke Fürst »hergetragen werde«. Er wird es beweisen. Er hat nicht behauptet, aber er wird beweisen. Welch praktikable Verantwortung, die Ausflucht und Drohung verbindet! Er weiß etwas, was er nicht sagt, aber er hat daran nicht im Traum gedacht, als ers schrieb. Schon die Spitzfindigkeit, die sich auf den juristischen Unterschied zwischen der Behauptung perverser Anlage und dem Vorwurf perversen Handelns zurückzog, war erbärmlich; aber die Berufung auf beide Möglichkeiten ist – um es mit dem stärksten Wort zu bezeichnen – eine Flunkerfinte. Einer Gerechtigkeit, die sich von Herrn Harden zweifach düpieren ließ, hätte man wenigstens klarmachen sollen, daß in den engen Grenzen sexueller Aussprache und im weiten Gebiete sexueller Phantasie die kleinste Andeutung den ganzen Inhalt bedeutet und daß die landläufige Unkenntnis in homosexuellen Dingen von der leisesten Verspottung »unmännlichen Wesens« immer den Eindruck empfängt, die Tathandlung, und zwar in jener schwersten Form, die das Deutsche Gesetz bestraft, sei vorgeworfen worden. Durch Jahre hat Herr Harden über dem Lebensglück einiger Familien das Damoklesschwert seiner Informiertheit gehalten; er mag einfältigen Lesern einreden, daß die Anspielung dem öffentlichen Interesse besser gedient habe als die Aussprache, nie aber kann er bestreiten, daß sie eine gefährlichere Waffe ist, da sie zur Beleidigung die Drohung fügt. Und sollte jenes Lebensglück wirklich auch die politische Gefahr eines »Grüppchens« bedeuten, so war die Aufstöberung mit Waffen zu besorgen, die das publizistische Kriegsrecht erlaubt! Es ist nicht wahr, es ist eine herzlose, von aller geschichtlichen Erfahrung verlassene Lüge, daß »Normwidrigkeit« zur Ausübung eines öffentlichen Amtes untauglich macht. Günstlingswirtschaft ist ein Übel im Staat, das der mutige Publizist aufdecken mag. Mißbrauch des Subordinationsverhältnisses in der Armee mag seine Kritik herausfordern. Solche Erscheinung, nicht ihre Ursache, ist die Normwidrigkeit, die uns bekümmert. Wohl hat, wer in sein eigenes Privatleben greift, indem er ihm öffentliche Rücksichten opfert, keinen Anspruch auf Diskretion. Aber nicht die Richtung des Geschlechtstriebes, seine Berührung des Pflichtenkreises ist das Übel. Und nur wo der Nachweis dieser Berührung lückenlos zu erbringen ist, darf die Tangente beschuldigt werden. Der Nachweis war trotz der Kriegsbeschwörung des Herrn Harden auch im Fall Lecomte nicht zu erbringen. Der Zusammenhang von Päderastie und Diplomatie ist nicht stärker als der Einfluß des normalen Geschlechtsverkehrs auf die Entschließungen der Männer, die unsere Geschicke lenken. Wer ihn stärker betont, enthüllt bloß eine Gesinnung, der das Geschäft mit der Moral wichtiger ist als der Kampf gegen die Korruption. Ein schlimmeres Ärgernis war nicht zu enthüllen. Es nascht von allen Lügen und schminkt sich mit der Wahrheit, daß durch die freie Einschaltung des erotischen Nebenstroms eine Komplizierung der sozialen Lebensverhältnisse geschaffen würde. Aber die Natur schiert sich selbst unter dem Joch eines Strafparagraphen nicht um die sozialen Lebensverhältnisse, und wie jedes Sexualverbot erogen wirkt, so ist auch dieses ein besserer Kuppler als Wächter und bringt in heimlicher Anziehung zur Genüge herein, was es durch öffentliche Abschreckung verhindert. Und es könnte – schlimmere Gefahr – ein noch besserer Erpresser als Kuppler sein. Daß in einem Regiment strenge Unzucht gehalten wird, ist eine betrübliche Offenbarung. Aber eine Gesellschaft, die sich die Sexualität abbindet, darf sich darüber nicht beklagen, daß diese an der verkehrten Stelle einen Ausweg sucht, oder selbst zu Geschwüren vereitert. Sie befreie sich von der fluchwürdigen Kontrolle ihrer Triebe, und sie wird es nicht mehr erleben, daß ihre Flügeladjutanten jenen Mißbrauch im Dienste begehen, der eine größere Sicherheit gewährt als der Mißbrauch eines Zivilisten. Gewiß, wenn sie im Mondschein zum Gefreiten schleichen, so soll das strafwürdiger sein als ihre Herablassung zur Marketenderin, aber nicht weil es normwidriger, sondern weil es disziplinwidriger ist. Ein Vergehen wider die beschworne Dienstpflicht wird sich leichter abwenden lassen, wenn es einmal von dem Odium befreit ist, ein Verbrechen wider die Natur zu sein, und wenn man nicht mehr als Sittlichkeitsdelikt behandelt, was soeben ein Kriegsgericht in Königsberg mit Recht die »vorschriftswidrige Verwendung Untergebener zu Privatzwecken« genannt hat. Wer Homosexualität anklagt, wo es sich um Inkompatibilität handelt, ist entweder ein Schwachkopf oder ein Schurke. Oder beides zugleich. Es ist unbestreitbar, daß wir nicht im alten Griechenland leben; aber wenn sich jeder Nichtgrieche diese Erkenntnis als ein persönliches Verdienst zuschreiben dürfte, dann würde der Stolz darauf, daß andere Zeiten andere Sitten haben, alle Hoffnung ausschließen, daß wieder andere Zeiten kommen. Welches ist das Dokument einer höheren Kultur: das Protokoll einer Berliner Gerichtsverhandlung oder die ausgegrabene Tafel, auf der – ich bin nicht informiert – die Inschrift zu lesen ist: »X päderastierte den Y zu Ehren des Apollo«. Die Frömmigkeit unserer Religionen ist mit geringeren Opfern verbunden, aber die Entsagung vollzieht sich unter größerem Lärm. Ein ehemaliger Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren. Allein so gründlich müßte auch der überzeugteste Monarchist den Weltbürger nicht verleugnen, daß er die ungeschmälerte Ausübung des Rechtes, nach der eigenen Fasson selig zu werden, nicht mehr als preußisches Dogma erkennt.

Als Herr Maximilian Harden Einblick in die Ehescheidungsakten der Gattin des Grafen Moltke bekam, da geschah etwas Wunderbares. »Nun erst«, rief er im Gerichtssaal, »hatte sich mein Gesichtskreis in gewisser Richtung erweitert«. Der Beneidenswerte! Und er ging hin und einigte sich mit einem Juristen, einem Schlächtermeister und einem Milchhändler über die Normwidrigkeit des Grafen Moltke. Welch ein Schauspiel! Man hat die liberale Presse nie lauter jubeln gehört. »Für all das Peinliche, das der Prozeß gebracht hat«, entschädigt sie nicht nur der größere Absatz, den das Peinliche erzielt, sondern auch schon »ein Blick auf dieses Gericht«, auf den Schlächtermeister und den Milchmeier. »Das Schöffengericht im Harden-Moltke-Prozeß verdient einen Ehrenplatz in der Geschichte der preußischen Justiz.« Auch wenn es diesmal etwas nachdrücklicher als sonst ein Urteil im Namen Seiner Majestät des Königs gefällt haben sollte. Die Verhältnisse haben sich eben geändert; und Herrn Maximilian Hardens Beziehungen zu Thron und Presse sind nicht mehr normwidrig. Herr Harden, der die biblischen Vergleiche liebt, hat sich unter anderm einmal mit Jesaias verglichen, der ein politischer Prophet, und einmal mit Daniel, der ein Antikorruptionist war und dafür in die Grube geworfen wurde, in welcher er sechs Tage lang mit sieben Löwen lag; und als am siebenten Tag der König Cyrus zur Grube kam, sah er, daß Daniel mitten unter den Löwen saß und ihm kein Haar auf seinem Haupt gekrümmt war. Löwen gehen eben nicht auf Leder. Aber wenn Daniel ein Antikorruptionist war, so war Jochanaan ein Sittenrichter. Ihn hielt Herodes in einer Zisterne. Oder in einem Sammelkanal. Und er stieß mit allerhöchster Bewilligung moralische Flüche gegen die Kamarilla aus. Wenn er nur den Herodes nicht meinte. Die Schriftgelehrten waren zwar gegen ihn, aber später stellte sichs heraus, daß sie doch für ihn waren. Denn dieser Jochanaan war auch ein Schriftgelehrter, und darum kam er mit dem Leben und einer großen Auflage davon … Als Schützer der konservativen Gewalten, als einen Feind des »Holzpapiers« hatten die Kollegen Herrn Harden nie ernst genommen. Diesmal hat er seinen, ihren Mann gestellt. Moriz Benedikt, der Vertreter der »österreichischen Fröhlichkeit der Sinne«, der Leiter eines gesunden volkswirtschaftlichen Teils, der sich noch freuen kann, »wenn ein Mädchen in Jugendpracht mit strahlenden Augen vorübergeht« und der jeden unsittlichen Antrag eines Bankdirektors empört zurückwiese, er hatte es Herrn Harden immer gesagt, daß der preußische Hochadel normwidrig sei. Der schlug die Warnung in den Wind und es blieb uns nicht erspart zu hören, wie sich der kleine Moriz die Rina vorstellt und den Ton der ostelbischen Junker. Jetzt freut sich der große Moriz. Denn es erhöht vor allem das journalistische Standesbewußtsein, daß man heutzutage einen Grafen beleidigen kann, ohne befürchten zu müssen, »der geheimen Kabinettsjustiz zu verfallen«. Ein Graf würde sich das gegen die Journalistik nicht erlauben können. Denn es gibt eine Kabinettsjustiz gegen den Adel, die in einer Öffentlichkeit unter Ausschluß des Prozesses besteht und bei der ein Amtsrichter und zwei Schöffen die Zuschauer machen. Und man darf sogar einen Fürsten beschimpfen, alle, die einst in Wien seinen Speichel leckten, dürfen ihn anspucken, dürfen ihren gesunden Abonnenten den Glauben beibringen, daß die geistigen Interessen des Fürsten Eulenburg verdächtig und sein Freund Gobineau ein preußischer Kürassier war.

Nie ist mit solchem Hochmut auf den Adel herabgesehen worden wie in diesen Ehrentagen des Nachrichtengeistes. Nie hat das demokratische Bewußtsein der im Ehebett erfüllten Pflicht begeisterter um sich geschlagen. Ein wirklicher Graf und früherer Stadtkommandant – gefesselt am Schandpfahl journalistischer Information und dem schonungslosen Bedauern der anwesenden Vertreter der Presse ausgeliefert! Die eben trotz allem Standesgefühl und wiewohl keiner von ihnen sein Blut mit dem eines Moltke vermischen möchte, rein menschliche Empfindungen nicht unterdrücken können. »Einer unserer Mitarbeiter hatte Gelegenheit«, zu beobachten, daß der Graf täglich blässer und eingefallener aussieht. Nur hin und wieder setzt er sich energisch zur Wehr, »soweit eben Energie sich in dieser Natur vorfindet«. Der Kopf schmerzt ihn. Der drüben redet ununterbrochen auf ihn ein. Alles scheint auf ihn einzureden, was in Preußen reden kann. Von oben und unten. Der Vorstand des wissenschaftlich-humanitären Komitees erscheint, reklamiert ihn für die gute Sache und tröstet ihn damit, daß auch Michelangelo homosexuell gewesen sei. Läßt überhaupt durchblicken, daß jeder homosexuell sei, der es nicht weiß, oder von dem es Gott sei Dank wenigstens die andern wissen. Der Gegner versichert abermals, daß er nur ein politisches Interesse an dem Geschlechtstrieb des Grafen Moltke habe. Die anwesenden Vertreter der Presse erklären, die Sache der Freiheit stehe auf dem Spiel, wenn hier nicht die Wahrnehmung berechtigter Interessen zuerkannt würde. Der Beobachter einer Berliner Zeitung meldet, daß auf dem starren Gesicht des Klägers dann und wann ein nervöser, gequälter Ausdruck liege; »mit einer hastigen, abwehrenden Handbewegung scheint er die Worte des Beklagten wie lästige Fliegen zu verscheuchen«. Sprechen kann er nur schlecht; »er ist seinem glänzenden Gegner in keiner Weise gewachsen«. Dem kaiserlichen? Nein, dem journalistischen. Der »würzt seine Reden mit ironischen Bemerkungen, wie wenn er einen Artikel schriebe«. Mit der Beredsamkeit der Moltkes aber wars nie weit her. Der eine tat; der andere litt. Und doch hat der Schriftgelehrte dort in fünfzehn Jahrgängen die Innerlichkeit nicht gestaltet, die in dem einen Satz liegt, zu welchem dieser hier jetzt sich erhebt: »Es ist außerordentlich peinlich für einen alten Soldaten, der wohl vor der Front ein frisches Wort hatte, nach zweiundvierzigjährigem Dienste sich nun als Verdächtigter vor der Öffentlichkeit zu verteidigen. Da erstirbt einem das Wort, das man sagen möchte.« Die anderen finden es und werden es immer finden … Es gibt Dinge, die einen so tief berühren, wenn sie einen nichts angehen. Es gibt Augenblicke, in denen man schluchzend einer Menschheit entfliehen möchte, die so wenig Mitleid mit sich selbst hat! Nein, entsetzlicher hat die Überlegenheit des Wortes nie gewirkt, ergreifender nie die Niederlage des Schweigens. Der dort weiß, daß einer seine Frau nicht befriedigt hat. Und spricht ers aus, so triumphiert nicht die Gemeinheit über den Adel, sondern der Fortschritt über die Reaktion. Die Befugnis, in den Schlafzimmern der Kamarilla Gerichtstag zu halten, ist nicht das Pfand moralischer Unfreiheit, sondern die Parole politischer Freiheit. Die Reporter siegen auf der ganzen Linie. Die Generale flüchten aus der Öffentlichkeit. Pardon wird nicht gegeben.

Der Prozeß Harden-Moltke ist ein Sieg der Information über die Kultur. Um in solchen Schlachten zu bestehen, muß die Menschheit lernen, sich über den Journalismus zu informieren.


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