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Geschichte des Fremden, der in der Eulenburg vor Peina abgetreten war.
»So sehen meine Augen Dich endlich wieder, mein theurer, geliebter Louis!« rief der Fremde in der Eulenburg dem österreichschen Officier entgegen, als Dieser zu ihm in das Zimmer trat und in seine Arme eilte. – »Mein Wohlthäter! mehr als Vater! Wie viel Dank!« – stammelte der Officier. – »O rede nicht von Dank!« »Wie sollte ich nicht?« – »Komm an mein Herz!« Und so gieng es noch ein Weilchen fort, in abgebrochnen Worten. – Ein rührender Auftritt! Der Hausknecht, welcher dem Officier die Thür öfnete, hat ihn uns beschrieben, und wenn wir unsern Verleger hätten bewegen können, Kupferstiche zu diesem unserm Romane verfertigen zu lassen; so hätte die Darstellung dieser Zusammenkunft eines der schönsten Blätter liefern müssen. – Vielleicht läßt er sich noch bewegen, der sechsten oder siebenten Auflage einige Bilderchen beyzufügen; bis dahin mag die jetzige Generation der Leser sich die ganze Geschichte mit dem Pinsel ihrer Phantasie vormalen.
Nachdem diese ersten Entzückungen vorüber waren, reichte der fremde alte Herr dem Officier einen schriftlichen Aufsatz dar: »Hier, mein Lieber!« sprach er, »habe ich die Haupt-Begebenheiten meines Lebens, in welche auch die Geschichte Deiner Jugendjahre mit einverwebt ist, zu Papier gebracht. Längst wollte ich Dir diesen Aufsatz schicken; nur die jetzt erfüllte Hofnung, Dich selbst wieder zu umarmen, hielt mich davon ab. Ich kann ihm ja dann alles mündlich erzählen, sprach' ich zu mir selber. Nun aber, da ich wieder bey Dir bin, denke ich doch, es sey besser, ich lasse Dich das schriftlich lesen, weil es einmal aufgezeichnet ist; vielleicht könnte ich außerdem manches vergessen. Lies es in müßigen Augenblicken durch, und laß uns jetzt die Freude des Wiedersehens recht genießen!«
Der Officier umarmte nochmals den alten Herrn und steckte das Papier in die Tasche. Da aber die Leser vielleicht ungeduldig werden könnten, bis er es wieder hervorholt, wollen wir hier eine Abschrift dieses Aufsatzes mittheilen.
Geschichte des fremden Herrn in der Eulenburg
Mein Vater war ein redlicher und geschickter Schullehrer in Blankenburg am Harze. Freylich war man damals in der Pädagogic noch weit zurück; Man hatte noch nicht die Entdeckung gemacht, daß man der Jugend die ernsthaftesten, wichtigsten wissenschaftlichen Kenntnisse, selbst von philosophischer Art, durch Kartenspiel und sonst auf tändelnde Weise beybringen könne. Man hielt bey dem Unterrichte sehr viel auf Übung des Gedächtnisses durch Auswendiglernen, besonders in den Jahren, wo man so leicht auffaßt und so viel Stunden übrig hat, die man nicht besser anwenden kann, als damit, daß man in dem Magazine für die ganze übrige Lebenszeit die rohen Materialien aufhäufe, welche die reifere Vernunft in der Folge ordnet, auswählt und zum herrlichen Genusse für das Alter bearbeitet. Indessen gestehe ich gern, daß, wenn irgend etwas, was man lernt, unnütz seyn kann, mein Vater seine Schüler manches unnütze Wort lernen ließ. übrigens fühlte er schwer die Last seines undankbaren Berufs. – Geringe Besoldung, schwere, vielleicht oft gänzlich verlohrne Arbeit vom frühen Morgen bis in die Nacht, und manche Demüthigung von Seiten andrer, weniger nützlicher, aber darum nicht weniger übermüthiger Stände. Er war daher fest entschlossen, seine beyden Söhne (denn ich hatte, oder vielmehr habe noch einen jüngern Bruder) eine andre Laufbahn antreten zu lassen. Der Eine sollte zu Hause, in Blankenburg selbst, die Jägerey lernen – mein Großvater war Oberförster gewesen – ich aber wurde der Kaufmannschaft gewidmet und desfalls zu einem Verwandten nach Nürnberg geschickt.
Wir hatten kaum beyde ein Paar Jahre in dieser neuen Lebensart zugebracht, als mein Vater starb und gar kein Vermögen hinterließ. Dies war grade zu der Zeit des siebenjährigen Krieges; Es wurde im Braunschweigschen ein Jägercorps errichtet und mein Bruder nahm Dienste in demselben. Was mich betrifft, so wollte mir das ruhige Leben am Comtoir-Pulte auch gar nicht gefallen; von allen Seiten her ertönte nichts als Kriegesgeschrey; das machte mir dann Lust, mein Heil bey den Waffen zu suchen. An einem schönen Morgen packte ich meine kleinen Habseligkeiten zusammen, gieng fort aus Nürnberg und ließ mich bey dem Freycorps des französischen Obersten Fischer anwerben.
Es schien, als wenn das Glück meinen raschen Schritt begünstigen wollte; gleich im ersten Feldzuge wurde ich Unterofficier und in dem darauf folgenden, wo ich Gelegenheit hatte, bey einigen Vorfällen Muth und Gegenwart des Geistes zu zeigen, Officier. Hierzu kam noch, daß ich ein paarmal sehr reiche Beute machte, jedoch unter Umständen, die, ich darf es mit gutem Gewissen behaupten, meinem Herzen nicht zur Schande gereichten, denn ich haßte das Plündern und alle die Grausamkeiten, welche unsre Leute sich zuweilen erlaubten. Einst – es war im Winter, und wir hatten Ruhe von den Feinden – war ich mit dem Major von Hoym und dem Hauptmanne Faber nach einem Nonnenkloster geritten, welches eben keine strenge Clausur hatte, am wenigsten jetzt, im Kriege, wo man es so genau nicht nehmen durfte, sondern muntre Gesellschaft ganz gern sah und sich sogar gefallen ließ, zuweilen ein Tänzchen mit Officiers zu machen. Dort lernte ich ein Fräulein von Weißenbaum kennen, ein liebenswürdiges, edles Geschöpf, das der Eigennutz ihrer Familie, wider ihre Neigung, zu dem Klosterzwange verurtheilet hatte. Bey wiederholten Besuchen fühlten wir uns zu einander hingezogen, gestanden uns gegenseitige Liebe, und ohne uns, die wir Beyde kein Vermögen hatten, um die Zukunft zu bekümmern, verabredeten wir, daß ich sie entführen sollte. Mein Freund, der Hauptmann Faber, eine gute, dienstfertige, lustige Seele (Er lebt jetzt als Schloßhauptmann am Hofe des Fürsten von Nassau-Saarbrück) leistete mir, bey Ausführung dieses Plans, treue Dienste. Ich nahm meine Geliebte hinter mir auf mein Roß und brachte sie glücklich nach Fritzlar, wo uns niemand kannte und wo ein Geistlicher das Petschaft des priesterlichen Segens auf unsre Verbindung drückte. Acht Tage nach unsrer Hochzeit mußten wir marschieren und meine Frau folgte mir bey der Bagage der Armee nach Einbeck, wo wir den Rest des Winters zubrachten. Mein Herz schlug mir voll Verlangen, meine Vaterstadt wiederzusehn, da ich ihr jetzt so viel näher war; aber der Dienst litt es nicht. Das Frühjahr kam heran und wir zogen uns zurück nach Hessen; allein zu meinem Unglücke fiel meine liebe Frau in eine schwere Krankheit, und da sie sich noch obendrein im vierten Monate schwanger befand, war es durchaus unmöglich, sie fortzubringen.
In dieser Verlegenheit bat ich unsern commandirenden General um Erlaubniß, an meinen Bruder, der bey der feindlichen Armee war, schreiben zu dürfen. Die braunschweigischen Jäger standen nicht weit von uns; also hielt es nicht schwer, den Brief sicher in meines Bruders Hände zu liefern, der mir auch sogleich freundschaftlich antwortete. Ich bat ihn nämlich und beschwor ihn bey den Banden des Blutes, sich meines verlassenen Weibes anzunehmen, bis ich Anstalten zu ihrer Wieder-Vereinigung mit mir treffen könnte, und er versprach, alles zu thun, was in seinen Kräften stünde und sich von einem zärtlichen Bruder erwarten ließe. Auch hielt er Wort; Sobald die dortige Gegend wieder in den Händen der alliirten Armee war, eilte er nach Einbeck, besuchte meine kranke Gattinn, gab sich ihr zu erkennen, both ihr seine Hülfe an und empfahl sie, als er mit der Armee fortmußte, einem geschickten und redlichen Arzte, wollte auch Geld für sie dort lassen, dessen sie jedoch nicht bedurfte, weil ich sie damit versehn hatte.
Mein gutes Weib kränkelte noch fort, bis zur Zeit ihrer Entbindung, so daß man es nicht wagen durfte, sie von Einbeck wegzuführen. Endlich brachte sie einen Knaben zur Welt; allein das schwächliche Kind starb gleich nach seiner Geburt; die Mutter hingegen wurde durch die treue Sorgfalt ihres Arztes gerettet, erhielt nach und nach ihre Kräfte und endlich ihre völlige Gesundheit wieder. Sobald sie im Stande war zu reisen, dachte ich ernstlich darauf, sie zu mir kommen zu lassen. Es war im Jahre 1762; die französische Armee hielt sich nur mit Mühe noch in Hessen, und weil ich sie also bey mir nicht sicher glaubte, ließ ich sie nach Straßburg bringen, wohin auch ich, gleich nach dem bald darauf erfolgten Frieden, in ihre Arme eilte.
Allein der Frieden, welcher Trost und Ruhe in so manches Herz senkte, war für mich eine Quelle peinlicher Sorgen. Ich wurde reducirt; Das Wenige, was ich durch Beute gesammelt hatte, konnte nicht lange vorhalten, einen großen Theil davon hatte meine Frau schon in Einbeck zusetzen müssen; Was für traurige Aussichten hatte ich daher nicht für die Zukunft? Da indessen doch ein Entschluß gefaßt werden mußte, folgte ich dem Rath eines Freundes, zog nach Worms und legte dort eine kleine Schule an, in welcher wir, mein Weib und ich, Kindern von beyden Geschlechtern Unterricht im Schreiben, Rechnen und in weiblichen Arbeiten gaben.
Der Erwerb war kümmerlich, den uns dort unser treuer Fleiß verschaffte. Wer nicht die Gabe hat, durch Schleichwege und Unverschämtheit sich hervorzudrängen, der bedarf, um nicht zu verhungern, aller Orten, besonders aber in Reichsstädten, mächtiger Vorsprecher, wenn er fortkommen will, und mich kannte niemand in Worms. Die Häuser der Reichen waren uns verschlossen; nur in den niedern Classen fanden wir Eltern, die uns ihre Kinder anvertraueten, nicht aus Zuversicht zu unsrer Geschicklichkeit, sondern weil wir nicht so viel Geld bezahlt nahmen, wie Andre. Unser Umgang aber schränkte sich auf ein Paar Nachbar-Häuser ein, in welchen nicht weniger Armuth wie bey uns herrschte. Ich erinnere mich unter andern, daß uns zuweilen an Sonntagen eine Frau besuchte, deren Mann aus Verzweiflung sich dem Trunk ergeben hatte. Wenn nun das arme Weib zu uns kam, pflegte sie das Wenige, was sie noch an silbernen Löffeln und dergleichen übrig hatte, in die Tasche zu stecken, aus Furcht, daß ihr Mann es unterdessen versetzen, und das Geld im Wirthshause verzehren mögte.
Drey Jahre hindurch hielten wir es in Worms aus; dann hatte ich das Glück, durch einen sehr rechtschaffnen Kaufmann, einen gewissen Herrn Schuler, Empfehlung an den Grafen *** in *** zu erhalten, der eines Privat-Secretairs bedurfte. Mein Gesuch fand einige Schwierigkeit, weil er lieber einen unverheyratheten Mann angenommen hätte; doch erhielt ich die Stelle und erwarb mir bald das Zutraun meines guten Herrn.
Der Graf *** war in der That ein sehr edler Mann. Wenn es irgend einen Menschen auf der Welt giebt, der fähig ist, ohne allen Egoismus, ohne Eigennutz und ohne Eitelkeit, das Gute, bloß aus reiner Liebe zum Guten selbst, zu thun, so war er es gewiß. Man hielt ihn für hartherzig, rauh und geizig; aber wie wenig kannte man sein Herz! Seine jetzige Gemahlinn selbst (Er war zum zweytenmal verheyrathet) suchte ihn in den Ruf zu bringen, als wenn gar nicht mit ihm auszukommen wäre, als wenn er auch die unschuldigsten Freuden den Personen seiner Familie nicht gönnte, und über die geringsten Kleinigkeiten in Zorn geriethe und tobte. Die Wahrheit war, daß sie durch diese Vorwürfe ihn zwingen wollte, zu Schritten zu schweigen, zu welchen kein ehrliebender Mann schweigen darf; daß Alle, die ihn umgaben, seine beyspiellose Milde auf die unverantwortlichste Art mit Füßen traten; und wenn sie ihm lange genug das Maaß des Verdrusses voll gegeben hatten, ohne daß er murrte, sondern sich nur innerlich grämte, endlich aber, wenn sie noch ein Quentlein in das Gefäß warfen, die Wagschale seiner Geduld in die Höhe schnellte; dann schrie das Weib, dann hieß es: »mein Gott! über eine solche Kleinigkeit fährt der Mann auf; Man kann es ihm nie recht machen.« Und wenn alle seine Hausgenossen seine Nachsicht und die uneingeschränkte Freyheit, die er ihnen ließ, misbrauchten, und er sich dann betrogen, seine Ehre und seinen guten Namen auf dem Spiele stehn sah; dann gab er wohl etwas strengere Policey-Gesetze in seinem Hause, aber dann entstand auch allgemeines Murren über seine Härte; dann hieß es: eine solche Behandlung reize erst recht zu verbothnen Handlungen.
Eben so ungerecht wie die Beschuldigung der Härte war die des Geizes, welche man dem Grafen machte. Er hatte aber die Grille, durchaus nicht gestatten zu wollen, daß die Welt seine wohlthätigen Handlungen erführe und ihn desfalls lobte. Ich aber, der das Glück hatte, sein Vertraun zu gewinnen, bin Zeuge gewesen von so edeln, großmüthigen Thaten, die gewiß damals Keiner ahndete, die erst nach seinem Tode, durch seine hinterlassenen Briefe offenbar wurden; von schweren Aufopferungen die ihn manchen herben Kampf kosteten, den er aber in der Stille kämpfte. Ich habe gesehn, mit welcher Verleugnung er es zuweilen ertrug, wenn er gerade da am bittersten getadelt wurde, wo er am größten gehandelt hatte; wie er heimlich an der Wohlfarth Derer arbeitete, die ihn mehr als einmal bübisch geneckt, verfolgt und mit dem schwärzesten Undanke belohnt hatten; wie er nagenden, unverschuldeten Kummer und Leiden aller Art mit Geduld ertrug und nie auf Andre wälzte, immer in sich selbst Trost und Hülfe suchte. Wer ihn um Vorsprache oder Hülfe ansprach, den wies er mehrentheils und zuweilen mit Rauhigkeit zurück; mir aber und zwey andern Vertraueten trug er auf, Hülfsbedürftige aufzusuchen; und wenn er dann, durch Geld oder unermüdete Thätigkeit, das Gute gewürkt und den Unglücklichen gerettet hatte, dann wußte er das Verdienst der Handlung auf einen Dritten zu schieben, Diesen Dank und Ehre einerndten zu lassen. Glaubte ein Geholfner auf die Spur seines unbekannten Wohlthäters gekommen zu seyn, kam zu ihm und stammelte Dank; so fuhr ihm der Graf mit solchem Ungestüm an, daß er sich geirrt zu haben glaubte und das gute Wort bereuete, daß er an diesem unfreundlichen Manne verschwendet hatte.
Eine große Eigenschaft fehlte indessen dem Grafen, eine Eigenschaft, die allen seinen Tugenden hätte die Crone aufsetzen können, nämlich männliche Entschlossenheit und Festigkeit gegen Andre – ich sage: gegen Andre, denn wie strenge er gegen sich selber war, habe ich vorhin erwähnt. Er, den sein unwürdiges Weib als einen Starrkopf und Tyrannen abschilderte, war das Spielwerk eben dieses Weibes, ließ sich von ihr auf alle Weise hintergehn und bey der Nase führen. Machte sie mit ihrem Anhange es ihm gar zu bunt, so tobte er wohl nach seiner Art ein wenig; allein wenn dann die Heuchlerinn die unschuldige Gekränkte, von Gram Niedergebeugte spielte, glaubte er, sich übereilt zu haben und that und litt alles, sein vermeintliches Unrecht wieder gut zu machen. Der verstellten Reue wiederstand seine Weichherzigkeit nun vollends gar nicht; Derselbe Schelm konnte ihn zehnmal anführen und eine einzige anscheinend herzliche Bitte konnte ihn in den wichtigsten, überdachtesten Vorsätzen wanken machen.
Ich sah bald mit Wehmuth und Abscheu, welchen schändlichen Misbrauch die Gräfinn von dieser zu sanften Gemüthsart ihres Gemahls machte. Die ganze Stadt wußte, daß sie auf seinen Namen Schulden machte, und daß sie ein Liebes-Verständniß mit einem elenden Comödianten unterhielt – die ganze Stadt wußte das, sah das mit Verachtung; nur der Graf sah nichts, erfuhr nichts. Oft war ich in Versuchung, ihm die Augen zu öfnen; auch erwartete die Gräfinn, die wohl fühlte, welche Empfindungen mir ihre Aufführung einflößte, nichts anders von mir. Indessen, wenn ich bedachte, wie diese Entdeckung meinem armen Herrn das Herz brechen würde, so verschob ich's von einer Zeit zur andern; Die Vorsehung aber, die nie zugiebt, daß Schandthaten unentdeckt bleiben und die Bosheit triumphiere, brachte diese Händel, ohne meine Mitwürkung an's Licht. Der Graf kam einst unerwartet zu Hause, ertappte seine Gemahlinn an der Seite ihres niederträchtigen Buhlen und nun offenbarte sich das ganze Gewebe ihrer Abscheulichkeiten. – Aber ach! dieser Schlag war zu hart für meinen guten, gefühlvollen Herrn. Der Kummer warf ihn auf das Krankenbette; er litt nicht lange und verschied in meinen Armen.
Für mich war der Verlust dieses einzigen Wohlthäters eine erschreckliche Begebenheit. Die Gräfinn haßte mich, und wäre das auch nicht der Fall gewesen, so hätte sie mir doch kein Brod geben können. Sie selbst hatte die öconomischen Umstände ihres Gemahls in die größte Verwirrung gebracht. Ihre Schulden überstiegen das baare Vermögen, welches sie erben konnte; die Güter aber waren Lehn und fielen, da der Graf keine Kinder hinterließ, an den Landesherrn zurück. – Die äußerste Armuth war nun ihr Erbtheil, und in diesem Zustande, den sie sich selbst bereitet hat, schmachtet sie noch, von niemand bedauert und, um so mehr, da sie jetzt häßlich ist, von jedermann verlassen.
Ich war also ohne Brod, denn bereichert hatte ich mich nicht, obgleich es mir nicht an Gelegenheit gefehlt hätte, etwas zu gewinnen, wenn ich weniger gewissenhaft gewesen wäre. Es war im Winter, am Ende des Jahres 1769 und meine Frau, die in sieben Jahren keine Kinder gehabt hatte, war eben von einem gesunden kleinen Mädchen entbunden worden. – Die Aussichten waren trübe; aber Gott half. Meines verstorbenen Herrn Freunde, in denen das Zutraun, welches er mir bezeugt hatte, eine gute Meinung von mir erweckte, verschafften mir eine kleine Stelle bey der fürstlichen Canzelley. – Voll Hofnung und Zuversicht und mit heiterm Gemüthe arbeitete ich nun in meinem neuen Berufe, wurde nicht von drückenden Nahrungssorgen gepeinigt, genoß häusliche Freuden und war noch glücklich genug, auch gegen Andre wohlthätig handeln zu können, wie Du jetzt hören wirst.