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Es war einmal ein junger Dichter mit hellen und fröhlichen Augen und einem feinen Herzen voll kindlicher Güte. Der besaß ein gar köstliches Merkbüchlein, das ihm über alles lieb war. Ans dem Einbände prangte ein morgenländischer Prinz, von lieber Mädchenhand auf Rosa-Stramin gestickt. In das Büchlein schrieb der junge Dichter zärtliche Verse zur Feier seiner Liebe, lustige und wehmütige Erinnerungen an eine glückliche Kindheit und selige Studentenjahre, manchmal auch übermütigen und freundlichen Spott über die bunten Torheiten seiner Umwelt. Daraus formte er sein erstes Buch, ein wundersam liebliches Buch mit der Aufschrift »Prinz Rosa-Stramin«, die lange keiner verstand. Und er schenkte es allen denen, die gleich ihm mit hellen Augen die Heimat, das Land ihrer Jugend, grüßten. Aber ein schlimmes Geschick verdarb ihm seine Freude an dem Buche, zerbrach seine junge und heiße Liebe und riet ihm zum Wandern. Da lief der arme Dichter, mit wehem und wundem Herzen in die Welt und – –. Und als er wieder nach Hause kam, da war das goldene Märchen seiner Jugend zu Ende. In der sorgenvollen Prosa des Lebens wurde der junge Dichter zwar kein Probator Lamlius, aber doch, wie die Schinkenburger Philister mit tiefer Erbauung sehen konnten, ein recht brauchbarer Mensch, der viel zu tun und deshalb keine Zeit mehr zum Dichten hatte. –
So etwa ließe sich mit wenig Strichen Ernst Kochs schlichtes Leben und recht nachdenklich stimmendes Dichterschicksal zeichnen. Den Freunden des Prinz Rosa-Stramin aber sei mehr davon erzählt.
Ernst Koch wurde am 3. Juni 1808 im großväterlichen Hause zu Singlis, einem kurhessischen Dorfe, geboren. Eine frohe und köstliche Kinderzeit war ihm beschert. Im Elternhause zu Neukirchen, Waldkappel und seit 1816 zu Witzenhausen im lieblichen, landschaftlich anmutigen Werratale, wo der Vater, ein ernster und gütiger Mann, als hessischrothenburgischer Schultheiß waltete, erfuhr er das große, einem Stadtmenschen unserer Tage wohl kaum recht verständliche Glück, auf dem Lande unter patriarchalischen, heute fast zur Mythe gewordenen dörflichen und kleinstädtischen Verhältnissen aufzuwachsen. Kein Wunder, daß Ernst Koch auch später noch mit inniger Liebe an seinem Kinderland Witzenhausen hing und es im Prinz Rosa-Stramin so prächtig und liebevoll als Lenzbach schilderte. Durch seine frühen Kindererinnerungen schritt vielleicht gravitätisch der mitunter zu höchst unkirchlichem Unfug geneigte pfarrherrliche Ziegenbock Matz. Weniger freilich mochte ihm der zornmütige Rektor, ein treuer Jünger des durch Horaz sattsam bekannten »prügelfrohen« Orbilius, gefallen. Wer vollends wie Ernst Koch je am heimatlichen Glockenseil hing oder vom Turmfenster in blaue Fernen blickte, versteht sein Wort: »Mein Kinderleben war doch recht schön.«
Dann kamen die Gymnasialjahre in der kurfürstlich hessischen Residenz Kassel mit einer Fülle neuer Eindrücke und Anregungen, wie sie Wachtparaden, Theater und Hoffeste boten.
Sicherlich hat die Schulzeit in Kassel dem reichbegabten Knaben keine Mühe und Not gemacht, wenigstens erwähnt er nichts davon im Prinz Rosa-Stramin, während er dagegen das Lenzbacher höhere Schulwesen mit feiner Ironie umwindet. Kassel war damals noch eine stille, ziemlich geschäftslose Landstadt, auf der schwer wie auf dem ganzen Hessenlande der dumpfe Druck des »Churfürchterlich-Häßlichen Zopfregiments« lagerte. Nur einmal im Jahr schien die Stadt zu brausendem Leben erwachen zu wollen, wenn zu Pfingsten die Göttinger, Gießener und Marburger Studenten in Kassel einritten, in hellen Haufen in Pekesche und Kanonenstiefeln fröhlich durch die sonst so stillen Straßen schwärmten und lärmten und die Wasserkünste in Wilhelmshöhe besuchten.
Nach ihrem Abzug war es wieder still und ruhig, und doch war diese Stille nur trügerisch: Der unzeitgemäße Despotismus des Kurfürsten Wilhelm II., von dessen Thronbesteigung im Jahre 1821 man soviel Gutes vergebens erwartet hatte, schürte im Lande die Unzufriedenheit und trieb auch den friedlichsten Bürger und treuesten Untertan in die Arme der Opposition, die bei weitem nicht so harmlos wie in Schinkenburg war.
Nach beendeter Schulzeit studierte Ernst Koch in Marburg und Güttingen die Rechte. In Marburg trat er dem nachmals im hessischen Verfassungskampfe so rühmlich genannten Professor der Jurisprudenz Sylvester Jordan nahe, dessen fortschrittlicher, aber maßvoller Liberalismus auf den jungen Juristen nicht ohne günstigen Einfluß bleiben konnte. In Göttingen war sein liebster Gefährte wohl jener Dachmensch – der stud. theol. Erasmus Gabelstich des Prinz Rosa-Stramin – mit seiner Armut und seiner leidvollen Liebe. Nachdem Ernst Koch 1829 seine juristischen Studien beendet hatte, trat er, der Sohn eines höheren kurhessischen Verwaltungsbeamten, auffälligerweise nicht in den heimatlichen Staatsdienst ein, sei es nun, daß ihn die innerpolitischen Verhältnisse Kurhessens, wo seit 1823 Wilhelm II. wegen seiner Willkürakte und der Maitresse Emilie Ortlöpp (Gräfin Reichenbach) mit den Landeskindern in offener Fehde lag, abstießen, oder sei es, daß Jordans Vorbild als akademischer Lehrer ihn lockte, die gleiche Laufbahn einzuschlagen. Ein anderer Lebensweg jedoch war ihm beschieden. Als sich gerade Ernst Koch in Berlin für Jurisprudenz habilitieren wollte, zerbrach im Sturme der Julirevolution der morsche Thron der Bourbonen in Frankreich, und auch einige deutsche Throne begannen bedenklich zu wanken. Jetzt erhob auch die hessische Opposition ihre Stimme, und Kurfürst Wilhelm, der gerade zur Kur in Karlsbad geweilt, mußte einlenken und die lange geforderte »Verfassung«, das fleißige Werk Sylvester Jordans, im Januar 1831 bewilligen. Damit hatte der Liberalismus auch in Hessen die Wälle einer absolut und in Metternichs Sinn reaktionär regierenden Staatskunst durchbrochen, freilich nur auf kurze Zeit. Diese Verfassungskämpfe, die Kasseler Unruhen und die Einrichtung der Bürgergarde, ihr gemütliches Exerzieren, die Stimmung der Bürger gegen das Militär und Beamtentum, alles das spiegelt sich im Prinz Rosa-Stramin in der ergötzlichen Schilderung wieder, die der redselige Schinkenburger Mädchenschullehreradjunktus von den dortigen Ultras gibt.
Ernst Koch fühlte, die neue Zeit, die daheim angebrochen war, erforderte auch seine Kräfte, und so kehrte er, der eben noch der Heimat den Rücken wenden wollte, nach Kassel zurück und arbeitete dort seit dem November 1831 als Referendar am Obergericht. Wenig später lasen die Kasseler Bürger mit Ergötzen und Behagen in dem liberalen »Verfassungsfreund« die »Vigilien des Rechtskandidaten Leonhard Emil Hubertus«, Ernst Kochs erste schriftstellerische Versuche. Der Name Vigilien klingt deutlich an E. T. A. Hoffmanns Goldenen Topf an. Dagegen ist eine Bekanntschaft mit den anonymen Nachtwachen des Bonaventura (1805) kaum anzunehmen. Witzig und humorvoll behandelte Ernst Koch in den Vigilien die politischen Tagesfragen des Hessenlandes. Als sein Name bekannt wurde, blieb ihm der Beifall der Menge nicht versagt. Freilich sollten die Vigilien und die plötzliche Volkstümlichkeit auch den Anstoß zu seines weiteren Lebens Mißgeschick, zu jenem tragischen Schicksal, nach einem ersten vielversprechenden, dichterischen Aufschwung in seiner weiteren Entwickelung gebrochen zu werden, bilden.
Im Mai (27. V.) 1832 war das Allerdeutschenfest zu Hambach gefeiert worden. Leicht gelang es jetzt dem österreichischen Staatsminister Metternich die noch unter dem Eindruck der Julirevolution und des Hambacher Festes stehenden Fürsten und Regierungen zu einem Angriff auf den siegreichen Liberalismus fortzureißen. Mit den Bundestagsbeschlüssen vom 28. Juni 1832 setzte eine neue Reaktion ein, die in kräftigem Ansturm auch in Hessen die liberalen Erfolge vernichtete. Hier wurde 1832 Hassenpflug, der von einem radikalen Freiheitsschwärmer sich zu einem ebenso radikalen Vorkämpfer der absoluten Fürstengewalt und rücksichtslosen Gegner des Liberalismus entwickelt hatte, Justizminister und wenig später auch Minister des Innern. Damals war Ernst Koch zum Referenten im letzteren emporgestiegen und galt allgemein als Hassenpflugs, des in Hessen gehaßtesten Mannes, Günstling. Wie reimte sich das zu den liberalen Gesinnungen des »Rechtskandidaten Leonhard Emil Hubertus«, mußte man unwillkürlich fragen. Aber man tat Ernst Koch bitter Unrecht, wenn man in ihm einen rücksichtslosen Streber und eine politische Windfahne sah. Maßvoll auch in seinem Freiheitsdrange, war Ernst Koch eine völlig anders geartete Natur als etwa der um sechs Jahre jüngere Georg Büchner, der im gleichen Jahre, da Prinz Rosa-Stramin erschien, in der gewaltigen Prosa des »Hessischen Landboten« (1834) die Bauern des benachbarten Großherzogtums zu Aufruhr und Umsturz aufrief. Im selben Jahr (1832) lernte Ernst Koch die Tochter eines braunschweigischen Oberstleutnants v. B. die »Henriette« des Prinz Rosa-Stramin, kennen. Zwei junge, glückliche Menschen glaubten in sich Sinn und Ziel ihres Lebens gefunden zu haben. Aber das Schicksal wollte es anders. Henriettes Eltern lösten die Verlobung wieder auf, als Ernst Koch, unter den ungerechten politischen Anfeindungen ohnehin schwer leidend, einer nervösen, selbstquälerischen, der schönen Ruhe und Geschlossenheit der Kinderjahre so fernen Stimmung verfiel: Ernst Koch war der Dachmensch Erasmus Gabelstich geworden. Das war im Jahre 1834.
Im April 1834 erschien der Prinz Rosa-Stramin, im Dezember ging Koch an allem Erdenglück verzweifelnd aus der Heimat. Damit hatte sich sein Schicksal erfüllt: der vielversprechende, liebenswürdige Dichter ward, aus Lebensbahn und Liebesglück geworfen, zum Landfahrer und Abenteurer im guten Sinn. Ein echt deutsches, fast romantisches Geschick! Nach einem Aufenthalt in Paris trat der dem Leben so wenig Gewachsene in die französische Fremdenlegion ein. Als diese im Sommer 1835 zur Unterstützung der Königin Isabella I. gegen den Karlistenaufstand nach Spanien geführt wurde, kämpfte er in ihren Reihen fast zwei Jahre lang mit Kummer, Gefahr, Krankheit und Not. Der dichterische Ertrag sind die drei 1847 veröffentlichten Novellen: Aus dem Leben eines bösen Jungen; Der Königin Gemahl; Maria, bitt' für mich.
Von schwerer Krankheit genesen und entlassen, kehrte Ernst Koch 1837 heim. Wir wissen nicht, ob in Spaniens Gebirgen und allzeit vom Tod umfangen, sein Herz war ruhig geworden oder noch immer sehnsuchtsvoll den süßen Namen Henriette rief. Eine Staatsanstellung in der Heimat blieb ihm versagt. Nachdem er zwei Jahre lang für einen Kasseler Advokaten gearbeitet hatte, berief ihn Hassenpflug, damals Zivilgouverneur von Luxemburg, nach Luxemburg als Regierungssekretär. Es war nichts weniger als billig, daß der Mann, dessen Freundschaft Ernst Kochs Lebensglück unabsichtlich zertrümmert hatte, sich seiner annahm. Von nun an gleitet sein Leben ohne große, bedeutsame Erschütterungen dahin. Wie gesagt, die Schinkenburger Philister hätten ihre helle Freude an dem fleißigen Beamten, der zudem 1840 sich glücklich verheiratete, gehabt. Der deutschen Dichtung freilich war ein hoffnungsvoller Humorist verloren: Der andere Teil des Prinz Rosa-Stramin blieb ungeschrieben. Dafür war es ihm beschieden, am Abend seines Lebens in anderer Weise der deutschen Literatur und Sprache zu dienen, indem er seit 1850 am Athenaeum in Luxemburg beides lehrte. Am 24. November 1858 ging das Leben dieses letzten Romantikers zu Ende, und ein feiner und guter Mensch hatte die Welt überwunden.
Prinz Rosa-Stramin, diese wunderliche Spätblüte der Romantik, erschien (1834) zu einer Zeit, da in Deutschland eine wesentlich anders gerichtete literarische Strömung herrschte. Erst 1857 folgte die zweite, mehrfach gekürzte Auflage.
Manche stießen sich wohl auch an seiner Form. Wir aber, die wir heute besitzen, wonach jene wackeren Schinkenburger »teutschgesinnten« Männer trachteten, politische Freiheit und ein einiges, großes Vaterland, und die wir uns aus der Unrast unserer Zeit nach einem Lenzbacher Idyll sehnen, sehen im Prinz Rosa-Stramin ein köstliches Bilderbuch aus den Tagen des Biedermeier.
Im Februar 1917
Dr. Raimund Steinert