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Fünfzehntes Kapitel

Dieses gegenwärtige Kapitel schreibe ich am zweiten Pfingsttag abends in einer Gartenlaube. Niemand stört mich hier, ausgenommen das Blütenblatt, das mir auf das Papier fällt, denn die Soldatenlieder, die von der nahen Torwache herüberklingen, hör' ich gern. Sie ziehen wie ruhige stille Wolken durch den rosenroten Abend. Die Bauern haben eine eigene Manier, mit der sie singen. Der Residenzaffe trällert schon am Morgen Aubersche Melodien, wenn ihm auch das Messer des Teufels schon an der Kehle sitzt, aber der Bauerngesang in der Ferne lautet wie Frieden, wie Heimat, wie Feierabend, wie Zufriedenheit. Wenn eine gute Theatersängerin singt, so klingt's wie Paganini- und Harmonikaglocken. Die Lieder, die ich jetzt höre, klingen wie Dorfglocken; und ein schöner warmer Sommerabend mit einer läutenden Dorfglocke ist wie ein Glas goldenen Rheinweines unter Gesprächen traulicher Erinnerung. – O wie schön ist's um mich her und über mir und unter mir! Der Leser, der im Schlafrocke auf dem Sofa liegt, begreift's gar nicht. Auf Naturschilderungen gibt er wenig. Er tadelt sie, wenn sie schlecht sind, ohne sie zu loben, wenn sie gut sind. Es ist ihm z. B., wenn in einem Roman ein Gewitter geschildert wird, nur darum zu tun, ob just ein Gewitter war oder nicht. Er hat daher schon am ersten Donnerschlage genug und nimmt hernach keine Notiz mehr davon, der Autor mag blitzen und toben, wie er will. Auch diesen Abend müßt' ich, wenn er nur einigermaßen darauf reflektieren sollte, mit Brillantfeuer malen. Den Pinsel müßt' ich in die westliche Purpurglut tauchen und auf der Palette das Rosa der Dächer mit dem Blau der fernen Gebirge und dem fetten Grün der Bäume mischen. Komponiermaschinen müßt' ich erfinden, welche das süße Gewirre von Melodien, die mich umziehen, sofort auf Noten brächten. Grobe Culissenpinsel, Farbentöne und Trompetentöne müßt' ich nehmen und dem Leser mit Vehemenz in das indolente Ohr schreien: dieser Abend ist auf Ehre prachtvoll! Aber nein, dieser Abend ist zu träumerisch, als daß ich ihn so mißhandeln sollte. Es ist die schwärmerische und im Glauben an ein Wiedererwachen hinscheidende Seele des sterbenden Tages. – Lieber, stiller Abend, auf dich freu' ich mich immer wie ein Kind, wenn die Mutter nach Hause kommt, und ich möchte dich immer fragen: Was bringst du mir mit?

Ziehst über die Fluren
So wonnig und hold
Mit purpurnen Spuren,
Du abendlich Gold!

Kömmst alle Tage einmal
Mit leisem Schritt,
Und bringst mir doch keinmal
Mein Liebchen mit! –

Es ist unbegreiflich, warum allein die Soldaten auf der Wache Soldatenlieder singen sollen. Ich will auch einmal eins machen. – –

Die Trompete rief uns zum blut'gen Scharmützel – – –

Da sitz' ich und kann nicht weiter. Weiß denn der geneigte Leser gar keinen Reim auf »Scharmützel?« Philipp Braun, weißt du keinen? –

Die Trompete rief uns zum blutigen Strauß,
Mit Schlachtgesang kehren die Reihen nach Haus.
Nun freue dich, Liebchen, nun weine nicht mehr!
Dein Treuer kommt wieder mit Lieb' und Ehr'!
Lustig ist das Soldatenleben,
Lustig Soldatentod!

Der Leser mach's besser.

Doch Liebchen bekümmert sich –

Das geht schwerlich. –

Doch Liebchen kannte den Treuen nicht mehr.
O weh, du Bursche mit Lieb' und Ehr'!
Du wirst ja so still, du wirst ja so bleich?
's gibt Mädel genug im deutschen Reich!
Lustig ist das Soldatenleben,
Lustig Soldatentod!

Die Trompete ruft zum blutigen Strauß,
Mit Schlachtgesang ziehen die Scharen hinaus!
Hurra! du Treuer! – das bleiche Gesicht
Zerreißet die Kugel, das Auge bricht –
Lustig ist Soldatenleben –
Lustig Soldatentod. –

Der Himmel umzieht sich mit Wolken. Auf dem Heimwege hoff' ich noch ein Soldatenlied herauszuklügeln. –

Leb wohl, mein Liebchen, weine nicht!
Ich muß ja fort, ich muß.
Horch, die Trompete ruft zur Pflicht,
Gib mir den letzten Kuß!

Der Krieger muß hinaus ins Feld,
Mach ihm das Herz nicht schwer!
Ich gehe ja nicht aus der Welt,
Drum weine nun nicht mehr!

Bald, Liebchen, ist der Frieden da,
Dann kehr' ich heimatwärts,
Nicht jede Kugel tötet ja,
Nicht jede trifft ins Herz.

Vergäßest du, mein Liebchen, mich
Daheim bei Spiel und Scherz, –
Die Kugel, Schatz, erschlüge mich,
Die Kugel träf' ins Herz!

Mich amüsieren die Kugeln, die ich durch die ruhige Abendluft sausen lasse. Es ist wahrlich so still wie an einem Sterbebette, und so warm, wie am Herzen der Natur.

Man soll heutigestags froh sein, wenn es still ist und warm, denn in der Welt ist's windig und kalt.

Ach, es ist windig, sehr windig in der Welt, lieber Leser, und das macht das Wandern auf der Erde beschwerlich. Zu einem, der zufällig auf meiner Wanderung zu mir stieß, sagte ich: Es ist so stürmisch, laß mich einkehren bei dir im Hause der Freundschaft! Er sagte: Soll mir eine Ehre sein! Aber als wir im Hause waren, pfiff der Wind durch alle Ritzen und Löcher. Das war sehr windig.

Zu einem andern sagt' ich: Es ist so stürmisch, gib mir ein Obdach in deiner Brust! Soll mir eine Ehre sein, sagte er. Aber als ich drin war, pfiff der Wind durch alle Ritzen und Löcher. Das war auffallend windig.

Ein Dritter begegnete mir, der viele Pretiosen an sich hatte, eine diamantene Vorstecknadel und goldene Uhrklunkern. Tausend, was mochte der für Geld haben! Nichts hatt' er drin, sondern der Wind blies durch die Maschen seines Geldbeutels. Das war ein Windbeutel und die Uhrklunkern waren, wie stille Verdienste, unbezahlt, und die Vorstecknadel war, wie ein Büchermotto, eine geborgte Vorstecknadel. – Das war enorm windig. –

Kalt ist's, sehr kalt in der Welt, und das macht das Wandern auf der Erde beschwerlich. Manchem drückt' ich warm die Hand und mochte so gerne, daß sie mir wieder gedrückt würde, weil die beiden Hände doch Menschenhände waren. Aber der Eigentümer der fremden Hand sagte: Der freie Mann kennt heutzutage keinen Druck. Sackerlot, Herr Postmeister, das war kalt!

Zu einem andern sagt' ich: Ich friere, wärme mich an deinem Herzen! Aber das Herz war zerrissen, und die Risse waren mit Zeitungspapier schlecht zugeklebt, und ich fror dabei wie ein Hund. Das war herzzerreißend kalt.

Zu einem Dritten sagt' ich: Ich friere, öffne mir deine Brust! Aber über die Brust war ein Panzer gelegt, denn der Mann stand bei den Kürassieren der Bürgergarde. Er öffnete mir bloß die Verfassungsurkunde. Das war bitter kalt!

Zu einem Vierten sagt' ich: Ich friere, laß mich einkehren in deinem warmen Herzen! Aber als ich hinein kam, war niemand darin zu Hause, sondern alles war ausgegangen, und deshalb war auch kein Fünkchen Wärme darin. Das war todkalt! –

Mich friert!

*

Es ist, während ich das Vorstehende in das Manuskript eintrage, schon dunkel. Ein Gewitter ist im Anzuge, und der Sturm braust. Die Sterne gehen unter. – Der Mensch sündigt, wenn er bitter und kalt ist. Aber ist es auch die ganze Welt, so habe ich dich doch, heilige Dichtkunst! Wärme du mich und gehe du mit mir in die Träume dieser Nacht. Dann mag es blitzen oder stürmen und Winter sein in der Natur und in den Herzen. Du bist der Frieden im Sturme, du bist der Mond über dem Gewitter, und meine Liebe ist deine Schwester. – Ob mein Mädchen schon schläft? Ob sie von mir träumt? Ich will ihr eine Serenade singen, und der Sturm nehme sie auf seine Flügel und trage sie zu ihrem Ohre.

Dunkel ist die Nacht,
Nur die Liebe wacht,
Nur die Liebe schläft nicht ein,
Bist du wach, mein Mägdelein?

Grausig weht der Wind,
Liebe wacht und sinnt,
Träumt wohl süße Träumerein,
Bist du wach, mein Mägdelein?

Wolken, schwer und dicht,
Rauben Sternenlicht,
Liebe leuchtet Sternenschein,
Bist du wach, mein Mägdelein?

Horch, kein Schall erklingt!
Nur die Liebe singt,
Und die Liebe lauscht allein,
Bist du wach, mein Mägdelein?


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