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Der Herr Amtmann beschließt, noch einen Tag in Braunschweig zu verweilen und besucht nebst seinem Sohne das Schauspiel. Etwas Dramaturgisches.
Der Herr Amtmann Waumann und sein liebenswürdiger Sohn hatten nun im sanften Schlafe ihre müden Glieder erquickt und ihr erlittenes Ungemach vergessen. »Sey gutes Muths, Valentinchen!« sagte der Amtmann. »Daß wir den Luftschiffer nicht gesehn haben, das ist freylich unangenehm; aber dafür wollen wir heute in die Comödie gehn. Mein kaltes Bad ist mir auch so übel nicht bekommen, und der Diebstahl läßt sich noch verschmerzen. Ich hätte dem Kerl nicht trauen sollen; Alle Musicanten taugen nichts; das lerne Du von mir! Früh oder spät wird man von so einem Vagabonden immer angeführt. Aber wenn mir der Lumpenhund einmal in das Amt Biesterberg kömmt, so soll er seinem Galgen nicht entwischen.«
Aus dieser Erklärung des Herrn Amtmanns erhellt, daß in Biesterberg die peinliche Halsgerichts-Ordnung der Nürnberger eingeführt war, nach welcher man niemand eher hängen lassen darf, als bis man ihn hat. »Aber Papa!« rief der junge Herr, »Ich kann mich nun nicht sehn lassen; mein grüner Sonntags-Rock ist mit fort.« »Thut nichts«, erwiederte der Amtmann, »der graue ist gut genug und so bald wir nach Hause kommen, soll Dir der Meister Bügelbock ein anders Kleid machen.«
Vater und Sohn kleideten sich nun an, giengen nach dem Gasthofe zum Prinzen Eugen und fanden dort ihre Freunde schon völlig gerüstet am Fenster stehn, wo sie sich an dem ungewohnten Anblicke der Vorübergehenden und Fahrenden seit sechs Uhr Morgens ergötzt hatten. »Das hätte ich Dir voraussagen wollen, Bruder Amtmann!« sprach der Licentiat, »daß der Kerl Dich anführen würde.« »Ich wollte Du hättest mir's vorausgesagt«, erwiederte Herr Waumann, »Doch, laß uns nicht mehr daran denken, sondern uns jetzt ein wenig in der Stadt umsehn!« Und damit begaben sie sich auf den Weg, der Amtmann, sein Sohn, Herr Bocksleder, nebst Gattinn und Kind und der Kaufmann Pfeffer aus Schöppenstädt. Der Zug gieng durch die Hauptstraßen der Stadt, nach dem Meßhause zu; Dann besahen sie die Kunstkammer, spatzierten im Schloßgarten umher, sahen die Parade aufziehn und schleppten sich dann ermüdet in den Prinzen Eugen zurück, wo der Licentiat für sie sämtlich das Essen bestellt hatte.
»Aber diesen Abend gehen wir doch Alle, so wie wir hier sind, in die Comödie?« sprach der Amtmann, als bey dem Braten seine Lebensgeister sich wieder ein wenig gesammelt hatten. »Das versteht sich«, erwiederte der Licentiat. »Seit meinem zwölften Jahre habe ich dergleichen nicht gesehn. Damals spielte ich selbst mit; Es war in Hildesheim, auf der Schule. Wie stellten Jonas im Wallfische vor und die Geschichte von Judith und Holofernes.«
Nun begann Herr Bocksleder die Beschreibung dieser geistlichen Schauspiele, womit ich jedoch dem Leser nicht zur Last fallen will. Eine angenehme Nachricht, die der Aufwärter verkündigte, unterbrach dies Gespräch; Er meldete nämlich, daß heute vor dem Schauspiele noch ein Luftball mit einem lebendigen Hunde aufsteigen und nach der Abend-Tafel Mascarade im Opernhause seyn würde. Das alles nun wollten unsre Freunde genießen und es wurde dazu sogleich Anstalt gemacht. Außer ihnen saßen noch an demselben Tische (denn man speiste in einem allgemeinen Gastzimmer) nebst verschiedenen unbekannten Gästen, der mehrmals erwähnte Student aus Helmstädt und der große Dichter Klingelzieher. Diese beyden jungen Herrn hatten ihre Freude daran, unsre Landleute, ohne daß sie es merkten, zum Gegenstande ihres Witzes zu machen. Als daher von Mascaraden-Kleidern die Rede war, die ein Jude welcher draußen stand, der Gesellschaft zu liefern versprochen hatte, versicherten die Spaßvögel, es sey gar keine Freude dabey, nur im Domino oder Tabareau dort zu erscheinen, sondern je auffallender die Verkleidung sey, um desto weniger werde man merken, daß sie vom Lande und daß ihnen solche Vergnügungen fremd seyen. Nur müßten sie ihre Rollen studieren und sich dem Charakter gemäß betragen, dessen Gewand sie trügen. Der Jude wurde gestimmt, die nöthigen Sachen herbeyzuschaffen und folgendes Costüm verabredet. Die Frau Licentiatinn Bocksleder sollte eine weiße Nonne vorstellen, ihren Sohn, wie Amor gekleidet, an ihre Hand nehmen und von ihrem Gemahle, in Gestalt des leidigen Satanas, mit Hörnern versehn, geführt werden; Der Amtmann Waumann wurde bewogen, Weiber-Kleider anzulegen und zwar als Göttinn der Nacht aufzutreten, in einem schwarzen Gewande, mit Sternen von Gold-Papier benäht, wovon Musjö Valentin, wie Arlekin gekleidet, ihm den Schlepp nachtragen sollte. Herr Klingelzieher begnügte sich mit einem Zauberers-Gewande und der Student wählte eine Matrosen-Maske. Übrigens wurden den leichtgläubigen Leuten ihre Rollen so vorgeschrieben, daß es an den beyden Spaßvögeln nicht lag, wenn die Gesellschaft diesen Abend nicht von Knaben und Pöbel preisgemacht wurde.
Indeß rückte die Zeit heran, wo man den vierfüßigen Luftschiffer auffliegen sehn sollte; Man gieng hin, staunte dies merkwürdige Wunderwerk an und eilte von da in das Schauspiel.
Der junge Herr Waumann, ungewöhnt, anders wie in der Kirche, eine so große Versammlung in einem Hause auf Bänken und Bühnen sitzend zu erblicken, nahm aus Gewohnheit seinen Hut vor's Gesicht, als wollte er sein Gebet verrichten. Sobald aber nun die edle Musica anhob und der Vorhang in die Höhe gezogen wurde; Potz Fickerment! wie riß er da die Augen auf!
»Aber Papa!« rief er aus, als er sich ein wenig von seiner ersten Überraschung erholt hatte, »thun denn die Leute nichts als singen und sprechen gar nicht? Und man versteht ja nicht Ein Wort davon.« »Ja, siehst Du, mein Söhnchen!« erwiederte der Vater, »das nennt man eine italienische Oper. Ich wollte indessen, wir wären gestern darinn gewesen; da haben sie teutsch gespielt; aber da war der verdammte Vorfall, daß ich im Wasser gelegen hatte.«
Das welsche Singewerk fieng endlich an, unsern Leuten Langeweile zu machen; und da es ohnehin mit den Vorbereitungen zur Mummerey nicht so schnell gehn konnte, beschloß die ganze Gesellschaft, welche sich im Parterre nahe bey einander gehalten hatte, nach dem Wirthshause zurückzukehren.
»Ich glaube«, sagte Herr Klingelzieher, »Sie würden gestern eben so wenig, wie heute, von dem verstanden haben, was auf dem Theater gesprochen wurde; denn, obgleich das, was sie redeten, für teutsch gelten sollte; so waren doch ein Paar Personen darunter, deren oberländischer Provinzial-Dialect immer noch zu rathen übrig ließ, ob man seine Muttersprache, oder eine fremde Mundart hörte. Besonders zeichnet sich bey dieser Gesellschaft Ein Pärchen aus; Die Frau arbeitet sich im Tragischen herum und Er macht den Buffo in den Singespielen, die aus dem Italienischen übersetzt sind; allein er verwandelt diesen Buffo in einen plumpen teutschen Hanswurst, singt einen Baß, den er aus dem Unterleibe hervorholt und setzt vor jeden Lautbuchstaben noch ein u, zum Beyspiel: ›uals uich nuoch uein klueiner Knuabe wuar‹ statt: als ich noch ein kleiner Knabe war. Von der Dame habe ich mir eine Rede gemerkt, die ich Ihnen doch mittheilen will: ›U ich Unklickliche! Taß mich toch nie tie Sohne peschinnen hätt! Und tu unkeratner Sonn! Kannst tu ketultig zusenn, taß teine Muhter wie eine pißente Sinterinn ta schtehn muß?‹«
Herr Klingelzieher declamirte noch viel über die Unverschämheit solcher Leute, die, aus dem niedrigsten Pöbel entsprungen, ohne Menschen-, Welt- und Sprach-Kenntnisse, ohne Sitten, ohne Gefühl, ohne Grundsätze, es wagten, auf die Bühne zu treten, in dem Character von Personen aufzutreten, mit deren Gleichen sie nie den entferntesten Umgang hätten haben können, und dennoch darauf Anspruch zu machen, auf den Geschmack zu würken, den Ton anzugeben, Moralität zu befördern und für achtungswerthe Männer von Wichtigkeit und Bedeutung im Staate zu gelten. – Solches Lumpengesindel, setzte er hinzu, das sich's nicht einfallen lassen sollte, dem geringsten Tagelöhner den Rang streitig zu machen!
Ein alter Mann, dem Ansehn nach ein gewesener Officier, welcher bey seiner Flasche Wein in der Ecke saß, nahm nun das Wort: »Mein Herr!« sagte er, »was mich betrifft, so muß ich gestehn, daß ich mich wundre, wenn ich höre, daß wir hie und da in Teutschland noch leidliche Schauspiele haben. Im Ganzen ist die Sache zwar überhaupt eben nicht der Mühe werth, daß man viel davon rede; aber wenn man doch einmal ernsthaft über diesen Gegenstand nachdenken will, so mögte ich wohl fragen, wie es unsre Theater-Dichter und Schauspieler anfangen sollten, ihren Geschmack zu veredeln, sich zu bilden, und wer ihnen die Anstrengung lohnen würde? Herrscht wohl auf zehn Meilen Weges in Teutschland einerley Geschmack und bleibt dieser Geschmack sich wohl zehn Jahre hindurch gleich? Weiß unter hundert Menschen Einer, was er eigentlich von einem guten Schauspiele fordern soll? – Nein! er weiß nur, daß er etwas Neues sehn will, so ein Hin- und Her-Reden und Würken durch einander, bey welchem zuweilen ein unerwarteter Zug ihn überraschen, oder ein lustiger Einfall ihm das Zwergfell erschüttern, oder eine einzelne rührende Situation ihn aus seinem Phlegma aufwecken soll. Um die Haltung des Ganzen bekümmert er sich wenig und wäre diese in einem Stücke meisterhaft und es fehlte dagegen an Verwirrung, an Buntschäckigkeit, oder das Stück wäre nicht neu mehr; so würde ich doch keinem Directeur, dem seine Casse am Herzen läge, rathen, dergleichen Stücke oft zu geben. Denn für den Genuß des Erhabnen in der Kunst, ein Genuß, der für einen ächten Kenner, je öfter er ein Meisterwerk sieht, um desto größer wird – dafür hat das Gros des Publicums nirgends in Teutschland mehr Sinn, sondern will nur immer neue Spielwerke sehn. Ich sage, es hat keinen Sinn mehr dafür; aber hat es ihn je gehabt? ja! wenigstens in einigen Gegenden von Teutschland, zu Lessings Zeiten, zur Zeit der großen hamburgischen Entreprise. – Auch findet man noch in Hamburg kleine Haufen von Männern, neben denen unser Einer so gern im Parterre steht, wenn der edle, unnachahmliche, als Mensch und Künstler, als Freund und Gesellschafter gleich verehrungswürdige Schröder, unfähig dem falschen, frivolen Geschmacke zu schmeicheln, die alten ein- und ausländischen Meisterwerke hervorholt, gegen welche unsre neuern Kotzebuiana u. s. w. so erbärmlich abstechen. –«
Klingelzieher: »Wie? des Herrn von Kotzebue Stücke lassen Sie nicht gelten?«
Officier: »Davon nachher; Lassen Sie mich jetzt nur mein Bild im Allgemeinen ausmalen! Lesen Sie die Verzeichnisse der Stücke, die in den größten Städten Teutschlands in den letzten Jahren sind aufgeführt worden, und Sie werden darüber erstaunen, wie weit man noch in manchen Gegenden unsers Vaterlandes zurück ist und wie weit man in andern schon wieder hinabsinkt! – Die mehrsten Directionen müssen sich doch leider! nach den Forderungen ihres Publikums richten; und wo das nicht der Fall ist, wo der Hof die Stimme führt – ja! da sieht es denn freylich noch kläglicher aus. Ich machte im vorigen Winter eine kleine Reise. In einer nicht unbeträchtlichen Stadt, wo damals ein Theater war, wurde das elende Stück: Die Engländer in America zweymal begehrt, da hingegen Die Erbschleicher gar nicht gefielen und Göthens Geschwister – das herzige Stück, so voll Größe und Einfalt! – langweilig gefunden wurde. In einer benachbarten Residenz waren drey Vorstellungen der elenden Farce: Der Teufel ist los gestopft voll; die herrliche Oper Cora fand gar keinen Beyfall. Der Schauspieler, welcher hier ausgepfiffen wird, gilt dort für einen großen Künstler und die Sprache, welche man an der Donau für ächtes, saubres Teutsch verkauft, hält man an der Elbe für unverständliche Beschwörungs-Formeln böser Geister.
Was müssen die Folgen von diesem allen in Rücksicht auf Dichter und Künstler seyn? Sie sind leicht an den Fingern abzuzählen; ich will nur beym Dichter stehn bleiben. Wer etwas besseres in der Welt treiben kann, der widmet seine Talente keiner so undankbaren Arbeit. An fleißiger Ausfeilung theatralischer Producte ist gar nicht zu denken; Wer will sich die Mühe geben, wenn er weiß, daß nach einigen Jahren seine Waare aus der Mode gekommen seyn wird? Alles kömmt nur darauf an, während dieser ephemerischen Existenz, so viel Aufsehn als möglich zu erregen, und das wird am sichersten bewürkt, je abentheuerlicher die Compositionen sind, die man an den Tag fördert. Da flickt man denn Charactere zusammen, von ungeheurer Schöpfung, Situationen, bey deren Anblicke man nicht weiß, ob man lachen, heulen, mit den Zähnen klappern, vomiren oder purgiren soll und Verwicklungen, die nur das Messer einer verzweifelnden Phantasie lösen kann. Das alles wird auf einander gehäuft, durch einander gepoltert – und das bewundern wir; den Fieber-Kranken, der so etwas in die Welt faselt, lobpreisen, posaunen wir aus; der eitle Thor glaubt sich an der Spitze der Unsterblichen aller Zeitalter und rast immer ärger darauf los, vernachlässigt die würklichen Talente, die in ihm wohnen und die eine weise Critic ausgebildet haben würde. Nach einer kurzen Reyhe von Jahren hat das Publicum diesen Rausch ausgeschlafen, kann nicht begreifen, wie es so blind hat seyn können, und rächt seine eigne Thorheit an dem armen Schriftsteller, den es, ungerecht gegen seine guten Anlagen, jetzt um so heftiger schmäht und Seiner spottet, je mehr es ihn vorhin erhoben hatte.«
Klingelzieher: »Nun! und unter diese unbedeutende Mode-Schriftsteller zählen Sie auch den Herrn von Kotzebue?«
Officier: »Ihn mehr, als irgend einen Andern. Einzelne Scenen in den theatralischen Producten dieses Schnellschreibers verrathen seltene Anlagen; aber in keinem seiner Stücke findet man Ordnung, Plan, Einheit, Würde und Consequenz – des sittlichen Zwecks nicht einmal zu erwähnen.Hier ist ein Anachronismus; ich weiß es wohl. Damals, im Jahre 1788, waren die wenigsten von den Schauspielen des Herrn von Kotzebue, die nachher einiges Aufsehn gemacht haben, schon erschienen. Ich denke aber, die Leser werden es mir verzeyhn, wenn ich, um im Allgemeinen meine Meinung über diesen Gegenstand zu sagen, Beyspiele anführe, die noch in frischem Andenken sind. Zum Beweise, daß ich das nicht so in den Wind hinein rede, will ich, wenn Sie's erlauben, von den Schauspielen des Herrn von Kotzebue eines zergliedern, und zwar eines, das vielleicht von allen am mehrsten allgemeinen Beyfall gefunden hat, wovon sogar Ein Rezensent und Dramaturg dem andern das Lob nachgeleyert hat, ich meine Die Indianer in England.
Klingelzieher: »Wahrlich! ein schönes Stück!«
Officier: »Wir wollen sehn. Ich hoffe, Sie werden kein Urtheil fällen, ohne Gründe erwogen zu haben.
Zuerst lassen Sie uns doch von dem Zwecke reden, den der Verfasser vor Augen hatte, als er dies Stück zu schreiben begann! Können Sie Sich einen solchen einfachen Hauptzweck denken? Ich kann es nicht. Und doch darf man von jedem Kunstwerke mit Recht verlangen, daß es ein bestimmtes Ganze ausmache. Das fühlen selbst schlechte Kupferstecher, und um ihre steifen Compositionen von Dörfern und Flüssen und Menschen und Ziegen und Hündlein nicht mit dem leeren Titel Landschaften abfertigen zu lassen, setzen sie irgend etwas darunter, was Inhalt hineinbringen soll, zum Beyspiel: La tranquillité villageoise, oder: Le dimanche à la campagne u. s. f. Daß bey einem Schauspiele eine einfache Handlung zum Grunde liegen müsse, daran hat noch niemand gezweifelt, der die Sache versteht; und ich darf hinzusetzen: nicht selten ist ein Schauspiel um desto vorzüglicher, je einfacher, mit wenig Worten sich dieser Hauptzweck, auf welchen die ganze Handlung und alles Würken der handelnden Personen hinausgeht, ausdrücken läßt. Auf welchen Punct aber concentrirt sich in den Indianern in England das ganze ungetheilte Interesse? Wer ist die Haupt-Person? Welcher moralische Satz, welche Lehre, welche Wahrheit, welche Warnung soll hier anschaulich gemacht werden? kurz! welchen Haupt-Eindruck soll der Zuschauer mit nach Hause nehmen, wenn der Vorhang gefallen ist?
So viel über den Zweck, oder vielmehr über den Mangel an Zweck! Nun zu den einzelnen handelnden Personen und deren Charactern! Eine eben so unbestrittene Regel bey einem guten Schauspiele, als die vorige, ist die: daß alle auftretenden Personen an die Handlung geknüpft seyn sollen, daß sie zum Ganzen nicht nur mitwürken, sondern zu dieser Würkung nothwendig, unentbehrlich seyn müssen. Alles übrige nennt man Flick-Rollen, die von der Armuth des Dichters zeugen. Leider! ist nun freylich in diesem Stücke überhaupt gar keine eigentliche Handlung; aber angenommen, daß man das bischen Thätigkeit, worinn die Personen gesetzt werden, also nennen mögte; so könnte füglich das Ganze seine Endschaft erreichen, ohne den Herrn Musaffery, ohne den Visitator, ohne den Bootsknecht, ohne die beyden Notarien, wenigstens ohne Einen derselben, ohne den kleinen Knaben, allenfalls ohne die alberne Mistriß Smith, ja! ohne den alten Herrn Smith, der auf seinem Stuhle herausgefahren wird, um zu hören und zu sehn und, wenn ihn der Dichter wieder fort haben will, geschimpft oder gestoßen wird, da er dann anfängt zu fluchen oder zu klagen und sich wieder fortrollen läßt.
Verzeichnet sind fast alle Charactere. Gurlis liebenswürdige Naivetät hat ein Kunstrichter so meisterhaft geschildert gefunden und Andre haben es ihm nachgelallt. – Lassen Sie uns doch, ohne uns um diese Authorität zu bekümmern, untersuchen, was für ein Werk der Schöpfung diese Gurli ist! Eine alberne Gans zu malen, die von den Dingen dieser Welt nichts weiß, gern einen Mann haben will, lacht, wenn ihr etwas ungewöhnliches aufstößt, weint, wenn sie an etwas Unangenehmes denkt, sich zu freundlichen Gesichtern hingezogen fühlt und unfreundliche Menschen nicht leiden mag – ist es Kunst, so ein Geschöpf zu malen? Allein dies Bild könnte interessant werden, wenn man das rohe Kind der Schöpfung in Lagen versetzt sähe, wo es, aus innerer Güte der menschlichen Natur, eben so groß und edel handelte, wie die fein cultivirte Liddy; aber nichts von dem! Doch, was noch mehr ist, dieser ganze Character ist ein Hirngespinnst. Denken Sie Sich, wenn Sie können, ein mannbares und noch obendrein manntolles Mädchen, das, unter Wilden erzogen, wo keine falsche Delicatesse den Schleyer über gewisse natürliche Dinge wirft, noch nicht wissen soll, was ein Männchen und was ein Weibchen ist, und daß Mann und Frau zum Heyrathen nöthig sind! Ein Mädchen, das lange genug in England gewesen ist, um Schreiben gelernt zu haben und, indem es zwey Notarien, die beyden Brüder Smith, Miß Liddy und den alten Musaffery, theils nach der Reyhe, theils auf einmal heyrathen will, zeigt, daß es noch nicht weiß, daß, so wenig in Großbrittanien, wie vielleicht in irgend einem Lande des Erdbodens, Vielmännerey erlaubt ist! Eine schöne Naivetät!
Fazir ist ein Wilder aus Bengalen und winselt und empfindelt, wie ein Siegwart. Kaberdars Charakter ist gar nicht ausgemalt; Musaffery eben so wenig.
Von dem alten Smith erfährt man nur so viel, daß er ein gutherziger, schwacher, unbedeutender Sterblicher ist.
Robert, Liddy und Jack sind die einzigen Personen, die Physiognomie haben.
Samuel und der Visitator haben Originalität, aber sie sind so offenbar von teutscher Schöpfung, daß wohl schwerlich in ganz Großbrittanien zwey solcher Charactere werden gefunden werden.
Wenn sich ein teutsches Fräulein mit allen albernen Prätensionen des Adelstolzes an einen englischen Kaufmann verheyrathete, so würde diese Thorheit doch gewiß in dem ersten Jahre ihres Aufenthalts in Großbrittanien schon von ihr weichen; Nichts kann ihr dort Nahrung geben; Man wird sie nicht einmal verstehn. Die ganze Art der Zusammenlebung, die öffentliche persönliche Achtung, deren ein Kaufmann daselbst in viel größerm Maaße, wie ein kleiner teutscher Edelmann, genießt; das alles wird ihr die Grillen von ihren Ahnen bald vertreiben. – Wie unnatürlich also, daß Mistriß Smith nach zwanzig bis dreißig Jahren noch den Versuch wagt, diese Narrheit geltend zu machen!Kürzlich hat der Herr von Kotzebue, der mit Recht so oft die Thorheiten des Adels lächerlich zu machen sucht, auf einmal eine Vertheydigung des Erb-Adels in die wienerische Zeitschrift einrücken lassen. Vermuthlich ist der ganze Aufsatz Ironie. Wie sollte auch ein Mann von seinen Talenten sich auf einmal so tief gesunken fühlen, daß er sich im Ernst zum Mitarbeiter eines solchen Schufts, wie Aloisius Hoffmann ist, machen wollte?
Die Notarien-Scene ist äußerst comisch; aber sie ist ein hors d'oeuvre und gehört nicht dem Herrn von Kotzebue, sondern dem alten Vater Moliere.
Wer Schauspiele schreibt, soll doch auch die Sitten des Landes studieren, in welches er seine Scenen versetzt; auch das vergißt der Herr von Kotzebue in der Eil, mit welcher er schreibt. Herr Smith heißt Sir John, folglich ist er Baronet, denn kein Andrer führt in England vor seinem Taufnamen den Titel Sir. Er selbst aber sagt, er sey von bürgerlicher Abkunft. Aber sey er Baronet; so kann, bey seinen Lebzeiten, es doch sein Sohn nicht auch seyn; allein auch Dieser nennt sich selbst Sir Samuel Smith.
In England wird niemand zehntausend Pfund lieber in baarem Gelde als in Banco-Noten haben wollen, wie Herr Samuel.
In England wird gar kein Knaster verkauft und doch will Herr Smith Knaster rauchen.
Mysore ist nie von einem Nabob regiert worden.
Dies alles soll nur beweisen, wie wenig dieser Schriftsteller an seinen Werken feilt; und hiervon zeugen noch andre Stellen. Der alte Smith klagt, die Frau habe ihm nicht einmal eine Kanne Porter geben wollen und doch verschenkt er nachher ein ganzes Faß voll starken Biers an den Bootsknecht.
Im ersten Auftritte theilt Herr Smith vier Segen aus; Im neunten Auftritte des zweyten Aufzuges abermals zwey; Im dreyzehnten bittet Liddy um ein dito und erhält ihn von der Mutter; Im sechsten Auftritte des dritten Aufzugs segnet Kaberdar; Im vierzehnten segnet wiederum Herr Smith und im funfzehnten nochmals der Nabob Kaberdar. – Das sind viel christliche und heidnische Segen!«
Der alte Officier war in so gutem Zuge, seine dramaturgischen Kenntnisse auszukramen, daß er vermuthlich noch in einer Stunde nicht würde aufgehört haben, wenn nicht Einer aus der Gesellschaft, dem diese Abhandlung vielleicht eben so viel Langeweile verursachte als meinen Lesern, die Bemerkung gemacht hätte, daß es wohl Zeit seyn würde, sich zur Mascarade auszurüsten. Man nahm also Abschied von ihm, gieng hinauf in des Licentiaten Zimmer, wo die bestellten Ball-Kleider in Bereitschaft lagen, steckte sich in dies abgeschmackte Costum, zur großen Freude der beyden jungen Spottvögel, und gieng dann in diesem Aufzuge mit einander zu Fuße den Bohlweg hinauf, dem Opernhause zu.
Der Officier stand in der Thür des Gast-Zimmers, als sie die Treppe herunter kamen. »Aber, wie mögen Sie«, sprach er, »Ihre Zeit mit einer so elenden Unterhaltung verderben? Was für Vergnügen kann ein verständiger Mann daran finden, sich in einem Gewühle von Menschen herumzutreiben, die, ausstaffirt, wie die Narren im Tollhause, sich zwecklos durch einander herumtreiben und drängen; wo eigentlich getanzt werden sollte, und doch niemand, der gern ohne blaue Flecke und Beulen nach Hause gehn will, tanzen mag; wo man verkleidet hingeht, ohne sich seinen Bekannten unkenntlich zu machen, indeß die Unbekannten sich, auch ohne Maske, fremd bleiben würden?«
Vermuthlich würde der alte Critiker eine eben so lange Abhandlung über die Mascaraden, als über die Schauspiele, zu Tage gefördert haben, wenn nicht unsre Freunde die Unterredung kurz abgebrochen und ihren Weg fortgesetzt hätten. Sie schlichen sich daher vor ihm vorbey und giengen.