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Hubert Pertz lenkte aber, anstatt die Richtung nach Molln zu nehmen, bald nach rechts auf einen schmaleren Feldweg ein, der in weitem Bogen um das Dorf her in den Wald hinaufführte. Steinig war der Weg und ausgefahren, so daß es oft ein heftiges Rütteln gab. Doch Elisabeth lachte nur dazu, das Abenteuer ließ ihre Nerven zittern. Ihre Sinne wurden warm – war's die frische Fahrt, der laue Nachtwind, der ihr die Wangen rötete?
Im scharfen Trab ging's über den Feldweg. Dann hinein in den tiefschwarzen Schatten des Waldes.
»Fürchten Sie sich?« fragte der Mann, der die Zügel in der Hand hatte.
»Ich frage Sie, wieder zurück, weshalb?«
Sie blickte nach rückwärts. Rechts glänzten die Lichter von Molln. Gerade vor ihnen, am Ende des Weges, erstrahlte Rottenstein in seinem Festesglanz. Zwischen beiden dunkel und verträumt der Edthof. – –
Steiler wurde der Weg, aber gleichmäßiger. Tannennadeln machten ein weiches Pflaster. Still war's im diesem Schweigen den Atemzug der schlafenden Natur. – –
»Sie haben wirklich recht, Herr Pertz,« sprach sie leise, »die Fahrt ist schön.«
Er nickte nur.
Höher und höher, dichter und dichter wurde der Wald. An Stelle der Laubbäume traten ernste, düstere Fichten und Tannen. Ein Bach rauschte über den Weg – der Wagen fuhr vorsichtig über eine alte, morsche Holzbrücke. Langsamer gingen nun die Pferde, und an einer Stelle sprang Pertz sogar vom Bock, um bei der Steigung das Gewicht des Wagens zu erleichtern.
Sie mochten wohl über eine Stunde unterwegs sein.
»Wohin fahren Sie mich eigentlich?« fragte Elisabeth, als ihr Begleiter sich wieder neben sie setzte.
»Ich bringe Sie in Sicherheit«, lautete die Antwort.
Sie waren jetzt auf einer Hochebene, und die Jucker griffen von selbst im schnellen Trab aus. Finsterer wurde die Gegend. Felsen drängten sich an den Weg vor. – –
»Was heißt das? Wir wollen den Scherz doch nicht zu lange ausdehnen, Herr Pertz!« Scharf klangen ihre Worte. Gleich einem Befehl.
Doch auf ihn hatten sie keine Wirkung.
»Ich bringe Sie in Sicherheit, dorthin, wo die anderen vor Ihnen sicher sind, Frau Worth«, sagte er. »Sie haben meine Warnung von neulich nicht beachtet und mich daher gezwungen, zu Maßregeln zu greifen, die ich gern vermieden hätte!«
»Sie sind verrückt, Herr Pertz!«
»Ich bin nicht verrückt, meine Gnädige, sondern ich spreche im vollen Ernst. – – –«
»Drehen Sie sofort um, ich befehle es Ihnen!«
»Es wird für die weitere Entwicklung gut sein, Frau Worth,« erwiderte er mit einer Ruhe, die ihre Erregung nur noch höher peitschte, »wenn Sie sich darüber klar werden wollen, daß vom Befehlen Ihrerseits jetzt keine Rede mehr sein kann.«
»Drehen Sie sofort um, oder ich springe vom Wagen herunter!«
»Davon würde ich Ihnen entschieden abraten. Erstens kennen Sie den Weg zurück nicht, und zweitens kommen Sie mit Ihren Seidenschuhen keine zehn Schritte weit. Also fügen Sie sich, meine Gnädige! Wir sind übrigens bald da.«
»Das ist wohl eine regelrechte Entführung«, lachte sie höhnisch. »Durch Ihre zivilisatorische Tätigkeit, Herr Pertz, scheinen Sie vergessen zu haben, daß man in kultivierten Ländern ein solches Unternehmen als Freiheitsberaubung bestraft. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Gedächtnis diesbezüglich aufgefrischt wird.«
»Das steht Ihnen nachher frei, meine Gnädige, vorläufig wird Ihnen aber wohl nichts übrigbleiben, als meiner Einladung, so forciert sie auch sein mag, Folge zu leisten. Ich schätze Sie als eine viel zu kluge Frau, als daß ich annehme. Sie werden gegen Unmöglichkeiten kämpfen wollen.«
»Ich danke Ihnen für die gute Meinung, die Sie von mir haben, und teile Ihnen zur Ergänzung Ihrer Kenntnisse meiner Persönlichkeit mit, daß ich die Gewohnheit habe, nichts schuldig zu bleiben.«
»Ich zittere vor Angst«, höhnte er. Brutal war er jetzt – – –.
Sie zuckte die Achseln und hüllte sich in ihren Mantel. So empört sie auch tatsächlich war – sie konnte sich doch nicht eines Gefühls der Neugierde erwehren, was er eigentlich mit ihr vorhatte. Das war mehr als ein leichtes Abenteuer, als eine kokette Nacht- und Mondspazierfahrt. Es reizte sie. – – –
Der Weg wand sich jetzt durch eine schmale Schlucht, die ganz im Finstern lag. Unheimlich war es hier, und Elisabeth zuckte erschreckt zusammen, als sie plötzlich über sich den Schrei einer Eule hörte. Scheu blickte sie von der Seite auf den Mann neben sich. Er saß weit vorgebeugt und spähte scharf durch's Dunkel aus. Sie lächelte über sich und ihre Schrecken. Neben diesem Manne hatte sie nichts zu fürchten. – – –
Die Schlucht weitete sich. Eine freundliche Waldwiese tat sich auf. Auf ihr stand, an die Felswand gelehnt, eine Jagdhütte. Vor ihr hielt Hubert Pertz den Wagen an.
»Wir sind am Ziele«, sagte er.
*
Als Hubert Pertz den Wagen aus dem Gittertor auf die Landstraße lenkte, war aus dem Schatten der Böschung die Gestalt eines Mannes aufgetaucht. Der Mann war es mit dem wirren Barte und den tiefliegenden Augen – –. Er starrte hinter dem Wagen her, wie dieser auf den Feldweg einbog und hastete ihm dann über die Wiese nach, wodurch er ein gutes Stück abschnitt. Auf dem Wege schritt er rüstig aus. Folgte den Wagenspuren. Lautlos tauchte er in den schweigenden Wald.