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Ich erlaube mir einen philosophischen Seitenpas über Hegel und schieße gleich im voraus folgenden Vierundzwanzigpfünder los: die Hegelschen Grundsätze sind lächerlich. – Diese Behauptung schlägt Hegel und seine Schule gänzlich.
Wäre übrigens der Leser ein Erzkujon oder ein Jurist, so würde er mein absprechendes Wesen in der Ordnung finden und mir recht geben. In beiden Fällen nämlich würde er wissen, daß in der Gaunersprache das Wort Hegel auf deutsch Narr Wörterbuch der in Deutschland üblichen Spitzbubensprachen, von F. L. A. v. Grolmann. Erster Baud. Gießen, bei Müller 1822. Seite 28. heißt. Ich rede also, wenn ich von Hegel und von Hegelismus rede, lediglich von der Narrheit.
In der Tat! es gibt mehr Narrheit in der Welt als man glaubt. Alles übrige ist Vernunft oder Niederträchtigkeit, und mit 20 guten Satirikern und 20 guten Pastoren wollt' ich allen Kehricht zum Lande hinaus schaffen. Die ersten brauchten bloß zu schreiben, die letzten bloß zu reden. Jeder guten Regierung mache ich den unmaßgeblichen Vorschlag, wie sie Pupillen-, Forst-, Finanz- und andere Kollegia hat, ein Satirenkollegium zu organisieren, aus etwa zwölf Rabenerschen Köpfen, die ein Inquisitoriat für die Narrheiten des Landes bildeten, und für jede Narrheit, die beim Kollegio zur Untersuchung oder Bestrafung käme, eine Satire in bester Form Rechtens abzufassen und auszufertigen hätten. Für Kurhessen würde ich aus Patriotismus statt 12 Mitglieder deren 36, und außerdem auch zwei Instanzen vorschlagen. Jedenfalls würde es aber in konstitutionellen Staaten zu einer solchen Einrichtung, da sie die persönliche Freiheit, ein Narr zu sein, im höchsten Grade beschränkt, der ständischen Einwilligung bedürfen. Außerdem mache ich darauf aufmerksam, daß es, um Kompetenzstreitigkeiten zu vermeiden, nötig sein wird, die verschiedenen Narrheiten zu klassifizieren. Obenan würde ich stellen die politischen Narrheiten, welche die besondere Beachtung des Satirenkollegii verdienen. Zu ihrer Bestrafung eignet sich am besten die Ironie. Da nun diese in dem scheinbaren Nachahmen der Narrheit besteht, so lob' ich alle Justizbehörden, welche bisher schon, ohne meinen Vorschlag abzuwarten, diesen Weg eingeschlagen haben. – Mündlichkeit und Öffentlichkeit würde ich beim Satirenkollegium einführen, und die Behauptung, diese Einrichtung würde eine Schule für Narren sein, nachgeben und ertragen. –
Erasmus und ich waren ungefähr noch eine Stunde von Münden entfernt und bis dahin immer Schritt geritten. Ich machte wieder den Vorschlag, zu traben. Gabelstich protestierte heftig und versicherte, dies nicht eher wagen zu dürfen, als bis wir noch ein Viertelstündchen von Münden entfernt seien, indem der Gaul erst an diesem Orte würde zum Stehen zu bringen sein. So geschah's. Im Trabe rief Erasmus: Nun laß uns Verabredung treffen, wo wir in Münden zusammenkommen wollen, denn ich weiß noch nicht, wo mein Brauner einkehren wird.
Solltest du wider Erwarten, sagt' ich, nicht in der Krone vorsprechen, so komm doch, wenn du abgestiegen bist, dorthin.
Schon bei den ersten Häusern der Stadt bückte sich der Freund, sobald er eine Hof- oder eine Stalltür sah und fuhr endlich mit Vehemenz durch die große Haustür in die Krone hinein. – Welch ein unausstehlicher Ort! rief er beim Absitzen. Überall riecht's nach Schiffsteer und Kaufleuten. Überdies verlor ich bereits vor der Stadt die Stege an beiden Füßen und trabte in Ritterstiefeln.
Erasmus hatte Kassel noch nicht gesehen, was auch meine Heimat damals noch nicht war. –
Dem Maienstrauße zu Gefallen, der hier vor mir liegt, und mit Gotteshauch mich anweht, erteile ich hiermit den guten Einwohnern der Residenzstadt Kassel einen Generalpardon für jede Brustwunde, die sie mir mit Narrenschellen gerissen haben. Dadurch ist meine Brust groß und weit geworden, und ich habe eine Heilanstalt darin angelegt für die Irren und einen Gottesacker für den Groll. Der Pardon dauert jedoch vorläufig nur ein Jahr. Die Geißel liegt neben mir auf dem Tische. –
Um ein Uhr saßen wir im Ritter am Mittagsessen. Dieses Gasthaus zeichnet sich durch eine gewisse Gemütlichkeit aus, welche den andern Gasthöfen fehlt. Man trifft da nämlich wenig reisende Handlungskommis, aber aus den Landstädten kommen dahin Pastöre, die sich um Stellen melden, Bürgermeister, Stadtschreiber, Rentmeister, Amtsaktuare, Wollverkäufer, Privatdozenten und Kandidaten, die das Examen machen wollen. Aus der Residenz aber findet man da alte pensionierte Militärs, in Tabaksdampf eingehüllt, hagestolze Repositare und andere Halbschöppchensleute. Meinen Freund hatte das Residenzleben schon ergriffen. Sein Gesicht wurde lebhafter, der Mund gesprächiger, und bei Tische blitzte seine Unterhaltung rechts und links, aber die Philister waren so indolent, daß ihnen die besten Witze Gabelstichs unter der Nase hersprühen konnten, ohne daß sie zuckten. Nach Tische fuhren wir nach jenem Elysium, das der Alcide bewacht, nach jenen himmlischen Partien, Feengrotten, Kristallbächen und Riesenwerken von Wilhelmshöhe, vor denen ich schweigend meine Feder niederlege. Wer dieses Paradies gesehen hat, rufe sich dort verlebte Stunden zurück. Dieser Erinnerungsabglanz wird immer noch stärker und seliger sein, als die Kopie, die ich zu liefern vermag. Unter andern stand ich mit Erasmus nicht weit vom Herkules, wo die Vexierfontänen springen. Ein langnasiger Stutzer stand neben uns mit der Lorgnette. Von der nahen Felsenhöhe schaute eine engelschöne Dame. Schon waren die Wasser losgelassen, und die Hörner der Tritonen sangen schaurig durch die weite Gegend. Da plötzlich sprangen schäkernde Wasserstrahlen aus allen Löchern um uns her und übergossen uns mit Staubregen. Der Stutzer sprang, wie ein gescheuchtes Reh, zu seiner Dame und führte sie am Arme dahin. – Gegen Abend zurückgekehrt, besuchten wir die Felsengarten. Wir sahen von da, wie von einer Altane herab, in die weite Ebene, in den schönen rosigen Abend. Der Strom floß still und sanft. Auf der Straße zogen die Postillons mit den Pferden und bliesen, die Vesperglocken läuteten, die Berge glühten, purpurne Lämmerherden weideten am Himmel. Aber im Garten waren viele Leute, darunter auch Menschen, und kleine Schoßhündchen, und viele feine Herren und Damen, und es fand sich auch die fremde Dame, die wir in Wilhelmshöhe gesehen hatten, mit den großen schwarzen Augen ein, und der langnasige Hasenfuß – er war ihr Bräutigam – führte sie wieder am Arme. Jetzt kamen auch vier Tiroler Sänger, drei Männer und ein Mädchen. Sie trugen schwarze spitze Filzhüte mit breiten Rändern und Blumen oben drauf, und die Männer hatten schwarze Manchesterjäckchen und desgleichen Westen, Gürtel mit großen Schildern und kurze Hosen und treue ehrliche Gesichter. Das dunkle Auge des Bassisten kam mir vor, als hätt' es viel Schwermut von den Alpen her in das fremde Land mit sich getragen. Das Mädchen hatte ein einfältiges, nichtssagendes Gesicht. O wie lieb war mir diese Einfalt! Sie war nicht aus dem Palais Royal, auch nicht aus einem Claurenschen Romane. Sie war aus dem Zillertale, und daher waren auch die Lieder, welche die Leute sangen. Während die Alpenlieder tönten, hatte sich der Langnasige die gedruckten Liedertexte von den Tirolern gekauft und las immer nach und freute sich, daß das in den Büchelchen richtig drin stand, was die Leute sangen. Ich erinnerte den Freund daran, daß wir das Theater besuchen wollten.
O laß uns hier bleiben, Eduard, rief er, und dem Gesange zuhören! Diese Töne bannen mich fest. Wenn einmal die rauschenden Symphonien des Lebens am Ende sind, Eduard, und die Ouvertüren, Barcarolen und Komödien und Maskeraden, und der ganze angstvolle, qualvolle Spektakel aus ist, und ich recht müde bin, dann möcht' ich mir ein Tirolerlied von diesen Leuten vorsingen lassen, und die Töne würden das müde Herz wiegen und ihm Frieden geben. Sie würden ein Zillertal in meine Seele tragen. Höre nur! wie Heimatglocken, wie Szenen aus der Kindheit, wie Sehnsuchtsruf aus unbekannten Tälern schlagen ihre Wellen an meine Seele. Wie ein Märchen aus der Knabenzeit erzählen sie mir von den Friedenstälern, die ich suche, und die ich nicht finden kann. Sie plaudern mir so viel vor, daß ich die rauschende Freischützoper des Lebens gar nicht mehr hören möchte, und es tauchen wieder die alten kindlichen Gedanken herauf, welche die Mode hinabgetreten. Die Menschen, Eduard, welche diese Töne nicht verstehen, die soll man fliehen, das sind keine guten Menschen, und die Kapellmeister, die sie nicht verstehen, das sind schlechte Kapellmeister, – nur das Herz, das sich vor ihnen öffnet, das möcht' ich grüßen und ihm sagen, daß ich es liebe!
Es wurde dunkel. Auf einer kleinen Brettererhöhung stand das Kleeblatt aus dem Zillertale, mit dem Rücken nach der weiten Gegend hin, in der sich eine warme stille Sommernacht gelagert hatte. Die Tirolerhüte schnitten sich am besternten Himmel ab. Vor der Gruppe, tiefer als sie, brannten einige Windlichter, die eine romantische Beleuchtung auf die Tracht der Tiroler und auf das große dunkle Auge des Bassisten warfen. Und der Sternenhimmel, und die unabsehbare Landschaft im Hintergrunde, und die Töne und die Heimatlieder! ach, könnt' ich malen, ich hätte das Nachtstück gemalt – wär' ich Goethe, ich hätt' es gedichtet!
Aber das Kleeblatt ist nun längst weiter gezogen und jodelt seine Friedensmelodien getrost und unbekümmert zwischen das Revolutionsgeschrei der Völker hinein, und die schöne fremde Dame ist vielleicht schon längst gestorben, aber der Hasenfuß wird wohl noch leben.