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I
Andalusien ist ein Überbein von Afrika ... Dieser Gedanke verläßt mich nicht.
Lumpige vier Jahrhunderte nur, seit in Spanien das Maurenreich ein Ende nahm.
Wie lange zuvor hatten die Araber Spanien bewohnt, bebaut, beherrscht? – Fast ein Jahrtausend ... Ist also dies ein Europäerland?
Im Norden schon. Aber noch in Bergkastilien, auf dem Toledofels, hallt etwas dämmrig nach von einer europaverlassenen Schwermut ... Ferne Verschollenheiten der Landschaft: wo weiße Hüter, ich seh's, auf der Wacht froren, in den Burnus gehüllt, wie einbeinig stumme Vögel.
II
In Andalusien froren sie nicht ... Was für ein Schlag aber war das?
Ein Stamm von Kriegerkavalieren; Sprachvergötterern; Dichtungsverehrern. Ihre Bibel ist mit Reimen durchsetzt – wie eine Weißwurst mit Majoran.
Ihr Mahomet zählt, boshaft, die Dreieinigkeit zur Vielgötterei ...
Er scheint zu schmunzeln; Gott habe keine Familie gezeugt – auch keinen Sohn.
Die Hispano-Mauren sind Urbild für alles Rittertum – das von Europa dann geäfft; von einem spanischen Genie durch Lachen zuletzt vernichtet wird.
Die Troubadours: ein maurischer Nachklang. Ihr Vorbild: maurische Liedform.
Ja, was ein arabischer König von Sevilla leidvoll harft, als er im Turm sitzt, davon schweift ein süßes Echo bis zu den Alpen.
IV
Dies Arabervolk (auf unendlich höherer Geistesstufe gelagert als etwa die Normannen Siziliens) baut niegesehene Marmorschlösser. Ein Stamm von scharfem Hirn, reif zu logischer Turnkunst. Griechenschüler. Freie Denker. Skeptiker. Satiriker. Astronomen, Ärzte, Mathematiker. In ihrer Sonne war gut hausen.
(Sie hätten den Giordano Bruno nicht verbrannt.)
Mauren sind im trostlosen Dschungel des Mittelalters die Lichtung. Hort eines vorgeschrittneren Menschtums. Spitzenreiter.
Sie haben eine Art Bolschewikenreligion, will sagen: eine mit Vorstoß, mit Gewaltwerbung, – und stiften ihre Gotteslehre mit ungeheurem Erfolg. (Trotz dem herben Grundsatz: Knäblein erst im siebenten Jahre zu beschneiden.)
... Sie hätten den Giordano Bruno nicht verbrannt.
V
Ferdinand und Isabella wurden die »reyes catolicos«. Mordeten die Mauren; jagten die Juden; pflanzten die Inquisition.
Das Holz ward knapp – für fromme Scheiterhaufen. Das Eisen knapp – für die Folter.
Im Dom zu Granada sieht man das Relief, am großen Hauptaltar: »Zwangstaufe der Mauren durch die Mönche.« (Zwangsreligion; ein geistiger Zustand.)
... Doch die Überwinder waren in die Sternenpracht der Überwundenen verliebt. Sie wiederholten knechtisch ihre Säulchen, ihre Tore, ihre Gärten, ihre Brunnen.
Peter der Grausame schuf so den sevillanischen Alcázar – und hier soffen die Ritter das Badwasser seiner Kebse: der Maria de Padilla. (Dies war mehr, als die Mauren je geleistet.)
VI
Cordoba ...
Leuchtend an Bildung. Unter den Mauren war Cordoba die reichste Stadt Europas. Der heilige Ferdinand stürmte sie – gleich kam der Verfall. Dies Wunder ist heut ein Gerümpelhauf; ein Loch; ein Nichts; ein Dreck.
Nur der steingefügte Wunsch, nur was in der ganzen Moslimwelt eines der größten Bethäuser war: nur das ragt aus dem Holpertrödel – als getaufte Moschee. »La mezquita«, sagt richtig heut noch das Volk.
Innen, heißt es, ist sie ein Wald. Ja; guter Vergleich! Säulen, Säulen, Säulen wie Waldstämme dicht. So eng, daß der Mensch sinnen kann; allein; hingestreckt zur Ewigkeitsrast.
VII
Niedere Säulen ... Doch im arabischen Wald sind Schonungen, Hochblicke. Derlei nannten sie: mihrab (übersetzt wird es mit: Gebetnische. Muß eher heißen: Gebetschacht). Das himmlische Werk von Silberschmiedbaumeistern.
Simse wie Geschmeid. Feierstolze Kleinodranken. Kringelzierat, Sterngewinde. Perlenschimmerarabesken. Spinneweb von Edelstein. (Unbewußt wird man trochäisch.)
VIII
Hier ist eine Kunst, wo der Kitsch zum Genie wächst.
Wieviel edleres Juwelierwerk an Mosaik als im venezianischen Markusdom! Fahret mit der Hand hinüber: kein Ritz. (Eine Morgenlandsgeduld, um diese Vollendung zu schaffen.)
Wundertore, Bogen, Türmchen. Brunnen. Apfelsinenhof.
Innen: jene Fata morgana. Doch plötzlich ...
Zwischen das Arabische sind fromme Strecken gepatzt – von den christlichen Eroberern. Ein holzgeschnitzt reicher Chor. Mit flinken Prunkhänden eingeschachtelt. Dreiundsechzig Säulen kappten sie – hunnisch.
Oh, Karl der Fünfte schnob mit Recht: »Ihr habt etwas zerstört, was einzig in der Welt war!«
IX
Trotzdem ... Die Mischung ist fesselnd. Ich sah die Moschee Ibn Tulu im Pyramidenland; sie ist noch größer, gewiß. Doch wer durch ägyptische, numidische, türkische Bethäuser ging; wer das zweitherrlichste vom ganzen Islam geschaut hat, die El Aksa, auf dem Tempelplatz des weiland Königs David, zu Jerusalem: der kennt zwar Moslimbauten voll Einheit – doch Cordoba zieht allerhand Reiz eben aus dem barbarkatholischen Mischmasch; aus dem Wirrwarr; aus der holden Verhunzung ...
Wie Dogenpalast und Markusdom durch die ungleich aufgepappten Anfügsel hold wurden.
(Denn es ist alles Einstein – und nach langem Genuß wohlgliedrigen Gleichmaßes ergötzt halt sein Gegenstück ... Seid's einfach!)
Kurz, die Störung wird zur Lockung. So liegt, für mein Empfinden, der Fall: Cordoba.
X
Laßt aber alles Wägen, alles Deuteln jetzt; hebt eure Wimper – wenn ihr einzieht in das Kalifenschloß ... oberhalb Granadas: in die »Rote Stadt« oder Al-hamrâ.
Etwas Gewesenes: – und ein Denkmal der Träume für immer.
Seid nicht fachstolz; nicht literatig; indem ihr sie »ablehnt«. Sondern vergleitet, bis an die Brust, bis an die Augen. Und bekennt abermals: daß Kitsch zum Genie werden kann.
(Europas Burgschlösser sind hiergegen doch eine gerupfte Kahlheit – alle.)
XI
Schnee; Zypressen; Feigenbäume. Blauer Horizont.
Zinnen. Rosa Mauern. Unten die Stadt ... Jenseits: die Berg-Au, durchgrünt, übergrünt. Violette Blumenströme.
Zehntausendfaches Sprossen unter dem Südhimmel mit Schnee. Palmen über Mauern.
XII
Wie heißt das? Gesandtensaal? ... Irgendwo dann guckst du auf Rauschwasser. Auf arabische Turmsöllerchen. Auf steinerne Spitzenkunst. Kringelmärchen; Funkelwonnen; Brennblüten; Leuchtschleifen; Sternparadiese.
Aus dem Halbdunkel, durch kühlende Rundbogen, sommer-offen, ohne Glas, hundert Blickseligkeiten ins Talgrün, unsterblich, aufs Gebirg, mit zum Greifen fernen Häuseln.
Innen: Edelstes; Begnadetes. In jedem Teil vollendet.
Nach der unbewußten Losung: »Rosinen!« Kein Teig – bloß Rosinen.
Darunter hier dicht, wie hangend angeheftet, ein Zypressenhöfle. Gangbrüstungen oben. Andre, vergittert.
Wachskerzendünne Säulchen. Letzte Lieblichkeit. Nicht Wucht – ein Schweben.
O taumelschönes Wirrsal – mit manchem Durchguck.
Pfadgassen fern in recht verschiedener Höhe. Gärtchen hoch und Gärtchen tief – immer das Schneegebirg licht über Zypressen. Über steilsten Turmquadrateln.
Diese schlank behelmt mit einem Dächlein.
(Keine Wucht. Ein Schweben.)
XIII
Im Löwenhof Dunstbilder, zauberisch. Mondgezelte von Stein. Witterndes Wüstengetier. Lufthimmel. (Und immer die Sehnsuchtszelte – brennend-hold gemetzt.)
Rauschgerinnsel. Tropfsteinfeierglanz. Leuchtbilder. Tempelruhe. Wisperwinkel. Vergessensblick ... Im farbigen Dämmer.
Wieder was Schwebend-Ummauertes? Ja: mit Wasserbecken, Orangenbaum, Vogelstimmen.
Über linden Bogen Gaukelgitter.
Herrlichkeiten wie Sand am Meer.
Stille; Duft; Bergeshöh'. Tausendundein Tag.
XIV
Dieser Badvorraum ... Ein Farbenschloß. Lauschig-Träges – wo sie lagen, auf der buntkühlen, niederen Statt von Edelkacheln. Vierzig Fatmas und Aischas. Haaa!
Von Feenlichtern überwölbt, wie beträuft. Sacht, zart, schimmerbunt. Auch ein Brünnle. Und Pfeiler ... Gold, Violett, Rosa. Jetzt funkelrot. Und Bläulich-Vorblühendes, wie Flammenfrüchte. Nochmals eine blasse Kerzenschar aus Alabaster, aus Marmor; trägt Wirrherrlichkeiten. Dazu offner Himmel. Ein Sommertraum.
XV
So aber soll der Mensch, wie hier geschaffen ist, schaffen. Kein Ödfleck. Kein toter Punkt. (Robert Schumann hat's gewußt, als er sprach: »Schreibe, daß beim Schreiben jede Note dich packt« – und war voll Seele.)
XVI
Adlig gestuft fühlten diese Korankinder – mit ihren Gittern, Sternen, Labyrinthmustern, Schriftmalereien, Farbhauchen, Schimmerflügen. Mit Schattenstille, Sonnenhöfen, Träufegärten, Einsamkeiten. Mit Kauerstufen, Flüsterkojen.
Mit Lauschräumen und Rauschbäumen.
XVII
Die Alhambra war das Winterschloß. Das Sommerschloß heißt: Generalife.
Nun erst ein Bündel von Hängegärten. Welcher Weg! dieser hingedehnte, ganz schmal, von Enakszypressen gesäumt. Mit Zuckerrohr, beim Ton des Rauschebachs. (In den Gang blickt wieder Blauhimmel und Zuckerschnee.)
Auf Weiches lugt man – und auf Starkes. Kegelberge, sanft verglommen; auf sie fallen weiche Schatten, im Südbrand.
Und hier? Eine Steinallee, voll dünner Wasserstrahlen. Fließt alles in ein Rausche-Rinnbecken. Wieder Apfelsinenbäume goldfruchtdicht an der Wand – und Rosen. Dies alles schwebt in der Luft. Im Gebirg. Unten die Stadt. Das Au-Grün: die Vega. Man ist höher hier als das Alhambraschloß. Du blickst hinab-hinüber. Es riecht nach Buchs. Nach was nicht!
Jenseits, den Berg hinaufwachsen, wimmeln, wuchern Berberkakteen. Kein Ende. Das rauscht und raunt und rinnt. Burgen, Palmen, Türme, Zypressen. Ein Südgarten auf dem Gebirg.
... Es war dem Boabdil entsetzlich schwer, Granada zu verlassen.
XVIII
(Es war dem Boabdil entsetzlich schwer, Granada zu verlassen.)
XIX
Der Generalife bleibt ein Himmelshag. Nichts kommt ihm gleich an luftvoller Kraftherrlichkeit. Oder doch? ...
Vom Velabau der gefriedete Blick auf den scheidend grünen Tag? Hier klebt, unweit, ein letzter Schwebgarten schmal über dem linden Abgrund.
Mit Rot, Gelb, Weiß, Blau, Grün. Mit einem Tor aus Rosen, mit blauer Iris, weißer Kalla. Mit Lorbeer, Palmen, Orangenblütenduft.
Unter dem Vorabendhimmel, – bei der weißen, weißen, weißen Sierra Nevada.
XX
Ich ging auf den Albaicin. Höhlenzigeuner sind hier nicht – (sondern am sacro monte). Häuserchen den Berg hinan. Steile Schmalgassen. Weinschänken. Baumgänge hinter Mauern. Stiftungen. Gottesanwesen, halb versteckt.
Oben vor dem Kirchel (auf maurischem Grundgewölb) ein Tafelplatz, über dem Tal. Man blickt hinüber; noch einmal; auf die Alhambrastadt ... Es ist eine Stadt.
Die Vega, die Schneekette, der Abendhimmel, die nahen Dunkelberge – dies wird etwas Namenloses.
XXI
Kinder umtänzeln, bezupfen uns, betteln um einen centimo, mutwillig, nicht aus Not. Sie balgen sich – auf dem Wege.
Jetzt, oben, auf dem hängenden Platz, mit niederer Steinbrüstung, hoch über Granada, sind andre Mädelchen, Bengels; umringen unsere Bank, betasten meinen Stock (»Es ist ein Schirm drin!!«), drängen schwalbenschwätzig an uns – betteln wieder neckend um einen centimo, einen »kleinen Hund«, wie das heißt – perro chico.
Ich sage scheinbar ernst, mit umgedrehtem Spieß und bettelnd vorgestreckter Hand (bei zusammengerafftem Spanisch): »Schenkt mir bitte ein Fünferl – pobre de mi, ich Armer komme aus dem Irrenhaus« ... sie wälzen sich vor Lachen über den Spaß.
Ein älteres Mädel, sechzehn, schwarz und hübsch, guckt etwas verschämt über die Unart zu.
Der Abend steigt vor dem wunderbaren Fleck hinab in das Tal.
XXII
Auch wir gehn hinab – durch Steilgäßlein, winklig, holprig, wirr, mit blauem Gehäng überwachsen, es dunkelt jetzt, man sieht öfters die Alhambra durch, immer die Berg-Au.
Du bist beglückt und ernst; dann, als alle Lichter unten angesteckt sind, kommt man endlich nach Granada hinab, auf die breiteren Straßen; in den Trubel; alles schleicht spazieren, so um acht; viele zerlumpt; bauernderb; zigeunerig; halten mit einem Wolltuch den Mund zu – wegen der Angina, die man erwischen kann. Oben liegt Finsternis. Der Islam schläft. Und dies war mein letzter Abend in Granada.
(Der letzte vielleicht für dieses Leben. Denn heute? wer weiß, was ein Deutscher noch wiedersieht.)
XXIII
Der Islam schläft. Ihn drückt in Indien wie Nordafrika sozusagen eine dauernde Ruhrbesetzung. Jahrhundertlange Ruhrbesetzung ...
Und weil England Furcht vor ihrem Ende hat; somit Furcht vor Frankreich im Osten: darum hilft es uns nicht in der schändlichsten Qual. (Wir hängen ein bißl von Mohammed ab.)
Der Islam schläft. Spanische Sarazenenenkel (die nicht wissen, daß sie's sind) kämpfen in Marokko gegen ihre Blutsbrüder.
Der Islam schläft aber nur. Ist längst nicht tot. Nicht in Tanger, nicht in Delhi. Nicht mal in Kleinasien.
Als Japan den russischen Nikolaus besiegt hatte, sprach zu mir in Algier ein Muselman: »Europäer sind nicht unverwundbar – wir Mohammedaner wissen das jetzt; eines Tages handeln wir danach!«
Neue Kalifen kann die Welt sehn ... (Oder Präsidenten im Turban?)
XXIV
Keiner wird so angenehm wohnen wie einstens Boabdil.