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XXVI.

Als sie erwachte, fand sie sich auf dem Gang liegen. Mühsam hob sie sich in die Knie. Schaute ins Zimmer zurück. Da lag er noch, so, wie ihn ihr Hieb gefällt. Sie hatte ihn an der Schläfe getroffen, und schwarzes Blut sickerte aus der Wunde dort, aber er lebte – denn sie sah, wie er atmete. Sie richtete sich ganz auf, schleppte sich die Treppe hinunter und holte etwas Wasser. Kaum konnte sie sich bewegen. Ihre Glieder schmerzten sie. Vor den Augen flimmerten und tanzten ihr hunderttausend bunte Flecken – aber sie kam doch mit dem Wasser nach oben. Vom Bett riß sie das Leinentuch herunter, tauchte es ein und wusch ihm die Wunde.

Sie wollte ihn aufheben, aufs Bett legen, aber dazu reichte ihre Kraft nicht. Sie vermochte ihn nur etwas beiseite zu rücken, so daß sie ihn an das Gestell des Bettes lehnen konnte. Er schlug die Augen auf – ein Seufzer quälte sich aus seiner Brust empor. – – –

Sie schleppte sich zum Fenster und stieß es auf – und da brach ein Schrei der Freude über ihre blutleeren Lippen. Aus der Schlucht sah sie den Wagen heraufstürmen. Hubert Pertz stand auf dem Bock, und seine Peitsche zischte den wild daherstürmenden Tieren um die Köpfe. – – –

Ehe sie noch die Treppe herunter konnte, war er schon an der Tür, sprang schon herein.

»Elisabeth!« fuhr sein Schrei durchs Haus.

Sie war auf der Mitte der Treppe, und von dort warf sie sich in seine Arme, klammerte sich an ihn an, keuchend, alles vergessend. Und er fing sie auf, hielt sie, preßte sie an sich. – – –

Das war alles, was sie sich über ihre Liebe zu sagen brauchten.

»Du bist da – du bist da – – –«, stammelte sie.

Sie wußte gar nicht, daß sie »du« zu ihm sagte. Es war ihr einfach selbstverständlich. Es war ja der Mann, den sie liebte, den sie geliebt hatte von der ersten Minute an, da sie in seine Augen geblickt hatte!

Ein Schuß krachte – instinktiv schleuderte Hubert Elisabeth zur Seite, sprang vor sie. Oben über das Geländer beugte sich Leopold herunter. Sein Gesicht war verzerrt, kaum menschlich mehr noch. Aus der Wunde träufelte ihm das Blut die Wangen herunter. –

»Du Hund –!!« schrie er, und seine Stimme überschlug sich. »Zum zweiten Male nimmst du sie mir – – –!«

»Wer ist das?«

»Leopold!« stöhnte Elisabeth hinter Pertz, und bemühte sich, vor ihn zu kommen, ihn zu decken.

Er drängte sie zurück. Warf sich mit zwei, drei Sätzen die Treppe empor. Zum zweiten Male spie der Revolver in Leopolds Hand gelbes Feuer. – –

Hubert Pertz blieb stehen. Seine Hand krampfte sich um das Geländer. Die ungeheure Energie in diesem Manne wollte doch noch vorwärts, obwohl er bereits die Kugel in der Brust hatte. Sein Geist wollte den versagenden Körper vorwärts reißen. – –

Doch die Kugel war stärker. Seine Hand erschlaffte, langsam sank er in die Knie – aber seine Augen die hielten den Unseligen.

Elisabeth war neben ihm, fing ihn auf.

»Hilf mir, ihn hineintragen!« herrschte sie Leopold an, der, an allen Gliedern zitternd, vor dem Mann stand, den er niedergeschossen hatte. »So hilf mir doch!« schrie sie, als er sich nicht rührte.

»Ist er tot?« flüsterte er.

»Frage nicht –!«

Leopold richtete sich auf, schaute mit irrem Blick um sich, stürzte über den am Boden Liegenden hinweg die Treppe hinunter. Rannte aus dem Hause. – – –

Sie konnte Hubert nicht bewegen. Sie fürchtete auch, daß ihm vielleicht die kleinste Erschütterung schaden könnte. Still lag er da. Mit geschlossenen Augen. Totenblaß das Gesicht. – Mit Schaudern sah sie auf der Brust einen nassen, dunklen Fleck.

Leise ließ sie ihn zu Boden gleiten, lief in das Zimmer, holte ein Kissen und bettete ihn darauf. Sie war nicht verzweifelt, sie war nicht mutlos. Sie war wie tot. Sie wußte nicht, was sie machte, wie sie handelte. Sie sah nur den Mann vor sich liegen, den sie endlich gefunden hatte. Sie wußte ihm nicht zu helfen. War er schon tot? Lebte er noch?

Sie beugte sich über ihn. Hielt ihr Ohr an seinen Mund. Ja – ja – sie vernahm – ganz schwach – ganz leise – seinen Atem.

»Hubert – Hubert!« rief sie.

Er hörte sie. Die Augen schlug er auf – und da – seit vielen, vielen Jahren brachen die ersten Tränen aus den Augen der Frau. Der Schleier, hinter dem sie von je gelebt hatte, fiel.

»Du darfst mir nicht sterben!« schrie sie. »Ich liebe dich – ich liebe dich!«

Antworten konnte er nicht. Aber seine Augen sprachen. – – –

»Ich will nach Molln hinunter,« flüsterte sie, »und Hilfe heraufholen.«

Sie ließ ihn vorsichtig auf das Kissen zurücksinken, drückte einen Kuß, den ersten, auf seine Lippen und lief die Treppe hinunter.

Vor der Hütte stand der Wagen. Sie schwang sich hinaus, wendete die unruhig tänzelnden Pferde, die sofort die schwache Hand spürten, die die Zügel hielt, und in wildem Galopp davongingen. Die Arme schmerzten sie, ein Gefühl hatte sie, als würden ihr die Hände davongerissen, doch ihre Liebe machte sie stark. Sie bekam die Pferde in die Gewalt zurück, aber sie mäßigte nicht ihre Gangart.

Der wilde Galopp selbst war ihr noch zu langsam. – – –

An der Holzbrücke kam ihr ein Trupp Männer entgegen. Der Förster war es mit dem Gendarmen und ein Paar Hegern. – – –

Mit weit aufgerissenen Augen starrten die Männer alle auf die Frau, die da auf dem Bock saß mit wirrem, aufgelöstem Haar, ihr kostbares Kleid in Fetzen, über der einen nackten Schulter eine breite, blutig unterlaufene Schramme. Sie ließ ihnen keine Zeit, sich zu wundern.

»Kommen Sie schnell, um Gottes willen, kommen Sie schnell«, schrie sie. »Herr Pertz ist schwer verwundet!«

Ein Heger wurde schleunigst ins Dorf zurückgeschickt, um den Arzt herbeizuholen, die anderen sprangen auf den Wagen; der Gendarm packte die Zügel, und zurück ging es. Die Pferde, so kräftig und jung sie auch waren, sie spürten die Last. Spürten den Weg. Zum drittenmal wurden sie jetzt über den steilen Waldweg hinaufgehetzt. Das Handpferd stolperte.

Sie schnaubten beide; weißflockiger Schaum hing an ihren Nüstern, spritzte an ihre dampfenden Flanken. – –

Wieder stolperte das Handpferd, und dieses Mal sank es sogar in die Knie. – – –

»Die Tiere gehen uns drauf«, knurrte der Gendarm. »Sie können ja nicht mehr weiter.«

Elisabeth war schon vom Wagen. Lief voran. Ein Mann blieb bei den Pferden zurück. Die anderen folgten ihr.

So kamen sie nach zwei Stunden zur Hütte hinauf.

Hubert Pertz lag noch, wie Elisabeth ihn verlassen hatte. Der Förster und der Gendarm hoben ihn auf und trugen ihn in das Bett Elisabeths.

»Lebt er?« fragte Elisabeth. Ihr Herz setzte aus, bis der Gendarm sagte:

»Ja, er lebt noch, aber ich glaube, es ist höchste Zeit – – –«

Endlos schienen die Stunden, bis der Doktor kam. Stephan war bei ihm, den der Heger in Molln gerade vor dem Doktorhause getroffen hatte. Während der Doktor sich an die Untersuchung der Wunde machte, zog Elisabeth den jungen Mann beiseite.

»Leopold ist hier«, sagte sie ihm. »Er hat Hubert erschossen.«

*

Am nächsten Tage fand der Förster nicht weit von der Jagdhütte am Predigtstuhl die Leiche eines Mannes, der einen wirren Bart und eine Wunde an der Schläfe hatte. Doch diese Wunde war es nicht, durch die der Tod verursacht worden – neben dem Manne lag ein kleiner Revolver, und auf der Brust zeigt sich ein blutiges Rot.

Der Gastwirt aus Molln identifizierte in dem Toten den geheimnisvollen, verschlossenen Fremden, der sich als Dr. Schurf aus Wien bei ihm einquartiert hatte. Doch Stephan Antzey erkannte in ihm seinen unglückseligen Bruder. Er wahrte das Geheimnis des Dr. Schurf. – – Wie es sich für einen Selbstmörder gebührt, wurde Leopold von Antzey in einer Ecke des Friedhofes sang- und klanglos beigesetzt. Das Erbbegräbnis seines Hauses blieb ihm verschlossen.


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