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Aber Herr Gabelstich, rief Haase, ich glaube, nun wird der Fuß in den Stiefel fahren. Zweifelhaft bleibt's zwar immer wegen der Stopferei, welche da an der Ferse vorgenommen ist.
Ich wollte, sie hätten dir das Maul zugenäht! Schaffe den Stiefel her!
Die Probe begann von neuem, indem Gabelstich mit dem Stiefel in dem Zimmer umhertappte.
Eilen Sie sich nur, meinte Haase vorwitzig, die Pferde unten vor der Türe sind nicht mehr zu halten.
Um wieviel Uhr, fragte Erasmus, indem er seufzend den Stiefel mit den Händen zum Marschieren zwang, um wieviel Uhr speist man im Ritter zu Kassel?
Um ein Uhr, rief ich. Die Puddings und die Köhle werden ohne Zweifel schon bereitet.
Gesetzt auch – ich brächte – den Höllenstiefel – endlich – an den Fuß – Eduard – was würden – meine Hühneraugen – ich hatte mich so gefreut und dachte – es sollte eine recht fidele Reise geben – nun muß der Henker so einen verfluchten – Stake – wenn der Kerl nur nicht Stake hieße – ich habe ja keinen Chinesenfuß – Haase, nimm's in acht, der Stake macht mir nie wieder ein Paar – Stiefel!!! schrie er überlaut, denn der Fuß war soeben hineingerutscht. Haase, schrei Hurra!
Hurra! schrie der Junge die Treppe hinunter.
Endlich saßen wir zu Pferde. Ich ritt einen Grauschimmel, der ein Harttraber und auf einem Auge blind war. Gabelstichs Roß war hartmäulig.
Der Weg führte zunächst bei der Anatomie vorüber. Hier hielt Erasmus still. Ich fragte ihn nach der Ursache. Er wußte sie selbst nicht. Es soll mich wundern, meint' er, wenn ich weiter reiten werde. Gebrauche doch die Peitsche, rief ich. Er tat's, aber das Tier schüttelte den Kopf und drehte sich im Kreise herum. Haase, der uns nachgesehen hatte, kam zu Hilfe. Ihm gab Erasmus die Peitsche, und Haase wichste nun Pferdefüße statt Menschenfüße. Endlich ging's. Vor dem Groonder Tore angelangt, macht ich den unmaßgeblichen Vorschlag, Trab zu reiten. Ich sollte denken, meinte Erasmus, wir dürften's wagen. Im schnellen Fluge passierten wir die Barrieren von Göttingen. Hätten die Spanier, als sie zuerst nach Amerika kamen, auf Pferden wie das meinige, geritten, so hätten die Wilden keinen Menschenverstand gehabt, wenn sie noch geglaubt hätten, daß Mensch und Roß ein zusammengewachsenes Geschöpf seien, denn ich zeigte bei jedem Schritt meines Pferdes, daß wir beide durchaus nicht zusammengewachsen waren. Was meinen Reisegefährten betraf, so hält kein Dachdecker, der auf dem Knopfe des Straßburger Münsters sitzt, diesen Knopf fester, als der Theologe den Sattelknopf. Er schimpfte mitunter wieder über den Schuster, da die neuen Sohlen zu glatt waren, um die Steigbügel festzuhalten. Wir hatten auf diese Weise schon das nächste Dorf erreicht, und ich ließ den Gaul wieder Schritt gehen, Gabelstich aber trollte gemütlich fort.
Halt! schrie ich.
Ja, halt! du hast gut Halt rufen, hört' ich Erasmus erwidern. – Schon der nächste Augenblick hatte ihn weit von mir hinweggeführt. Er schien die Welt erstürmen zu wollen und alles zu vergessen. Ich wollte ihn einholen, gab aber den Vorsatz auf, als ich sah, wie Gabelstich kurz vor dem Walde, den er bereits erreicht, sich in Galopp setzte. Ich sah ihn nur noch mit den Armen arbeiten, und die Bügel, wie zwei Fittige, an beiden Seiten des Gaules auf- und niederschweben. Jetzt könnt' ich ihn kaum noch sehen. Nun verschwand er hinter den Bäumen. Ich besorgte, daß der Gaul seinen Reiter, der des Weges unkundig war, irre führen, vielleicht in Wildnisse und Einöden tragen würde. Er ist ein famoser Reiter! dacht' ich. Aber siehe! als ich in den Wald kam, hatte mir Erasmus daselbst ein freundliches Zeichen zurückgelassen. Seine Mütze, kenntlich am grünen Tuchschilde, hing auf einem schattigen Buchenbaume. In Dransfeld stieg ich im Gasthofe an der Straße ab und trat in die Stube. Hier saß Erasmus mit heiterem Gesicht und hielt mir ein Glas Rotwein entgegen. Du siehst, rief er, ich habe schon für uns gesorgt, damit wir weiter keinen Aufenthalt haben. Als du Halt! riefest, zog ich die Zügel an – aber kannst du einen Kometen beim Schweife packen und ihm sagen: steh, Hund! Kannst du in das Rad des Schicksals greifen und abwenden, was die finsteren Mächte beschließen? Sie hatten beschlossen, daß ich traben sollte, Eduard, traben, immer traben. Als ich mich hiervon überzeugt hatte, entsagt' ich der Welt und nahm Abschied von Göttingen und von dir und von allem, was mir teuer ist. Ich fühlte lang getragene Ketten von meiner Seele fallen, mich plagte nunmehr nichts weiter, als die Neugierde, in welchem Königreiche der Erde mein leidenschaftliches Roß stille stehen würde. Ich sah schon im Geiste, wie Revierförster und Mautbeamten mir Schrotschüsse auf den Pelz brannten, wie ich steckbrieflich verfolgt wurde, über fallende Barrieren setzte, unschuldige Kinder tot ritt und endlich in die Hände, Gott weiß welcher Justiz fiel. Was mich tröstete, war, daß es geradewegs nach Süden ging, also nach der Schweiz oder nach Italien. Was werden sie, dacht' ich, in Lillerode sagen, wenn du beim Hause vorbeisausest. Mir wurde sehr warm. Da lüftete mir ein freundlicher Buchenbaum die Mütze vom Haupte. Eduard, dacht' ich, mag sie, wenn er sie findet, als Andenken an mich behalten. Ich erreichte Dransfeld. Hier sah ich eine offene Stalltür. Dies elende Werkzeug, dacht' ich mit Maria Stuart, könnte mich retten, brächte mich schnell zu befreundeten Stätten. Und so geschah es, denn mein Gaul sah kaum die Tür, als er sich links wendete und in gestrecktem Trabe, so, daß ich kaum Zeit hatte, mich zu bücken, in den Stall hinein schoß und vor der Krippe stehen blieb. Ich wußte nunmehr nichts Besseres zu tun, als abzusteigen, um zu sehen, ob dich ein günstiges Geschick wieder mit mir vereinigte. Gut, daß du nun da bist, samt der Mütze. Laß uns anstoßen. Mein Gaul, der so viel Sinn für Häuslichkeit hat, soll leben. – Und auch der Mann, der die Sattelknöpfe erfunden hat, rief ich.
Die Gläser klangen, und wenige Minuten nachher saßen wir wieder gestärkt auf den Rossen.