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I
Seit ich Bilder sehe, zog mich die spanische Gattung tiefer an als irgendeine. Wob dahinter ein Traumgemächt – oder das wirkliche Spanien?
Nachher sah ich das Land. Eine gewisse Dunkelnis, inmitten hellen Gehegs; dieser nur zehrend-lichte, fast grünliche Ton, in feierlich-schwarzer Umwelt; oft unter schwarzem Haar.
Nicht bloß Castiliens steiniger Ernst! Vielmehr was Adelsvolles; Großherziges; Verinnigtes. In halber Knabenzeit brauchte man bloß die gemalten schwarzen Brauen, den schwermütigen Dunkelton, die tief saugenden Blicke zu sehen – und war weg.
Dies packte mich, meiner Lebtag, mehr als Italiens Farblerei und Formlerei. Mehr als die Schönseligkeit des fürchterlichen Raffael. (Gnade! Der Mensch soll schreiben, was er fühlt.)
II
Den wir Greco nennen, hat bloß manchmal hiermit was zu tun. (Nicht in solchen Teilen seines Werks, um derentwillen er heute geschätzt und gehißt wird.)
El Greco; deutsch also: der Grieche. Weil ja Domenikos Theotokopulos aus Kreta war. Von dort über Venedig und Rom kommt er nach Spanien, als ein Mann.
Der Vollblutspanier Cossio findet: vom Greco sei das »Genie der spanischen Rasse« bisher am stärksten ausgedrückt worden. Dieser Satz entschlüpft ihm. Also von dem Fremdling am stärksten. »Cepa Hellas«, dacht' ich –, griechische Rebe, verpflanzt in spanisches Erdreich ..., und wird spanischer als die Spanier selbst.
(Aber gewiß; Dürer, welcher die Wesenheit der deutschen Rasse verkörpert, stammt aus Ungarn; Beethoven aus Belgien; und Goethe trug nicht blondes Haar. Waren alles ... Landfremde. Der Greco knapp um einen Grad sichtbarer.)
III
Was gilt heute, zusammengefaßt, an ihm? – Vor dem Greco malte man mit rotem Farbschimmer; er mit bläulich-grünem. Vor dem Greco malte man mit Goldton; er mit Silberton. Vor dem Greco malte man warm; er kalt.
(Hätte sich das alles umgekehrt vollzogen: das Glück wäre vielleicht ebenso groß ...)
Und was ist Ursache für seine Wendung zum Bläulichen, Kalten, Stumpfen? Erstens: weil schon Tintoretto stumpf gemalt hat. Zweitens: weil die Natur schon Castiliens Hochebene stumpf gemalt hat.
(Es kann auch völlig, völlig anders gewesen sein ...)
IV
Weiter. Nicht loslassen.
Mit Blau und Stumpf und Kalt ist es bei dem Greco nicht getan. Hinzukommt etwa: Lichtjähheiten. Hinzu kommt: ein Zug der Verzückung. (Vom heiligen Franz aus Assisi hat er bloß vierundsechzig Bilder gemacht.)
Hinzu kommt: neben dem Überirdischen das Ganzirdische: Bildnismalerei– voll höchster Treffkraft. Kurz: außer dem Expressionismus letzter Naturalismus.
Seine Wesenheit: verstandesgeschult; klügelnd; künstelnd; zugleich aber voll Kraft im Wurf; zugleich maßlos; zugleich verwegen; zugleich sehr wild. (Die Leute sagen: auffallsüchtig. Die Wahrheit ist wohl: eigenwillig.)
Als Unwirklicher somit: ein Ahnherr der vorletzten (expressionistischen) Gegenwart. Als Wirklicher: ein Ahnherr des Velazquez.
Ecco.
V
Als ich zuerst in Toledo war, vor achtzehn Jahren, begann Grecos Laufbahn. (Er starb gegen 1614.) Heut spielt er, um ein Haar, die Rolle Shakespeares im achtzehnten Jahrhundert: zwei Verscharrte; zwei Erweckte.
(Auch zwei Vettern an Wert?) –
... Im Äußeren war Theotokopulos eine Rübe mit abstehenden Ohren. Sein Kopf soviel zu länglich, wie öfter seine Gebilde.
Man hielt ihn damals für augenkrank –, wohl wegen der pfropfenzieherhaften Höhe mancher Gestalten.
Oder, kurz, für irrsinnig.
VI
Weil sich Grecos Art mit Neueren manchmal deckt: darum liegt (wegen des Begriffs »Schon damals!«) Überschätzung nahe.
Doch staunende Schätzung ist nicht Überschätzung.
Ich frage mich, unbeirrt, nur auf das Gefühl pochend: Hat er manche der stupsnasigen Übermänner, Überweiber mit Absicht so gemalt – oder weil er's nicht besser konnte? Fast komisch: wie er im Gesichtsausdruck oft ein Gegenteil dessen ausdrückt, was er ausdrücken will. (Exempelshalber bei ... Christus.)
Was besitzt er: Seele? – oder: Kunstsinn?
Er hat kalte Verzückung. Wobei er jedoch ein Genie durch und durch ist. Ein wirkliches Wunder ...
Vielleicht mehr ein Wunder als ein Bruder des Menschen.
(Aber der Franciscus – mit dem auf der Erde sitzenden Mönch, den man bloß von hinten sieht, wie er die Hand lichtbeglänzt hochhebt –, das ist ein Bruderbild. Auch ein Bruderbild!)
Andren Meistern erliegt man rasch. In den Greco muß man ... dringen.
(Weil er zuletzt erschien – für die Kenntnis.)
VII
Im Prado – wie seltsam der Eindruck: mit so stupsnasigen Gestalten erinnert er fern an Niederländer. Hier in der »Taufe Christi«. Oder: in der »crucifixion«.
Aber, sofort, wie bannend ist »La virgen«: die Mutter Gottes mit bohrenden, ja stechenden Augen – als Nonne; blaues Kopftuch; gelblich umleuchtet; schmalgesichtig; indolent; nicht liebenswert; reizlos; mit dünnen Lippen ... Naturalistisches Haupt; von einem Kenner und Wähler wie geschmeckt.
In der »crucifixion« wird ein Gekreuzigter von offenbar Platt sprechenden Engeln ... und von erwachsenen Hispano-Holländern, tölpelnasig, umringt.
In dem »bautismo« guckt Jesus von Bethlehem spießig-bieder ... Oben jedoch was Gedrängtes, Gestaltenschwangeres – (in Verschossen-Bläulich und Gelb).
VIII
Hier, ergreifend, wiederum, das nicht umfängliche Bild von Johannes und Franciscus: der braunkuttige hl. Franz mit seinen abgezehrt eingetrockneten Raupenfingern ... (Im Frauenhospital zu Cadiz hatt' ich vom Greco schon eine Verzückung des Franz gesehen, zur Abendzeit, was brünstig Sehendes, im Dämmer.)
Jetzt, im Prado, die sacra familia, karikaturhaft schlecht! Dort: ganz stupsnas-wurstig der kreuztragende Christus. Wer ist, in drei Teufels Namen, dieser Greco –?
Da, in der »resurreccion«, ein Auferstandener mit sanft-affigem Gesicht ... aber die staunenden Christen im bläulich-gelben Dämmernebel, mit ihrer Raseverzückung – die sind ja unerhört.
Oder: die Ausgießung des Heiligen Geistes, das Pentekostesbild. Die (blau-rosa?) Flämmchen fallen hüpfend, wie mir scheint, auf zwei Klassen Dargestellter: auf Gekonnte und auf Nichtgekonnte. ... Hier auf ernsthaft Versenkte – hier auf nur Abgemalte (die den Zuschauer angucken). Und die Taube ... die Taube hat einen Raubmöwenkopf.
Wer war dieser Greco?
(Farben: stumpf; dreimal vorstechendes Blau; dies Dreimalige kriegt man satt; oben Gelblichgrün ... Sonderbar. Sonderbar. Höchst sonderbar.)
IX
Doch nicht sonderbar, vielmehr einzig und fast ohnegleichen ist ein »Unbekannter«; ein Bildnis.
Der Verschollene steckt grauhaarig, mit graudünnem Spitzbärtchen, in der ansteigenden Halskrause. Oh, welcher halbbekümmert feine Affenblick; schmal alles an ihm; dazu das trockne Haar ... Ein Wunder; ein Wunder.
(Staunend liest man in griechischen Lettern den Schriftzug: [Domenikos Theotokopoulos Kreis].]
X
Noch eine Reihe von Bildnissen: hochnaturalistisch. Aus der Pistole geschossen. Hier mit einem Schlag alles unverkünstelt, unschnörklig, unverkrümmt. Der Kerl hatte zwei Seelen ... (Bloß zwei?)
XI
Da ist gleich wieder sein Evangelist Johannes an Affektiertheit schon fast pervers. Und eine Trinität, fühllos, wie Zimmerschmuck sozusagen. Jedoch der Antonius ...
Der Antonius mit dem Lilienstengel in der Rechten, dem Buch in der Linken – der ist zwar auch gekünstelt: aber vor allem sehr sinnig, sehr liebenswert. In seinem tiefliegend verhüllten Lächeln – unnennbar fein ... Wer waaar dieser Greco? – –
Der gleiche war's, welcher (im schönsten Zimmer der Maria Luisa Kocherthaler zu Madrid) ohne Gekringel, ohne Verblüffsamkeiten die Heilige dort beschworen hat ... mit dem gebreiteten Tuch.
Nicht, weil die Heilige Beziehungen zum Himmel unterhält, ist sie himmlisch ... Im letzten Kern eine spanische Dame.
XII
Zu Toledo sah ich das Begräbnisbild. Bestattung des Grafen Orgaz. In der Kirche Santo Tomé. Wer das anblickt, verstummt.
Hier leuchtet Grecos Doppelart: die Treffkunst – und die Geheimniskunst. Fast schematisch ... Unten der Bildnismaler, oben der Mystiker. Er macht selber die Trennung, wie ich sie hier mache.
Unten: zwo Heilige, herabgestiegen vom Himmel, welche den Orgaz mild betten – im Kreis von caballeros mit sehr, sehr vornehm-innigem Anteilsblick ... (Aber die zwo Heiligen sind hier noch Porträt! Was man also beseeltes Gruppenbild nennt.) Scharf hervortretend.
Drüber jedoch, oberhalb vom Naturalismus, geht Phantastik los – in der Farbe verdämmernd; verebbender; das Märchen eines (matten) Himmelstraumes.
Und noch weiter oben, als Abschluß, der Heiland – in verleuchtend stumpfem Glanz ...
XIII
Abermals hat man das Gefühl: er ist eine Kreuzung von latentem Holland, Italien, castilischer Farbenstumpfheit, spanischem Hochsinn – und eigner Willkür.
Oft ein Nichtfertigmacher; zum Vergnügen. Verwunderbar jedoch diese Mischung – nämlich: scheinbar ein Stegreifmann ... der aber seine Gestalten und Köpfe sorgsam-häufig wiederholt. Sie kehren stets wieder; fleißig verbessert. Er hat (man merkt es) einmal errungene Rosinen öfters in andren Teig gesteckt ... Ein Rätsel.
(Der phantastische Nichtfertigmaler Theotokopulos scheint mir übrigens ein Vorläufer auch des Phantasto-Huschers Goya. Dies nebenbei.)
XIV
Doch im stärksten seiner Bilder, hier, in der toledanischen Bestattung, stört etwas. Stört? Nein: läßt unerfüllt.
Der Raum zwischen dem Naturalismus und der Verzückung ist ... nicht vorhanden. Das Verzückte nur gleich drübergesetzt. Alles hart angedrängt. Hier das praeter-propter Irdische; dichtbei das Nichtmehrirdische. Es wirkt ... frühstufig.
Der Leser weiß also Bescheid. Über dem Porträtalltag ist, ohne Zwischenluft, eine »Abteilung: jenseitiges Leben« befestigt ... (wo der Murillo gern ein bißl Dampf macht und Wolkenpflanz und Äther, wenn auch süß, meinethalben).
Kurz und gut: so wirkt alles Obere, Paradiesische viel zu eng; zu drangemalt: als hätte der Grieche Schwund an Leinwand befürchtet – und vieles noch rasch hingepreßt. Die Sphären drücken einander ... Das Bild ist wie ein Tennisplatz ohne Auslauf.
(Oder wie jemand am Schluß der Seite beginnen muß zu kritzeln.)
Zweitens: Obschon die Phantasmen ganz nahe sind, malt er sie doch sofort unverhältnismäßig klein. Auch daher quillt mein Mißgefühl.
Trotzdem schuf ein Jahrtausendgenius dieses ... mangelhafte Werk.
XV
Auf dem Mauritiusbild – bei Vormittagslicht im Escorial – ist mehr Luft zwischen dem Naturalismus und dem Phantasma. Das zweitberufenste Werk des Greco.
Sankt Mauritius weigert sich, den Göttern zu opfern (wie ich nachträglich ermittle; kein Atom davon aus dem Bild).
Hier ist vorwiegend, wenn ich offen sein soll, eine Figurenhinstellung. Sehr mit Blau; herrlich-scheußlich; für mich zu grell.
Vorn etwas in Haltungen und Antlitzen wunderbar Hispano-Edles. Dann: gleich hinter diesen paar großen Leibern eine wirrblasse Fülle von Kleingestalten. Von Heerscharen, die sich verkrümeln ...
Es ist etwa: Porträtausstellung samt einem Stück Legende. Mehr nicht. Ich traue meiner Brust.
(Obschon es mir bei der ersten Begegnung mit Velazquez schwer aufs Herz fiel, daß ich aus eigner Kraft niemals ihn als den größten Maler der Welt erkannt hätte. – Ich hätt's und hätt's halt nicht!)
XVI
Madrid, wo diese Zeilen ins Tagebuch kamen, liegt hinter mir. Auf der Heimfahrt in Stuttgart Sonntags in die Galerie. Regen. Bloß zwei Dutzend Leute, Spießer und Schmecker, verspärlichen sich durch den schlummernden Bau ...
Doch die einen wie die andren bleiben vor zwei Bildern stehn. Behext; angeschluckt; hingebannt.
Sind zwei Grecos.
Die Blicke haften: weil er sie einsaugt. (Auch der Spießer ihre!) Weil er alles totmacht – rings, im größten Radius.
... Spricht es für seinen Wert? – Es spricht, zuvörderst, für seine Unterschiedlichkeit.
XVII
Velazquez (mit dem man sich in achtzehn Jahren ausgesöhnt hat) ist ein Genie der sicheren, fast reglos-meisterlichen Hand. Domenikos Theotokopulos ist aber: das Schwirrphantasma; locker-flimmernd; voll chaotischen Geleuchts; in erzitternder Farbe. Linien bibbern farbhaft. (Das ist es: Linien bibbern farbhaft.)
Greco wirkt sozusagen dantischer als der Erdmensch Velazquez.
Doch Irdisches ist mir überirdischer als Überirdisches ...
XVIII
Für die zwei gibt es kein Entweder-Oder. – Nur ein Sowohl-als-auch.
XIX
Immerhin mit Unterschieden. Hier ist einer.
In der Mitte vom Bredabild des Velazquez findet sich eine weltberühmte Gebärde: die edle Beugung des herzlich vornehmen Siegers zum Besiegten. Und in der Mitte von Grecos Bestattungsbild seh' ich wieder so eine köstlich edle Gebärde: wie gütevoll die heiligen Männer den toten Orgaz halten.
Diese Haltung ist nicht ein körperliches Ding: sondern ein Ethos. Beidemal, auch bei dem Griechen. Die Handhaltung, die Leibesbeugung wirkt menschenaristokratisch. Ja, nicht nur vornehm – sondern innig menschenhaft.
Aber das ist beim Velazquez rein irdisch. Darum höher ... Indes Greco doch an »Grablegungen« erinnert. An Überliefertes.
Velazquez erschuf. Der Entpupptere, Freiergewordene, der schmuckloser Prometheische bleibt letztens doch Velazquez,– – auch wenn er nie das erste Fabrikbild, die Hilanderas oder Teppichweberinnen, gemalt hätte. Schlagt mich tot.
XX
Velazquez malt hier vielleicht nicht »die Arbeit«, sondern die kgl. spanische Manufaktur. Vielleicht auch das hübsche Mädel rechts. Doch er paßt in unser Glück; Greco nur in unser wirres heutiges Unglück.
In gewissen Zeitläuften ist das »Modernere« weniger modern als das Vorletztmoderne. Weil die Zeit unmoderner ist ... Es geht ja nicht nach der Reihenfolge. Sondern es geht nach dem Gehalt.
Das Hilanderasbild, voll mattfarbig-heiterer Lust, ist ein Neubeginn – voll unsrer, unsrer, unsrer Wesenheit. Nicht ein Sinnbild jenes Ausnahmerückfalls, jener Apokalypse, worin wir jetzo siechen. Velazquez weist vorwärts. Unbewußt; ungewillt.
XXI
Ja, meine Teuren: »Inhalte« sind nicht wegzudenken ... selbst aus der Malerei.
Das zu glauben war ein (berechtigter) Irrtum – so lang man für die Kunst um der Kunst willen kämpfte; für das Erhaschen eines Abbilds ... oder eines Reizes; solang ein gutgemalter Nachttopf gleichviel gelten sollte wie ein gutgemalter Hiob.
Die Zeit ist um!
Fallt nicht auf den Rücken: Es kommt, wenn in zwei Fällen die Malerei vom selben Wert ist, eben doch darauf an, welcher der zwei Stoffe mehr umfaßt.
Vor der Betrachtung der Mittel verlort ihr die Gedanken an den Zweck!
XXII
(Für den Velazquez und seine spanischen Schwäger beginn' ich ein neues Blatt.)