Adolph Freiherrn Knigge
Die Reise nach Braunschweig
Adolph Freiherrn Knigge

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Drittes Capitel

Der zweyte Tag fängt mit einem neuen Sturme an. Fortsetzung der Reise bis Peina.

Es war vier Uhr des Morgens, und noch lag in der bischöflichen Residenz alles, Mann, Weib und Kind, in tiefer Stille versunken; die gnädigen und hochwürdigen Domherrn ruheten aus in den Armen des Schlafs von erhabnen Meditationen und sammelten neue Stärke zu – ihrem Leben, voll frommer Aufopferung; Mönch und Nonne, versteht sich, jede einzeln, weideten ihren, aus dem ertödteten Fleische zum Himmel emporstrebenden Geist in den seligen Gefilden des Paradieses, und der ehrliche Bürgersmann schlief sanft, um Kräfte zu sammeln, zu seinen, nicht so einträglichen, aber doch nicht minder nützlichen Geschäften. – Da quälte den Amtmann Waumann ein fürchterlicher Traum, wie er noch keinen je geträumt hatte. Wir, der Autor, könnten diesen Traum des Breitern hier erzählen und füglich einen halben Bogen damit anfüllen – sind doch schon manche Bände in allen Formaten geschrieben, die nichts als Träume enthalten! – allein diesmal wollen wir uns begnügen zu sagen, daß dieses Traums Haupt-Gegenstand der einzige Waumannsche Leibes-Erbe, unser liebenswürdiger Valentin war, und zwar in dem Augenblicke der größten Gefahr, darinn eine fromme Christen-Seele nur schweben kann, nämlich in den Klauen des leidigen Satanas und seiner Großmutter. Es dünkte den Amtmann, das Winseln seines Eingebohrnen abwechselnd mit dem Gebrülle des höllischen Schwefelpfuhl-Principals zu vernehmen. Geschworen hätte er darauf, daß es kein bloßer Traum wäre, der vor seiner Phantasie schwebte – und nichts glich seinem Schrecken, als er sich nun wirklich gänzlich erwacht fühlte, den geliebten Sohn nicht mehr neben sich im Bette sah, wo er doch des Abends zuvor seinen Platz genommen hatte, sondern als die valentinschen Klagetöne in einiger Entfernung vernehmlich und unverkennbar zu seinen Ohren drangen: »Papa! Papa! ach! sie knebeln mich; sie thun mir den Tod an.« Der Amtmann sprang sogleich von seinem Lager auf, fuhr schnell in seine Beinkleider, ergriff den zweyschneidigen Hirschfänger und riß die Thür auf, durch welche seines Erben Geschrey gedrungen war.

Um die Leser, deren Ungeduld, wie wir, der Autor, das gar nicht anders vermuthen dürfen, auf's höchste gespannt seyn wird, nicht länger aufzuhalten, wollen wir den ganzen traurigen Vorgang erzählen, der diese Scene des Schreckens veranlaßte. In des hochgeehrten Herrn Lauenstein Gasthofe kömmt man, vermittelst einer kleinen Treppe, die, vermuthlich aus Mangel des gehörigen Lichts, ein wenig dunkel ist, zu einem, mit einem Alcoven versehenen Zimmer. Über demselben ist ein Appartement von ähnlicher Art, zu welchem man vermöge der Fortsetzung jener Treppe gelangt. Die übrigen Fremden-Zimmer liegen nach andern Seiten des Hauses hin, und in diese entlegne Wohnungen hatte man den Prediger und den Förster einquartiert. Der Theater-Principal war nebst Gattinn, wie bekannt, früher angekommen und hatte daher Besitz von dem untersten jener Alcoven-Zimmer genommen; dem Amtmanne und seinem Sohne hingegen war das im obersten Stockwerke angewiesen worden. Wir haben erzählt, daß die Gesellschaft aus Biesterberg Abends früher als die Priester der Thalia zu Bette giengen. Herr Stenge liebte, wie das zuweilen der Fall bey solchen Künstlern ist, die starken, begeisternden Getränke, und da sein Schutz-Patron, sanctus Apollo, ihm keinen Nectar lieferte, pflegte er sich bescheiden mit Kümmel-Aquavit oder dergleichen zu behelfen. Des Amtmanns alter Franzwein hatte seinen Durst vermehrt; Er ließ sich also noch Brandtewein vom Wirthe geben, schickte seine Frau zu Bette, nahm seine Rolle als Kaiser Ernst in Agnes Bernauer vor sich, fieng an trinkend zu studieren und studierend zu trinken; Nach und nach wurde sein kaiserliches Haupt schwerer; Ein kleines Geschäft, dem sich Monarchen und Bauern zu gewissen Zeiten nicht entziehn können, rief ihn in den Hof; Er taumelte irrend herum, gerieth endlich in einen leer stehenden Pferdestall, stolperte, fiel auf das Stroh hin – der Genius des Hauses Bayern wachte über ihn; er schlief sanft ein, sanfter, als sonst wohl Kaiser und Könige schlafen. – Moral: Man kann wohl je zuweilen auf Stroh sanfter, wie auf Eider-Daunen ruhn.

Unterdessen hatten die Zauberkräfte der ungewohnten Stadt-Küche eine sonderbare Umwälzung (Revolution) in den Verdauungs-Werkzeugen des Musjö Valentin Waumann bewürkt; Er konnte nicht einschlafen vor Kneipen und Reißen – Wie, wenn der Professor Aloisius Hoffmann in Wien nach unweisem Genusse der gewürzten Speisen der Aufklärung, seinen, an Wasser-Suppen, Fastenspeisen und Klosterkost gewöhnten Magen in dem unsaubern heimlichen Gemache der Wiener Zeitschrift zu entladen sucht, so sehnte sich unser liebenswürdiger Jüngling nach einer ähnlichen Anstalt für seine Bedürfnisse. Er schlich weg von der Seite seines fest schlafenden Erzeugers, irrte im Hause umher, fand endlich das quasi hoffmannsche Institut, und kehrte, doch nicht verachtet und verspottet wie der Professor, nach seiner Schlafstelle zurück. Allein unglücklicherweise gerieth er in das untre Zimmer, und weil dies vollkommen wie das obre eingerichtet war, wurde ihm sein Irrthum nicht merklich, sondern er gieng dem Alcoven zu, legte sich behende neben – Madam Stenge hin, und schlief ein.

Also schlief er; die Dame schlief; der Herr Amtmann schlief; der Theater-Fürst schlief; folglich wurde bis zu der Morgenstunde niemand der Verwechselung gewahr. Dann aber waren die Dünste des gestrigen Rausches bey dem Herrn Stenge verflogen; Er erhob sich von seinem Lager, erstieg sein Zimmer und fand – was wir wissen.

Als der Amtmann den Schauplatz der Gewaltthätigkeit erreichte, hatte eben der Principal den einzigen waumannschen Erben mit einer Hand an der Gurgel ergriffen, indem er ihm mit der andern ein Taschen-Pistol auf die Brust hielt und dabey fürchterlich declamirte: »Räuber, Ehrenschänder!« rief er aus, »Du sollst mir den Frevel theuer bezahlen. Und Du, unkeusches Weib! die Du mein Ehebette befleckest; hast Du vergessen, daß Dein Leben mein Werk ist, daß ich Dir alles aufopferte, daß ich hasse, wie ich liebe?Eine Stelle aus dem Duodrama Medea. Was hindert mich, daß ich jeden Eurer Othemzüge in banges Seufzen, Euer verliebtes Girren in Heulen und Zähnklappern verwandle.« »Hat sich was zu klappern«, rief der Förster, der indeß, wie alles, was sonst noch im Hause lebte und webte, herbeygekommen war. »Hat sich was zu klappern! das alte Mensch hat ja keinen Zahn mehr im Rachen. Und nun sage mir gleich, Du vermaledeyter Pritschmeister! was Dir der junge Mensch da gethan hat! Oder ist das wieder einer von Deinen Commödien-Späßen, wobey ehrliche Leute Schläge kriegen? Ich rathe Dir's, bleib uns mit Deinem Hocuspocus vom Leibe, oder Du sollst sehn, daß der Förster Dornbusch auch Commödie spielen kann.«

Weit entfernt, sich durch diese Drohungen schrecken zu lassen, erhob vielmehr Herr Stenge nur noch lauter seine Principal-Stimme. Von der andern Seite trat seine Eheliebste mit den heiligsten Betheurungen ihrer Unschuld hervor. – Ein Gegenstand, den sie in dreißig Jahren nicht Gelegenheit zu vertheidigen gefunden hatte! Sie schwor bey den Lichtern des Firmaments, sie habe fest geschlafen und gar nicht geahndet, daß ein Verführer den Platz ihres Mannes bey ihr eingenommen hätte. »Wodurch, schändlicher Bösewicht«, schrie sie, »habe ich Deine Frechheit ermuntert, daß Du einen so höllischen Anschlag auf meine Tugend wagen durftest?« – »Darum also«, fiel ihr wieder Herr Stenge in die Rede, »habt ihr mich mit Euren betäubenden Getränken in einen Zustand versetzt, in welchem ich meiner Sinne nicht mächtig war?« – Kurz! Beyde spielten ihre Rollen so gut und der dicke Herr war ein zu alter Practicus, als daß er nicht auf den ersten Blick hätte wahrnehmen sollen, was für Vortheil sich aus dieser Verwirrung ziehn ließ. Der Amtmann und seine Gefährten standen in der That wie bezaubert da und wußten nicht, was sie anfangen sollten. Alles sprach gegen Musjö Valentin; das Factum war nicht zu leugnen; das Ehepaar drohete mit gerichtlicher Klage; der Wirth glaubte gleichfalls sein Haus beschimpft. – Welch ein Aufsehn, wenn Herr Stenge die Gesellschaft in Verhaft nehmen ließ! Freylich würde sich die Sache vor Gericht aufgeklärt haben; aber der Schimpf. – Und die Kutschen standen schon bespannt vor der Thür; Es war keine Zeit zu verliehren, wenn man des Herrn Blanchards Himmelfarth sehn wollte. – Was sollte man also thun!

Von der ganzen Gesellschaft war unstreitig der Pastor Schottenius der Vernünftigste. Er merkte bald, daß dem Übel durch einen Aderlaß, den der Herr Amtmann seinem Geldbeutel verordnen würde, abgeholfen werden konnte. Es bedurfte nicht viel Feinheit, um die Gauner-Familie zu bewegen, hierzu die Hände zu biethen. Mit einer Anweisung auf dreißig Reichsthaler, die Herr Lauenstein, welcher den Beamten kannte, bezahlte, wurde die Sache ins Reine gebracht; unsre Freunde reisten ab, verschworen sich, ihr Lebenlang an Hildesheim zu denken, und kamen bald ohne weitern Unfall in Peina an.


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