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I
Ist in Spanien dies die frischeste Stadt? »Et weiht«, sagen bei uns die Inselmenschen. Auch hier weht es ... aber im Südland.
Schmuckkästelstraßen. Mit glatten Schmalhäusern, oft hellgrün; oft rosa; sehr lieblich. Puppenstubengasseln, ozeanfrisch; wohlgeglättet.
Die bildsauberen Häuschen, schmal und juwelenhaft, erinnern an irgendein zier-schmales Haus von ... Danzig.
II
Aber in Cadiz ist eine ganze Stadt so – mit zieren, schmalen, saubren Puppengasseln. Dazu, das ist wichtiger: mit heiteren Südbäumen durchsetzt. (Mit heiteren Südbäumen durchsetzt.)
Und drittens liegt so was am Atlantischen Meer.
III
Ja, aus dem Ei gepellt ... und südhaft. Man könnte fortfahren: ja, südhaft – aber fern vom Graus des Südens.
Sondern Cadiz ist eine Atmensstadt. Eine Ruhestadt. Mit verglasten weißen Schmalsöllern – oder hängenden Glaslauben. Mit überall einem weißen Erker ... auf der rosa, hellgrün, glatten Hauswand.
Sehr was Einladendes; Wohnliches; Schieres; Lockendes. (Ohne die nordische Gemütlichkeit schlechten Wetters.)
IV
Denn für Sonne, Sonne, Sonne sind ja die Gitter-Vorsprünglein der schmalen Glas-Erkerle; jedes etwan ein Fenster breit, und gar nicht tief; wirklich gewissermaßen flache, helle, weiße Glasschränke – die Stirn des Hauses lang.
Herr, so ein Haus mit drei Fenstern Front hat neun weiße Gitterbalkons mit neun weiß-ladenen Glasaltänchen – jegliches mit vielen, kleinen, weißen, gerahmten Glasscheiberln. (Unten vielleicht ein Gewölb in herzhaftem Hellbraun) ...
Die calle de Tetuan ist ganz wie geschnitten; ganz wie vom Glaser, Silberschmied und Färberling.
V
Gestern abend in Cadiz angekommen. Setze mich auf eine Bank unter den Palmen. Kühle, Frischheit. Halblautes Stillesein. Herrlich rings.
Zwischen Cadiz und Xerez gab es eine Salzsteppe – aha! Mit Haideruch. Mit Leuchtturmblitzen. O schöne Schleswig, fern im Nord ... Oder ihr, »Les landes«, in Nordwestfrankreich. Salzglück – darum ist mein Cadiz auch so sauber. So frisch. So durchpustet.
(Nur, daß es zudem noch im Süden durchpustet ist.)
VI
Heut am Vormittag sitz' ich in dem Parque Genovés. Ist ein Garten am Meer. Mit Palmen, Singvögelein, Hauch der Ferne – samt einem Blick über den Ozean.
Die Sinne, die Nüstern, Augen, Haut mit irgend was Durchquicktem in der Seele feiern hier Hochzeit.
Eine lichtblaue Sonne wiegt sich, gewissermaßen mit einem Mund, worin sie alle Zähne klar enthüllt, über der rosa, zartgrün, frischen Leuchtstadt.
VII
Medizinstudenten, aus einem Buch Anatomie paukend, gehn auf und ab ... oder sitzen auf einer Bank. (Im Parque Genovés.)
Was für Palmen! Es gibt welche, die sind hier dick wie zwo Elefantenbeine; und mit einer wahrhaften, ganz verwitterten Elefantenhaut, runzelig, hochbetagt.
Die Wipfel wackeln, im Atem der See.
Und eine Siedelung rings: luftgescheuert; lächelnd; voll schmucken Wohlstands.
VIII
Wohlstands. Ich hatte nicht gewußt, daß Cadiz noch anno 1770 reicher war als London. Sieh mal an.
Nun ja, schon ein Jahrtausend vor Christi Geburt, sogar elfhundert Jahre vor der gemeinen Kindertötung durch Herodes, hatten Phöniker, welche die Stadt gegründet, hier ein Exportgeschäft. (Es war von ganz wesentlichem Umfang) ...
Flinke Griechen saßen hier auch.
Räucherfische, Kochkunst, Liebesdirnen von Cadiz waren damals berühmt. Weltmarke. Ei, ei, ei!
(Das hat sich sehr geändert – die Stadt bietet an Unzucht nichts Nennenswertes.)
IX
Der Küchenglanz blieb teilweis; – Hannibal aß gewiß hier langostinos; das ist die Mammutkrabbe.
Verzweifelt nicht, deutsche Gefährten; ein Trost für den Gegenwartsjammer steckt in Cadiz. Denn obschon Lord Essex, Elisabeths G'spusi, Cadiz dergestalt aussog, daß ein Gesamtkonkurs entstand; so war doch Cadiz, zwei Jahrhunderte danach, reicher als London.
Verzweifelt nicht, deutsche Gefährten dieser Zeit.
X
1770 reicher als London? Aber wo ist heut (nur abermals hundertfünfzig Jahre danach) das viele Geld? Wo ... ist ... das ... Geld – hä?
Die Stadt macht keinen üppigen Eindruck. Hat ein Feind es weggeschnappt?
No, señor. Die Landmannschaft. Die Stadt Barcelona!
Denn: Cadiz liegt nur im Südwesten der wunderbaren Halbinsel. Doch Barcelona blüht zukunftsträchtig im Ost. Barcelona hält heute die Vorherrschaft zur See.
Seit dem Suezkanal wurde Cadiz belanglos. Ein Fortschritt für die Welt ... war der Handelstod für eine Stadt.
Oder doch die Lungenentzündung – wovon sich das befallene Wesen jetzt erholt. Cadiz verschnauft. Es hat schon wieder (oder noch) ein paar Schiffahrtsstrecken.
XI
Dabei war es doch gestern erst – für jenen Werdensgang, den wir Geschichte heißen; (für jenen Urwald, den wir vom Baumblatt sehn) – war's gestern erst: daß Hannibal und Hamilkar in Cadiz Truppen, Flotten zusammengestellt. Die Aufregung darüber ist ja noch in vollem Gang ...
Wie heut, so zu Hannibals Zeit sah man bestimmt am Ende der kurzen, frischen Straßen überall das grünbläuliche Meer. Wo du in Cadiz hingehst, kommst du gleich ans Meer. Cadiz ist gar keine Stadt, sondern eine Insel am Stiel. Oder: ein Tiegel (im Wasser).
Wovon sprach ich? Ja ...: überall sieht man das grünbläuliche Meer neben der weißen Bucht, indem es an die gelbliche Zuckergußstadt mit atlantischen Wellen bumst; haut; spritzt.
Cadiz war für Hamilkar Barkas gewiß eine Wonne, vor seinem Untergang. (Auch für die »Sieger«, die Scipionen, – die gleichfalls untergingen.)
Heut für mich ... der ich atme.
XII
Bei oft stürmischem und feuchtem Wetter lebt sich's hier.
Dann aber sind auch Abende von beruhigt stillem Glanz.
Und Vorabende. Ach –, Vorabende. Das zählt zum Herrlichsten in der Welt.
XIII
An einem solchen ging ich, im Dunkeldämmer (wie schön ist's, wenn es dunkelt in einer Meerstadt) zu dem alten Hospital für Weiber – wo ein Grecobild hängt.
Das Krankenhaus liegt kirchenähnlich in die Häuser gereiht.
Ein Priesterjüngling, bildhübsch, groß, knabenhaft, gütig, zeigt mir, in Gängen des alten Treppenhofs, das Bild.
Sehr gern ... Er ist schier überrascht, daß man kommt. Und mit wem er mal von derlei sprechen kann. Innerlich stolz, daß Spanien, die Heimat, Edelgut solchen Werts in verlorenen Winkeln herbergt. (Aber das errät sich nur in seinem erfreuten Kinderblick. In der willig-frohen Gebärde. Nicht in irgendeinem Wort.)
XIV
Das Licht schwindet schon, draußen. Am Vorabend. Der Regen hat aufgehört ...
Die Cadiz-Menschen, als ich hinaustrete von dem kreuzgangähnlichen Hof, noch an der Seite des fabelschönen (und selber beglückten) Priesterlings –, die Cadiz-Menschen, Soldaten, Greise, Hutzelfrauen, Mädel, mit schwarzem, fast venezianischem fazoletto, selten eine hübsch in dieser Stadt, aber mittendrin, köstlich, stille, rabenschwarze Kinder mit Wunderaugen ...
Wollte sagen: alles dies erging sich. An des letzten Wochentags Vorabend. Zumal auf der freien Plaza Isabel – wo die Palmen stehn, und die Schiffe liegen, und die Mole sich im Abend verliert. (Wo die Palmen stehn, und die Schiffe liegen, und die Mole sich im Abend verliert.)
Das ist hart beim Catedralplatz – der vollends einen Palmenwipfelwald unweit vom Ozean hegt.
Verweile doch.
XV
An Venedig denkt man ... Aber hier ist Weltmeerfrische. Venedigs unsterblich graziöser Verfall – das lebt an Herrlichkeit auf diesem Stern Erde nur einmal. Venedig hat jedoch keine Palmen. Venedig ist (von hier aus) eine Norderstadt.
Dennoch unsterblich; dennoch unvergleichbar.
XVI
Die Sträßlein sind allenfalls doch zu vergleichen. Auch in Cadiz gibt es manche Merceria ...
(Spanische Mercerien, in Sevilla gleichfalls: eng, von einer dunklen Volkheit im Gewimmel durchfüllt – und wo kaum ein Wagen fährt.)
XVII
... Sie wandelten, am Vorabend, als der Regen, wie schon festgestellt, nachgelassen hatte. Manchmal ein Gedräng'; langsam zum Durchkommen; doch alles ruhevoll; doch gewissermaßen schlendernd; doch mit Geplauder und letzten Besorgungen ... und im Genießen jenes Samstags, am Vorabend – (als der Regen aufgehört hatte).
XVIII
Mittlerweile war es wirklich dunkel geworden. Im Dunkel glänzen die kleinen Gewölbe; voll von Alltagsdingen; von Speisen des Südens. Es war sonst nichts los; es ging nichts weiter vor; die Stadt ist zum Glück ohne Sehenswürdigkeit. Man erlebt hier nur, wie die Einwohner leben.
See-Spanier; von Fremden fern. Für sich – am Vorabend; als der Regen aufgehört hatte.
XIX
Alle zwei Minuten sah man, links oder rechts, jetzt seitwärts, jetzt vorn, das überflorte, schon halb düsternde Meer. Es hauchte zu den Ladenlampen hin. (Doch ohne nordische Gemütlichkeit schlechten Wetters) – und draußen lagen die Schiffe.
Und draußen lagen die Schiffe.
Cadiz bleibt eine Palmenstadt, im Süden, ozeanfrisch.
Mit, zwischendurch in die engen Straßen gereiht, manchmal einer Kirche samt etwelchen Gottesmüttern und ihrem blutenden, gliederdurchbohrten Sohn. Mit ein paar gelegentlich verschollenen Türbogen – und mitunter einem Weinschank.
Und zur Römerzeit hieß die Stadt: Gades.
XX
Aber dies alte Gades liegt anderswo.
Nicht in jenen Puppengasseln mit den Glaskästen.
Sondern draußen liegt es – wo der Boden höckrig buckelt; am Hafenteil, wo alles holpernd ist, wüst, unwirtlich, mit felsiger Bauchung und Wölbereien. Mit Steinblöcken, die eine Brüstung sind. Wo Steinwallungen, Mauerschwellungen ragen. Wo Quadermauern dick die alte Stadt gegen eine Tobsee scheiden.
Klobig antikes Gewäll, schwärzer, zerrissener, steinwilder, gebirghafter als bei St.-Malo in der Bretagne.
Sondern es ist ein rohes, ein karthagisches Wuchtbild. Brandung spritzt und pfeifzischt und schlägt –, davor aber liegt, mit zurückgeworfenem Kinn, die weißgelbe Stadt über (an diesem Platz) graubraunem Trotzgemäuer.
Unten grün das Weltmeer; es streichelt mit den Zehenspitzen Südamerika.
XXI
Hier also wacht Gades; oder die ältere Semitenstadt: Gadir. Antiker Ort – noch heut, mit zwei, drei verirrten Kirchkuppeln; am Gischt.
Hier ist kein Heiland und kein Bischof in der Landschaft; in der Meerschaft. Hier ist Hannibal und Hamilkar. Hier ein Stückchen jenes Urwalds – welchen unsereins vom Baumblatt sieht.
(Man sieht etwas mehr, als die Muscheltiere sehn – die jahrtausendlang unterseeisch ein Salzstrom an diesen Fels haut. Für die nichts vorging, was außerhalb des Wassers vorgeht. Man sieht etwas mehr als die Muscheltiere. Und etwas weniger als ...
(Als –? ...)
XXII
In dem geschmückten Kirchlein des Irrenhauses; bei den Walltrümmern und Steinblähungen: da hängt Murillos letztes Bild. Er fiel vom Gerüst hier ... und starb daran. Es heißt: Die Verlobung der heiligen Catalina.
Ich sehe das, am Ausgang eines andren Tags. Nicht als »Werk der Kunstgeschichte« – nur als einen flüchtig-zarten Hintergrund. (Vorabend, Vorabend, wie schön bist du!)
Über dem Altar, in ihrer Welt voll Duft und Engeln, regt sich eine holde Frau, die ein abermals holdes Kindchen, wohl die kleine Catalina, hinhält – dort jedoch steuert auf das Himmelsjöhr stumm eine angelische Gestalt. Nichts daran ist gezuckert. Es verschwimmt.
XXIII
Undeutlich sieht man das, beim Gottesdienst –, während von der Kanzel ein catalanischer Pfaff mit köstlich angeborenem Rednertum, feinblütig, ein wunderglatter Agitator, von seiner Stadt Barcelona hier erzählt. Sehr beherrscht. Spricht von der Arbeitsstadt; von der Großgewerbstadt; ganz nebenbei vom Mont Serrat mit allen Heiligen dort ...
»Ich komme von Barcelona« – beginnt er jeden Absatz. Und nach jeder Klammer (die er mit der Stimme macht ... als ein Musicus) – nach jeder Klammer, in seiner geschliffenen, spargebärdigen Beredsamkeit, erklingt es: »Ich komme von Barcelona.« Vornehm. Kräftig. Sanft. Ein Soldat der Kirche.
Schlimmstenfalls könnt er Aufsätze schreiben, eines Tags. (Also: Musikstücke.)
XXIV
Die Tür zum abgenutzten kleinen Kreuzgang steht offen. Mitten im Kreuzgang schießen hier Jungen Kobolds – und schreien. Hinter dem offenen Kreuzgangstor wieder dehnt sich die weite See ... am Vorabend.
Und eine Frau, schwarzhaarig, blaß, schön, in ein schwarzes Tuch geschmiegt, worin sie ein schwarzes Puppenkind hält, schreitet jetzt im Zwielicht über den Kreuzgang auf die Kirche zu.
Ich stehe schon draußen.
Die Stimme des Pfaffen hallt herüber. (Er kommt von Barcelona ...) Die Dämmerung steigt über das Meer.
Dort blinkt, im noch hellen Schein, ein Leuchtfeuer.
(Nebenan die Irren.)
XXV
Das Wort: »Ich komme von Barcelona« gilt auch mir. Ich will diese Stadt noch bannen.