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Es ist kein Wunder, wenn dem Leser unversehens ein Stück Papier zum Fenster hereingeweht wird mit folgenden Zeilen:
Flieg' hin aus meinem Stübchen,
Du flatterndes Papier,
Und grüße mir mein Liebchen
Viel tausendmal von mir.
Küß' meiner Henriette
Die Alabasterhand,
Und sag' ihr, daß dich hätte
Ihr Treuer abgesandt.
Erzähl' ihr in der Ferne,
Wie ich so traurig bin,
Ach flög' ja selbst so gerne
Zu Liebchen mit dir hin!
Erzähl' ihr, daß ich immer,
Wo ich nur geh' und steh',
Ihr Bild wie Sternenschimmer
Vor meinen Augen seh'.
An sie allein nur dächt' ich.
Und würde sie nicht mein,
Dann sag' ihr nur, dann möcht' ich
Auf Erden nicht mehr sein.
Denn diese Zeilen schrieb ich heute auf ein Stück Papier und übergab es den Winden, träumend, sie würden ehrliche Boten sein. Aber der Himmel weiß, wohin das Blatt geweht ist.
Ich bin König der ganzen Welt, besonders im Frühling, und die unzähligen Diamanten meiner Krone leuchten auf allen Grasspitzen. Aber den Lüften kann ich nicht gebieten, daß sie mir jenes Blättchen besorgen. Ich bin Generalfeldmarschall einer Armee, die beständig im Felde ist, und bei welcher zwar keine Trommeln, aber Lerchen wirbeln, zwar keine Hornisten, aber Nachtigallen musizieren, zwar kein Pulver, aber doch Blütenduft gerochen wird, zwar keine Bomben, aber Knospen zerplatzen, und zwar keine Menschen, aber Abendröten sterben. Ich bin Ritter mehrerer Orden, z. B. der drei Sterne, welche man unterm Frack trägt, und welche I. Corinth. 13, 13 näher bezeichnet sind, auch des roten Bandes, welches der liebe Gott um die Menschen gezogen hat, endlich mehrerer Hosenbänder. Ich bin Verfasser vieler Briefe, Neujahrswünsche und Gedichte, auch einiger vorzüglicher Abhandlungen, und räsonnierendes Mitglied mehrerer angenehmer Gesellschaften. Ich bin – o! was bin ich nicht alles. – Aber den Lüften kann ich nicht gebieten, und den Winden kein Quos ego zuschreien, damit sie mir nicht jenes Blättchen in Philisterhände tragen. Ich bitte daher den ehrlichen Leser (oder eigentlich den unehrlichen, denn der ehrliche tut's von selber), den Zettel, so er ihn findet, mir selbst wieder zuzustellen.
Was die eben erwähnten, von mir verfaßten Abhandlungen betrifft, so verdanken sie dem letzten gewaltigen Regen ihr Entstehen, der mich mit meinem Notizbuche auszugehen verhinderte und mich auf die Stube bannte, ohne jedoch sonstigen Einfluß auf dieselben gehabt zu haben. Erstlich nämlich lieferte ich eine juristisch-kameralistisch-philosophische Abhandlung über den Normalgehalt der kurhessischen Obergerichtsreferendare, eine in den Quellen über kurhessisches Staatsrecht, namentlich im »Verfassungsfreunde« leider bisher vernachlässigte Materie. Zweitens versucht' ich eine Abhandlung über den Kasseler Volkswitz. Da sich indessen der letztere seit einem Jahrhundert nicht weiter, als zu dem einzigen Bonmot ausgebildet hat, daß die Eisengefangenen eine »geschlossene Gesellschaft« sind, so ist aus dem Traktate wegen Mangels an Stoff nichts geworden. Drittens schrieb ich eine gründliche Untersuchung über den Absatz, welchen Fr. Murhards Kommentar über die kurhessische Verfassungsurkunde gefunden hat. Ich sprach darin erstens über den Absatz, den dieses Werk hätte haben können, zweitens von dem Absatz, den es gehabt haben würde, und drittens von dem Absatze, den es hätte finden können. Hiermit hatte ich meinen Gegenstand erschöpft. Ich tat ferner einige Blicke in die poetische Literatur unserer Zeit, sprach bei dieser Gelegenheit nicht ohne Geist über die Dichtkunst im allgemeinen, verglich die Dichter mit den Narren, von denen jeder zehn andere macht, ging in das Gebiet der heutigen Kunst überhaupt über und ließ mich über das Geklingel in der Musik und im Romane, den bizarren Wahnsinn auf der G-Saite und den poetischen Mystizismus, verbunden mit Zynismus in der Poesie aus. Ich bedauerte, daß Goethe so alt geworden, daß er, wie eingemachte Früchte am Ende zu einer einzigen Zuckermasse werden, im hohen Alter förmlich verpoesiert gewesen seh und daß W. Hauff sich tot gerast; ich sprach über Coopersche Seestürme und nannte W. Scott einen Kometen am Horizonte der poetischen Literatur, bedauerte den breiten Schweif dieses Kometen und tat einen Sprung auf die kurhessischen Dichter, verglich diese mit bescheidenen Veilchen, berührte das poetische Elend, das sich in dem Beiblatte des Verfassungsfreundes mit G–z–r unterzeichnet, und schloß mit einem pium desiderium an die Stände, sich der Dichterzucht in Kurhessen nach Kräften anzunehmen. – Ich darf mir endlich fünftens mit einer sehr gründlichen Abhandlung über die Schuhnägel schmeicheln, in welcher ich zuerst über die Schuhnägel überhaupt, alsdann über den Unterschied zwischen Schuhnägeln und Schuhzwecken, hierauf über das Bedürfnis eines gründlichen Unterrichts für heutige Schuster über den Unterschied zwischen Schuhzwecken und Staatszwecken sprach. – Da jedoch diese Abhandlungen eine bedeutende Epoche in der Literatur machen und ehrwürdige Theorien geradezu über den Haufen stoßen werden, so halte ich sie einstweilen noch zurück, um sie nach wiederholter Feile in einem zweiten Bändchen des Rosa-Stramin von Stapel laufen zu lassen.