Heinrich von Kleist
Prinz Friedrich von Homburg
Heinrich von Kleist

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Vierter Akt

Szene: Zimmer des Kurfürsten.

Erster Auftritt

Der Kurfürst steht mit Papieren an einem, mit Lichtern besetzten Tisch. – Natalie tritt durch die mittlere Tür auf und läßt sich in einiger Entfernung, vor ihm nieder.
Pause.

Natalie (knieend).
Mein edler Oheim, Friedrich von der Mark!

Der Kurfürst (legt die Papiere weg).
Natalie! (Er will sie erheben.)

Natalie.         Laß, laß!

Der Kurfürst.               Was willst du, Liebe?

Natalie.
Zu deiner Füße Staub, wies mir gebührt,
Für Vetter Homburg dich um Gnade flehn!
Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –
Mein Herz begehrt sein und gesteht es dir;
Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –
Mag er sich welchem Weib er will vermählen;
Ich will nur, daß er da sei, lieber Onkel,
Für sich, selbständig, frei und unabhängig,
Wie eine Blume, die mir wohlgefällt:
Dies fleh ich dich, mein höchster Herr und Freund,
Und weiß, solch Flehen wirst du mir erhören.

Der Kurfürst (erhebt sie).
Mein Töchterchen! Was für ein Wort entfiel dir?
– Weißt du, was Vetter Homburg jüngst verbrach?

Natalie.
O lieber Onkel!

Der Kurfürst.           Nun? Verbrach er nichts?

Natalie.
O dieser Fehltritt, blond mit blauen Augen,
Den, eh er noch gestammelt hat: ich bitte!
Verzeihung schon vom Boden heben sollte:
Den wirst du nicht mit Füßen von dir weisen!
Den drückst du um die Mutter schon ans Herz,
Die ihn gebar, und rufst: komm, weine nicht;
Du bist so wert mir, wie die Treue selbst!
Wars Eifer nicht, im Augenblick des Treffens,
Für deines Namens Ruhm, der ihn verführt,
Die Schranke des Gesetzes zu durchbrechen:
Und ach! die Schranke jugendlich durchbrochen,
Trat er dem Lindwurm männlich nicht aufs Haupt?
Erst, weil er siegt', ihn kränzen, dann enthaupten,
Das fordert die Geschichte nicht von dir;
Das wäre so erhaben, lieber Onkel,
Daß man es fast unmenschlich nennen könnte:
Und Gott schuf noch nichts Milderes, als dich.

Der Kurfürst.
Mein süßes Kind! Sieh! Wär ich ein Tyrann,
Dein Wort, das fühl ich lebhaft, hätte mir
Das Herz schon in der erznen Brust geschmerzt.
Dich aber frag ich selbst: darf ich den Spruch
Den das Gericht gefällt, wohl unterdrücken? –
Was würde wohl davon die Folge sein?

Natalie.
Für wen? Für dich?

Der Kurfürst.                 Für mich; nein! – Was? Für mich!
Kennst du nichts Höhres, Jungfrau, als nur mich?
Ist dir ein Heiligtum ganz unbekannt,
Das in dem Lager, Vaterland sich nennt?

Natalie.
O Herr! Was sorgst du doch? Dies Vaterland!
Das wird, um dieser Regung deiner Gnade,
Nicht gleich, zerschellt in Trümmern, untergehn.
Vielmehr, was du, im Lager auferzogen,
Unordnung nennst, die Tat, den Spruch der Richter,
In diesem Fall, willkürlich zu zerreißen,
Erscheint mir als die schönste Ordnung erst:
Das Kriegsgesetz, das weiß ich wohl, soll herrschen,
Jedoch die lieblichen Gefühle auch.
Das Vaterland, das du uns gründetest,
Steht, eine feste Burg, mein edler Ohm:
Das wird ganz andre Stürme noch ertragen,
Fürwahr, als diesen unberufnen Sieg;
Das wird sich ausbaun herrlich, in der Zukunft,
Erweitern, unter Enkels Hand, verschönern,
Mit Zinnen, üppig, feenhaft, zur Wonne
Der Freunde, und zum Schrecken aller Feinde:
Das braucht nicht dieser Bindung, kalt und öd,
Aus eines Freundes Blut, um Onkels Herbst,
Den friedlich prächtigen, zu überleben.

Der Kurfürst.
Denkt Vetter Homburg auch so?

Natalie.                                               Vetter Homburg?

Der Kurfürst.
Meint er, dem Vaterlande gelt es gleich,
Ob Willkür drin, ob drin die Satzung herrsche?

Natalie.
Ach, dieser Jüngling!

Der Kurfürst.                     Nun?

Natalie.                                         Ach, lieber Onkel!
Hierauf zur Antwort hab ich nichts, als Tränen.

Der Kurfürst (betroffen).
Warum, mein Töchterchen? Was ist geschehn?

Natalie (zaudernd).
Der denkt jetzt nichts, als nur dies eine: Rettung!
Den schaun die Röhren, an der Schützen Schultern,
So gräßlich an, daß überrascht und schwindelnd,
Ihm jeder Wunsch, als nur zu leben, schweigt:
Der könnte, unter Blitz und Donnerschlag,
Das ganze Reich der Mark versinken sehn,
Daß er nicht fragen würde: was geschieht?
– Ach, welch ein Heldenherz hast du geknickt!
(Sie wendet sich und weint.)

Der Kurfürst (im äußersten Erstaunen).
Nein, meine teuerste Natalie,
Unmöglich, in der Tat?! – Er fleht um Gnade?

Natalie.
Ach, hättst du nimmer, nimmer ihn verdammt!

Der Kurfürst.
Nein, sag: er fleht um Gnade? – Gott im Himmel,
Was ist geschehn, mein liebes Kind? Was weinst du?
Du sprachst ihn? Tu mir alles kund! Du sprachst ihn?

Natalie (an seine Brust gelehnt).
In den Gemächern eben jetzt der Tante,
Wohin, im Mantel, schau, und Federhut
Er, unterm Schutz der Dämmrung, kam geschlichen:
Verstört und schüchtern, heimlich, ganz unwürdig,
Ein unerfreulich, jammernswürdger Anblick!
Zu solchem Elend, glaubt ich, sänke keiner,
Den die Geschicht als ihren Helden preist.
Schau her, ein Weib bin ich, und schaudere
Dem Wurm zurück, der meiner Ferse naht:
Doch so zermalmt, so fassungslos, so ganz
Unheldenmütig träfe mich der Tod,
In eines scheußlichen Leun Gestalt nicht an!
– Ach, was ist Menschengröße, Menschenruhm!

Der Kurfürst (verwirrt).
Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde,
So fasse Mut, mein Kind; so ist er frei!

Natalie.
Wie, mein erlauchter Herr?

Der Kurfürst.                             Er ist begnadigt! –
Ich will sogleich das Nötg' an ihn erlassen.

Natalie.
O Liebster! Ist es wirklich wahr?

Der Kurfürst.                                       Du hörst!

Natalie.
Ihm soll vergeben sein? Er stirbt jetzt nicht?

Der Kurfürst.
Bei meinem Eid! Ich schwörs dir zu! Wo werd ich
Mich gegen solchen Kriegers Meinung setzen?
Die höchste Achtung, wie dir wohl bekannt,
Trag ich im Innersten für sein Gefühl:
Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten
Kassier ich die Artikel: er ist frei! –
(Er bringt ihr einen Stuhl.)
Willst du, auf einen Augenblick, dich setzen?
(Er geht an den Tisch, setzt sich und schreibt.)

(Pause.)

Natalie (für sich).
Ach, Herz, was klopfst du also an dein Haus?

Der Kurfürst (indem er schreibt).
Der Prinz ist drüben noch im Schloß?

Natalie.                                                         Vergib!
Er ist in seine Haft zurückgekehrt. –

Der Kurfürst (endigt und siegelt; hierauf kehrt er mit dem Brief wieder zur Prinzessin zurück).
Fürwahr, mein Töchterchen, mein Nichtchen, weinte!
Und ich, dem ihre Freude anvertraut,
Mußt ihrer holden Augen Himmel trüben!
(Er legt den Arm um ihren Leib.)
Willst du den Brief ihm selber überbringen?

Natalie.
Ins Stadthaus! Wie?

Der Kurfürst (drückt ihr den Brief in die Hand).
                                Warum nicht? – He! Heiducken!

(Heiducken treten auf.)

Den Wagen vorgefahren! Die Prinzessin
Hat ein Geschäft beim Obersten von Homburg!

(Die Heiducken treten wieder ab.)

So kann er, für sein Leben, gleich dir danken.
(Er umarmt sie..
Mein liebes Kind! Bist du mir wieder gut?

Natalie (nach einer Pause).
Was deine Huld, o Herr, so rasch erweckt,
Ich weiß es nicht und untersuch es nicht.
Das aber, sieh, das fühl ich in der Brust,
Unedel meiner spotten wirst du nicht:
Der Brief enthalte, was es immer sei,
Ich glaube Rettung – und ich danke dir!
(Sie küßt ihm die Hand.)

Der Kurfürst.
Gewiß, mein Töchterchen, gewiß! So sicher,
Als sie in Vetter Homburgs Wünschen liegt. (Ab.)

 
Szene: Zimmer der Prinzessin.

Zweiter Auftritt

Prinzessin Natalie tritt auf. – Zwei Hofdamen und der Rittmeister, Graf Reuß, folgen.

Natalie (eilfertig).
Was bringt Ihr, Graf? – Von meinem Regiment?
Ists von Bedeutung? Kann ichs morgen hören?

Graf Reuß (überreicht ihr ein Schreiben).
Ein Brief vom Obrist Kottwitz, gnädge Frau!

Natalie.
Geschwind! Gebt! Was enthält er?
(Sie eröffnet ihn.)

Graf Reuß.                                             Eine Bittschrift,
Freimütig, wie Ihr seht, doch ehrfurchtsvoll,
An die Durchlaucht des Herrn, zu unsers Führers,
Des Prinz von Homburg, Gunsten aufgesetzt.

Natalie (liest).
»Supplik, in Unterwerfung eingereicht,
Vom Regiment, Prinzessin von Oranien.« –

(Pause.)

Die Bittschrift ist von wessen Hand verfaßt?

Graf Reuß.
Wie ihrer Züg unsichre Bildung schon
Erraten läßt, vom Obrist Kottwitz selbst. –
Auch steht sein edler Name obenan.

Natalie.
Die dreißig Unterschriften, welche folgen –?

Graf Reuß.
Der Offiziere Namen, Gnädigste,
Wie sie, dem Rang nach, Glied für Glied, sich folgen.

Natalie.
Und mir, mir wird die Bittschrift zugefertigt?

Graf Reuß.
Mein Fräulein, untertänigst Euch zu fragen,
Ob Ihr, als Chef, den ersten Platz, der offen,
Mit Eurem Namen gleichfalls füllen wollt.

(Pause.)

Natalie.
Der Prinz zwar, hör ich, soll, mein edler Vetter,
Vom Herrn aus eignem Trieb, begnadigt werden,
Und eines solchen Schritts bedarf es nicht.

Graf Reuß (vergnügt).
Wie? Wirklich?

Natalie.                       Gleichwohl will ich unter einem Blatte,
Das, in des Herrn Entscheidung, klug gebraucht,
Als ein Gewicht kann in die Waage fallen,
Das ihm vielleicht, den Ausschlag einzuleiten,
Sogar willkommen ist, mich nicht verweigern –
Und, eurem Wunsch gemäß, mit meinem Namen,
Hiemit an eure Spitze setz ich mich.
(Sie geht und will schreiben.)

Graf Reuß.
Fürwahr, uns lebhaft werdet Ihr verbinden!

(Pause.)

Natalie (wendet sich wieder zu ihm).
Ich finde nur mein Regiment, Graf Reuß!
Warum vermiß ich Bomsdorf Kürassiere,
Und die Dragoner Götz und Anhalt-Pleß?

Graf Reuß.
Nicht, wie vielleicht Ihr sorgt, weil ihre Herzen
Ihm lauer schlügen, als die unsrigen! –
Es trifft ungünstig sich für die Supplik,
Daß Kottwitz fern in Arnstein kantoniert,
Gesondert von den andern Regimentern,
Die hier, bei dieser Stadt, im Lager stehn.
Dem Blatt fehlt es an Freiheit, leicht und sicher,
Die Kraft, nach jeder Richtung zu entfalten.

Natalie.
Gleichwohl fällt, dünkt mich, so das Blatt nur leicht? –
Seid Ihr gewiß, Herr Graf, wärt Ihr im Ort,
Und sprächt die Herrn, die hier versammelt sind,
Sie schlössen gleichfalls dem Gesuch sich an?

Graf Reuß.
Hier in der Stadt, mein Fräulein? – Kopf für Kopf!
Die ganze Reuterei verpfändete
Mit ihren Namen sich; bei Gott, ich glaube,
Es ließe glücklich eine Subskription,
Beim ganzen Heer der Märker, sich eröffnen!

Natalie (nach einer Pause).
Warum nicht schickt ihr Offiziere ab,
Die das Geschäft im Lager hier betreiben?

Graf Reuß.
Vergebt! – Dem weigerte der Obrist sich!
– Er wünsche, sprach er, nichts zu tun, das man
Mit einem übeln Namen taufen könnte.

Natalie.
Der wunderliche Herr! Bald kühn, bald zaghaft! –
Zum Glück trug mir der Kurfürst, fällt mir ein,
Bedrängt von anderen Geschäften, auf,
An Kottwitz, dem die Stallung dort zu eng,
Zum Marsch hierher die Order zu erlassen! –
Ich setze gleich mich nieder es zu tun.
(Sie setzt sich und schreibt.)

Graf Reuß.
Beim Himmel, trefflich, Fräulein! Ein Ereignis,
Das günstger sich dem Blatt nicht treffen könnte!

Natalie (während sie schreibt).
Gebrauchts Herr Graf von Reuß, so gut Ihr könnt.
(Sie schließt, und siegelt, und steht wieder auf..
Inzwischen bleibt, versteht, dies Schreiben noch,
In Eurem Portefeuille; Ihr geht nicht eher
Damit nach Arnstein ab, und gebts dem Kottwitz:
Bis ich bestimmtem Auftrag Euch erteilt!
(Sie gibt ihm das Schreiben.)

Ein Heiduck (tritt auf).
Der Wagen, Fräulein, auf des Herrn Befehl,
Steht angeschirrt im Hof und wartet Euer!

Natalie.
So fahrt ihn vor! Ich komme gleich herab!
(Pause, in welcher sie gedankenvoll an den Tisch tritt, und ihre Handschuh anzieht.)
Wollt Ihr zum Prinz von Homburg mich, Herr Graf,
Den ich zu sprechen willens bin, begleiten?
Euch steht ein Platz in meinem Wagen offen.

Graf Reuß.
Mein Fräulein, diese Ehre, in der Tat –!
(Er bietet ihr den Arm.)

Natalie (zu den Hofdamen).
Folgt, meine Freundinnen! – Vielleicht daß ich
Gleich, dort des Briefes wegen, mich entscheide!

(Alle ab.)


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