Adolph Freiherrn Knigge
Die Reise nach Braunschweig
Adolph Freiherrn Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel

Fortsetzung dieser Geschichte. Sonderbare Entdeckung. Der Fremde und der Officier finden im Posthause nicht, was sie suchen.

Unter den Hülfsbedürftigen, deren sich mein guter Graf so wohlthätig angenommen hatte, befand sich auch eine interessante Familie, welche meiner Sorgfalt anvertrauet war und deren Umgang mir so viel reine Freuden gewährte, daß ich, wenn auch der Beystand, den ich ihr in meines Herrn Namen leisten mußte, mich nicht zu ihnen rief, doch manche Stunde nebst meiner Frau bey diesen guten Menschen zubrachte. Er und sie waren in Frankreich geboren und hatten einst glücklichere Tage erlebt, wovon ich die Geschichte besonders aufgezeichnet habe und Dir mittheilen will. Durch die schwärzeste Cabale und eine Reyhe von Wiederwärtigkeiten aus ihrem Vaterlande vertrieben, hatte Er kein Mittel unversucht gelassen, was einem Manne von Ehre und Erziehung anständig seyn kann, um in Teutschland für sich und die Seinigen Brod zu erwerben. Hätte er dem Beyspiele so Vieler unter seinen leichtfüßigen Landesleuten folgen und mit erborgten Titeln und gestohlnem Gelde an irgend einem teutschen Hofe als Chevalier oder Marquis auftreten wollen, so würde er seine Familie nicht nur mit Brod sondern auch mit Pasteten haben speisen können; Er hätte sich dann etwa mit einem Paar tausend Gulden Besoldung zum directeur des plaisirs Seiner Durchlaucht ernennen lassen und Madam, welche jung und hübsch war, hätte diese Plaisirs vermehrt. Allein, wie gesagt, er war ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit. Seiner Sprache war er mächtig. – Ein seltenes Phänomen bey einem Franzosen! – Er hatte sie studiert; folglich schien ihm eine Stelle als Lehrer derselben, die grade bey den Edelknaben in *** erledigt war, die anständigste Art, seinen Unterhalt zu verdienen. Mein würdiger Graf ***, bey welchem er sich desfalls meldete, prüfte ihn und setzte ihn an. Allein der arme Mann war schwächlich – Sorgen und Kummer hatten so lange an seinem Herzen genagt, bis es endlich brach. Zwey Jahre vor des Grafen Tode verließ er die Welt, in welcher er so wenig frohe Stunden erlebt hatte; Seine trostlose Witwe, die selbst kränkelte, sah sich nun nebst dem kleinen vierjährigen Knaben verlassen und blickte vor sich hin in eine traurige Zukunft.

Die hohen Preise aller Lebens-Bedürfnisse in den Städten stehen in gar keinem Verhältnisse mit dem Lohne, den man für gemeine, nützliche weibliche Hand-Arbeiten hingiebt, indeß Der, welcher für Luxus und Üppigkeit würkt, reichlich bezahlt wird. Ein ehrliches Frauenzimmer, welches sich bloß mit Hemder nähen und Strümpfe stricken beschäftigen will, kann, wenn sie dabey ihren eignen kleinen Haushalt zu bestreiten hat, oder sonst einmal ein Paar Stunden im Tage, oder ein Paar Tage in der Woche ausfallen, wenn es zum Beyspiel an Arbeit fehlt, unmöglich mit diesem Erwerbe auskommen. Putzmacherinnen verdienen freylich schweres Geld; allein diese Lebensart schien der edlen Frau niedrig und zweydeutig; und so litt sie dann, da sie noch obendrein selten ganz gesund war, Mangel. Das wohlthätig ausspähende Auge meines lieben Grafen entdeckte bald ihre Lage und ich bekam Auftrag, zu Hülfe zu eilen. Dies geschah auf eine Weise, die ihr Zartgefühl nicht beleidigen konnte und ich hatte die Freude, zu sehn, wie das gute Weib sich nach und nach aufheiterte; mit ihrer Gesundheit wurde es jedoch immer mislicher. Schon hatte sie seit einem Monate das Bette nicht verlassen können, als der Verlust unsers gemeinschaftlichen Wohlthäters ihr den Rest gab. Einst schickte sie zu mir und ließ mich dringend bitten, sie sogleich zu besuchen. Ich fand sie sehr schwach; alle Anzeigen des nahen Todes waren da. Ihr Sohn – Du mein Louis! Du saßest weinend auf ihrem Bette; Eine Deiner Hände hielt sie zitternd in den ihrigen. Als ich eintrat, bestrebte sie sich, ihre trüben, halb schon gebrochnen Augen freundlich aufzuschlagen; Ein sehnlicher Wunsch, eine dringende Bitte, schien ihr Herz zu pressen; aber die matten Lippen versagten ihr den Dienst, sich durch Worte zu erklären. Sie winkte ihrer Wärterinn und diese brachte mir ein Päckchen mit Briefschaften, begleitet von einem Aufsatze, von ihrer Hand geschrieben, und an mich gerichtet. Sobald sie diese Papiere in meiner Verwahrung sah, schob sie mir Deine Hand, mein lieber Louis! hin, faltete dann die ihrigen – es schien als wenn sie dieselben dankbar zum Himmel emporheben wollte. – Dann schloß sie die Augen, fiel in einen Schlummer und erwachte nicht wieder.

Nachdem ich die nöthigen Bestellungen wegen der Beerdigung Deiner lieben Mutter gemacht hatte, nahm ich Dich an meine rechte Hand, das Päcklein mit Briefschaften unter den andern Arm; und so verließ ich das Haus und führte Dich in meine Wohnung.

»Gott hat uns noch ein Kind beschehrt«, sprach ich zu meiner Frau, als sie mir in der Thür entgegen kam, »Gott hat uns noch ein Kind beschehrt und seinen Segen wird er uns auch dazu beschehren; Dieser kleine Kostgänger soll ihn uns in das Haus bringen.« Und nun erzählte ich dem guten Weibe, was vorgegangen war. Sie bückte sich zu Dir nieder, blickte Dir in's Gesicht, streichelte Dir die Backen, gab Dir einen mütterlichen Kuß, nahm Dir Dein Hütchen ab; und von dem Augenblicke an warst Du unser Kind und theiltest unsre Liebe und Sorgfalt mit der kleinen Margaretha.

Sobald ich Deine Mutter hatte zur Erde bestatten lassen (die Unkosten davon bestritt ich aus dem Verkaufe ihres wenigen Hausraths) fieng ich an, die Briefschaften zu untersuchen, welche sie mir eingehändigt hatte. Es waren Documente, welche Deine gegründeten Ansprüche auf ein beträchtliches Vermögen in Frankreich bewiesen, das man Deinem Vater auf die unrechtmäßigste Weise vorenthalten hatte. In dem Aufsatze von Deiner Mutter Hand, der bey den Acten lag, beschwor sie mich, als ihren einzigen Freund, Dich nicht zu verlassen, sondern Dich an Kindes Statt anzunehmen, demnächst aber, wenn es meine Umstände irgend erlaubten, selbst, oder durch einen sichern Mann, Deine Rechte in Frankreich auszufechten, welches mir unter der jetzigen Regierung gewiß nicht würde fehlen können. – »Ey nun! und wenn auch nicht«, rief ich aus, »denn mit Processen ist es immer eine misliche Sache; so wird die Vorsehung dem Knaben sonst helfen. Wenn er gesund, redlich und fleißig ist; muß sich auch schon in Teutschland ein Stück Brod für ihn finden.«

Ich fieng nun an, Deinem Unterrichte alle Stunden zu widmen, die mir meine Nahrungs-Geschäfte übrigließen. Das Schicksal begünstigte meine Beharrlichkeit; Dein heller Kopf und Deine gute Gemüthsart unterstützten meine Bemühungen und, gleich als hättest Du neuen Segen in meine Hütte gebracht, schien sich alles unter meinen und meines wackern Weibes Händen zu verdoppeln.

Allein der Allweise hatte mich zu einem Werkzeuge ausersehn, um Dich in eine bessere Lage zu versetzen, wie die war, die den Pflegesohn eines armen Zollschreibers erwartet hätte. Ich fieng schon an, Deinen Proceß in Frankreich ganz zu vergessen; die Papiere lagen bestäubt in einem Winkel, als neue Unglücksfälle mich unsanft aus dieser Ruhe aufweckten, um mir die Freude zu bereiten, die ich heute schmecke. Meine würdige Gattinn starb; Du warst damals zehn Jahre alt und meine Tochter hatte noch nicht den vierten Sommer erlebt. Fest entschlossen, nicht wieder zu heyrathen, wenn ich auch ein Mädchen gefunden hätte, daß meine Armuth mit mir hätte theilen wollen, und dabey überzeugt, daß ein Vater, bey aller Sorgfalt, dennoch nicht im Stande ist, der ersten Erziehung eines weiblichen Geschöpfs gehörig vorzustehn, war ich in der That sehr verlegen, was ich mit meiner kleinen Margaretha anfangen sollte.

Indessen hatte ich, seit dem Frieden, welcher dem siebenjährigen Kriege ein Ende machte, nicht aufgehört, mit meinem Bruder in Briefwechsel zu stehn, obgleich unsre Umstände uns keine persönliche Zusammenkunft erlauben wollten. Er war, wie ich, reducirt worden, hatte aber das Glück gehabt, eine einträgliche Försters-Bedienung und dabey eine reiche Frau zu erhalten. Als ich ihm nun den Tod meines lieben Weibes und die Verlegenheit, darinn ich in Ansehung meines Kindes war, meldete, erboth er sich großmüthig, das kleine Mädchen zu sich zu nehmen, da es doch schien, als wenn seine Frau ihn nicht zum Vater machen wollte. Mit dankbarer Freude nahm ich dies an und schickte die Kleine, begleitet von einer treuen alten Magd, auf der Post zu diesem redlichen Bruder. – Nun warst Du, lieber Louis! meine einzige häusliche Gesellschaft, und ich verwendete allen Fleiß auf Deine Bildung, als der Tod des alten Fürsten auf einmal mich um meine kleine Bedienung brachte. Das System des Erbprinzen war, wie es fast immer der Fall ist, das Gegentheil von dem zu thun, was sein Herr Vater gethan hatte. Es wurde also auch mit dem Zollwesen eine Umkehrung vorgenommen, manche Besoldungen wurden eingezogen, und unter diesen war auch die meinige.

Mitten aus dieser trüben Aussicht, die mich beynahe zur Verzweiflung gebracht hätte, ließ die weise Vorsehung einen neuen Strahl von Hofnung für mich hervorleuchten. Ich hatte während des Krieges in ***, wo ich einige Wochen in Quartier lag, einen Mann kennen gelernt, der sich meine ganze Hochachtung und Liebe erworben hatte. Damals war er Schiffs-Capitain, und hatte schon mehrmals die Reise nach Ostindien gemacht. Diese Lebensart pflegt sonst zuweilen dem Character Rauhigkeit zu geben; und nicht selten sind solche Männer Prahler und verschrobne Köpfe. Eine merkwürdige Ausnahme davon machte Der, von dem ich rede. Er war ein grader, unbestechlicher redlicher Mann, ein gefühlvoller, dienstfertiger, großmüthiger Menschenfreund und dennoch, wo auf ehrliche Weise etwas zu erwerben war, ein achtsamer, speculativer Kaufmann; dabey ein heller und gebildeter Kopf und im Umgange unterhaltend, gefällig und duldend. Der langen Seereisen müde, hatte er in seiner Vaterstadt einen Handel im Großen angefangen, und war zugleich kaiserlicher Consul.

Grade zu der Zeit, als ich meine Bedienung verlohr, reiste er durch ***; er war in einem Bade gewesen, und nun auf dem Rückwege nach Hause begriffen. Mein guter Genius ließ mich ihm auf einem öffentlichen Spatziergange begegnen, wo ich kummervoll auf und nieder gieng; Du, mein Lieber! sprangst munter vor mir her. Vielleicht erinnerst Du Dich noch dieses Tages, denn was uns in dem zarten Alter begegnet, das pflegt sich dem Gedächtnisse, welches dann noch nicht mit so viel Bildern aller Art angefüllt ist, tief einzuprägen.

Es war für ihn und mich eine angenehme Überraschung, uns hier wiederzusehn; Er befragte mich theilnehmend um meine Lage; eine Thräne, die in meinem Auge zitterte, sagte ihm einen Theil dessen, was ich auf dem Herzen hatte, und da bey ihm Unglück ahnden, und retten wollen immer eins war, ergriff er mich stillschweigend bey der Hand, und führte mich in den Gasthof, wo er abgetreten war.

Sobald ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, war auch sein Plan gemacht. »Den Jungen nehme ich mit mir«, sprach er, »das ist ein feiner Knabe, den wir schon durch die Welt bringen wollen. Mein Freund, der Obrist von *** in **schen Diensten, schlägt mir's nicht ab, wenn ich ihn bitte, daß er ihn als Fahnenjunker bey seinem Regimente ansetze. Das er unter guter Aufsicht sey, dafür soll gesorgt werden, und wenn er einmal Officier wird, wollen wir auch schon zu der Equipage und dem Zuschusse Rath schaffen. Ihnen aber, mein Freund! kann ich grade jetzt zu einer Stelle auf einem Schiffe, daß nach dem Cap und von da nach Indien geht, verhelfen. Die Stelle wird Anfangs klein seyn, aber ich gebe Ihnen gute Addressen mit, und Sie können, wenn Sie, wie ich nicht zweifle, der Instruction folgen, die ich Ihnen aufschreiben werde, es dort bald zu etwas Höherm bringen.«

Mich von Dir zu trennen, mein Lieber! das kam mir freylich hart an; allein, wenn ich dann wieder überlegte, wie wenig ich für Dich thun konnte, der ich arm und verlassen war, wie viel Du bey dem Tausche gewannst, und welchen sichern Händen ich Dich anvertrauete, so tröstete mich das, und was meine Person betraf, so war mir jeder Winkel des Erdbodens, wo ich Brod fände, gleich willkommen.

Ich legte nun die mir von Deiner Mutter anvertraueten Schriften versiegelt in die Hände unsers großmüthigen Wohlthäters nieder, da ich noch kein Mittel vor mir sah, Gebrauch davon zu machen. Der redliche Consul reiste mit Dir ab, und ich, nachdem ich meine geringen Habseligkeiten verkauft hatte, blieb grade nur noch so lange, bis er mir meine Empfehlungsschreiben und einen Vorschuß von Reisegeld geschickt hatte, da ich dann nach Holland abgieng.

Der Gedanke, daß ich meine einzige Tochter nun vielleicht nie wiedersehn sollte, machte mir den Abschied von meinem Vaterlande schwerer, als ich bey dem ersten Vorschlage meines Freundes geglaubt hatte; Wenigstens wollte ich aber dem Kinde in der Folge die Unannehmlichkeit, für das Schicksal seines Vaters besorgt zu seyn, und den Schmerz über eine so weite Entfernung von ihm, ersparen. Desfalls bat ich meinen Bruder, als ich ihm meinen Entschluß, nach Indien zu gehn, meldete, er mögte niemand hiervon etwas entdecken, sondern jedermann und selbst meiner kleinen Margaretha sagen, ich sey gestorben. »Wenn mich«, sprach ich zu mir selber, »die Vorsehung einst glücklich wieder aus jenem Welttheile zurückführt; wird die freudige Überraschung meiner Tochter, Den wieder zu sehn, der ihr das Leben gegeben hat, um desto größer seyn.« Und diesen frohen Augenblick hoffe ich nun bald zu erleben.

Meine Reise nach Holland und von da nach Indien gieng so glücklich als möglich von Statten, und die Empfehlungen meines redlichen Beschützers waren dort von solchem Gewichte, daß ich sogleich, als Aufseher über zwey Waaren-Lager, in Thätigkeit gesetzt und versorgt wurde. Meine Lage war also über Erwartung angenehm; das Clima hatte den wohlthätigsten Einfluß auf meine Gesundheit; die Nachrichten, die ich durch den Consul von Deinem Schicksale erhielt, obgleich nur in allgemeinen Ausdrücken abgefaßt, waren sehr erfreulich; auch mein Bruder meldete mir, daß die kleine Margaretha ein gesundes, hübsches und gutes Mädchen sey – und so war ich dann zufrieden, heiter, und dankte dem gütigen Schöpfer in meinem Herzen.

Auf diese Weise verfloß mir eine lange Reyhe von Jahren, ohne die geringste Wiederwärtigkeit. Unter den Kaufleuten, deren Geschäfte ich zu besorgen hatte, war vorzüglich Einer mir sehr gewogen, und vertrauete mir die wichtigsten Dinge an, nachdem ich mir bald eine Fertigkeit in dem Mechanischen dieser Arbeiten und die nöthigen Sprach-Kenntnisse erworben hatte. Endlich, als dieser gute Mann anfieng schwächlich zu werden, rief er mich einmal zu sich, und sagte mir ungefehr folgendes: »Sie haben mir bis jetzt so redlich und eifrig gedient, daß ich nicht ruhig würde sterben können, wenn ich nicht vorher Ihre Treue auf eine Weise belohnt hätte, die dem großen Vermögen angemessen ist, das mir Gott gegeben und das er unter Ihren Händen hat gedeyen lassen. Nun könnte ich Ihnen hier wohl zu einer reichen Frau verhelfen, oder Sie sonst ansässig machen; allein ich meine bemerkt zu haben, daß Sie nicht geneigt sind, Sich wieder zu verheyrathen, und daß Sie Sich überhaupt nach Ihrem Vaterlande zurücksehnen. Diesen Wunsch zu befriedigen, dazu fordern mich Dankbarkeit und Freundschaft auf. Ungern trenne ich mich von Ihnen – Doch, meine irdische Laufbahn wird nun wohl bald vollendet seyn. Und wäre das auch nicht, so würde ich mir's doch zum Verbrechen machen, wenn mir mein Privat-Vortheil näher am Herzen läge, als Ihre Glückseligkeit. Nehmen Sie daher diese Summe als ein freundschaftliches Geschenk an! Ich kann sie entbehren; sie ist mir eine Kleinigkeit, und Sie können in Teutschland damit viel ausrichten. Reisen Sie sobald dahin ab, als Sie es gut finden, nehmen meine besten Wünsche mit, und gedenken zuweilen eines Mannes, dem Sie, außer den öconomischen Dienstleistungen, auch noch durch ihre Bekanntschaft den Vortheil gewährt haben, daß er nun eine bessere Meinung von dem Menschengeschlechte mit aus dieser Welt nimt, wie die war, welche ihm bis jetzt so manche traurige Erfahrungen eingeflößt hatten.«

Ich erstarrte fast vor Überraschung, als ich die Papiere auseinanderschlug, die er mir eingehändigt hatte, und nun fand, daß es Banco-Noten, zwanzigtausend Ducaten an Werth, waren. Meine Empfindungen der Dankbarkeit konnte ich nur unvollkommen ausdrücken; Der edle Greis verstand aber auch meine stumme Sprache, und fühlte sich vielleicht so glücklich, wie ich mich.

Vor zwey Jahren nun ließ ich mich nach Holland einschiffen. Mit dem Briefe, den ich Dir damals schrieb, und in welchem ich Dir die Freude, Dich wieder zu sehn, zu erkennen gab, ließ ich zugleich einen andern an unsern Consul, den ersten Schöpfer meines Glücks, abgehn. Ich gab ihm von allem Nachricht und bat ihn, mir sogleich das Paquet, welches Deine Forderungen in Frankreich betraf, nach Amsterdam zu schicken. Nur meinem Bruder meldete ich weder die Veränderung meiner Umstände, noch meine Rückkehr nach Europa; Ich wollte ihn auf angenehme Weise überraschen, und das ist auch noch mein Vorsatz.

Sobald ich in Amsterdam in dem Besitze Deiner Documente war, las ich alles sorgfältig durch, was Dein Vater aufgezeichnet hatte, und besann mich dann nicht lange, sondern reiste sogleich nach Paris. Ich will Dich nicht mit dem weitläuftigen Berichte von den Schwierigkeiten aufhalten, die ich dort fand, Deine gegründete Forderung in's Reine zu bringen; aus den Acten selbst wirst Du das sehn. – Genug! daß mich der Himmel das Glück hat erleben lassen, Dir ein Vermögen von wenigstens fünfzehntausend Livres jährlicher Renten in Sicherheit zu bringen. Jetzt habe ich weiter keinen Wunsch mehr in dieser Welt, als den, an meiner Tochter so viel Freude zu erleben, wie mir die vortheilhaften Zeugnisse meines Bruders von ihr zu versprechen scheinen, und sie dann glücklich verheyrathet zu sehn. Ich eile nach Biesterberg, um dort diese mir so theuren Menschen zu umarmen. –

Wie? nach Biesterberg? Herr Autor? Ey! nun ja, mein hochgeehrtester Leser! stellen Sie Sich doch nicht so überrascht, gleich als hätten Sie es nicht längst gemerkt, daß der Bruder, welchen unser Fremder sucht, kein andrer, als der Herr Förster Dornbusch, und daß die jetzt von ihrem Herrn Oncle wieder nach Goßlar geführte Jungfer Margaretha das oft erwähnte Töchterlein ist! Dies Zusammentreffen hat übrigens, so viel ich es einsehe, nichts Unwahrscheinliches, und ich bitte Sie, mir einen teutschen oder andern Roman zu nennen, in welchem nicht viel unglaublichere Begebenheiten vorkämen. Übrigens muß ich zur Erläuterung dieser ganzen Geschichte nur noch einige Worte hinzufügen.

Der österreichsche Officier wußte freylich, daß seine Geliebte Margaretha Dornbusch hieß; daß sein Pflegevater denselben Familien-Namen führte, war ihm auch nicht unbekannt; allein da das Frauenzimmer gar nicht ahnden konnte, daß ihr Vater in Ostindien lebte, sondern vielmehr oft erzählt hatte, es sey derselbe längst in Teutschland gestorben, Monsieur de Previllier aber (denn so hieß der Officier) sich's aus den Zeiten seiner Kindheit nicht mehr erinnerte, daß sein Pflegevater zuweilen eines Bruders Erwähnung gethan hatte, ja! da ihm das Andenken an die jüngere Gefährtinn seiner ersten Jugend beynahe gänzlich aus dem Gedächtnisse gekommen war, konnte er unmöglich wissen, daß seine ehemalige Gespielinn und die jetzige Dame seines Herzens eine und dieselbe Person wäre. Jetzt aber (denn der Ostindier theilte ihm wenigstens den Haupt-Inhalt der Geschichte, welche dieser Aufsatz enthielt, mündlich mit) machte er eine Entdeckung, die ihn mit der lebhaftesten Freude erfüllte. Er nahm sich aber vor, den alten Herrn Dornbusch damit zu überraschen. Sobald sich's daher schicklicherweise thun ließ, bat er ihn, mit ihm nach dem Posthause zu gehn, wo er ihm in der Person seines Reisegefährten zu einer sehr interessanten Bekanntschaft zu verhelfen versprach; Sie giengen hin, sobald der Alte sein Mittags-Essen verzehrt hatte.

»Um Gotteswillen!« rief der Hauptmann Previllier und stürzte in das Zimmer, in welchem er den Ostindier ein Weilchen allein gelassen hatte, um indeß die bewußte Person zu holen. »Was fange ich an? Sie ist fort, Sie ist fort!« – »Wer ist fort?« – »Wie können Sie fragen? Ihre Tochter, meine Geliebte, meine Braut ist fort. Der Förster Dornbusch hat sie mit Gewalt in den Wagen gehoben und ist mit ihr wieder nach Goßlar gefahren.« – »Du bist von Sinnen, Louis! Wie soll meine Tochter, wie soll mein Bruder hierherkommen?« – »O! verliehren wir keine Zeit mit Erzählungen! ich beschwöre Sie. Lassen Sie uns nacheilen! Unterwegens sollen Sie alles erfahren; jetzt nur geschwind angespannt!« – »Aber mein Wagen, meine Päckereyen, mein Bedienter; alles ist draußen im Wirthshause.« – »Ich will hinschicken; Morgen können wir wieder hier seyn; Nur geschwind, daß wir sie noch einholen!«

Der alte Herr sah wohl, das hier nichts zu thun wäre, als dem ungestümen Menschen zu folgen. Sobald daher des Officiers kleine Callesche angespannt war, setzte er sich mit ihm hinein, und fort gieng die Reise nach Goßlar.


 << zurück weiter >>