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5.

Der Morgen brachte den folgenden Brief:

 

Sehr geehrter Herr Roland,

in Anbetracht der Umstände, die sich im Laufe des gestrigen Tages ereignet haben, fühle ich in Erweiterung unseres Abkommens mich verpflichtet zu erklären:

Ich habe hier gestern unter Vorweisung Ihres Passes, den Sie mir bei dem allgemeinen Austausch unserer Dokumente und Sachen übergaben, auf den Namen Ihres Fräulein Braut, Margot Geldern, die Summe von 80 000 Schweizer Frank hinterlegt, die an dem Tage fällig werden, an dem – was ich bei Gott nicht hoffe – Ihnen ein Unfall zustoßen sollte. Gleichzeitig habe ich die Dresdener Bank in Berlin avisiert, daß die dort für Sie zu treuen Händen hinterlegten 2500 Pfund an Ihr Fräulein Braut zur Auszahlung gelangen, falls Sie nach Ablauf der vier Wochen nicht mehr in der Lage sein sollten, die für Sie bereitliegende Summe selbst abzuheben. Anbei übersende ich auch Ihren Paß, da ich ihn nicht mehr benötige. Gleichzeitig erlaube ich mir den Rat, daß Sie ihn Ihrem Fräulein Braut – selbstverständlich unter Vermeidung jeder näheren Angaben – einschicken, damit sie gegebenenfalls das für den Schweizerischen Bankverein notwendige Ausweisdokument in Händen hat. Eine legalisierte Abschrift aller der von mir in dieser Angelegenheit geführten Korrespondenz wurde von mir bei dem Notar René Sylvain, 25 Rue de Marché, hinterlegt. Sie können die Richtigkeit meiner Angaben sowohl bei der Bank wie beim Notar nachprüfen, und zwar unter dem Namen Bowers, den ich an beiden Stellen genannt habe.

Damit hoffe ich, Sie zufriedengestellt zu haben. Sollten Ihnen meine Bemühungen nicht genügen, dann allerdings kann ich Sie nicht davon abhalten, von unserer Abmachung zurückzutreten. Ich hoffe indessen nicht, mich in Ihnen getäuscht, sondern einen Mann gefunden zu haben, den ein bißchen Gefahr nicht daran hindern wird, sein Wort einzulösen. Schließlich hat das Leben doch nur Wert, wenn man es für einen großen Preis einsetzt.

Ihr William Carell Bowers.«

 

»Blödsinn!« sagte Roland, als er an den letzten Satz des Briefes kam. Das Leben hatte seiner Meinung nach nur Wert, wenn man es behielt! Gewisse Phrasen des Briefes mißfielen ihm durchaus. »Wenn Sie nicht in der Lage sein sollten –« Auf gut deutsch – wenn Sie hin sein sollten! Hübsche Perspektive das.

Ein Gentleman bei alledem! Ein Gentleman, der jeden anderen nach sich selbst beurteilte. Was Margot zu ihm sagen würde? Sie war gewohnt, an dem männlichen Geschlecht eine nach Rolands Auffassung ebenso herbe wie ungerechte Kritik zu üben.

Roland kleidete sich an und ließ sein Frühstück kommen. Die Pracht des Morgens lockte ihn auf den Balkon.

Über die Bäume des Parc Anglais sah er auf den See hinaus, der blau sich unter dem blauen Julihimmel dehnte. Die Möwen tanzten über ihm und ihr Gefieder glitzerte im Sonnenlicht, übermütige Lebenslust erfüllte ihn. Er hatte in der Tasche so viel Geld wie noch nie im Leben! »Ich hau' der Welt ein Loch in 'n Buckel!« Den uralten Wiener Gassenhauer pfiff er vor sich hin – –

Doch – die Melodie riß ihm auf den Lippen ab. Jäh fuhr er von dem Balkon ins Zimmer zurück. Auf der anderen Seite der Straße, unter den Bäumen des Parks, entdeckte er ein paar Burschen, die gerade so patriotisch aussahen wie die beiden, die ihm gestern nachgestiegen waren. Sie patrouillierten langsam auf und ab, rauchten Zigaretten und machten gleichfalls einen harmlosen Eindruck.

Hatten sie ihn gesehen? Möglich! Auf jeden Fall wußten sie, daß er in diesem Hotel zu finden war. Aber er wollte, er mußte fortgehen, zur Bank, zum Notar. Sich hier von so zwei Narren einsperren und in seiner Bewegungsfreiheit hindern lassen? Kam auf den Versuch an. Die beste Verteidigung ist der Angriff.

Das Hotel Metropole ist ein riesiger Kasten, den vorne der Grand Quai, rückwärts die Rue du Rhône und an den Seiten zwei kleine Gassen begrenzen. In einer dieser befindet sich die Tür für das Personal, und durch diese schlüpfte Roland ins Freie. Die beiden Patrioten standen jetzt dem Hauptportal etwas schräg gegenüber und ließen nicht die Augen von der zur Straße führenden Treppe. Augenscheinlich hatten sie Roland auf seinem Balkon entdeckt und lauerten nun darauf, daß er herunterkam. Es war anzunehmen, daß der Ausgang in die Rue du Rhône ebenso bewacht wurde. Doch die Personaltür hatten sie vergessen. Dieses Versäumnis wurde ihr Verderben.

Roland entdeckte weit unten am Quai einen Schutzmann. Ohne daß ihn die beiden Späher bemerkten, gelang es ihm, hinter einem schwer beladenen Lastwagen gedeckt, an den Polizisten heranzukommen.

»Herr Sergeant,« sagte er zu diesem, »ich heiße William Bowers, wohne im Hotel Metropole und werde, seit ich hier bin, von diesen beiden Burschen verfolgt, die Sie dort auf der Parkseite dem Hotel gegenüber sehen. Sie haben bereits gestern ein Attentat auf mich verübt. Drüben beim Café du Nord. Sehen Sie zum Beweis die Löcher in meinem Hut!«

Es gab einiges Hin und Her mit dem Auge des Gesetzes, das die zwei fragwürdigen Gestalten vor dem Hoteleingang zwar mit dem größten Mißtrauen betrachtete, sich aber doch nicht so ohne weiteres von ihrer Gefährlichkeit überzeugen lassen wollte.

»Ich wette, wir finden bei ihnen geladene Revolver, Handgranaten und Gasbomben!« drängte Roland.

Endlich entschloß sich der Schutzmann zur Aktion. Vorsichtig pürschten er und Roland sich an die jungen Leute heran, die, von dem Hotelportal hypnotisiert, nicht auf die Gefahr achteten, die hinter ihrem Rücken auf sie zukam. Als sich die schwere Hand des Polizisten auf ihre Schultern legte, fuhren sie beide fassungslos herum. Roland erkannte sofort, daß sie nicht mit den beiden Patrioten identisch waren, die ihm gestern so hartnäckig die Ehre ihrer Beachtung geschenkt hatten. Doch zweifellos derselbe Typus. Der jüngere fuhr im ersten Schreck mit der Hand nach der Brusttasche, doch die Faust des Schutzmannes war schneller. Ein ganz kurzer Kampf – ein Browning erschien, schwarz, lang, und mit einem Lautschwächer ausgestattet.

»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« triumphierte Roland, dem innerlich jedoch gar nicht so freudig zumute war.

Der zweite der überrumpelten Attentäter wandte sich zur Flucht. Aber es war zu spät. Der Schauspieler hielt ihn fest. Eine große Gruppe Neugieriger begann sich zu sammeln.

»Vorwärts auf die Präfektur!« kommandierte der Schutzmann.

Ohne Widerstand fügten sich die jungen Leute. Unter gesenkten Brauen warfen sie finstere, haßerfüllte Blicke auf Roland. Halblaut murmelte der eine von ihnen einige verbissene slawische Worte, die wie eine Verwünschung klangen.

Roland, dem vor allen Dingen daran gelegen war, seine Wege ungestört zu erledigen, ließ den Schutzmann mit den Verhafteten allein gehen und versprach, sich so schnell wie möglich auf der Präfektur einzufinden. Er hastete zum Schweizerischen Bankverein und zum Bureau des Notars Sylvain. Die Angaben, die Bowers in seinem Briefe gemacht hatte, waren alle richtig. Roland hatte von allem Anfang an nicht daran gezweifelt, fühlte sich jedoch jetzt noch viel befriedigter, da er alles verbrieft und versiegelt mit seinen eigenen Augen gesehen hatte.

Höchst vergnügt pendelte er zur Präfektur hinüber. Sein Groll gegen die lästigen Verfolger war verschwunden und es tat ihm beinahe leid, die Polizei auf die jungen Leute gehetzt zu haben. Arme Teufel, die von weiß Gott was für einem Wahnsinn besessen waren! Fanatiker, die irgendeine heilige Pflicht zu erfüllen bestrebt waren – arme Teufel! Roland beschloß, sich dafür einzusetzen, daß man sie wieder laufen ließ.

Der Kommissär, der ihn empfing, war ein sehr freundlicher, entgegenkommender Herr, der den vermeintlichen Australier mit dem lebhaftesten Bedauern darüber begrüßte, daß er in der Stadt Rousseaus solchen Widerwärtigkeiten ausgesetzt war.

»Wissen Sie, Mr. Bowers,« ereiferte er sich, »Genf war schon von jeher die Zufluchtsstätte aller jener Elemente, denen es in ihrer Heimat zu heiß war. Von Bakunin und Marx angefangen, haben wir ihnen immer Gastfreundschaft gewährt. Heute ist der Völkerbund hier, und in seinem Schatten wuchern alle möglichen Pflanzen, die uns zwar nicht gerade stören, aber auch nicht sonderlich angenehm sind. Das wimmelt hier von Indern, Aegyptern, Russen, Litauern, Mazedoniern, lauter Völkerschaften, die mit der Ordnung der Dinge nicht zufrieden sind und hier am großen Herde des Völkerbundes ihre Süppchen zu kochen versuchen. Im allgemeinen sind sie eine ruhige Gesellschaft, die sich nur darauf beschränkt, dem Völkerbund das Leben sauer zu machen. Uns geben sie nicht viel zu schaffen – – –«

»Um so unangenehmer ist es mir,« entgegnete Roland, »die Behörde gegen die beiden jungen Leute mobilisiert zu haben. –«

»Sie haben nur recht daran getan, Mr. Bowers, denn die Gesellschaft, die Ihnen dieses so gefährliche Interesse entgegenbringt, scheint überaus fanatisch zu sein. Sie müssen einer Persönlichkeit zum Verwechseln ähnlich sehen, die sich den tödlichen Haß dieser Leute zugezogen hat. Seit wann sind Sie, wenn ich fragen darf, in Genf?«

Roland berichtete den Bericht des Mr. William Carell Bowers. Sidney, Wien, Berlin, Genf. Persönliche Angelegenheit in Paris. Innerlich rebellierte es in ihm. Zwei Tage waren noch nicht verstrichen, und er saß bereits da und log der Polizei den Rücken voll. Ob es nicht besser war, mit der Wahrheit herauszukommen?

Nein! Das ging nicht. Dieser verfluchte Bowers oder Pawel Petroff, oder wie er in Wirklichkeit hieß, hatte ihn mit seinem Vertrauen festgenagelt. Er konnte nicht los. Bis ans Ende! Und wenn die Polizei seine Erzählung nachprüfte? Der liebenswürdige Kommissar schien tatsächlich diese Absicht zu haben, denn er studierte den Paß des Mr. Bowers sehr genau und machte sich eifrig Notizen. Roland standen die Haare zu Berge.

»Was für Nationalität sind die beiden Burschen?« fragte er.

Der Kommissar zauderte einen Moment mit der Antwort. »Ich halte sie für Balkanier, Bulgaren oder Thrazier oder so ähnlich. Leider haben wir außer zwei geladenen Revolvern nichts bei ihnen gefunden, woraus man auf die Identität schließen könnte. Keinen Paß, kein Notizbuch. Nicht einmal Merkzeichen in der Wäsche. Sie können daraus ersehen, wie desperat die beiden Burschen waren. Sie wußten, daß sie mit der Verhaftung zu rechnen hatten, und waren bereit, alle Konsequenzen ihrer Tat zu ziehen.«

»Na ich danke,« lachte Roland. Doch es war ihm gar nicht zum Lachen zumute. »Könnten Sie, Herr Kommissar, sie nicht freilassen?« fragte er.

Der Beamte hatte als echter Romane einen ausgeprägten Sinn für das Dramatische.

»Das kann ich leider nicht,« erwiderte er.

»Warum?«

»Weil sie tot sind!«

Roland sprang mit wildem Satze in die Höhe.

»Tot? Haben sie sich selbst erschossen?«

»Nein. Sie hatten jeder eine kleine Flasche Blausäure bei sich versteckt. Als wir sie zu befragen anfingen, verweigerten sie jede Antwort. Und plötzlich holte der eine, der jüngere, wissen Sie, seine Flasche hervor und trank sie leer, ehe wir ihn hindern konnten. Ein Schluck genügt ja. Während wir uns mit ihm beschäftigten, machte es ihm der andere nach. Nun liegen sie beide drüben im Zimmer. Wollen Sie sie sehen?«

Roland konnte nur nicken. Die Kehle war ihm auf einmal zu eng und die Zunge klebte ihm am Gaumen. Halb unbewußt folgte er dem Kommissär, der ihn in ein kleines, halbdunkles Hofzimmer führte.

Hier ruhten auf einer Pritsche, durch eine Decke verhüllt, die beiden Toten. Vor einer Stunde noch erfüllt von vibrierendem Leben, gedrängt von dem Streben, das zu vollbringen, was sie als groß und patriotisch ansahen, lagen sie nun nebeneinander, steif, still, stumm. Seltsam hart zeichneten sich die Linien dieser beiden jungen Gesichter. Brutale Energie, die vor nichts zurückschreckte, auch nicht vor der Selbstopferung, war in ihnen ausgeprägt. Und so jung alle beide! Der eine kaum dreiundzwanzig, der andere nicht einmal zwanzig.

Roland stand da und atmete kaum. Ein Tor war unversehens vor ihm aufgesprungen und er starrte mit schmerzender Bestürzung in eine ihm fremde Welt.


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