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Die Abentheuer des ersten Tages auf der Reise.
Die liebe Sonne hatte am Neunten des Augusts kaum den ersten Blick in das enge Thal geworfen, in welchem, an eine kleine Anhöhe gelehnt, das Dorf Biesterberg mit seinen schönen Amtsgebäuden, lag; die Hähne auf den Bauerhöfen weckten nun krähend ihre Damen aus dem Schlafe; der Schulmeister stand, im Camisol ohne Ermeln, unten im Thurm und zog gähnend die Betglocke; die Knechte schlichen schwerfällig aus den Ställen hervor und klopften die Lünzen an den Erndte-Wagen zurecht; die Hirten bliesen in ihr Horn und gaben durch Klatschen das Zeichen, worauf die Mägde, mit bloßen Beinen und mit aufgeraften Reisern in den Händen, das Vieh von den Höfen hinunter trieben – Da war schon im Amthause, auf dem Pfarrhofe und in des Försters Wohnung alles auf den Beinen. Des Herrn Amtmanns ehrwürdiger Reisewagen stand geschmiert und bepackt vor der Thür; der Gärtner Caspar bürstete an dem gelben geblümten Plüsche, womit er ausgeschlagen war, und die Haushälterinn steckte Butterbröde und eine gebratne Rehkeule in die Seiten-Tasche. Oben an dem Fenster des Eckzimmers stand der alte Herr, reisefertig angekleidet, in Stiefeln mit Stiefel-Manschetten, und umgürtet mit einem Hirschfänger; Musjö Valentin war unter den Händen seiner Mutter, die ihm die schwarze Halskrause umband, und die blaue mohrne Weste, welche zu enge geworden war, hinten aufschnitt. Er sah stattlich aus, der junge Herr, in seinem perlfarbnen Rocke; die Haare weiß eingepudert, hinten in einen langen dünnen Zopf gebunden. »Spann an, Conrad!« rief dann der Amtmann zum Fenster heraus seinem Kutscher zu, der schon in der grauen Livree mit grünem Kragen, worauf eine silberne Tresse prangte, um die Kutsche herumgieng. »Spann an! aber ich wette, an dem Pastor liegt es wieder; der wird zu lange geschlafen haben.« – Ungerechte Beschuldigung! Ehren Schottenius gieng schon seit länger als einer Stunde, vom Kopfe bis zu den Füßen schwarz und vollständig angekleidet, bis auf die Perücke nach, die er noch nicht gegen die weiße Nachtmütze vertauscht hatte, mit einer Pfeife Tabac vor seinem Hause auf und nieder; Vor seiner, in der That sehr demüthigen grünen halben Chaise, die mit einem Rücksitze versehn war, standen schon die vom Förster geschickten Nachbars-Pferde angespannt. Nun kam auch Dieser, nachdem er seinen Schnapps genommen hatte, herbey; die geistliche Perücke wurde aufgesetzt, der blaue Überrock angezogen; man gieng nach dem Amthause; das wackelnde Fuhrwerk folgte nach und rasselte auf dem Steinpflaster; alles im Dorfe kam an die Fenster. Im Amtshofe waren indessen die vier schwarzbraunen Wallachen angeschirrt worden. – Man nahm Abschied, stieg ein, »Nun fahrt zu, in Gottes Namen!« rief der Pastor; Man ließ ihn mit dem Förster in ihrem Fuhrwerke voraus; und so gieng es denn auf dem Wege nach Hildesheim fort.
Unter den Eigenschaften, durch welche man sich in dieser Welt beliebt und geachtet machen kann, behauptet die, ein angenehmer, muntrer Gesellschafter zu seyn, keinen geringen Platz; Sie wird sogar oft höher geschätzt, als manche ächte Tugend, oder ersetzt wenigstens den Mangel derselben. Nirgends aber ist man mit angenehmer Unterhaltung und muntrer Laune willkommner, als auf Reisen seinen Gefährten. Nun aber besaßen die vier Personen, welche wir so eben des Wegs nach Hildesheim zu spedirt haben, von jener geselligen Eigenschaft herzlich wenig; daher war denn auch die Unterhaltung in den anderthalb Kutschen so eintönig, daß ich mich außer Stand sehe, etwas daraus mitzutheilen, das den Leser interessieren könnte. Der Förster klagte darüber, daß die Taschen seines geistlichen Nachbars zu dick wären, und daß dies ihm den Raum beengte. Unrecht hatte er nicht; denn in der linken Überrocks-Tasche war von der Frau Pastorinn die mitzunehmende reine Wäsche auf einige Tage gesteckt worden, und in der andern wohnte das Manuskript der bewußten Predigten. Der Förster ruhete daher nicht eher, als bis die Taschen ausgeleert und die darinn beherbergten Sachen in den Sitz-Kasten gelegt waren. Hierauf setzte er sich in eine Lage, die wenigstens für ihn bequemer, als für seinen Nachbar war (aber er bezahlte ja auch für Diesen) und fieng dann an, den einschläfernden Würkungen des genossenen Schnapses nachzugeben, wobey er, so oft der Wagen einen Stoß bekam, mit seinem sinkenden Haupte in die Perücke des geduldigen Pastors gerieth, der dies Ungemach, bey dem Genusse eines Pfeifchens und allerley Meditationen, ohne Murren ertrug. In den zweyten Wagen las der Herr Amtmann seinem Sohne Collegia über den Zustand der Felder, durch welche sie fuhren, wußte alle Dörfer mit Namen zu nennen, von welchen man in einiger Entfernung die Thurmspitzen wahrnahm; und Musjö Valentin, der indeß die Witterung von den Butterbröden und dem Braten bekommen hatte, zog sein Taschenmesser hervor, fieng an, sich vorzulegen, und antwortete seinem Vater nur eintönig und mit vollen Backen.
So gieng die Zeit hin, bis gegen Mittag, da die Gesellschaft in ein Dorf, eine Meile von Hildesheim kam, wo man dann Anstalt machte, Pferde und Menschen mit einem ordentlichen Futter zu versehn, weil man da wohlfeiler zu zehren hoffte, als in der bischöflichen Residenz. Man fragte die Wirthinn, was sie auf den Tisch liefern könnte und bekam Anweisung auf eine Bier-Suppe und ein großes Stück frisch gekochtes Pöckel-Fleisch; Der Herr Amtmann aber vergrößerte diesen Küchenzettel durch Bestellung eines dicken Pfannekuchens. Indeß nun zu diesem letztern Anstalt gemacht wurde, worüber wohl eine Stunde verstrich, weil die Pfanne nicht sogleich zu finden war, indem der Knecht dieselbe gebraucht hatte, um darinn einen warmen Umschlag für eines der Pferde zu bereiten, entstand in der Schlafkammer des Wirths ein fürchterlicher Lerm und Zank. Der Herr Pastor glaubte Beruf zu haben, zu versuchen, ob er hier nicht das Amt eines Friedensstifters übernehmen könnte, und gieng in das Zimmer. Er fand den Hausherrn äußerst ergrimmt über sein Eheweib, welches, um das geräucherte Rindfleisch, das den angekommenen Gästen vorgesetzt werden sollte, warm zu halten, ihres Mannes ledernes Beinkleid darüber gedeckt hatte. Er hatte es eben anziehn wollen und nun fand er es ausgespannt und rauchend.
Man kann sich leicht vorstellen, daß alle diese Zubereitungen zu dem bestellten Gastmahle unsern Reisenden nicht viel Apetit erweckten. Sobald daher die Rosse gefüttert waren, ließ man wieder anspannen, und die Gesellschaft fuhr fort nach Hildesheim, wo sie in dem berühmten Gasthofe des Herrn Lauenstein abtrat, den sie im Schlafrocke, eine Pfeife in der Hand und eine graue Mütze auf dem Haupte, im Vorplatze spazierend antrafen. Da man noch zeitig genug zu dem auf folgenden Nachmittag angekündigten großen aerostatischen Schauspiele in Braunschweig seyn konnte, wenn man Sonntags früh aus Hildesheim fuhr, und das Mittags-Essen in Peina einnahm; so beschloß man, bis zum andern Morgen in jener merkwürdigen Stadt zu verziehn; Die Pferde wurden zurückgeschickt, weil sie in der Erndte nöthig waren, und man bestellte sich Postpferde.
Ein teutscher Original-Roman und ein teutsches Original-Schauspiel sind sehr geschmacklos, wenn nicht darinn von Mahlzeiten die Rede ist, und je weniger oft der Autor selbst zu verzehren hat, desto herrlicher läßt er die Personen seiner Schöpfung speisen und tränken. Ich hoffe daher, meine Leser werden mir's nicht ungnädig aufnehmen, daß ich mit unter sehr viel von den Magen-Angelegenheiten meiner Reisenden rede. Wir wollen ihnen nun noch in Hildesheim etwas Gebacknes zum Caffee reichen lassen, um sie für die schlechte Mittags-Tafel zu entschädigen, und dann mögen sie es aushalten, bis zum Abende, und sich unterdessen ein wenig in der Stadt umsehn. Würklich thaten sie das, giengen in den Dom, und von da in andere Kirchen und Klöster, begafften die Häuser, die ihrer Meinung nach schön gebauet waren, deuteten mit den Fingern auf alles, was ihnen merkwürdig vorkam, zogen vor jedem wohl gekleideten Manne die Hüte ab, und blieben voll Verwunderung stehn und sahen hintendrein, wenn ihnen ein schmutziger Capuziner oder ein andrer Mönch begegnete.
Ermüdet von dem ungewohnten städtischen Steinpflaster, kehrten sie zurück in das Wirthshaus, und traten in das allgemeine Gastzimmer, dessen Fenster nach dem Hofe hinausgehen. Der Herr Amtmann forderte eine Bouteille Bier und Pfeifen; aber kaum hatten sie die Thür geöfnet, als ihnen ein so fürchterlicher Lerm entgegen tobte, daß sie zurückprallten, und gar nicht den Muth gehabt haben würden, einzutreten, wenn ihnen nicht ein Mann mit einer Baßstimme zugerufen hätte: »Nur näher Messiöß! es ist halt eine kleine Probe; Wenn Sie beywohnen wollen, viel Ehre! Sie mögen unser Publicum vorstellen; Setzen Sie Sich da hinter den Tisch!« Der Mann war ein kleiner, dicker Knirps von etwa funfzig Jahren, dunkelbraunen Angesichts, mit rollenden, etwas roth gefütterten Augen und ganz dünnen schwarzen Haaren. Er trug einen hellgrünen Rock, jetzt zum Frack eingerichtet, doch also, daß man noch an den verschiednen Nuancen der Farbe sehn konnte, wie er sich schon oft nach den Launen der Mode hatte hudeln lassen müssen, und wie er zuweilen mit langen, zuweilen mit kurzen Schößen, dann mit großen, und dann wieder mit kleinen Aufschlägen war versehn worden. Jetzt war er mit etwas geziert, das man einst am Hofe des Herzogs von Würtenberg und nachher, so oft es auf andern Kleidern gesessen, eine aufgeheftete Stickerey, tour appliquée genannt hatte. Unsre Gäste waren durch das Geräusch, welches in dem Zimmer herrschte, worinn sich, außer dem kleinen Herrn, noch viel Personen beyderley Geschlechts befanden, und durch einen fremden Anblick so betäubt, daß sie sich nur gleich auf die, ihnen angewiesenen Plätze hinsetzten, da dann der Dialog unter allen gegenwärtigen Menschen folgendermaßen fortgieng.
Ein ziemlich altes Frauenzimmer: »Ein Verbrechen! und mein Gewissen schweigt? und befiehlt mir zu beharren? Was ist ein Staatsverbrechen?«
Der alte Herr: »Wenn Du ›mein Gewissen‹ sagst, mußt Du den Zeigefinger auf die Herzgrube legen, aber nicht zu tief, sonst zeigt es den Magen an. Ich weiß nicht, Ihr Leute habt noch immer keinen Begriff von ächter Gesticulation. Nun wird geläutet; Wer läutet?«
Ein junger Mensch: »Ich!« (Er nimt ein Bierglas vom Tische und schlägt mit der Tobacspfeife daran)
Ein Andrer: »Was läutet man?«
Die Frau: »Es ist Mittag.«
Der Förster: (vor sich) »Es mag den Teufel seyn! Es ist meiner Six! bald sieben Uhr.«
Der Andre: »Diese Glocke läutet Euch kein gutes Zeichen.«
Die Frau: (ängstlich) »Ich ahnde es; ich weiß es; mir wird so bange – Albrecht.«
Der dicke Herr: »Lauter, lauter!«
Die Frau: (brüllt) »Albrecht! und Du verließest mich!«
Der dicke Herr: »Bravo.«
Musjö Valentin: (leise) »Papa! die Menschen sind toll; Lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen!«
Der Amtmann: (leise) »Herr Pastor! was bedeutet das?«
Der Pastor: (leise zum Amtmanne) »Ich glaube, es sind Mimi, Histriones, Commödianten-Volk.«
Der Andre: »Entschließet Euch!«.
Die Frau: »Ich bin ja entschlossen; hab's Euch ja oft gesagt, hab nie gewankt.«
Der dicke Herr: »Nun kömmt der neunte Auftritt.«
Ein Dritter: (tritt hervor) »Es ist Zeit!«
Der Andre: »Hört Ihr's?«
Die Frau: »Gott, was soll mir geschehn? – Wo ist Zenger? – o Albrecht!«
Der Dritte: »Soll ich!«
Der Andre: »Ja!«
Ein Vierter: (kömt hinter dem Ofen hervor) »Herr Canzler! wißt Ihr, wie Schurken und Verräthern mitgefahren wird?«
Valentin: (leise) »Papa! Sie schimpfen.«
Der Andre: »Wozu diese Frage?«
Der Vierte: »Weil Ihr's an Euch selbst bald erfahren sollt. Folgt mir, gnädige Frau!«
Der Amtmann: (leise) »Es ist Eine von der Noblesse.«
Der dicke Herr: (rüttelt den auf dem Schenktische stehenden Messer-Korb und trommelt auf dem Tische) »Das war das Waffengetöse und Trommeln; Nun spricht Tuchsenhauser.«
Der Andre: »Verwegner! Agnes soll da bleiben, auf des Herzogs Befehl.«
Der Amtmann: »Excusiren Sie; hier hat niemand zu befehlen, als der Fürst Bischoff.«
Der Vierte: (zieht ein Messer hervor) »Verräther! das gilt mehr, als Dein Herzog.« (Will die Frau fortreißen)
Der dicke Herr: »Bravo!« (Er giebt ein Zeichen, durch Klopfen an der Thür; Mit einmal stürzen der Hausknecht, ein Taglöhner und noch einige Andre, mit Knütteln bewafnet herein. Es kommt zum Kampfe)
Der Förster: (der, als ein reitender Förster, nie anders, als mit Stiefeln und Sporen und bewafnet mit einer Peitsche erschien) »Nein! das ist zu arg. Willst loslassen, Du Sackermenter! Ist das erlaubt, über ein Weibsmensch herzufallen.«
Und nun fuhr der Förster hinter dem Tische hervor und – Freylich konnte der gute Mann, der in seinem Leben kein ordentliches Schauspiel gesehn hatte, nicht wohl wissen, daß, was er da hörte, eine Stelle aus dem großen Original-Trauerspiele Agnes Bernauer (oder unteutsch zu reden: Bernauerinn) war. Der reisende Schauspiel-Director, Herr Stenge, war nämlich mit seiner zusammengeraften Gesellschaft Tages zuvor in Hildesheim angekommen, woselbst er die Erlaubniß erhalten hatte, zum Besten der Moralität und zur Beförderung des guten Geschmacks, so lange Vorstellungen von unsern National-Meisterstücken zu geben, bis die ehrlichen Bürger und Handwerksleute nichts Mehr zu versetzen haben würden, um vierzehn Vagabonden zu füttern. Bessere Schauspieler-Gesellschaften hatten ihr Auskommen in Hildesheim nicht gefunden; und so war denn doch zu hoffen, daß Mädchen und Jünglinge in romanhafter, schwärmerischer Stimmung und den Künsten der edlen Buhlerey wenigstens nicht ganz hinter der Jugend andrer Städte zurückbleiben würden. Des Herrn Stenge sogenannnte Schauspieler-Gesellschaft hatte übrigens noch das eigne Verdienst, daß sie eine wahre Mustercharte von allen teutschen Provinzial-Dialecten war; doch führten die mehrsten Mitglieder die sanfte bayerische Mundart. Da das Brauhaus, worinn der Schauplatz errichtet werden sollte, noch nicht in Ordnung war, und man am Montage das eben genannte Trauerspiel mit allem Pomp geben wollte, hatte der Directeur, welcher mit seiner leider! schon ein wenig bejahrten Frau Liebsten in dem Gasthofe des Herrn Lauenstein sein Quartier genommen hatte, einen Theil seiner Gesellschaft zu sich bestellt, um einige Scenen aus dem vierten Acte zu probiren. Es war nicht möglich, alles so vollkommen und täuschend darzustellen, als es am Montage auf der Bühne erscheinen sollte; denn da waren die edle Schuster- und die Schneider-Zunft und einige Perückenmacher eingeladen worden, die Personen des Magistrats von Straubingen, der Fürsten und Ritter auf dem Thurniere, der Richter, Knechte, Wachen u. d. gl. vorzustellen, welche Rollen sonst in Berlin und andern Städten wohl mit Musketiers besetzt zu werden pflegen. Heute hatte man den Hausknecht und ein Paar andre Lümmel, die grade im Hause waren, abgerichtet, auf ein zu gebendes Zeichen in das Zimmer zu stürzen, wenn Tore mit den Kriegsknechten erscheinen mußte. Dem Förster war das Ding zu bunt; Er verstand es nicht, worüber der Streit herkam; als man aber über die ältliche Dame, welche Agnes vorstellte, herfiel, hielt er's für Pflicht, der schwächern Parthey beyzustehn. – Also fuhr er, wie wir schon gesagt haben, hinter dem Tische hervor und arbeitete mit seiner Peitsche auf die Kriegsknechte los. Der dicke Herr Stenge hielt den Mann im grünen Rocke, für einen Spaßvogel, der den Kampf täuschender darzustellen suchte, und rief einmal über das andre aus: »bravo! bravo!« Aber nicht also der Hausknecht und Consorten. Man hatte ihnen, als man sie zu dieser Vorstellung instruirte, nicht gesagt, daß sie ernstlich Schläge bekommen sollten. Da die Sache nun diese Wendung nahm, gefiel ihnen das sehr übel; und weil doch jeder sich gern seiner Haut wehrt, wenn er kann; so blieben sie unserm armen Dornbusch nichts schuldig. Wenn es aber nach dem vortreflichen alten Spruche, ein Trost ist, Gefährten im Unglücke zu haben; so wurde dieser Trost auch dem Förster zu Theil; denn als die Kriegsknechte glaubten, der Grünrock gehöre mit zu der Parthey Derer, welche sie anzugreifen befehligt waren, und er die Sache so ernstlich behandelte; meinten sie auch ein Recht zu haben, sich wegen der empfangnen Hiebe an den übrigen zu rächen. In Kurzem war daher die ganze Gesellschaft in zwey Partheyen getheilt: hier tummelten sich zwey auf der Erde herum; dort hatte sich ein Paar in die Haare gefaßt; Agnes Bernauer vergaß die Ohnmacht, die in ihrer Rolle stand und schrie laut; ihr Gatte, der Principal, versuchte es, die Kämpfer aus einander zu reißen, indeß der Pastor, der Amtmann und sein Sohn kläglich und ängstlich um Hülfe riefen. Endlich hörte Herr Lauenstein, der Wirth, daß der Lerm größer war, als zu einer bloßen Probe unumgänglich nöthig schien. Er kam also mit seinen übrigen Hausgenossen herbey. Es wurde ein Waffen-Stillstand gemacht; dann kam es zu Erläuterungen; der Principal versicherte: er freue sich, bey dieser Gelegenheit die Bekanntschaft des Herrn Försters Dornbusch und seiner Gefährten gemacht zu haben, und Dieser schloß mit der Sentenz: »Der Teufel hole solche Commödien!«
Indessen versäumte Herr Stenge nichts, sobald die übrigen Schauspieler, die nicht in demselben Hause wohnten, fort waren, die gute Meinung der Männer aus Biesterberg vor sich zu gewinnen. Er konnte gar nicht aufhören, seine Betrübniß über das unangenehme Misverständniß zu erkennen zu geben; Er kramte dabey so viel herrliche, aus Dramen und Trauerspielen zusammengeflickte Grundsätze aus, sprach so eifrig von den Anstalten, die er getroffen hätte, um unter den Mitgliedern seiner Gesellschaft die strengste Sittlichkeit zu erhalten, und von seinen Beeiferungen, durch gute Auswahl der aufzuführenden Stücke, Wärme für Tugend und Religion zu verbreiten, daß selbst Ehren Schottenius sich geneigt fühlte, den Herrn Stenge und die Frau Gemahlinn für sehr vortrefliche Personen zu halten. An der Abend-Tafel, bey welcher der Herr Amtmann Waumann unter andern ein Paar mitgenommne Flaschen voll alten Franzweins producirte, der im vorigen Jahre in Bremen war componirt worden, öfneten sich nun vollends die Gemüther; und als unsre Reisenden, nicht gewöhnt, länger als bis zehn Uhr außer Bette zu bleiben, in die ihnen angewiesenen Zimmer giengen, indeß Herr Stenge noch unten blieb, schieden sie Alle mit Händeschütteln und viel verbindlichen Äußerungen aus einander.