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In Bern fand Margot Sophie als treue Wärterin am Bette Rolands. Das Bild tat noch immer weh. Sie ärgerte sich über sich selbst. Sie hatte sich für stolzer, für überlegener gehalten und mußte nun doch erkennen, daß trotz aller Modernität das Weib dort am empfindlichsten bleibt, wo es eben Weib ist. Wo alle Modernität umsonst hineinredet.
Sie berichtete. Roland war zufrieden. Sophie strahlte. Ohne viel Umstände warf sie sich Margot an den Hals. Küßte sie ab.
Und Margot? Sie fühlte sich überrumpelt. Sie wollte sich wehren. Irgend etwas der ursprünglichen Feindseligkeit knisterte noch immer in ihr. Aber seltsam – –
»Nun, wie hat Ihnen mein Bruder gefallen? Ist er nicht prachtvoll?« Sophie feuerte ihre Fragen wie Salven hintereinander ab und Margot wurde verlegen.
»Man trifft solche Männer wie ihn nicht bei uns. Höchstens in Zeitungsromanen und in Filmen. Und die Realität verblüfft. Auf jeden Fall kann er sehr energisch werden, und die Art und Weise, wie er mit diesem Kannibalen Wolopoff umgesprungen ist, imponiert.«
Sie schilderte die Szene, der sie in heimlichem Versteck beigewohnt hatte, und geriet ordentlich in Feuer dabei.
»Ihr Bruder ist den anderen weit überlegen. Kein Zweifel, er ist – – –«
In diesem Moment entdeckte sie, daß Roland sie mit einem ganz merkwürdigen Blick ansah. Irgend etwas in ihr schnappte zu, verschloß sich. Sie hatte ein Gefühl, als sei sie auf einer Untreue ertappt worden. –
»Sadeff, dieser junge Mensch mit dem schönen Gesicht, ist zweifellos der eine Schuldige,« redete sie nach einiger Zeit zu Sophie weiter, »aber Ihr Bruder kennt auch den anderen. So viel ich verstehen kann, will er ihn in die Schweiz kommen lassen. Er wird mir, das heißt, uns dann telegraphieren und uns verständigen –«
»Nun,« fragte Roland mit dem harmlosesten Gesicht von der Welt, »hast du eine große Ähnlichkeit zwischen ihm und mir gefunden? Ich allerdings kann nicht solche Energie entwickeln.«
»Das hat auch noch nie ein Mensch von dir verlangt,« schnippte sie zur Antwort zurück. »Im übrigen ist eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden. Nicht zu leugnen. Aber –«
»Was denn?«
Sie machte ihr höhnischstes Gesicht und zuckte die Achseln.
»Nichts. Hat Fräulein Petroff dich gut gepflegt? Ja? Man sieht es, ohne daß man zu fragen braucht. Na, jetzt gehe ich auf mein Zimmer und lege mich schlafen. Ich habe meinen Teil an der Befreiung Thraziens getan.«
»Mein Bruder scheint Fräulein Geldern sehr zu gefallen,« lächelte Sophie.
Roland erwiderte nicht. Er lag in seinen Kissen und blickte nach der Tür, durch die Margot verschwunden war.
Am Abend dieses Tages kamen, durch Sophie telephonisch zurückgerufen, die beiden alten Herren, die Roland so fürsorglich nach Mailand spediert hatte. Sophie holte sie am Bahnhof ab und bereitete sie auf die Überraschungen vor, die ihrer harrten. Erzählte ihrem Vater von einer aufregenden Hetzfahrt über Montreux nach Domodossola, dann wieder zurück nach Evian am französischen Ufer des Genfer Sees, quer hinüber nach Lausanne, von Lausanne dann endlich hinauf nach Riffelalp.
»Das muß ja ein gerissener Bursche sein, dieser Herr Richard Roland!« knurrte Herr General Petroff.
»Ein Schwindler ist er!« lautete die Meinung des Generals Dimitrieff.
In Sophie begann es zu kochen. Aber die Vernunft gebot, nur das zu hören, was man hören wollte. Ansonsten zu reden. Viel zu reden. Sehr viel zu reden. Das tat sie auch, mit einer Erfindungsgabe, die sie selbst verblüffte.
»Als ich ihn endlich oben auf Riffelalp stellte – – unglücklicherweise bin ich ihm vorher hineingefallen, denn ich glaubte ja, er würde nach Mailand fahren – –,« allerdings bei diesem Umweg um die Wahrheit herum wagte sie es nicht, dem Vater ins Gesicht zu sehen. Dafür heftete sie ihre Augen auf Dimitrieffs Patriarchenbart, dessen Haare sich alle einzeln sträubten, wie immer, wenn sein Besitzer wild war. Aus seinem Anblick zog sie die Kraft und die Energie. »Als ich ihn dann endlich zu fassen bekam, wollte er gar nicht mit der Sprache heraus. Absolut nicht. Er hielt fest an seiner Verpflichtung gegen Pawel und machte mir sogar den Vorschlag, nach Genf zurückzufahren. Er wollte so lange auf dem Kai spazieren gehen, bis man ihn neuerdings erkannte und – und – du siehst ja, Vater. Kaum ist er hierher nach Bern gekommen, hat ihn die Kugel eines unserer Leute erreicht. Er als Fremder hat sich für unsere Sache geopfert.«
»Pah!« schnaubte General Dimitrieff verächtlich.
Der alte Petroff streckte Roland offen und ehrlich die Hand hin. »Ich danke Ihnen für alles, was Sie meinem Jungen und meinem Volk getan haben. Ich hoffe, ich kann mich dafür revanchieren!«
»Ich hoffe auch!« lachte Roland und schielte nach Sophie hin.
Der Patriarch beharrte auf seinem Argwohn. Er begriff die ganze Verwechslungsgeschichte nicht recht. Erstens besaß er wenig Sinn für Humor, und zweitens hielt er noch an der alten balkanischen Auffassung fest, daß ein gut gezielter Revolverschuß die beste Lösung aller Schwierigkeiten bildet.
»Es tut mir sehr leid,« knurrte er Roland an, »daß Sie das Opfer eines Attentats geworden sind, aber Sie haben sich das nur selbst zuzuschreiben. Wären Sie nicht auf die verrückte Idee eingegangen, hätten Sie vielleicht uns und unserem Lande einen besseren Dienst erwiesen.«
»Was soll das heißen? Was willst du damit sagen?« fuhr der alte Petroff auf.
»Was ich damit sagen will? Einfach, daß ich die ganze Geschichte nicht glaube. Du hast dir von dem Mädel den Kopf verdrehen lassen –«
Die beiden alten Kampfhähne gerieten hart aneinander, und selbst Sophie gelang es nicht, die streitbaren Gemüter zu beruhigen. Dimitrieffs Bart glich schon einer Drahtbürste, und General Petroff begann, ohne Rücksicht auf die Anwesenheit der jungen Damen, furchtbare bulgarische Soldatenflüche von sich zu geben.
»Ich fahre jetzt noch nach Genf!« beharrte Dimitrieff. »Ich muß mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören. Unter welchem Namen versteckt sich Petroff dort?« herrschte er Margot an.
Die maß ihn kühl von oben bis unten. »Herr General, Sie mögen in Ihrer Organisation und in Ihrem Lande vielleicht ein sehr großes Tier sein. Ich muß aber zu meinem Bedauern erklären, daß ich eine solche Sprache nicht gewöhnt bin. Und dann sehe ich gar keinen Grund, warum ich die Arbeit des Herrn Petroff stören soll. Ich werde Ihnen den Namen nicht sagen.«
Dimitrieff blieb vor Erstaunen der Atem weg. Solche Kühnheit, noch dazu aus dem Mund eines Mädchens, war ihm etwas noch nie Dagewesenes. Er mußte sich etwas plötzlich niedersetzen und nach Luft schnappen.
Wehrlos, wie er war, mußte er jetzt die ganze Schale der kaustischen Beredsamkeit Margots über sich ergehen lassen. Sie nutzte die Gelegenheit, verschiedenen ihrer Gefühle, die sie seit ihrer Ankunft in Bern unterdrücken mußte, freien Lauf zu lassen. Sie war es sonst immer gewohnt, herauszureden, was sie auf dem Herzen hatte. Mitunter scharf, mitunter noch schärfer. Der alte Dimitrieff mit seinem antediluvianischen Bart erschien ihr das geeignete Objekt.
»Ich verstehe Sie nicht, Herr General,« fuhr sie fort. »Wenn der Sohn Ihres alten Kameraden versichert, er glaubt, in wenigen Tagen die Verräter entlarven zu können, so müssen Sie es glauben. Sie können gar nicht anders. Auf jeden Fall müssen Sie alle Zweifel unterdrücken, zumal wenn eine junge Dame wie ich, Ihnen diese Tatsache bestätigt. Das ist nicht kavaliermäßig, mein Herr. Wir sind hier in Mitteleuropa. Und wenn Sie schon Herrn Roland Dank wissen dafür, daß er sich dem Revolver Ihrer verrückten, überspannten Patrioten entgegengestellt hat, so können Sie doch wenigstens so viel Rücksicht darauf nehmen, daß er jetzt im Bett liegt. Sie sind es vielleicht gewohnt, sich Löcher in die Haut schießen zu lassen, aber für unsereinen ist das doch ein ziemlich außergewöhnliches Erlebnis –«
In der Tonart ging es weiter. Margot war in Schwung, und von den anderen unternahm niemand den Versuch, sie aufzuhalten. Dimitrieff wurde immer kleiner und kleiner; sein stolzer Bart verkroch sich förmlich in seiner Brust. Zum Schluß saß er da, rieb sich verlegen die Hände auf den Knien und warf hilfesuchende Blicke auf seinen alten Freund Petroff. Der aber rührte sich nicht. Der saß am Fenster und grinste. Die Lektion war dem Nußknacker nur gesund. General Petroff war von der höchsten Bewunderung für diese forsche, energische junge Dame aus Berlin erfüllt.
»So und jetzt, meine Herren,« erklärte Margot, als ihr nichts mehr einfiel, »jetzt will ich Ihnen die Erlaubnis geben, mich zu einem Souper einzuladen.«
Sie vergewaltigte Petroff und Dimitrieff, der gar keinen Widerstand mehr leistete, und zog mit ihnen ab. Unten im Restaurant bestellte sie Sekt und trank auf das Wohl Thraziens. Sophie blieb bei Roland.
Am anderen Morgen trat Margot bei dem Kranken ein. Das Zimmer war mit Blumen geschmückt, und durch das geöffnete Fenster kam die würzige Luft von der Aare herauf. Roland hatte gerade gefrühstückt und lachte ihr vergnügt entgegen.
»Große Aussprache?«
Sie blickte sich im Zimmer um und zog den Duft der Rosen in sich ein. Schüttelte den Kopf. »Sehr schön, sehr gefühlvoll, aber sehr wenig praktisch. Fehlt bloß noch, sie hätte dir Jasmin hereingestellt. – –«
»Die Fenster sind ja offen.«
»Jawohl, die Fenster sind offen,« gab sie mechanisch zurück. Einen Augenblick lang sah sie zu dem Hochgebirge hinüber, das noch im Dunst der Morgensonne lag und nur in seinen Konturen schwach sichtbar war. »Ich hätte Lust, wieder einmal dort hinaufzufahren,« sagte sie. »So viertausend Meter Höhe –«
»Margot,« er winkte sie zu sich zurück, und sie kam auch mit seltsam verlorenem Ausdruck im Gesicht, »wenn du schon anfängst, sentimental zu werden, Margot, mein Gott – – was sollen wir da viel reden! Wir waren ja immer gute Kameraden und haben uns glänzend verstanden. –«
»Ich glaube, wir verstehen uns auch jetzt sehr gut. Wir haben uns vielleicht nie so gut verstanden wie jetzt. Also, wirklich wahr – wozu viel reden? Wenn ich Herrn Petroff nicht versprochen hätte, hier zu bleiben, würde ich mich aufsetzen und nach Berlin fahren …«
Immer wieder zog es sie zum Fenster zurück. Die Berge drüben wurden klarer und klarer.
»Ich habe Herrn Petroff natürlich nichts von der Veränderung gesagt,« begann sie dann wieder. »Er glaubt, wir sind noch immer Braut und Bräutigam. Ich habe es Euch überlassen, ihm klaren Wein einzuschenken. Hast du denn schon mit ihrem Vater gesprochen?«
»Nicht nötig. Der Alte müßte ja blind sein – Und dann, Sophie hat ihn bestimmt schon eingeweiht. Gestern ist er die ganze Zeit bei mir gewesen und hat immer von mir herausbekommen wollen, wie ich mir meine Zukunft vorstelle! Was soll ich ihm darauf antworten? Die Zukunft, die ich mir bis jetzt vorgestellt habe – –« Er stockte auf einmal. Wußte nicht weiter. Er suchte ihren Blick, um Verzeihung bittend, hilfesuchend.
Sie strich ihm mit der mütterlichen Geste, die ihr eigen war, über das Haar. »Du kannst ruhig mit ihm über deine Zukunft sprechen. Wir sind beide im verkehrten Zug gewesen. Wir steigen eben um – – –«
*
Die nächsten Tage vergingen rasch und angenehm. Margot engagierte die beiden alten Haudegen als ihre Ritter und Kavaliere, so daß Roland und Sophie die ganze Zeit für sich allein hatten. Roland, der ein anderer geworden war, begann, wirklich Zukunftspläne zu schmieden.
»Ich kann nichts anderes und verstehe nichts anderes als den Film. Ich werde eine Gesellschaft gründen und – andere spielen lassen.«
Sie wußte Besseres. »Mein Onkel in Wien hat eine große Stahlfabrik und keinen Sohn. Könntest du nicht ganz umsatteln, mir zuliebe?«
»Ich kann alles, was du willst, Sophie!«
Nach vier Tagen wurde Margot ans Telephon gerufen. Pawel Petroff: »Sie sind es, Fräulein Geldern? Sagen Sie, bitte, meinem Vater und General Dimitrieff, daß ich heute nachmittag mit den beiden Persönlichkeiten hinüberkomme, die für gewisse Vorgänge in der letzten Zeit verantwortlich zu machen sind.«
Roland war schon so weit, daß er das Bett verlassen konnte. In einem großen Lehnstuhl saß er am Fenster. Noch ein bißchen bleich und mitgenommen, aber vergnügt und voll guter Dinge. Es war auch bereits bei den Alten offizielle Wissenschaft, daß er und Sophie sich verlobt hatten.
Am Nachmittag waren sie alle bei ihm versammelt, und sie warteten. Keiner sprach ein Wort. Der alte Petroff war nervös, unruhig, konnte keinen Platz finden. Dimitrieff drehte sich eine Zigarette nach der anderen und knurrte ab und zu etwas in seinen langen Bart hinein.
Und dann klopfte es endlich.
»Herein!«
Pawel Petroff erschien als der erste. Nicht mehr als der armselige Montenegriner Vuiè verkleidet, sondern als der Pawel Petroff, wie ihn seine Leute kannten. Groß, sehnig und voller Kraft in seinen Bewegungen. Hinter ihm schob sich ein junger Mensch ins Zimmer, bei dessen Anblick Roland aus seinen Krankenkissen in die Höhe fuhr: Boris Sadeff, der Antonius mit dem verkrüppelten Fuße. Der war der Verräter? Der? Allmächtiger Himmel!
Dann eine dritte Gestalt. Ein kleines, zartes Mädchen, schlank, mager beinahe. Im bleichen Gesichte funkelten zwei große schwarze Augen.
General Dimitrieff schrie auf:
»Elena, du! Wie kommst du hierher?«