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II.

Stanko Dazkovic stand bereits am Zuge, als Elisabeth anlangte. Er begrüßte sie mit einem devoten Handkuß und nahm ihr die Tasche ab.

»Kommen Sie, gnädige Frau,« sagte er in seinem Serbendeutsch. »Ich werde Ihnen Ihr Abteil zeigen. Bestes im ganzen Wagen.«

Elisabeth trat in ihr Coupé, während Dazkovic bescheiden an der Tür stand und wartete, bis sie ihr Gepäck eingeordnet hatte. War ja nicht viel Gepäck. Eine Handtasche, ein kleines Kassettchen. Den Koffer, der auch nicht allzu groß war, fuhr eben der Gepäckträger nach vorn.

»So, nun machen Sie es sich bequem, gnädige Frau!« redete der Serbe weiter. »Und morgen nachmittag sind wir bereits in Paris.«

Das Herz klopfte ihr bis in den Hals hinauf. Der Lärm des Bahnhofes, das Schreien, Hasten – die Atmosphäre des Schlafwagens – das alles erfüllte sie mit einer unbestimmten Erregung, die nicht das übliche Reisefieber war. In wenigen Minuten würde sich der Zug in Bewegung setzen – wenn nur nicht noch in der allerletzten Sekunde irgend jemand kam, in den Wagen hereinstürzte, um sie aufzuhalten, zurückzuholen. – – – Sie wußte, daß dies unmöglich war. Es war ja alles in Ordnung – – und doch, jähe Angst sprang in ihr empor. – – –

»Einen Moment, bitte, Herr Dazkovic,« rief sie, indem sie sich zu einem entschuldigenden Lächeln preßte. »Ich möchte die Tür für kurze Zeit schließen.«

»Aber gewiß, gnädige Frau.« Und er trat zurück.

Allein in dem kleinen Abteil, ließ sie sich auf das bereits gemachte Bett sinken und preßte die Hände aufs Herz. Das schlug einen wilden Schlag. Alle ihre Nerven waren gespannt – zum Reißen. Doch da – ein greller Pfiff schrillte über das Lärmen der weiten Halle – ein Ruck ging durch den Zug – –

»Wir fahren – wir fahren!« jubelte sie leise vor sich hin.

Sie öffnete das kleine Schiebefenster und blickte hinaus. Schwerfällig dröhnend schob sich der Zug über die vielen kreuz und quer laufenden Gleise des Bahnhofskörpers. Signallichter zuckten vorbei; schneller – schneller wurde die Fahrt. Stolz und unbekümmert donnerte der Expreß durch die nächtliche Vorstadt. Da und dort glitt eine lebhafte Straße vorüber mit Autos und Elektrischen und Menschen – das lichtumfunkelte Portal eines Kinos leuchtete auf – – dann schwarze Häusermassen, die der Bahn den Rücken kehrten, dunkel, abweisend, hie und da ein Fenster erhellt. – – –

Die Grenze der Stadt. Dort, wo sie aufs Land hinauswuchs, Fühler vorreckte – werdende Straßen, in denen einsam-melancholische Laternen brannten.

Und endlich das freie Feld – freie Fahrt! Mit voller Geschwindigkeit raste der Zug vorwärts. Elisabeth steckte, so schwer es ging, den Kopf durch den schmalen Fensterspalt und sah zurück. Dort hinten versank die Stadt in ihrem Dunstkreis von Licht und Rauch. – – – Ihre Wangen brannten – tief atmete sie die kühle, prickelnde Nachtluft ein. – – –

Sie war frei!

Vor dem Spiegel ordnete sie sich ihre vom Winde zerzausten Haare, legte ihr Pyjama heraus und trat schließlich auf den Gang.

Dort fand sie wartend den Mann, der sie in die Freiheit führte – Stanko Dazkovic. Er war ein großer, dicker Mensch, schwammig im Gesicht, mit kleinen, verschlagenen Aeuglein. War nicht mehr jung, etwa Ende der Fünfzig, und dachte nicht daran, den Jungen oder gar den Viveur spielen zu wollen. Er prunkte nicht mit der Eleganz gewisser Kavaliere aus dem Osten, die durch allzu kurze Hosen und allzu spitzige Lackschuhe die Mängel ihrer Provenienz zu verdecken glauben. Dazkovic war gut, aber nach der letzten Mode in Mitrovitz gekleidet und machte den Eindruck eines soliden bürgerlichen Kaufmannes. Was er ja auch beinahe war.

Er lächelte der jungen Frau freundlich zu und hielt ihr sein goldenes Zigarettenetui entgegen. Sie schüttelte den Kopf.

»Ich danke, ich rauche nicht.«

Der Serbe sah sie überrascht an.

»Bei einer so eleganten Frau wie bei Ihnen ist das geradezu eine Untugend! Da wird es wohl gut sein, wenn Sie mich gleich zu Beginn unserer Geschäftsverbindung gütigst informieren wollen, ob Sie etwa auch noch andere, derartig unmoderne Eigenschaften besitzen. Ich muß mich doch danach einrichten.«

Diese Worte klangen scherzhaft. Sollten so etwas wie harmloser Spott sein, doch etwas war in ihnen, was Elisabeth aufschauen ließ. Der Blick, mit dem Dazkovic sie betrachtete, war eigentümlich forschend, lauernd – –

»Ich weiß nicht, was Sie als Tugend oder Untugend bei einer Frau bezeichnen,« erwiderte sie kühl und von oben herunter. »Ich werde heute nacht eingehende Studien meines Charakters anstellen und Ihnen morgen früh genauestens darüber berichten. Das eine kann ich Ihnen aber gleich sagen – denn diese Eigenschaft hat mir schon als Kind unangenehme Erfahrungen eingetragen – ich sage immer gerade heraus, was ich denke und empfinde. Ich heuchle nicht, Herr Dazkovic. Oder ich tue wenigstens so, als ob ich nicht heuchelte.«

»Das ist ausgezeichnet. Dann werden wir einander nie mißverstehen, gnädige Frau.«

Mit einer lächelnden Geste, die als Bitte um Entschuldigung zu gelten hatte, nahm er eine Zigarette, klopfte sie sorgfältig auf dem Handrücken zurecht und steckte sie an. Ueber das brennende Zündholz hinweg blickte er zu ihr hin, die neben ihm am Fenster lehnte.

»Ich bin sicher,« sagte er, »daß wir uns sehr gut verstehen werden. Ich weiß. Sie haben ein gewisses Mißtrauen gegen mich, gnädige Frau – aber wenn Sie mich erst näher kennenlernen, werden Sie finden, daß man so aussehen kann wie ich und doch dabei ein anständiger Kerl ist.«

Sie beugte sich zu ihm und funkelte ihn halb spöttisch, halb drohend an. Sie hatte wunderschöne, tiefblaue Augen – –

»Warum geben Sie mir dann den Wechsel nicht zurück?« flüsterte sie.

»Aber – aber!« Mit wohlwollend väterlicher Miene schüttelte er den dicken Kopf. »Wollen Sie wirklich Anständigkeit mit Dummheit verwechseln? Womit soll ich Sie denn halten?« Und aus dem Lächeln wurde mit einem Male ein spöttisches Grinsen. »Womit, sage ich, soll ich Sie einmal überzeugen, wenn wir uns nicht verstehen? Sie sind eine schöne, eine verwöhnte, impulsive, junge Frau. – Ich bin ein alter, dicker Mann. Zuckerkrank, glaube ich, bin ich auch. – Sie waren Künstlerin, Schauspielerin – nicht wahr? Mein Vater war Schweinehändler in Mitrovitz. Wenn unsere Verbindung auch nur eine rein geschäftliche ist – oh, ich bitte, mich nicht so anzufunkeln! – und immer bleiben wird, so kann ich doch nicht heute schon das bißchen Macht aus der Hand geben, das mir zur Verfügung steht. Nicht wahr, das sehen Sie doch ein, gnädige Frau?«

Sie erwiderte nicht. Stand nur und starrte durch das Fenster hinaus in die Nacht. Wie Schemen schwangen sich die Silhouetten der Bäume vorüber, die Telegraphenstangen – –

In ihr war auf einmal alle Freude erstarrt. War das wirklich die Freiheit, in die sie fuhr – –?

»Nur Geduld,« mahnte Dazkovic. So dicht stellte er sich an sie heran, daß sie seinen Atem zu spüren vermeinte.

»Ah – –«

»Nur Geduld! Wir werden uns gewiß verstehen und gute Geschäfte miteinander machen. Sie werden es nicht bedauern, gnädige Frau, meinen kleinen Vorschlag angenommen zu haben – –«

»Ich hoffe es,« gab sie gelassen und stolz zurück.

Sie war die einzige Frau im ganzen Waggon. Die meisten der Herren standen im Couloir rauchend und plaudernd, und mehr als ein Blick tastete sich zu dem schönen Weibe hinüber. – –

»Ein prachtvolles Frauenzimmer,« hörte sie einen der Näherstehenden laut sagen.

Die Röte des Zornes stieg ihr in die Wangen. Dazkovic lachte auf. War vielleicht nicht schlimm gemeint, dieses Lachen, aber es tat ihr noch mehr weh als die Worte des fremden Menschen.

»Haben Sie gehört?«

Sie preßte die Zähne zusammen. Ihre blauen Augen wurden ganz dunkel – –

»Ich glaube, ich gehe zu Bett,« sagte sie. »Gute Nacht, Herr Dazkovic!«

Dann saß sie allein in ihrem Abteil. Hörte das Hämmern der Räder – –. Sie würde kämpfen müssen – um diese Freiheit – –!

Am nächsten Tage war sie in Paris.


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