Adolph Freiherrn Knigge
Die Reise nach Braunschweig
Adolph Freiherrn Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel

Fragment einer Predigt. Unvermuthete Zusammenkunft in Peina. Wie mag das zusammenhängen?

Der Ort, wo wir, als ein gewissenhafter Geschichtschreiber, den hoffnungsvollsten Jüngling leider! haben einsperren lassen müssen, ist freilich kein angenehmer Aufenthalt für ihn; allein da wir ihn doch nun vorerst noch nicht von da erlösen können, fühlen wir, so sehr wir uns auch für ihn interessiren, dennoch keinen Beruf, ihm dort Gesellschaft zu leisten, sondern kehren vielmehr nach Peina zurück, um zu sehn, was aus unsern andern beyden Freunden geworden ist.

Wir haben gehört, daß der Herr Pastor sich angelegen seyn ließ, die Lücke wieder auszufüllen, welche böse Buben in eine seiner schönsten Predigten gemacht hatten; der Förster Dornbusch warf sich indeß in einen alten Lehnsessel hin, streckte die Beine vorwärts, schlug die Arme in einander, schloß seine Augen, fieng an zu gähnen und schlief ein. Was können wir nun besseres thun, als daß wir, ohne Einen von Beyden zu stöhren, leise hinter Ehren Schottenii Stuhl treten und, was er zu Papier bringt, heimlich in unsre Schreibtafel eintragen? – – Hoho! meine Damen und Herrn! schweigen Sie ja still! Sie können froh seyn, daß ich Ihnen nicht alle sechs und funfzig Predigten als Beylage zu diesem Romane aufdringe. Sie kommen noch wohlfeil davon; und, die Wahrheit zu gestehn, es wäre für die Mehrsten von Ihnen überhaupt nützlicher, wenn Sie mehr Predigten und weniger Romane läsen. Schlimm genug, daß, wenn man Euch einmal wichtige Wahrheiten an das Herz legen will, man die bunte Jacke anziehn muß! Und dann mag man sich ja wohl in Acht nehmen, daß man bey ernsthaften Gegenständen nicht zu lange verweile, sonst blättert Ihr, statt zu lesen. Die Märchen und Possen sucht Ihr auf, und das, um dessentwillen das Buch geschrieben ist, überschlagt Ihr. »Ja! Ihro Gnaden lesen nur, um amüsirt zu seyn; von Dero Pflichten sind Sie vollkommen informirt.« – tant mieux! aber ich sehe doch noch keine Früchte davon. – Doch wir gerathen in Ärger und das schadet unsrer Gesundheit; also weiter in den Text!

 
Fragment einer Predigt über die Bewegungsgründe zur Tugend, welche aus eignem und fremdem Beyfalle hergenommen werden.

Die Tugend also blos um ihrer selbst willen zu lieben und auszuüben, ohne den geringsten Eigennutz, ja! mit schweren Aufopferungen, dazu gehört schon große Stärke der Seele. Aus bloßer Liebe zu Gott edel zu handeln, das setzt schon ein Herz voll Wärme für Religion voraus. Näher liegen dem sinnlichen Menschen die Bewegungsgründe, die aus dem Beyfalle der Menschen und den daraus zu erwartenden Folgen hergeleitet sind. So verstockt, so schamlos ist kein Bösewicht, so frech keine Verirrte, daß sie nicht wünschen sollten, entweder auf andre Menschen vortheilhafte Eindrücke zu machen, oder wenigstens sich selbst innerlich, wegen irgend einer vorzüglichen Eigenschaft, loben zu können. Sie erklären lieber die Tugend für ein Hirngespinst, als daß sie bekennen sollten, sie hätten nichts von dem, was sie an Andern schätzenswerth finden messen. Dürfen sie keinen Anspruch auf Zuneigung und Liebe machen, so überreden sie sich, andre Leute seyen eben so unfähig, wohlwollende Empfindungen zu hegen, als einzuflößen. Können sie sich nicht geachtet machen, so wollen sie wenigstens gefürchtet seyn. Und mislingt jeder Plan, irgend eine Art von Aufmerksamkeit und Theilnehmung zu erwecken, so mögten sie sich gern so sehr aber alle Menschen erhaben glauben, daß niemand als sie, Richter über ihre Handlungen seyn könnte. Dann schaffen sie sich Tugenden von eigner Erfindung; Ihre Schwächen selbst, ja ihre Laster, erheben sie zu diesem Range. Sie schmücken die Gegenstände, zu welchen ihre strafbaren Neigungen und Begierden sie hinziehen, mit den reizendsten Farben aus, um ihre Anhänglichkeit daran zu rechtfertigen, und suchen hingegen Vorzüge herabzuwürdigen, gegen welche sie ihre Augen verblendet haben. Wer aber so tief gefallen ist, daß fremder und eigner Beyfall ihm gar nichts mehr werth sind; der ist der schrecklichsten Verzweiflung nahe, für Den fleht vergebens sein guter Engel um Barmherzigkeit vom liebreichen Vater im Himmel.

Beyde aber, der innere Beyfall des Herzens und die Meinung andrer Menschen von unserm Werthe können die würksamsten Triebfedern zu Erlangung höherer Vollkommenheit werden; beyde können wohlthätig auf unsre Besserung würken, uns in jeder Art Tugend befestigen, zu jeder, auch noch so mühsamen Pflicht-Erfüllung ermuntern; Nur müssen Beyde zu gleichen Schritten gehn, keine dieser Rücksichten der andern aufgeopfert werden. Wer sich sclavisch abhängig von dem Urtheile des Volks macht, wird bald alle Eigenheit des Characters verliehren; »Stellet Euch nicht dieser Welt gleich,« ruft uns die göttliche Stimme zu, das heißt: folget nicht ohne Auswahl jedem guten und bösen Beyspiele. Wer, wenig bekümmert um den Beyfall seines Gewissens, in allem die herrschenden Sitten nachahmt, wird, um sich dem lasterhaften Haufen gefällig zu machen, auch die herrschenden Sünden annehmen; Er wird ein Schmeichler verderbter Größen, ein unsichrer Freund seyn, und nie die süße Wonne schmecken, welche das innere Bewußtseyn gewährt, ohne Menschenfurcht, grade und redlich, nach Pflicht und Gewissen gehandelt zu haben – – eine Wonne, ach! die allein ruhig machen und wahren Seelen-Frieden geben kann.

Eben so gefährlich aber ist es auch, ohne alle Rücksicht auf fremden Beyfall, keinen andern Richter, als sein eignes Ich, anzuerkennen. Das führt zu der gefährlichsten Sicherheit, zum Eigendünkel, zum Selbstbetruge. Da sehen wir dann uns selbst nur in dem Lichte, das die Leidenschaften auf unsre Handlungen werfen, und messen das Verdienst Andrer nach dem Maßstabe der Ähnlichkeit ab, die sie mit uns haben. Wir schaffen uns Grundsätze, die unsren Begierden schmeicheln, finden eine Entschuldigung für jede, auch von jedermann getadelte Handlung, wenn nur unser eingeschläfertes Gewissen ruhig dabey bleibt. Wir verachten alle Regeln des Anstandes und der Übereinkunft, die doch dem Menschen, welcher in der bürgerlichen Gesellschaft lebt, unverletzliche Pflichten auflegen. Wir opfern unserm Eigendünkel und unsrer Sinnlichkeit Ehrgefühl, Schaam, Dankbarkeit auf, und zerreißen alle Bande des Bluts und der Freundschaft. Der treue Rathgeber scheint uns ein beschwerlicher Schwätzer; der strenge Warner ein rauher, ungefälliger Mann. Wir fliehen ihn, verschließen ihm unser Herz und eilen in die Arme des Niederträchtigen, der unsre Leidenschaften schmeichelt. Jede Tugend scheint uns entbehrlich, wenn sie Aufopferung kostet, als wenn es eine Tugend ohne Aufopferung gäbe! Statt den Kampf gegen die Sinnlichkeit zu kämpfen, wo Ruhe und Seligkeit mit Herzens-Wunden erkauft werden messen, finden wir es bequemer, mit unserm Gewissen in Unterhandlungen zu treten; und der Vergleich ist bald geschlossen, wenn Kläger, Beklagter und Richter nur Eine Person sind.

O! wie manche gute Seele ist durch zu große Sicherheit gefallen. – Zu späte Reue, allgemeine Verachtung, Elend und Jammer sind dann – –

»Ho ho! was Teufel ist nun wieder los?« rief der Förster und sprang vom Stuhle auf, als ihn der Hausknecht, der ungestüm in die Thür trat, aus seinem Mittags-Schlafe weckte. »Ich wollte nur sagen,« antwortete der Hausknecht, »daß die Pferde nun gleich kommen werden. Die Mamsel und der Officier, die im Zimmer hier neben an logiren, wollen auch fort, sobald er nur wieder zurückkömmt.« – – »Was für eine Mamsell?« sprach der Pastor – – Wir wollen in des Hausknechts Namen antworten.

In der Nacht vom Sonnabende zum Sonntage kam in Peina im Posthause eine kleine Callesche an, in welcher ein österreichscher Officier mit einem schönen jungen Frauenzimmer saß. Auf die Frage: ob sie gleich weiter wollten, antworteten sie: nein! sie müßten vielmehr hier die Ankunft eines Fremden erwarten. Das Frauenzimmer legte sich zu Bette; der Officier wünschte ihr, mehr ehrerbiethig, als vertraulich, eine gute Nacht, und ließ sich eine andre Cammer anweisen. Am folgenden Tage (das heißt an eben dem, an welchem unsre Freunde das Mittagsmahl in Peina hielten) lief der Officier selbst und schickte auch einigemal vor das Thor hinaus, das nach Hannover führt. Daselbst liegt ein Wirthshaus, welches, wenn ich nicht irre, die Eulenburg heißt; Dort ließ er sich nach einem Fremden erkundigen und bitten, daß man es ihm sogleich melden mögte, wenn er angekommen seyn würde. Übrigens hielt sich das Pärchen sehr still in dem Zimmer des Posthauses, und schien dem Anblicke so vieler Fremden, welche an diesem Tage da einkehrten, auszuweichen. Endlich, als der Pastor Schottenius eben mit seiner Predigt beschäftigt war, kam ein Knabe aus der Eulenburg gelaufen und brachte dem Officier ein Briefchen. »O Gottlob!« rief der Officier und umarmte das Frauenzimmer, »Er ist da! Er ist da! Nun geht alles nach Wunsche. Ich will hin; Laß Dir die Zeit nicht lange währen, meine Meta! Wir werden uns so mancherley zu erzählen haben. Sobald ich mich aber losreißen kann, eile ich zurück, bringe ihn mit, oder hole Dich ab. Adieu, mein Engel!« – Und damit griff er nach Hut, Stock und Degen, und fort, die Treppe hinunter, zum Hause hinaus, nach der Eulenburg – Das war's, was der Hausknecht erzählte.

»Es ist angespannt«, sagte ein andrer Aufwärter, der in das Zimmer trat; der Pastor raffte seine Papiere zusammen, und der Förster fragte nach der Zeche. »Der Herr Amtmann«, sprach er, »hat mir aufgetragen, für ihn und seinen Sohn mitzubezahlen« – »Ich weiß es«, erwiederte der Aufwärter, »und auch für Ihren Herrn Vetter«. – »Was für ein Vetter?« – »Der Musicus!« – »Hole der Teufel, den Kerl! Ich kenne den verfluchten Dudelsack gar nicht«. – »Ey! er reist ja mit dem Herrn Amtmanne«. – Doch kurz! von dieser unbedeutenden Sache! der Förster, der nicht geizig war und viel Ehrgefühl besaß, zahlte – freylich nicht ohne Schimpfen und Fluchen; und nun wollten sie fort; allein als sie aus ihrem Zimmer traten, öfnete zufällig das Frauenzimmer eben auch die Thür des ihrigen. – – »Was, zum Teufel!«, schrie der Förster, »Grete! Du bist es? Da soll ja das Wetter hineinschlagen! Wo kömmst Du her?« – Und damit drang er in ihre Stube, schlug die Thür hinter sich zu, und ließ den Pastor verwundert draußen stehn.

Sehr laut und stürmisch gieng es nun in dem Zimmer her; Nur einzelne Worte konnte Ehren Schottenius Anfangs verstehn; Dann sagte der Förster: »Nur keine Speranzien gemacht! das sag' ich Dir; das hilft hier alles nichts; und mit den Ohnmachten wollen wir auch schon fertig werden. Kurz und gut! Du mußt gleich fort mit mir. Nach Goßlar will ich Dich zurückführen; Da magst Du Deine Sache ins Reine bringen, und habe ich Unrecht, so ist die Justitz da. Wollen doch sehn, ob ein unmündiges Mädchen mit einem Kerl davonlaufen darf. – Und ich rathe Dir, nur hier im Hause kein Aufsehn zu machen; Du hast nichts als den Schimpf davon, denn mit mußt Du; davor hilft nichts.« – Herr Dornbusch stürzte dann zum Zimmer hinaus, bat den Pastor, den Brief zu schreiben, den wir gelesen haben; Es wurde ein Bothe fortgeschickt, alles in größter Eil. – Jungfer Grete sehnte sich vergebens nach der Zurückkunft ihres Retters; Er kam nicht und sie mußte sich, gebadet in Thränen, die einen Stein hätten erweichen mögen, von ihrem grausamen Oheime in den Wagen heben lassen. – Fort nach Goßlar gieng die Reise.


 << zurück weiter >>