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XIX.

Elisabeth sah an diesem Festabend schöner aus denn je. Sie trug ihre Lieblingsfarbe, ein Kleid in weiß, dessen schmiegsamer Stoff mit Silber durchwirkt war. Als einzigen Schmuck legte sich um ihren Hals eine zierlich gearbeitete Schlange aus Gold, deren Kopf mit einem großen Smaragd besetzt war – ein originelles Stück raffiniertester Pariser Arbeit.

»Ein Symbol!« sagte Hubert Pertz dazu, als er sie begrüßte. »Eine Art Seelenwarnungstafel! Baden hier verboten! Lieben hier verboten!«

»Sie vergessen, daß die Schlange im Paradies beheimatet war«, antwortete sie darauf.

»Stimmt, das habe ich vergessen. Also das Symbol des Teufels am Halse des Engels aus dem Paradiese! Die Sache wird dadurch eine kompliziertere. Ich wette – –«

Sie wurden getrennt, mitten in seinem Satze auseinandergeschoben, da sich der Schwarm der männlichen Gäste jetzt auf Elisabeth stürzte und sie in Stücke riß. Selbst Stephan konnte nur mit schwerster Mühe an sie herankommen. Seine Laune wurde dadurch nicht rosiger.

Er war von allem Anfang an wütend an diesem Abend. Der Teufel wußte, was da um ihn herum vorging. Alle, die da kamen, drückten ihm mit einem Male mit bezeichnender Innigkeit die Hand, murmelten vage Andeutungen von bevorstehender Verlobung, Glockengeläut und Hochzeit. Jeder wußte augenscheinlich von einem Geheimnis, das ihm selbst unbekannt war. So lange es reichte, wehrte er sich mit Witz und Lachen, aber zum Schluß gingen ihm Humor und Laune aus. Am liebsten wäre er davongelaufen; er hatte jedoch nicht mit der Diplomatie Tante Ursulas gerechnet, die es meisterhaft verstand, ihn bei seinen Pflichten zu halten, ihn immer wieder an die Seite Helenes zu schieben und vor ihm selbst auf alle die Anspielungen, halben Gratulationen, halben Fragen mit einem Lächeln zu antworten, das man eher als Ja denn als Nein nehmen konnte. Wütender und wütender wurde er, da er sich in ein Netz verstrickt sah, aus dem er nicht mehr herauskonnte. Er mußte noch höflich sein, gute Miene zum bösen Rätselraten machen. – – –

Dabei ärgerte er sich am meisten über sich selbst. Vor wenigen Wochen noch wäre niemand glücklicher gewesen als er, hätte er seine Verlobung mit Helene Dazkovic verkünden dürfen. Selbst jetzt noch hatte er alle seine Gefühle für sie. Er verfluchte seine eigene Unentschlossenheit, seine Charakterlosigkeit – – und stürzte sich, alles vergessend, Elisabeth entgegen, als er sie endlich eintreten sah. Rücksichtslos, mit den Ellenbogen voran, bahnte er sich den Weg zu ihr.

Sie sah ihn an, lächelte – und nahm seinen Arm. Selbstverständlich. Er war doch der Hausherr. Es war sein Recht, ihr, als dem Ehrengast, den Arm zu bieten. Bei Tisch war ihr Platz zwischen ihm und Pertz, der ihr als der eigentliche Souper-Kavalier zugedacht war. Nun ließ sie ihre ganzen Künste springen. Vollfeuerwerk weiblicher Grazie und Bosheit! Die Schlange aus dem Paradiese begann, sich zu amüsieren. Rechts von Stephan saß Helene, eine verschüchterte, nicht gerade sehr glückliche Helene. Just mit ihr allein unterhielt sich Elisabeth. Zwang sie zur Unterhaltung. Ueber den Kopf Stephans hinweg, ohne sich auch um den anderen Nachbarn, den zur Linken, mehr zu kümmern. Hubert Pertz machte ein gleichgültiges Gesicht dazu, ließ sich das Essen und den Wein gut schmecken, doch der Neffe, jünger, impulsiver, weniger erfahren, kochte. Hilflos hockte er zwischen den beiden Frauen. Helene, von dem Geist und dem Uebermut der älteren Freundin angesteckt, folgte ihr und freute sich, endlich einmal dem Wankelmütigen etwas von dem zurückzahlen zu können, was er sie die ganze Zeit über kosten ließ. Alle seine Versuche, sich in ihre Unterhaltung, ihr Lachen und Scherzen hineinzudrängen, schlugen fehl. Sie nahmen nur Notiz von ihm, wenn es galt, sich das Salzfaß reichen oder ein Glas Wein einschenken zu lassen.

Nach dem Essen gab es Tanz. Irgend jemand setzte sich ans Klavier und spielte einen alten Straußwalzer. Im Steyrtal war man mit Jimmy und Jazz noch nicht so befreundet, dort freute man sich noch am Walzer. –

Stephan unternahm den verzweifelten Versuch, Elisabeth aus dem Salon abzusondern und auf die Terrasse zu bugsieren. Vielleicht wäre es ihm nicht gelungen, wenn sie nicht selbst es gewollt hätte. Aber sie sah Hubert Pertz in einer Ecke sitzen, sah, wie ab und zu sein Blick nach ihr griff – und ließ sich lachend von Stephan auf die Terrasse führen. Noch in der Tür drehte sie sich nach dem andern um – sie war ihrer Sache sicher.

Lind und lau war die Nacht. Aus dem Salon kamen die süßen Klänge der »Rosen aus dem Süden«, das gleichmäßige Schleifen der Füße auf dem Parkett. – –

»Mein Gott, wie ist das wundervoll!« rief das schöne Weib und trat weit vor an die Brüstung. Stephan stand neben ihr, glühend, unfähig, sich zu beherrschen. Die nackten Schultern und Arme gleißten verführerisch dicht vor seinen Augen. – – –

»Und wie wundervoll Sie sind!« stammelte er. Tief beugte er sich von rückwärts über sie. Seinen Atem spürte sie auf ihrem Nacken. – –

»Ich bitte Sie, Stephan,« sagte sie, indem sie sich rasch umwandte und so der Gefahr entging, »wenn Sie wollen, daß ich noch mit Ihnen hier heraußen bleibe, holen Sie mir meinen Mantel; es ist doch zu kalt.«

Es zuckte in seinem Gesicht. Was wollte sie? Schickte sie ihn fort oder war ihr wirklich kühl – –?

»Ich werde hier auf Sie warten«, hauchte sie demütig.

Da lief er schleunigst davon, um den Mantel zu holen. Sie sah ihm nach – und lächelte, und dann kam Hubert Pertz auf sie zu! Endlich – – –!

»Wollen Sie wirklich hier auf ihn warten?« fragte er.

»Warum nicht? Oder sollten Sie etwas dagegen haben, Herr Pertz?«

Er sah sie mit einem Blick an, dessen überlegener Spott ihr das Blut in die Wangen trieb.

»Ich? Ja! Ich möchte nämlich selbst hier mit Ihnen plaudern, und ich bilde mir ein, daß ich viel besser zu Ihnen passe als mein Herr Neffe.«

»Also Sie können auch menschlich werden, Herr Pertz? Eifersüchtig – ei, darauf kann ich mir ja etwas einbilden. Der Halbgott steigt in irdische Tiefen herab!«

»Wissen Sie sogar, Frau Worth, daß ich mich auf diesen Abend gefreut habe? Da drinnen kann man ja nicht miteinander reden. – –«

»Man kann tanzen, man kann lachen, sich unterhalten. Zu diesem Zweck sind wir ja hier versammelt.«

»Ich bin wohl kaum der Mann für eine solche Unterhaltung, ich wüßte etwas Schöneres.«

»Das wäre?«

»Eine poetisch-romantische Spazierfahrt in den Wald – der Anfang neulich war so vielversprechend, daß ich ihn gern fortsetzen möchte. Ich habe einen Wagen bereitstellen lassen. Wenn Sie also wollen, Frau Worth, können wir uns in das Abenteuer stürzen.«

Jetzt war sie es, die ihn ansah. Er sprach ganz ernst, ohne das spöttische Licht in seinen Augen, im Gegenteil – ihr schien es, als spürte sie in seiner Stimme eine Wärme, die bis jetzt nicht zu vernehmen war. Lange, lange blickte sie ihm in die Augen, forschend – die Frau suchte den Mann.

Auf der Terrasse tönten hastige Schritte. Stephan kam mit ihrem Hermelinmantel zurückgelaufen. Verdutzt blieb er stehen, als er die Gruppe sah. Aerger sprang jäh in seine Augen. – – –

»Ich danke Ihnen, Herr Graf!« lächelte Elisabeth gnädig und warf sich den weich-schmeichelnden Pelz um die Schultern. »Sie sehen, ich habe hier auf Sie gewartet und mir sogar von Ihrem Herrn Onkel die Zeit vertreiben lassen. Nun wollen wir freilich alle miteinander hineingehen, und zum Dank will ich Ihnen den nächsten Walzer schenken.«

Was blieb Stephan übrig? Er schluckte seinen Grimm, seine Enttäuschung herunter und führte sie in den Salon zurück. Dort harrte aber noch größere Enttäuschung seiner. Elisabeth lenkte ihn geradeswegs zu Helene, legte das junge Mädchen in seinen Arm und sagte:

»Da habt ihr meinen Segen! Nun tanzt euch die Seele aus dem Leib!«

Hubert Pertz blieb auf der Terrasse und war just dabei, sich eine Pfeife anzuzünden, als Elisabeth wieder erschien.

»Wo ist Ihr Wagen?«

»Also Sie wollen das Abenteuer riskieren?« Spöttisch, kühl, aus turmhoher Mannesüberlegenheit lachte er zu ihr hin. Sie nahm den Handschuh auf.

»Warum nicht? Weshalb sollte ich mich fürchten?«

»Bitte, meine Gnädige, kommen Sie!«

Der Wagen stand vor dem Stall bereit, Hubert hob sie hinauf, setzte sich neben sie – ein leichter Zungenschnalzer, und die feurigen Halbblütler sprangen vorwärts. Durch das geöffnete Parktor rollte der Wagen hinaus auf die mondbeschienene Straße.


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