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I
Niederträchtig wär' es, über den Wein dieses Landes kein Wort zu äußern. Ich trank mich durch ganz Spanien.
Aus Pflichtgefühl. Nun: Rechenschaft!
Da wäre, sagen wir mal, Riojawein. Wächst im Norden. Ebrogefild ... Weißer Rioja schmeckt noch leichter als der südfranzösische Graves, im Durchschnitt. Öfters ähnelt Rioja blanco dem Sauternes. In Spanien müßte man hausen – schon seinethalb. (Der Rioja, weiß und rot, ist hiermit nicht erschöpft; man hat auf ihn zurückzukommen.)
II
Südlicher, doch in Kastilien, schwillt der Valdepeñas; ich trank davon blanco superior. Herb – nicht streng. Wie ein sehr gezehrter Ungarwein. Man könnte sagen: beinah tonlos. Ohne Zugeständnis. Aber gehaltvoll ... Es ist ein Wein.
Auf den Rioja nun zurückzukommen: so gibt es einen mit dem Beiwort Ollauri, dazu die erstaunliche Marke: Cepa Chablis. Also die Chablis-Rebe wird in spanischen Boden gesetzt. Es gibt auch Rioja mit dem Beiwort: cepa Rhin. Also die Rheinrebe verpflanzt!
Aber nur bei der ersten Ernte haben diese Wanderweine noch den alten Geschmack, – nach der zweiten schmecken sie schon spanisch.
Demnach: nicht die Rebe macht den Geschmack, sondern der Boden. (Zu schweigen von der Sonne) ... Ein sehr nachdenklicher Vorgang; den Rassenforschern ans Herz gelegt.
III
Ganz heimatlich deutsch war jedoch der Wein beim Botschafter in Madrid: in dem an Bücherschätzen und Kunst glücklichen Haus. Unverpflanzt; aus dem Rheingau – wo der vom Schicksal begnadete Freiherr Langwerth v. Simmern den zweitgrößten Rebenbesitz hat. (Heut, im Frühling 1923, wird alles von den Franzosen gesperrt. Es ist infam.)
IV
In Cadiz trinkt man den Nachbarwein aus Jerez – von den Briten Sherry genannt.
Ahoma. Amontillado fino. Der ist stark. Duftet aber sprittig; das bleibt ein Mangel. Dagegen Manzanilla ...
Der Manzanilla hat mir am besten geschmeckt. Aus demselben Winkel. »Clasica«; Florido Hermanos. Dieser Manzanilla ist stark und schwer. Ganz dicht-gehaltvoll. Fast grüngelb. Wunderbar. (Nicht sprittig wie der Sherry!)
V
Verachtet mir den weißen Diamante nicht – aus der Weinstadt Logroño. Das ist abermals Norden. Wie weißer Bordeaux.
In jedem Fall trank ich einen Ollauri (Paternina) von der Burgunderrebe, »cepa Borgoña« – der hatte längst Spanisch gelernt ... War prachtvoll.
In Deutschland versteht man unter spanischem Wein irrig allemal Frühstückswein. Spanischen Tischwein kennen wir kaum. Aber just in den verschießt man sich dort.
Ein Gewöhnlichster, ein Roter, vino corriente, Landwein – und das Paradies geht auf ... Die Farbe zwielichtig (fast wie bei dem »vin gris« von Lothringen; oder beim schillerigen Bodenseewein). Solcher corriente wirkt edel-füllig. Nicht leicht. Fässer möcht' man mitnehmen. Den trank ich in Avila.
VI
Später, in Burgos, muß einer genannt sein: aus dem südlichen Dorf Palomar. Wieder ein corriente, durchsichtig-rot, feuriger Innenwert ... und floß wie Wasser.
Ja, voll Gehalt scheint alles, was hier wächst. (Das in Spanien gebraute Bier sogar, zuweilen mit einem Geschmack wie Grätzer, ist berauschend – und seltsam schwer.)
VII
Der andre Teil des Zwischenspiels: Sierra Morena.
Spanien ist heut im Aufstieg. Voller Hoffnung. Selbst in der Eisenbahn haben sie schon Fortschritte gemacht. Ein schneller tren de lujo ist heut ganz ausgezeichnet. Wann bessern sich auch die ... vorsichtigen »correo«-Züge? (Mancher hält länger, als er fährt.)
VIII
Frühmorgens im »Luxuszug«. Alle sind schon auf ... Ich sehe Felsen – wie ein vormaliges Strombett. (Gleich den ausgewaschenen barancos auf den Kanarischen Inseln.)
Der Tag erwacht. Herren spucken auf den Läuferteppich. Kuiiik, – quorax. Zwei Spanierinnen ziehn, weltlich, lässig, den Stift bei offner Tür über die Lippe, die Braue.
IX
Vor dem »lavabo« steh' ich mit dem Waschzeug. Ein junges Fräulein, Familientochter, siebzehn, reizend, Augen schwarz bei lichterem Haar, langer Mozartzopf, kommt, ohne Waschzeug, und fragt mich frankmütig, unschuldsvoll: ob es »ocupado« sei. Ja ...
Wir sprechen. Sie reist mit Vati und Mutti. Sie dankt naturhaft, daß ich ihr den Vortritt zusage. (Sie trägt kein Waschzeug.) Sehr liebenswürdig. Und, mit einem Blick auf die Armbanduhr, um zu zeigen, daß sie auch Französisch kann (langsam, wie in der Schule): »Sept ... heures ...vingt!« Reizend. Sieben Uhr zwanzig auch bei mir. Tjaaa ... Als endlich die Tür geht, macht sie einladend einen Gestus. Ich, noch einladender. Sie dankt mit naturhafter Herzinnigkeit, kommt nach zwei Sekunden heraus und grüßt glücklich lachend.
(O Erdwuchskraft, o Allnähe des spanischen Volkes! Nordische Mädchen sind schämiger ... und gerissener.)
X
Doch furchtbar wird die Erdwuchskraft, wenn sie dem Rachen sich entrafft, im Frührot rülpseröchelschluckt – und Austern auf den Teppich spuckt. Cervantes, du hast ungehemmtere Spanier, selbst Spitzbuben und Ludewigs gemalt, in zu wenig gekannten Werken – und, siehe, hier kommt Alcala, deine Geburtsstadt ... Zuvor schon hält aber der Zug. Auf! ... Hut ab! ...
Ein wartendes, einsames, gutes Maultier guckt sich still nach mir um.
Du warst, himmlischer Freund, ein Zerstörer des Heldenbegriffs; auch Du. Ave! ... Der Tag erwacht.
Quorax, kuiiik.
XI
Später komm' ich durch deine Steppe, die magre Mancha. Sehe noch die Windmühlen der komisch berüchtigten Gegend; – die sind heute wie damals. Hier ändert sich nichts. Das Dorf Toboso, wo die Dulcinea saß, liegt unfern. Bin glücklich, dies alles zu sehn.
Danke dir tausendmal, Spanien, daß du in einem Punkt über den Völkern stehst: ein Humorkünstler wurde Nationalheros.
Ja – – »es bleibt mir ein Merkmal des Banausentums der Welt, daß zu ganz wenigen Malen ein Humorkünstler Nationalheros geworden ist ... Grund ist menschliches Hineinfallen auf ›Würde‹. Die Schätzung des ›Ernstes‹. Der allen Unsicheren einwohnende Drang: Humor nur eben zu dulden mit einer dankbaren Geste des Verzeihens; statt ihn mit kühnem Zupacken an die Spitze zu reißen, als unwiderlegbaren Einspruch, als Flamme der sichersten Lebenskraft ...« So steht es in der »Welt im Drama«, meinem Hauptwerk.
Danke dir, Spanien – tausend-tausendmal.
XII
Über die Sierra Morena führt heute der Weg. Was Braunwildes, Nacktes.
Maultiere mit Doppelsatteln aus Hanf ... wie eine Wage mit zwo tiefen Wagschalen.
Töricht ist es, Landschaften immer weiter, immer weiter seßhaft zu schildern ... Aufblitzen muß was von ihrer Wesenheit.
Fünf Maultiere hintereinander, vor dem zweirädrigen Zeltkarren mit brauner Leinwand. Bergluft und Glutsonne.
Manchmal im Gebirg ein Mensch, einsam und langsam reitend.
Wer bist du?
Reden wir nicht zwei Sprachen – auch wenn wir nicht zwei Sprachen redeten?
Zwischendurch Ölwälder, Kuhglocken.
Stillste Bergteiche; – bloß bachbreit.
XIII
Jetzt hört aber die Beschreibung auf. Im Saftgelbgrün grasen rastende Tragesel. (Die Esel hier, – bildhübsch, weiß, hoch, mit weißen, lieben Gesichtern!) Beginnt schon Andalusien?
Nur dies noch: Letzte Klotzmauer mit Scheibenschichten. Die Risse wie mathematisch geregelt. Seltsam.
XIV
Einmal guck ich empor zu dem Steingau –, wo die Sierra ...
Wo die Sierra, nackt-gezackt, pomphaft die Pupille packt. Oben, ohne Schutz und Schirm, brütet eine breite, brave, gottgeduldige Agave, mitten auf dem Felsgetürm. Die Agave harrt und starrt, fern von jeder Gegenwart, ohne Inhalt, ohne Ziel – wie ein schlafender Schlehmihl. Von der Sonne heißgekocht, fristet sie ihr Leben focht, Sommer, Winter, Herbst und Lenz ... ist das eine Existenz? –? –? –
XV
Weibsleute mit Augen von Glanzleder – bei tintigem Gefiederhaar. (Bei tintigem Gefiederhaar.)
Kerle mit schwarzen Käpplein (ein abgeschnitten Schwänzchen daran, oben in der Mitte, hinaufstehend, ganz kurz).
Feigenbäume, wild an Hängen – – auf andalusischer Halde.
XVI
Südwärts! Die Sierra Morena (nicht zu verwechseln mit Erna Morena, Filmschauspielerin) liegt oben. Dort ihr Kamm; da ihr Fuß; mittendrin Wildromantisches.
Südwärts! Hallooo! Das grüne Glück, von bläulichen Bergen umwacht. Die Berge sind hier manchmal wie Kissen mit weichem Wangeneindruck.
(Ähnlich wie das Atlasgebirg Nordafrikas – das ich öfters, auch von der Seeseite, geschaut ... und einmal von oben.)
XVII
Mitunter was Braunhäutiges. Rosa Jacke, Nelken hinten im Haar, ein ganzer Strauß, rot und weiß.
O Fernen edelträchtig! o grünes Land voll Öls, – und wie der Wein hier wild wird, sproßt, treibt. (B-Dur, Viervierteltakt: »Waan! Waan! überall Waan!«)
XVIII
In Villa del Rio der erste Bursche vom Land mit jenem breitrandig-steifen, hellgrauen Zylinder, – dessen Mittelrund ein Blumentopf ist.
Spät beschienener Fels. Und jetzt, in drei Teufels Namen, sakrafuffzigeinhalbnochmal, Apfelsinensonne prall auf lila Bergen.
Andaluz! du lilablaues Abendreich, mit lilablauen Farbschatten, Märchenbildern – hinter Schokoladigem und Fruchtgrün. Was ist jetzt aber dies da oben? Das Schatzhaus Peters des Grausamen. Nicht eine Peseta hat er mir vermacht. Der Hund. Vorbei. Oh, wieviel Mannsbilder einsam auf der andalusischen Abendlandstraße ziehn. Sitzen auf dem Esel baumelnd, nicht rittlings. Wie in alter, alter Zeit.
XIX
Ölwildnis, Wein, weiße Städte – und es riecht vor der Dämmerung ... nicht nach Heu, sondern schon fast nach Anis – (im Frühling).
Andaluz! Andaluz!
XX
Wer immer von dir Abschied nimmt, ist ein Stück Boabdil. (Wer immer von dir Abschied nimmt, ist ein Stück Boabdil.)
... Dennoch muß man eines Tages nach Madrid. Nordwärts.
Und ich will zeigen, was auf dieser kaum veränderlichen Halbinsel sich heute doch verändert hat.