Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Nachtrag aus den Memoiren der Fürstin Daschkoff.

Mit dem zweiundzwanzigsten Kapitel bricht Katharina, dieser weibliche Kaiser, die Geschichte ihrer Jugendjahre kurz ab. Wollte sie über den weitaus interessanteren Teil ihres Lebens als Herrscherin nichts mehr sagen, oder konnte sie es nicht, oder was waren es sonst für Gründe, die sie beeinflußten, der Welt ein so wichtiges Dokument wie ihre Memoiren unvollendet zu hinterlassen? – Wir wissen es nicht und müssen uns daher mit andern authentischen Quellen ihrer Zeitgenossen begnügen, die uns den Entwicklungsgang dieser geistvollen Beherrscherin aller Reußen nicht minder interessant schildern. In der russischen Geschichte, wo ein außerordentlicher Mangel an stark ausgeprägten Individualitäten vorherrschte, muß uns besonders eine Frauengestalt neben Katharina auffallen: die Fürstin Daschkoff, geborene Gräfin Woronzow. In dieser Frau kam das russische Weib, aufgeweckt durch die stark revolutionären Bewegungen, die damals das Land durchwühlten, zum ersten Male aus seiner Bedrückung hervor. Kühn stellte sie sich an die Seite der Kaiserin, an deren Thronbesteigung sie einen bedeutenden Anteil hatte. Mit der größten Aufmerksamkeit und einer scharfen Kritik beobachtete sie alle Ereignisse, die vom Tode Elisabeths bis zum Jahre 1805 den russischen Thron und sein Volk erschütterten. Ihre Memoiren sind für die russische Geschichte von größtem Werte und so interessant geschrieben, daß wir nicht unterlassen können, um die Aufzeichnungen der Kaiserin zu vollenden, das Wichtigste über deren Thronbesteigung, den Tod Elisabeths und Peters III. diesen Memoiren zu entnehmen. Lassen wir also die Fürstin sprechen.

Erstes Kapitel.

Die abnehmende Gesundheit der Kaiserin Elisabeth. – Besuch bei Ihren kaiserlichen Hoheiten. – Gemeine Gewohnheiten und Neigungen des Großfürsten. – Seine Lieblingsgesellschaft. – Hofanekdoten. – Der herannahende Tod Elisabeths. – Eigentümliche Unterredung mit Katharina.

Die Kaiserin Elisabeth wurde alt und schwach, und schon fingen die Hofleute an, ihre Aufmerksamkeit dem Thronfolger zuzuwenden, dem dadurch über das Garderegiment Preobraschenski, in welchem Fürst Daschkoff Hauptmann war, eine unumschränktere Gewalt gegeben war, als er früher gehabt hatte. Eines Tages besuchte uns mein Vater und teilte uns den kürzlich vom Hofe erlassenen Befehl mit, daß alle Offiziere der Preobraschenskischen Garden sich mit ihren Frauen nach Oranienbaum begeben sollten. Dies war mir eine sehr unwillkommene Nachricht, denn ich besaß eine große Abneigung gegen den Zwang des Hoflebens und fühlte besonders in diesem Augenblick den stärksten Unwillen, mich von meiner kleinen Tochter zu trennen. Da uns indes mein Vater gütig sein Haus, welches zwischen Petersburg und Oranienbaum lag, anbot, so richteten wir uns daselbst froh und wohlgemut ein und fuhren am nächsten Tag zu Ihren kaiserlichen Hoheiten, um unsere Aufwartung zu machen. Wie ich mich erinnere, wandte sich der Großfürst, nachdem wir vorgestellt waren, mit folgenden Worten an mich: »Obgleich Sie entschlossen zu sein scheinen, nicht im Schlosse zu wohnen, so hoffe ich Sie doch jeden Tag zu sehen, und ich denke, daß Sie mehr Zeit in meiner als in der Großfürstin Gesellschaft zubringen werden.« Ich antwortete nichts, was der Mühe wert gewesen wäre, zu bemerken, fühlte aber wenig Neigung, meine Besuche öfter, als es der Anstand erforderte, zu wiederholen. Ein Opfer indes in dieser Beziehung war unerläßlich, wenn ich mir die vorteilhafte Gelegenheit, die Gesellschaft der Großfürstin zu genießen und mich ihrer Freundschaft zu erfreuen, nicht verscherzen wollte. Die verschiedenen und häufigen Vorwände jedoch, welche ich anwenden mußte, um den Partien ihres Gemahls zu entgehen, waren nicht unbeobachtet geblieben, wie er mir zu verstehen gab. Eines Tages nahm er mich beiseite und überraschte mich mit einer Bemerkung, die sehr charakteristisch ist für die Einfältigkeit seines Geistes und die Güte seines Herzens, die aber mit viel mehr Schärfe als gewöhnlich in seiner Unterhaltung lag, ausgesprochen wurde. »Mein Kind,« sagte er, »Sie würden sehr wohl daran tun, sich daran zu erinnern, daß es viel besser ist, sich mit ehrlichen Dummköpfen, wie ich und Ihre Schwester (seine Maitresse) sind, einzulassen, als mit großen Geistern, welche den Saft aus der Orange pressen und die Schale wegwerfen.« Ich stellte mich, als ob ich den Sinn seiner Worte nicht verstände und erinnerte ihn nur daran, daß seine Tante, die Kaiserin, ausdrücklich gewünscht habe, der Großfürstin ebensoviel Ehrerbietung zu bezeigen, als ihrem kaiserlichen Gemahl.

Es war jedoch unmöglich, wie schon bemerkt, die Festlichkeiten des Großfürsten stets zu vermeiden. Sie wurden zuweilen in einer Art Feldlager abgehalten, wo das Rauchen mit seinen holsteinschen Generalen sein Hauptvergnügen war. Diese Offiziere waren meistenteils Korporale und Sergeanten in preußischen Diensten gewesen, Söhne von Schuhmachern oder ähnlichen Leuten aus den untersten Ständen des Volkes, eine Art Ragamuffin-Generale, der Wahl eines solchen Chefs nicht unwürdig. Die Abende endeten immer mit einem Ball und Souper, das in einem Saal gegeben wurde, der mit Tannenzweigen geschmückt war und einen deutschen Namen führte, welcher seiner Ausschmückung und der Art der unter der Gesellschaft herrschenden Phraseologie entsprach.

Während eines solchen Festes des Großfürsten, woran auch die Großfürstin teilnahm, kam bei der Tafel die Rede auf einen Herrn Tschelitschkoff, einen Fähnrich der Garde. Dieser stand im Verdacht, der Geliebte der Gräfin Hendrikoff, einer Nichte der Kaiserin, zu sein. Der Großfürst, der sehr vom Wein belebt war, schwor ganz im Geiste eines preußischen Unteroffiziers, daß man diesem Offizier, zur Warnung seiner Kameraden, den Kopf abschneiden müsse, weil er den Mut gehabt habe, einer Verwandten Ihrer Majestät den Hof zu machen. Während alle seine holsteinschen Sykophanten durch Kopfnicken und andere Zeichen ihre tiefe Bewunderung für ihres Herrn Weisheit zu erkennen gaben, konnte ich mich nicht enthalten, Seiner kaiserlichen Hoheit zu erwidern, daß das Kopfabschneiden mir sehr tyrannisch erschiene. Wenn auch ein Verbrechen bewiesen werden könne, so schiene mir doch eine so furchtbare Strafe damit nicht im Verhältnis zu stehen. – »Sie sind ja nur ein Kind,« war seine Antwort, »und was Sie da sagen, ist ein Beweis dafür, sonst würden Sie wissen, daß mit der Todesstrafe sparsam sein so viel heißt, als Ungehorsam und alle möglichen Ueberschreitungen ermutigen.« – »Aber,« sagte ich, »Euere kaiserliche Hoheit sprechen über diesen Gegenstand in einer Weise, die für die anwesende Gesellschaft höchst beunruhigend sein muß, denn mit Ausnahme einiger ehrwürdiger Generale haben alle, die die Ehre genießen, hier in Ihrer Gesellschaft zu sein, nur unter einer Regierung gelebt, unter der solch eine Strafe verpönt war.« – »Was das anbetrifft,« erwiderte der Großfürst, »so will das gar nichts sagen, oder vielmehr, es ist gerade die Ursache von dem jetzigen Mangel an Disziplin und Ordnung. Aber seien Sie versichert, Sie sind ein reines Kind und verstehen nichts von solchen Dingen.« Alles schwieg, nur wir beide setzten unser Gespräch fort. »Ich bin bereit, einzugestehen, Sire,« sagte ich, »daß ich durchaus nichts von Ihren Absichten verstehe, aber eine Sache, über die ich sehr wohl Bescheid weiß, ist, daß Ihre erhabene Tante noch lebt und den Thron einnimmt.« – Aller Augen richteten sich augenblicklich auf mich. Der Großfürst antwortete glücklicherweise nicht, sondern steckte nur die Zunge heraus, wie er es gewöhnlich zu seiner Unterhaltung gegen die Priester in der Kirche tat. Uebrigens bewies dieses Herausstecken der Zunge stets, daß er nicht böse war, sondern nur weiteren Antworten vorbeugen wollte.

Manchmal auch veranstaltete der Großfürst seine Gesellschaften in einem kleinen Landhause in einiger Entfernung von Oranienbaum, welches seinen Räumlichkeiten nach keine große Anzahl Personen fassen konnte. Hier halfen Tee und Punsch mit dem Geruch des Tabaks vermischt, und das lächerliche Spiel Campis die trostlose Einförmigkeit des Abends hinbringen. Welch auffallender Kontrast mit dem Geist, Geschmack, Verstand und Takt, welche die Feste der Großfürstin auszeichneten!

Der Gesundheitszustand der Kaiserin Elisabeth, der längst im Abnehmen begriffen war, ließ beim Herannahen des Winters wenig Hoffnung, daß sie denselben überleben werde. Auch ich teilte den Kummer, den meine Familie und besonders der Großkanzler darüber empfand, aber nicht nur, weil ich Ihre Majestät liebte, sondern weil ich sah, wie wenig mein Vaterland von dem Großfürsten, ihrem Nachfolger, zu hoffen hatte. Dieser war in die entehrendste Unwissenheit versunken, unbekümmert um das Glück des Landes, und von keinem höheren Gefühl beseelt, als von dem gemeinen Stolz, das Geschöpf des Königs von Preußen zu sein, den er unter seinen holsteinschen Generalen durch den Titel: »der König, mein Herr,« zu bezeichnen pflegte.

Ungefähr Mitte Dezember wurde es bekannt gemacht, daß die Kaiserin nur noch wenige Tage zu leben habe. Ich fühlte mich gerade zu jener Zeit häufig unwohl und war genötigt, das Bett zu hüten; aber uneingedenk jeder andern Gefahr, außer der, welcher die Großfürstin ausgesetzt war, falls die Kaiserin sterben sollte, stand ich am 20. um Mitternacht auf, hüllte mich in meine Pelze und ließ mich zu dem hölzernen Palast an der Moika fahren, wo Ihre Majestät und die übrige kaiserliche Familie damals residierten. In einiger Entfernung vom Palast stieg ich aus, ging zu Fuß bis zu einer kleinen Hinterpforte in dem Flügel, der von Ihren kaiserlichen Hoheiten bewohnt wurde, in der Hoffnung, unbemerkt das Zimmer der Großfürstin zu erreichen. Durch einen glücklichen Zufall, der mich vielleicht vor einem unheilvollen Irrtume bewahrte – denn ich war in diesem Teile des Schlosses völlig unbekannt – begegnete ich der ersten Kammerfrau der Großfürstin, Katharina Iwanowna. Nachdem ich mich zu erkennen gegeben, bat ich sie, mich sogleich zu Ihrer kaiserlichen Hoheit zu führen. »Sie liegt im Bett,« war die Antwort. – »Das tut nichts,« sagte ich, »die Sache, die mich herführt, ist dringend, und ich muß sie noch diese Nacht sprechen.« Die Kammerfrau, die wohl meine Zuneigung für ihre Herrin kannte, machte denn auch trotz der unpassenden Stunde keine weiteren Einwendungen, sondern führte mich zu ihren Gemächern. Die Großfürstin wußte, daß ich krank war, und ich mich daher nicht ohne Gefahr der Kälte einer strengen Winternacht aussetzen konnte, und außerdem kannte sie die Schwierigkeit, in den Palast eingelassen zu werden. Sie wollte kaum ihren Ohren trauen, als ich angemeldet wurde. »Ums Himmels willen!« rief sie aus, »wenn sie es wirklich ist, laßt sie schnell herein.« – Ich fand sie im Bett, aber noch ehe ich ein Wort sagen konnte, rief sie: »Meine teure Fürstin, ehe Sie mir sagen, was Sie zu solch ungewohnter Stunde herführt, wärmen Sie sich erst. Sie sind wirklich zu wenig besorgt um Ihre Gesundheit, die Fürst Daschkoff und mir so teuer ist.« Sie bat mich, zu ihr ins Bett zu kommen, und nachdem sie meine Füße gut eingewickelt hatte, erlaubte sie mir endlich, zu sprechen.

»Bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge, Madame,« begann ich, »da die Kaiserin nur noch wenige Tage, vielleicht nur noch wenige Stunden zu leben hat, kann ich nicht länger die Ungewißheit ertragen, in die ein herannahendes Ereignis das Wohl Ihrer Person bringen kann. Ist es denn nicht möglich, der Gefahr vorzubeugen und die Wolken zu zerteilen, die im Begriff sind, sich über Ihrem Haupte zu entladen? In Gottes Namen vertrauen Sie mir, ich bin es wert und will es beweisen. Haben Sie zu Ihrer Sicherheit irgend einen Plan entworfen oder Vorsichtsmaßregeln getroffen? Geben Sie mir Ihre Befehle und gebieten Sie über mich.«

Unter Tränen drückte die Großfürstin meine Hand an ihr Herz. »Ich bin Ihnen, teure Fürstin,« sagte sie, »unaussprechlich dankbar, aber ich erkläre Ihnen hiermit mit dem völligsten Vertrauen, ich beteure Ihnen, daß ich keinen Plan irgend einer Art habe, daß ich nichts tun kann und mir, wie ich glaube, nichts anderes übrig bleibt, als mit Mut dem zu begegnen, was über mich verhängt ist. Ich übergebe mich den Händen des Allmächtigen und vertraue auf seinen Schutz.« – »Gut,« sagte ich, »dann müssen Ihre Freunde für sie handeln, Madame. Was mich betrifft, so besitze ich genügend Eifer, sie zu entflammen. Und welches Opfer würde ich nicht dafür bringen?«

»Ums Himmels willen, Fürstin,« erwiderte sie, »denken Sie nicht daran, sich einer Gefahr auszusetzen, in der Hoffnung, dem Uebel entgegenzuarbeiten, für das es in der Tat keine Rettung mehr gibt. Wenn Sie sich um meinetwillen ins Unglück stürzten, das würde für mich ein ewiger Vorwurf sein.« – »Alles, was ich in diesem Augenblick sagen kann, Madame,« antwortete ich, »ist, daß ich keinen Schritt tun werde, der Ihre Sicherheit gefährden könnte; und welcher Art die Gefahr auch sein möge, sie treffe nur mich. Wenn mich die blinde Ergebenheit für Ihre Sache aufs Schafott führt, so sollen Sie doch nie das Opfer davon sein.«

Die Großfürstin wollte fortfahren, mich vor der Unerfahrenheit und dem Enthusiasmus meines Alters und Charakters zu warnen, aber ich unterbrach sie, küßte ihr die Hand und versicherte, ich wolle uns beide durch Verlängerung dieser Zusammenkunft nicht weiter einer Gefahr aussetzen. Darauf umarmte sie mich zärtlich, und nachdem wir uns einige Augenblicke gerührt in den Armen gelegen hatten, sprang ich aus dem Bett und eilte mit allem Mut und aller Kraft, die ich besaß, zu meinem Wagen zurück, sie in der Aufregung über das Vorgefallene zurücklassend.


Zweites Kapitel.

Tod der Kaiserin Elisabeth. – Peter III. lädt mich wiederholt zu seinen Gesellschaften ein. – Ein Gespräch mit dem Kaiser. – Eine kaiserliche Spielgesellschaft. – Ich sage Seiner Majestät die Wahrheit. – Fürst Trubetzkoi. – Peter im Sterbezimmer seiner Tante. – Die neue Etikette.

Am 25. Dezember 1762, am Weihnachtstag, tat die Kaiserin Elisabeth den letzten Atemzug. Der Eindruck, den dies in Petersburg hervorbrachte, war derart, daß trotz des frohen Tages auf allen Gesichtern nur Kummer und Besorgnis zu lesen war. Einige Geschichtsschreiber zwar möchten gerne glauben machen, daß die Garden anders fühlten und mit Entzücken zum Schlosse eilten, um ihrem neuen Herrn den Eid zu leisten, doch ich selbst sah zwei Regimenter, das Semenoffskische und Ismailoffskische, unter meinen Fenstern vorbeimarschieren, und nach dem Zeugnis meiner Augen kann ich versichern, daß in ihren Bewegungen kein Zeichen der Freude oder Befriedigung sichtbar war. Das Aussehen der Soldaten war im Gegenteil düster und niedergeschlagen; ein halb unterdrücktes verwirrtes Gemurmel lief durch die Reihen. Hätte ich keine andere Nachricht gehabt, ich würde aus ihren Mienen erraten haben, daß die Kaiserin tot sei.

Ich war noch immer sehr unwohl und auf mein Zimmer angewiesen. Auch mein Onkel, der Großkanzler, war krank und lag zu Bett, als ihm der Kaiser Peter III. am dritten Tag nach seiner Thronbesteigung einen Besuch machte. Aber das Erstaunen meines Onkels und das meinige wurde noch größer, als man mich für den Abend in den Palast einladen ließ. Meine Krankheit jedoch diente mir zur Entschuldigung, auch am folgenden Abend, wo die Einladung wiederholt wurde. Zwei oder drei Tage später schrieb mir meine Schwester, daß der Kaiser mit meinen fortwährenden abschlägigen Antworten unzufrieden wäre und an meine Entschuldigungsgründe nicht im mindesten glaube. Um Auseinandersetzungen und Bemerkungen zu vermeiden, die dem Fürsten Daschkoff hätten nachteilig werden können, gab ich endlich nach und fuhr in das Schloß. Die Kaiserin Katharina, von der ich nur durch ihren Kammerdiener hörte, war, wie ich wußte, für niemand sichtbar. Erfüllt von Gram und Besorgnissen, hatte sie ihre Gemächer nicht verlassen, außer um anzuordnen und sich zu überzeugen, daß den sterblichen Ueberresten der verewigten Herrscherin alle gebührenden Ehren erwiesen würden.

Sobald Peter III. meiner ansichtig wurde, begann er mich über einen Gegenstand zu unterhalten, der ihm sehr am Herzen zu liegen schien. Er sprach in einer Weise, die all meinen Verdacht und meine Besorgnisse wegen der Kaiserin nur rechtfertigten. Halblaut und in abgerissenen Worten, aber in ziemlich unzweideutigen Ausdrücken, gab er seine Absicht zu erkennen, sie zu beseitigen und Romanowna, wie er meine Schwester nannte, auf den Thron zu erheben. Nachdem er sich ausgesprochen, gab er mir einige heilsame Verwarnungen. »Wenn Sie, meine kleine Freundin, auf meinen Rat hören wollen,« sagte er, »so wenden Sie sich ein wenig mehr zu uns; die Zeit wird kommen, wo Sie es bereuen werden, Ihre Schwester vernachlässigt zu haben. Glauben Sie mir, ich spreche in Ihrem eigenen Interesse. Es bleibt Ihnen kein anderer Weg, sich eine Stellung in der Welt zu schaffen, als der, die Art und Weise Ihrer Schwester zu studieren und sich ihres Schutzes zu versichern.«

Da es mir unmöglich war, in diesem Augenblick etwas Passendes zu entgegnen, stellte ich mich, als ob ich kein Wort von dem, was er gesagt, verstände, und beeilte mich, am Campisspiel teilzunehmen.

Bei diesem Kartenspiel hat jede Person eine gewisse Anzahl Leben, und der Ueberlebende gewinnt. Der Einsatz, den jeder Spielende in den Pot zu setzen hatte, betrug zehn Imperialen (100 Rubel). Diese Summe war schon an und für sich viel zu extravagant für meinen Beutel, besonders aber, weil Seine Majestät, wenn er verlor, anstatt eines seiner Leben nach den Spielregeln aufzugeben, jedesmal einen Imperial aus seiner Tasche nahm und in den Pot legte, wodurch er natürlich stets Gewinner blieb. Sobald das Spiel zu Ende war, schlug er ein zweites vor, das ich mir indes erlaubte, abzulehnen. Aber der Kaiser bestand darauf, noch einmal zu spielen, was ich jedoch ebenso hartnäckig abschlug. Darauf machte er mir den Vorschlag, halb Part mit ihm zu spielen. Auch dies verweigerte ich, und sah mich schließlich gezwungen, ihm zu erklären, ich sei nicht reich genug, um mich betrügen zu lassen; wollte aber Seine Majestät spielen wie andere Leute, so hätte man wenigstens Hoffnung auf einen Gewinn. Der Kaiser, gutmütig wie er war, ließ die Unart passieren, ohne eine andere Antwort als eine seiner gewöhnlichen närrischen Entgegnungen. Dann ward mir erlaubt, mich zurückzuziehen. Seiner Majestät Spielgesellschaft bestand an diesem, wie an den meisten Abenden, aus den beiden Narischkins und ihren Frauen, Ismailoff und seiner Frau, der Gräfin Elisabeth, meiner Schwester, den Herren Milgunoff, Gudowitsch und Angern, dem ersten Generaladjutanten des Kaisers, der Gräfin Bruce &c. Sie alle starrten mich vor Erstaunen entsetzt an, und als ich mich zurückzog, hörte ich sie miteinander flüstern: »Was die Frau für Geist hat!«

Als ich später durch die Reihe der Gemächer eilte, wo die übrigen Hofleute versammelt waren, bemerkte ich eine solche Veränderung in der Kleidung, daß es mir schien, als wäre alle Welt in Maskenanzügen. Ich mußte unwillkürlich lächeln, als ich den alten Fürsten Trubetzkoi, der wenigstens siebzig Jahre alt war, plötzlich in einen Militär verwandelt und jetzt zum erstenmal in seinem Leben in voller Uniform sah, straff gespannt wie eine Trommel, gestiefelt und gespornt und zum verzweifelten Kampfe gerüstet. Diese schreckliche Erscheinung war einer jener furchtbaren Krieger Peters III.

Während Maskeraden am Hofe des neuen Kaisers vor sich gingen, wurden die üblichen Ehrenbezeigungen für die verstorbene Herrscherin nicht vergessen. Sechs Wochen lang lag der Leichnam auf dem Paradebett, abwechselnd von allen Damen von Rang bewacht und beinahe täglich von der Kaiserin besucht, die durch solche Beweise ungeheuchelter Ehrerbietung und Zuneigung gegen ihre verstorbene Tante sich alle Herzen eroberte. Peter III. hingegen kam selten in das Sterbezimmer seiner Vorgängerin und zeigte damit um so mehr die Hohlheit und den Mangel an Ehrfurcht in seinem Charakter. Wenn er aber einmal kam, so sah man ihn mit den diensttuenden Hofdamen flüstern und kichern, die Priester verspotten und die Offiziere und Soldaten, welche die Wache hatten, über wichtige Gegenstände ihres Anzugs, wie die Krawatte, die Schnallen, den Schnitt der Uniform u. s. w. tadeln.

Unter den Neuerungen, welche bei Hof eingeführt wurden, war auch die, daß die französische Art, sich zu begrüßen, an die Stelle der alten russischen treten sollte. Die Versuche der alten Damen, ihre Knie zu dieser tiefen Verbeugung des ganzen Körpers gelenkig zu machen, waren im allgemeinen sehr unglücklich und lächerlich, und es gereichte dem Kaiser zum besonderen Vergnügen, ihr Mißlingen zu beobachten. Dies war einer der Hauptgründe, weshalb er regelmäßig dem Gottesdienst in der Hofkapelle beiwohnte, zum mindesten dem Schluß desselben, wo er sicher war, seinen Uebermut zu befriedigen.

Nach dem eben Angeführten kann man sich leicht denken, daß des Kaisers Gedanken nicht viel auf seinen Sohn und dessen Erziehung gerichtet waren. Der ältere Panin, welcher der Erzieher des jungen Prinzen war, drückte oft den Wunsch aus, Seine Majestät möchte sich durch seine Anwesenheit bei den Prüfungen von den Fortschritten der Studien seines Sohnes überzeugen, aber der Kaiser entschuldigte sich gewöhnlich mit einem Vorwande, auf den sich freilich nichts erwidern ließ, nämlich, daß er ganz und gar nichts von solchen Dingen verstünde.


Drittes Kapitel.

Unpopuläres Benehmen des Kaisers. – Festessen bei Gelegenheit des Friedens mit Preußen. – Peter beleidigt seine Frau vor allen Gästen. – Erster Akt der Verschwörung. – Marschall Razumowski. – Panin und die übrigen Personen unserer Partei.

Mittlerweile setzte der Kaiser sein gewohntes Leben fort und schien sich darin zu gefallen, das Mißvergnügen seines Volkes zu erregen. Als der Friede mit dem König von Preußen, für den seine Vorliebe sich täglich mehr in irgend einer Narrheit oder lächerlichen Nachahmung aussprach, geschlossen war, kannte sein Entzücken keine Grenzen. Und damit nichts an der Feier dieses herrlichen Ereignisses fehle, gab er ein großes Fest, zu welchem der ganze Adel und die auswärtigen Gesandten gebeten waren. Die Kaiserin nahm ihren gewöhnlichen Platz in der Mitte der Tafel ein und Seine Majestät setzte sich ihr gegenüber, dicht zu dem preußischen Gesandten. Nach Tisch schlug der Kaiser drei Gesundheiten vor, die unter dem Donner der Kanonen von der Festung her getrunken werden sollten. Die erste war: Auf die Gesundheit der kaiserlichen Familie; die zweite: Auf die des Königs von Preußen; die dritte: Auf die Dauer des glücklich geschlossenen Friedens. Als die Kaiserin die Gesundheit der kaiserlichen Familie ausgebracht hatte, schickte Peter seinen Generaladjutanten Gudowitsch zu ihr hinüber und ließ sie fragen, warum sie bei diesem Toast nicht aufgestanden sei. Die Kaiserin antwortete: da die kaiserliche Familie nur aus ihrem Gemahl, ihrem Sohn und ihr selbst bestände, hätte sie geglaubt, ihr Aufstehen sei unnötig. Nachdem Gudowitsch die Antwort überbracht, wurde er aufs neue zu ihr geschickt, um ihr zu sagen, sie sei eine Närrin und hätte wissen müssen, daß des Kaisers Oheime, die Herzöge von Holstein, ebenfalls zur kaiserlichen Familie gehören. Da Peter aber fürchtete, der Adjutant werde den Ausdruck mildern, schrie er ihn selbst laut über den Tisch, so daß ihn die ganze Gesellschaft hören konnte. Ihre Majestät war verwirrt und überwältigt von der beleidigenden Unschicklichkeit eines solchen Angriffs und brach in Tränen aus. Bald aber suchte sie sich zu fassen, und um der allgemeinen Bestürzung ein Ende zu machen, wandte sie sich zu meinem Vetter, dem Grafen Stroganoff, ihrem diensttuenden Kammerherrn, den sie bat, irgend einen Scherz zu erzählen, um ihre Gedanken von dem Vorgefallenen abzuziehen. Der Graf, ein sehr geistreicher Mann mit viel Humor, unterdrückte seine eigene Indignation und sprach so unbefangen als möglich über irgend einen Gegenstand, der geeignet war, die Kaiserin aufzuheitern. Aber er dachte dabei nicht an seine Feinde, die er selbst in der Umgebung des Kaisers hatte, und worunter sogar seine eigene Frau sich befand, die alle nicht verfehlen würden, diesen der Kaiserin geleisteten Dienst als eine Beleidigung Seiner Majestät anzusehen. Sobald denn auch das Fest vorüber war, erhielt Stroganoff den Befehl, sich auf sein Gut bei Kamennoi Ostroff zu begeben und es nicht früher zu verlassen, bis ihm die Erlaubnis dazu erteilt werden würde.

Die Begebenheiten jenes Tages machten großes Aufsehen in ganz Petersburg; und während die Kaiserin ein Gegenstand wachsender Teilnahme und Zuneigung für das Volk wurde und, wie es nicht anders sein konnte, durch den Kontrast an Ansehen wuchs, sank der Kaiser immer tiefer in der allgemeinen Achtung. –

Seit mein Gemahl nach Konstantinopel abgereist war, scheute ich nichts, um die Prinzipien und Meinungen, welche der Sache, der ich mich gewidmet hatte, dienlich waren, zu verbreiten, anzufeuern und zu bekräftigen. Meine nächsten Vertrauten waren einige Freunde und Kameraden des Fürsten Daschkoff, namens Passik und Bredichin, beides Hauptleute im Regiment Preobraschenski, und der Major Rasloffleff, sowie dessen Bruder, ein Hauptmann vom Regiment Ismailoff. Die zwei letzteren sah ich nur selten bis zum Monat April, wo ich es für nötig fand, mich der Ansichten der Soldaten zu vergewissern. Um indes jeden Verdacht von mir zu entfernen, setzte ich mein gewohntes Leben fort, besuchte gelegentlich meine Verwandten und Freunde und war dem Anschein nach so sehr mit für mein Alter und Geschlecht passenden Ideen beschäftigt, daß niemand erraten konnte, wie vollkommen ich in Pläne versunken war, bei denen es sich um das Geschick des Kaiserreichs handelte.

Sobald meine Ansichten über die Mittel einer wohlorganisierten Verschwörung einigermaßen abgeschlossen waren, richtete ich mein Augenmerk darauf, einige Personen, deren Ansehen und Einfluß wenigstens unserm Unternehmen eine Art Weihe geben konnte, für unsere Interessen zu gewinnen und womöglich in unsere Pläne zu verwickeln. Da war in erster Linie der Marschall Razumowski, der Befehlshaber der Ismailoffskischen Garde, ein Offizier, der von seinem ganzen Korps sehr geliebt wurde, und der, obgleich sehr bevorzugt am Hofe, doch vollkommen imstande war, die Unfähigkeit des Monarchen zum Regieren und die daraus entstehende Gefahr zu begreifen. Aber wie sollte er bewogen werden, sich unserm Plane anzuschließen – er, der zwar sein Vaterland nur so viel liebte, als eine natürliche Antipathie ihm überhaupt erlaubte, irgend etwas auf der Welt zu lieben, der jedoch, unermeßlich reich, überhäuft mit allen Ehren, die je Regenten verleihen konnten, in Trägheit versunken, vor jedem Unternehmen von zweifelhaftem oder gefährlichem Ausgang zurückschreckte? Doch wie schwer auch mein Unternehmen sein mochte, ich ließ mich nicht durch Rücksichten auf Schwierigkeiten abschrecken. Eines Tages, als ich wie gewöhnlich einen Besuch beim englischen Gesandten machte, hörte ich, daß die Garden einen Versuch zum Aufstand unternommen hätten, bloß aus Veranlassung des dänischen Kriegs. Ich fragte Mr. Keith, ob sie wohl von einem höheren Offizier dazu angetrieben worden wären, er aber antwortete mir, er glaube es nicht, da es sehr unwahrscheinlich sei, daß die Offiziere gegen einen Krieg etwas einzuwenden hätten, in welchem sie sich doch so leicht auszeichnen könnten. »Jene unvorsichtigen Gerüchte,« fügte er hinzu, »werden die Veranlassung zu einigen militärischen Bestrafungen und Verbannungen nach Sibirien sein, und dabei wird die Geschichte ihr Bewenden haben.«

Ich indes fühlte mich durch jenen Vorfall veranlaßt, mich mit denjenigen Offizieren des Razumowskischen Regiments zu besprechen, die ich schon ins Vertrauen gezogen hatte, nämlich mit den zwei Rasloffleffs und Herrn Lassunski, die alle drei mit dem Marschall Razumowski sehr befreundet waren. Besonders Lassunski sollte großen Einfluß auf ihn haben. Obgleich sie mir gerade keine Hoffnung über seine Teilnahme machten, empfahl ich ihnen dennoch, in ihren vertrauten Gesprächen mit dem Marschall bei den Umständen des letzten Aufstandes zu verweilen und den Gedanken an einen bevorstehenden Wechsel des Thrones in ihm zu erwecken. Sie sollten erst unbestimmt, nach und nach aber immer positiver von der bestehenden Verschwörung mit ihm sprechen, und wenn der Plan reif sei und der Augenblick der Tat nahe, endlich alle Verstellung abwerfen und unsere Ansichten offen darlegen, so daß er sich dann zu sehr in unser Geheimnis verwickelt sähe, um Angeber zu werden. Um sein Zurückziehen von der Sache zu verhindern, sollten sie ihn daran erinnern, daß Mitwisser auch Mitschuldiger heiße, und da er die Gefahr einmal teile, so würde es wohl in seinem eigenen ebensowohl als in unserm Interesse liegen, sich, wenn nötig, an die Spitze seines Regiments zu stellen. Das alles wurde genau nach meiner Angabe erfüllt und die List mit dem vollständigsten Erfolg gekrönt.

Eine andere für unsere Pläne äußerst wichtige Person war Panin, der Erzieher des Großfürsten Paul, der allen Einfluß besaß, den gewöhnlich eine bedeutende Stellung begleitet. Im Frühjahr sah ich ihn oft in meinem Heim, wo er mich so oft besuchte, als es ihm nur seine Hofpflichten gestatteten. Bei solchen Besuchen wagte ich es denn, ihm von der Möglichkeit und den Folgen einer Revolution zu sprechen, die uns einen besseren Herrscher geben würde, und versuchte wie zufällig, seine Meinung über diesen Punkt zu erfahren. Er ging immer mit großem Interesse auf derartige Gegenstände ein und versenkte sich zuweilen in eine von ihm längst gehegte Idee, seinen jungen Zögling auf den Thron zu erheben und eine Regierung in der Art der schwedischen Monarchie einzuführen.

Allerdings konnte ein junger weiblicher Verschwörer nicht leicht und mit einem Male das Vertrauen eines vorsichtigen, berechnenden Politikers, wie Panin war, gewinnen, aber trotz meines Geschlechtes und meiner Jugend (ich war damals achtzehn Jahre alt), hob mich das Ansehen, das ich bei andern genoß, auch in seinen Augen. Fürst Repnin, sein Lieblingsneffe, den ich oft bei der Prinzessin Kurakin traf, kannte mich sehr gut und pflegte mich unserm gemeinschaftlichen Onkel als einen Charakter darzustellen, der auf die strengsten Prinzipien der Tugend gestützt sei; mein Enthusiasmus und die Vaterlandsliebe, von denen ich erfüllt sei, habe nicht den leisesten Gedanken an persönlichen oder Familienvorteil. –

Immer näher rückte der günstige Augenblick, und doch gab es noch viel zu tun, um Panin vollkommen in der Schlinge zu haben. Ich beschloß daher, bei der nächsten Zusammenkunft mit ihm alle Vorsicht wegzuwerfen und ein vollständiges Bekenntnis über die Natur und Verbreitung unserer Verschwörung abzulegen. Sobald sich also die Gelegenheit darbot, sprach ich zuerst von einem ernsten Plan, eine Revolution zustande zu bringen. Er hörte aufmerksam zu und legte in seiner Antwort besonderen Nachdruck auf die Formen, in denen solche Dinge vollbracht würden, sowie auf die Mitwirkung des Senats. Daß die Mitwirkung dieser Behörde von großem Vorteil wäre, leugnete ich nicht; konnte man aber ohne große Gefahr den Versuch machen, ihre Hilfe zu gewinnen? Auch seiner Meinung, daß die Kaiserin nicht selbst auf den Thron, sondern nur als Regentin während der Minderjährigkeit ihres Sohnes eingesetzt werden könnte, pflichtete ich bei und suchte seine Skrupel über die weiteren Absichten einer Revolution zu bekämpfen. »Lassen Sie nur erst die Tat geschehen sein,« sagte ich, »und Sie werden sehen, daß kein Mensch einen andern Grund dafür suchen wird, als die unmittelbare, drückende Not, welche nur durch einen Wechsel der regierenden Gewalt behoben werden konnte.« Darauf nannte ich ihm die hauptsächlichsten Personen, die mit mir zur Herbeiführung dieses Wechsels verbunden waren: die zwei Rasloffleffs, Lassunski, Passik, Bredichin, Baskakoff, Hetroff, Fürst Bariatinski und die Orloffs. Er war äußerst bestürzt, als er sah, wie weit ich mich bereits kompromittiert hatte, und noch dazu ohne alle Mitteilung oder vorhergehendes Einverständnis mit der Kaiserin. Ich hingegen rechtfertigte meine Zurückhaltung als einen Akt der Vorsicht, da Ihre Majestät nicht Mitwisserin unserer noch unreifen und zweifelhaften Pläne sein konnte, ohne in eine gewisse Verlegenheit zu geraten und sich vielleicht unnötig einer Gefahr auszusetzen. Ehe wir schieden, empfahl ich ihm, Teploff für uns zu gewinnen, der gerade aus der Festung, wohin ihn Peter III. hatte bringen lassen, entlassen worden war.

Unsere Partei wuchs täglich an Zahl, aber es war kein gleichmäßiger Fortschritt in der Organisation unserer Pläne. Während dieser Zeit zog ich mich in die Einsamkeit meines Landhauses in der Nähe von Petersburg zurück, anscheinend um die Verbesserungen auf meinem Gute zu überwachen, in Wirklichkeit aber suchte ich meine Gedanken zu ordnen und einen praktischen und haltbaren Aktionsplan zu finden, der dem Gegenstand und der Natur unserer Verschwörung angemessen wäre.


Viertes Kapitel.

Umzug des Hofes nach Peterhof. – Ungeduld der Garden. – Der denkwürdige 27. Juni. – Unvorhergesehene Folgen einer Verhaftung. – Beschleunigung der Katastrophe. – Besuch des jungen Orloff bei der Fürstin. – Erfolg des Unternehmens. – Katharina wird zur Herrscherin proklamiert. – Ich eile zu ihr. – Die Kaiserin und Fürstin Daschkoff in Uniform. – Rückkehr der Kaiserin nach Peterhof.

Der Umzug des Hofes nach Peterhof und Oranienbaum, welcher ungefähr Anfang des Sommers stattfand, gab mir so viel Muße, als ich nur wünschen konnte. Auf diese Weise von des Kaisers Abendgesellschaften erlöst, war es mir nicht unlieb, in der Stadt zu bleiben. Zu dieser Zeit zeigten sich unter den Garden, die merkten, daß sie plötzlich nach Dänemark eingeschifft werden sollten, bedeutende Symptome der Unzufriedenheit und Ungeduld. Dazu begannen Gerüchte zu zirkulieren, daß das Leben der Kaiserin in Gefahr sei, Gerüchte, welche dazu dienen sollten, den Augenblick zu beschleunigen, wo man die Dienste der Garden zu Hause brauchen werde. Ich beauftragte daher einige mitverschworene Offiziere, den Soldaten, die kaum noch zurückgehalten werden konnten, zu sagen, daß ich täglich mit der Kaiserin in Verbindung stehe und mich verbürge, sie den geeigneten Augenblick zur Tat, sobald derselbe gekommen sei, wissen zu lassen.

Sonst blieb alles in bedenklicher Stille bis zum 27. Juni, ein Tag, der für immer in den Annalen meines Landes denkwürdig bleiben wird, ein Tag, an dem Furcht und Hoffnung, Angst und Entzücken abwechselnd die Herzen aller Verschwörer durchzitterte. Was mich betrifft, so gestehe ich ehrlich, daß mir, obgleich ich die erste war, die an die Möglichkeit unseres Unternehmens, an die Entthronung eines zum Herrschen unfähigen Monarchen geglaubt, weder die Geschichten, die ich gelesen, noch die glühende Einbildungskraft eines achtzehnjährigen Wesens diese Ereignisse so haben malen können, wie sie die Wirklichkeit in wenig Stunden uns vorführte.

Am Nachmittag des 27. Juni war es, als Gregor Orloff kam, um mir die Verhaftung des Hauptmanns Passik zu melden. Letzterer und Bredichin waren am Abend zuvor mit mir zusammen gewesen, um mich vor der Gefahr zu warnen, in die uns die Ungeduld der Soldaten versetzen konnte, die, den Gerüchten über die Gefahr der Kaiserin Glauben schenkend, offen über Peter III. murrten und verlangten, gegen die holsteinschen Truppen in Oranienbaum geführt zu werden. Um die Befürchtung dieser beiden Herren, die sehr in Angst zu sein schienen, zu mildern und um zu zeigen, daß ich persönlich nicht vor der Gefahr zurückschreckte, bat ich sie, den Soldaten in meinem Namen zu versichern, daß ich täglich von der Kaiserin Nachricht habe, die in voller Sicherheit in Peterhof lebe. Es sei durchaus nötig, sich ruhig zu verhalten und gehorsam auf die Befehle zu warten, sonst würde der günstige Augenblick zur Tat vielleicht nie kommen. Passik und Bredichin beeilten sich, den Soldaten diese Botschaft zu überbringen, aber in der allgemeinen Verwirrung und dem Tumult kam unser Geheimnis zu den Ohren Voisikoffs, eines Majors der Preobraschenskischen Garde, der Passik augenblicklich festnehmen ließ und so die Entdeckung, aber auch die Katastrophe unserer Verschwörung beschleunigte.

Als Orloff mir die Nachricht von dieser Verhaftung überbrachte, deren Ursache und nähere Umstände er nicht kannte, war gerade Panin bei mir. Sei es infolge seines natürlichen Phlegmas und der Schlaffheit seines Charakters, sei es, weil er wünschte, mir die drohende Gefahr zu verbergen – kurz, er schien das Ereignis in einem weniger ernsten Licht anzusehen als ich es tat, und sprach mit großer Ruhe darüber, wie von der natürlichen Folge irgend eines militärischen Vergehens. Ich aber sah es im Gegenteil als ein Zeichen an, einen entscheidenden Schritt zu tun, und obgleich ich ihm nicht dieselbe Idee beibringen konnte, so baten wir ihn doch, sofort nach der Kaserne des Regiments zu eilen und die besonderen Umstände von Passiks Verhaftung zu erforschen, um sich zu versichern, ob er als Staatsgefangener behandelt werde, oder nur wegen eines militärischen Vergehens festgenommen worden wäre.

Als Orloff fort war, bat ich meinen Onkel Panin, mich zu verlassen, unter dem Vorwand, der Ruhe bedürftig zu sein. Aber sobald er sich entfernt hatte, nahm ich einen großen Herrenmantel um und ging in dieser Verkleidung zu Fuß nach der Wohnung Rasloffleffs.

Ich war noch nicht weit gegangen, als ich einen Mann zu Pferde in vollem Galopp auf mich zukommen sah. Ich weiß nicht, weshalb ich auf die Idee kam, daß es einer der Orloffs sein müsse, von denen mir nur Gregor bekannt war. Aber die Ueberzeugung, daß es so sein müsse, war so stark in mir, daß ich den Mut hatte, seinem ungestümen Lauf Einhalt zu tun, indem ich ihn beim Namen rief. Der Reiter hielt an, und als er hörte, wer ihn gerufen, sagte er: »Ich war auf dem Wege zu Ihnen, Fürstin, um Ihnen zu sagen, daß Passik Staatsgefangener ist, von vier Schildwachen an der Tür und zwei an jedem Fenster bewacht. Mein Bruder Gregor ist mit der Nachricht zu Panin, und ich habe es eben Rasloffleff mitgeteilt.« – »Und ist dieser sehr bestürzt darüber?« – »Einigermaßen,« erwiderte er; »aber warum sind Sie auf der Straße, gnädige Frau? Erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu begleiten.« – »Wir sind hier weniger beobachtet, als wir es in meinem eigenen Hause, umgeben von der Dienerschaft, sein würden,« antwortete ich. »Aber in diesem Augenblick genügen wenige Worte. Gehen Sie, sagen Sie Rasloffleff, Lassunski, Tschertkoff und Bredichin, daß sie ohne Verzug zu ihrem Regimente, den Ismailoffskischen Garden, eilen und auf ihrem Posten bleiben sollen, um die Kaiserin am Weichbilde der Stadt zu empfangen. Dann reiten Sie oder einer Ihrer Brüder wie der Blitz nach Peterhof und flehen Sie die Kaiserin in meinem Namen an, augenblicklich eine Postkutsche zu nehmen, die sie bereit finden wird, und nach dem Stadtviertel der Ismailoffskischen Garden zu fahren, die nur darauf warten, sie als Herrscherin zu proklamieren und in die Hauptstadt im Triumphe einzuführen. Sagen Sie ihr, dieser Schritt sei von solcher Wichtigkeit, daß ich nicht die wenigen Augenblicke verlieren möchte, die ich brauchen würde, um nach Hause zurückzukehren und ihr zu schreiben, sondern daß ich Sie auf der Straße beschworen habe, es ihr zu sagen und ihre Ankunft zu beschleunigen; vielleicht komme ich ihr selbst entgegen.«

Was die Postkutsche betrifft, von der ich sprach, so muß ich bemerken, daß ich am Abend vorher nach dem Besuch Passiks und Bredichins an Madame Skurin, die Frau des Kammerdieners der Kaiserin, schrieb, und sie bat, ihren Wagen mit vier Postpferden nach Peterhof zu schicken. Dort solle man denselben für die Kaiserin in Bereitschaft halten, falls ihre Anwesenheit in Petersburg nötig wäre. Ich wußte wohl, wie schwer, ja unmöglich es sonst gewesen wäre, einen Wagen zu bekommen, ohne daß Ismailoff, der kaiserliche Hausintendant, etwas davon erfahren hätte – ein Mann, der am wenigsten geneigt war, die Flucht der Kaiserin zu begünstigen. Panin, der die Katastrophe einer Thronrevolution noch für ebenso fern als unsicher hielt, lachte über meine Vorsicht als über einen voreiligen Schritt. Aber so wie die Ereignisse kamen – wer weiß, ob wir ohne den Wagen zum Ziele gelangt wären.

Nachdem ich Orloff verlassen hatte, kehrte ich nach Hause zurück, aber in einer solchen Aufregung, daß ich wenig Neigung verspürte, alles ruhig abzuwarten. Ich hatte mir einen vollständigen Herrenanzug bestellt, der an diesem Abend fertig sein sollte, aber der Schneider hatte ihn noch nicht geschickt. Dies war eine große Enttäuschung für mich, da das weibliche Kostüm mir Zwang und Zurückhaltung auferlegte. Um dem Verdacht oder der Neugier meiner Dienstboten zu entgehen, legte ich mich zu Bett. Aber schon eine Stunde darauf wurde ich durch ein heftiges Pochen an der vorderen Haustür aufgeschreckt. Ich sprang sofort aus dem Bett und eilte in das anstoßende Zimmer und befahl, jeden, wer es auch sei, vorzulassen. Ein mir unbekannter junger Mann trat ein, der sich selbst als den jüngsten Orloff vorstellte. Er kam, wie er sagte, um zu fragen, ob es nicht zu früh sei, nach der Kaiserin zu schicken, die durch eine voreilige Abfahrt nach Petersburg nur unnötig aufgeregt würde. Weiter konnte ich nichts hören. Mein Unwille hatte den höchsten Grad erreicht, und ich versuchte durchaus nicht, meinen Zorn zurückzuhalten, den ich in diesem Augenblick gegen alle drei Brüder fühlte, weil sie – wie ich mich sehr unartig ausdrückte – gezögert hatten, meine Alexis Orloff gegebenen Befehle auszuführen. »Sie haben schon viel kostbare Zeit verloren!« rief ich, »und was Ihre Angst betrifft, die Kaiserin zu erschrecken, so lassen Sie sie lieber ohnmächtig hierher bringen, anstatt sie der Gefahr auszusetzen, ihr Leben in einem Gefängnis zu fristen oder es mit uns auf dem Blutgerüst zu endigen. Sagen Sie daher Ihrem Bruder, er solle eiligst nach Peterhof reiten und die Kaiserin, ohne einen Augenblick zu verlieren, nach Petersburg bringen, ehe Peter III. Nachricht erhält, vor ihr ankommt und einen Plan vereitelt, den der Himmel selbst zur Rettung unseres Vaterlandes und der Kaiserin darbietet.«

Er schien von meinem Ernst ergriffen und verließ mich mit der Versicherung, daß sein Bruder sogleich meine Befehle vollziehen solle.

Nachdem er fort war, verfiel ich in düstere Betrachtungen. Einmal in diese Gedanken versunken, stiegen mir kaum andere Bilder als solche der fürchterlichsten Art auf. Ich sehnte mich, der Kaiserin entgegenzugehen, aber die erwähnte Enttäuschung mit den Männerkleidern war ein böser Zauber, der mich an die Einsamkeit und Untätigkeit meines Zimmers bannte. Das geringste Geräusch erschreckte mich, und ich stellte mir Katharina, das Ideal meiner Seele, blaß, entstellt, sterbend als das Opfer unserer Unvorsichtigkeit vor. Diese furchtbare Nacht, die mir als ein ganzes Leben voller Leiden erschien, ging endlich vorüber, und wie soll ich das Entzücken beschreiben, mit welchem ich den ereignisvollen Morgen begrüßte, als mir die Nachricht gebracht wurde, die Kaiserin sei in die Hauptstadt eingeführt und von der Ismailoffskischen Garde als Herrscherin proklamiert worden; sie geleiteten sie jetzt zur Kasanerkirche, begleitet von dem übrigen Militär und den Bürgern – alle begierig, den Eid der Treue zu leisten.

Es war sechs Uhr morgens. Ich befahl meinem Kammermädchen, mir ein Galakleid zu bringen, und fuhr nach dem Winterpalast, wo, wie ich vermutete, Ihre Majestät wohnen würde. Aber es ist schwer zu beschreiben, wie ich daselbst ankam. Das ganze Schloß war so umringt und jeder Eingang derartig mit Soldaten versperrt, die aus allen Teilen der Stadt herbeigeströmt waren, um sich mit den Garden zu vereinigen, daß ich aus meinem Wagen steigen und meinen Weg zu Fuß durch das Gedränge suchen mußte. Aber bald ward ich von den Offizieren und Garden erkannt; ich fühlte mich plötzlich aufgehoben und rasch über die Köpfe der Menschen vor mir hinweggetragen, die mich mit lebhaften Rufen der Zustimmung als ihre Freundin begrüßten und mit tausend Segenswünschen überhäuften. Als ich endlich glücklich in einem Vorzimmer niedergesetzt ward, mein Kopf schwindelnd, mein Haar zerzaust, mein Kleid zerrissen und mein ganzer Anzug in Unordnung – Zeugen meines triumphierenden Einzugs in den Palast – eilte ich zur Kaiserin. Bald lagen wir uns in den Armen. – »Der Himmel sei gelobt!« war alles, was wir in den ersten Augenblicken hervorbringen konnten.

Darauf beschrieb sie mir ihre Flucht von Peterhof und ihre Befürchtungen und Hoffnungen während dieser Krisis. Ich hörte ihr mit klopfendem Herzen zu und erzählte dann meinerseits von den angstvollen Stunden, die ich verlebt, die noch schmerzlicher geworden wären durch die Unmöglichkeit, ihr entgegen zu gehen, mit ihr die Entscheidung ihres Schicksals und des guten oder schlechten Loses des Reiches zu erleben. Wir umarmten uns wieder aufs herzlichste. Als ich nachher bemerkte, daß Ihre Majestät das Band des St. Katharinenordens trug und noch nicht das des St. Andreas, des höchsten Ordens im Staat, den keine Frau erhalten konnte, dessen Großmeisterin sie aber jetzt als regierende Herrscherin geworden war, lief ich schnell zu Panin, um dessen blaues Band zu holen, das ich ihr über die Schulter warf. Darauf nahm ich auf Wunsch Ihrer Majestät ihren Katharinenorden an und steckte ihn in die Tasche.

Nach einer kurzen Mahlzeit schlug die Kaiserin vor, an der Spitze der Truppen nach Peterhof zu ziehen. Sie wünschte, daß ich sie begleitete. Da sie es vorzog, in der Uniform der Garden zu erscheinen, lieh sie sich eine solche vom Hauptmann Talitschin, während ich, ihrem Beispiele folgend, mir eine vom Leutnant Puschkin verschaffte. Die beiden jungen Offiziers waren ungefähr von unserer Größe. Nebenbei bemerkt war es die alte nationale Uniform der Preobraschenskischen Garden, wie sie sie seit Peter I. stets getragen hatten, bis sie von der preußischen, die Peter III. einführte, verdrängt wurde. Ein bemerkenswerter Umstand ist auch, daß unmittelbar nach dem Einzuge der Kaiserin in die Stadt die Garden wie auf Kommando ihr fremdes Kostüm ablegten und alle bis auf den letzten Mann in der alten Uniform ihres Landes dastanden.

Als die Kaiserin sich zurückzog, um sich zu dem Marsch nach Peterhof vorzubereiten, eilte ich nach Hause, die nötigen Abänderungen in meiner Kleidung zu treffen. Ins Schloß zurückgekehrt, fand ich Ihre Majestät über die zu erlassenden Manifeste Rat haltend. Sie war von den Senatoren, die in Petersburg anwesend waren, umgeben. Auch Teploff war zugegen, den man gerufen hatte, damit er als Sekretär behilflich sein sollte.

Da die Nachricht von der Flucht der Kaiserin von Peterhof und den darauf folgenden Ereignissen in der Stadt mittlerweilen in Oranienbaum eingetroffen sein mußte, fiel mir ein, es wäre wohl möglich, daß Peter III. vor Petersburg erscheine, um der Empörung der Truppen Einhalt zu tun. Dem Impulse des Augenblicks folgend, beschloß ich, der Kaiserin meine Gedanken mitzuteilen. Die beiden Offiziere, die an der Tür des Saales, wo der Rat versammelt war, Wache hielten, öffneten mir – vielleicht aus Ueberraschung, weil ich mich schnell und ohne Zögern näherte, vielleicht aber auch, weil sie glaubten, ich besäße eine besondere Erlaubnis, ohne die sie niemand einlassen durften – sofort die Tür und ließen mich eintreten. Sogleich eilte ich zu Ihrer Majestät und flüsterte ihr den Grund meines Kommens zu. Ich bat sie dringend, die Ankunft Peters III. zu verhüten. Teploff wurde beauftragt, einen Ukas aufzusetzen und Abschriften davon nebst weiteren Befehlen an zwei verschiedene Truppenabteilungen zu schicken, welche die beiden Eingänge der Stadt von der Wasserseite, die unbeschützt war, besetzen sollten.

Sobald die Sitzung beendet und die für die Sicherheit der Hauptstadt nötigen Befehle gegeben waren, bestiegen wir unsere Pferde und ließen auf unserm Wege nach Peterhof zwölftausend Mann Revue passieren, die Freiwilligen ungerechnet, deren Zahl sich von Minute zu Minute vermehrte.

In Krasnoi Kabak, zehn Werst von Petersburg, hielten wir einige Stunden an, um den Truppen, die zwölf Stunden ununterbrochen auf den Beinen gewesen waren, ein wenig Ruhe zu gönnen. Auch wir selbst bedurften der Ruhe. Ich hatte während der letzten zwei Wochen kaum einen Augenblick die Augen geschlossen. Als wir unser ärmliches Quartier betraten, schlug Ihre Majestät vor, uns in unsern Kleidern auf das einzige schmale Bett niederzulegen, das trotz allen daran haftenden Schmutzes meinen müden Gliedern ein zu großer Segen schien, um es zu verschmähen. Kaum aber hatten wir uns auf dem Bett ausgestreckt, über welches ich noch vorsorglich einen vom Obersten Karr geliehenen Mantel gebreitet, als ich hinter unsern Köpfen eine kleine Tapetentür gewahrte. Da ich nicht wußte, wohin sie führte, ging ich hinaus, um zu untersuchen, ob alles sicher sei. Als ich gefunden hatte, daß diese Tür durch einen dunklen, engen Gang auf den äußersten Hof führte, stellte ich zwei Schildwachen davor, mit dem Befehl, nicht vom Flecke zu weichen. Nachdem dies geschehen, kehrte ich zur Kaiserin zurück, die damit beschäftigt war, einige Papiere durchzulesen. Da wir indes nicht schlafen konnten, las sie mir die Abschriften der Manifeste vor, die sie veröffentlichen wollte, wir hatten also genügend Muße, zu beratschlagen, was noch zu tun übrig bliebe, und waren voll froher Vorgefühle, die jetzt an die Stelle der Furcht vor Gefahr getreten waren.


Fünftes Kapitel.

Verhalten des Kaisers. – Er dankt ab. – Herr Betskoi. – Tragisches Ende Peters. – Die Gefühle Katharinas und ihre Unschuld am Tode ihres Gemahls.

Inzwischen konnte sich Peter III., der sich weigerte, dem Rat des Generals Münnich zu folgen, zu nichts entschließen. Er fuhr zwischen Peterhof und Oranienbaum hin und her, bis er endlich einsah, daß dabei nichts gewonnen werde. Er folgte also dem Rate seiner Vertrauten und begab sich nach Kronstadt, um sich der Flotte zu versichern. Aber auch die Kaiserin hatte die Wichtigkeit der Seemacht nicht übersehen. Admiral Talitschin war beauftragt, sie in ihrem Namen zu befehligen. Als dieser, der Kronstadt besetzt hielt, den Kaiser sich dem Ufer nähern sah, verweigerte er ihm die Landung, und der unglückliche Peter war genötigt, nach Oranienbaum zurückzukehren. Darauf sandte er den General Ismailoff mit den demütigsten Eröffnungen und einem Anerbieten seiner Abdankung zur Kaiserin.

Der Bote dieser Vorschläge traf uns auf dem Wege nach Peterhof, wie verschieden war doch seine Sprache und sein Benehmen gegen das Verhalten meines Onkels, des Großkanzlers Woronzow, der sich der Kaiserin gerade vorgestellt hatte, ehe wir die Stadt verließen! Er kam nur, um Katharina Gegenvorstellungen zu machen. Als er sah, daß seine Einwände keine Wirkung hatten, zog er sich zurück, indem er sich weigerte, den Treueid zu leisten. – »Seien Sie versichert, Madame,« sagte er mit ruhiger Würde, »daß ich Ihrer Regierung niemals zu schaden suchen werde, weder durch Wort noch Tat, und um Ihnen zu beweisen, wie aufrichtig dies gemeint ist, schlage ich Ihnen vor, einem Ihrer treuesten Offiziere die Bewachung meines Hauses anzuvertrauen; aber nie werde ich den Eid brechen, den ich dem Kaiser geschworen habe, so lange dieser lebt.«

Ihre Majestät sandte Ismailoff zu Peter III. wieder zurück mit der Weisung, ihn zu bewegen, sich selbst in ihre Hände zu geben, um die unberechenbaren Folgen, die aus einem entgegengesetzten Verhalten entstehen könnten, zu vermeiden. Sie fügte das feierliche Versprechen hinzu, alles tun zu wollen, um ihm das Leben in irgend einer Residenz, die er sich selbst in gewisser Entfernung von Petersburg aussuchen möge, so angenehm wie möglich zu machen.

Als wir uns dem Dreieinigkeitskloster näherten, kam der Vizekanzler Fürst Galitzin mit einem Briefe des Kaisers uns entgegen, und die Massen, die uns umringten, vermehrten sich von Minute zu Minute durch Zuzüge von seiten der Gegner.

Bald nach unserer Ankunft in Peterhof meldete man uns, daß Peter, begleitet von den Generalen Ismailoff und Gudowitsch, im Schlosse angelangt sei und sich ergeben habe. Fast von niemand gesehen, wurde er in ein entferntes Gemach geführt, wo das Diner bereitet war. Da er das Schloß Ropscha, wo er als Großfürst gelebt hatte, zu seiner zukünftigen Residenz erwählte, brachte man ihn sogleich dahin. Alexis Orloff, Kapitän Passik, Fürst Theodor Bariatinski und der Leutnant Baskakoff, denen die Kaiserin die Sorge für die Sicherheit seiner Person anvertraut hatte, begleiteten den Kaiser.

Ich selbst sah ihn bei der Katastrophe nicht, obgleich ich Gelegenheit dazu gehabt hätte. Die meisten aber, die ihn sahen, versicherten, daß er wenig von diesem Wechsel des Glückes ergriffen schien. Ehe er Peterhof verließ, schrieb er zwei oder drei kurze Briefe an die Kaiserin. In einem, den ich zu Gesicht bekam, erklärte er förmlich seine Abdankung, und nachdem er mehrere Personen genannt hatte, deren Begleitung er wünschte, sprach er davon, wie seine Tafel versorgt werden solle, wobei er nicht vergaß, sich gehörige Vorräte an Burgunder, Pfeifen und Tabak auszubitten.

Aber genug von diesem unglücklichen Prinzen, den die Natur für die niedrigsten Stufen des Lebens gebildet hatte, und den das Schicksal unglücklicherweise auf einen Thron erhob. Obgleich nicht gerade lasterhaft, hätten doch seine Schwächen, sein Mangel an Erziehung und seine angeborene Neigung zu allem Gemeinen und Niedrigen, wenn er weiter regiert hätte, in ihren Folgen für sein Volk nicht weniger verderblich sein können, als entschiedene Laster.

Am folgenden Tage nach der Proklamation Katharinas erhielt Panin den Grafentitel mit einer Pension von 5000 Rubel; Prinz Wolkonski und Graf Razumowski erhielten dieselbe Pension, die übrigen Verschwörer erster Klasse ein jeder 600 Bauern und 2000 Rubel Pension, oder, anstatt der Bauern, 24 000 Rubel. Zu meinem größten Erstaunen fand ich auch meinen Namen mit auf der Liste. Ich war fest entschlossen, von der Gabe keinen Gebrauch zu machen, doch diese Uneigennützigkeit brachte mir die Vorwürfe aller derer ein, die bei der Thronumwälzung beteiligt gewesen waren. Endlich, um dem allgemeinen Geschwätz ein Ende zu machen und die Kaiserin nicht zu beleidigen, willigte ich in einen Vergleich. Ich besaß ein Verzeichnis der Schulden meines Gemahls, die sich beinahe auf 24 000 Rubel beliefen, und stellte daher seinen Gläubigern eine Vollmacht aus, diese Summe aus dem Kabinett Ihrer Majestät zu entheben.

Am vierten Tag nach der Revolution verlangte Herr Betskoi eine Audienz, die ihm auch gewährt ward. Zufällig war ich mit Ihrer Majestät ganz allein im Zimmer, als er eintrat. Er warf sich zu unserm großen Erstaunen auf die Knie und beschwor die Kaiserin, doch zu gestehen, wessen Einfluß sie ihre Thronbesteigung verdanke. – »Dem allmächtigen Gott,« erwiderte sie, »und der Wahl meiner Untertanen.« – »Dann,« rief er verzweifelt aus, »darf ich auch nicht länger dieses Ehrenzeichen tragen,« und dabei wollte er sich das Band des St. Alexanderordens abreißen. Aber die Kaiserin hielt ihn davon ab und fragte, was er denn eigentlich meine.

»Ich bin der unglücklichste Mensch auf der Welt,« sagte er, »wenn Eure Majestät nicht in mir die einzige Person anerkennt, der Sie Ihre Krone verdanken. Habe ich nicht die Garden dazu angereizt? Habe ich nicht Geld unters Volk verteilt?«

Wir glaubten beide, er sei verrückt geworden, und fingen schon an, uns über seinen Zustand zu beunruhigen, als die Kaiserin mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit ein Mittel ersann, um uns seiner auf kluge Weise zu entledigen, zugleich aber auch seine Eitelkeit aufs höchste zu befriedigen. – »Ich erkenne,« unterbrach sie ihn im vollen Ernst, »die ganze Ausdehnung meiner Verpflichtungen; und da ich Ihren Bemühungen meine Krone verdanke, wem anders, als Ihnen, sollte ich die Sorge für die Verfertigung derjenigen anvertrauen, die ich zu meiner Krönung tragen werde? Ihnen also vertraue ich diesen Gegenstand und stelle alle Juweliere meines Reichs unter Ihre Oberaufsicht.«

Betskoi erhob sich überaus entzückt und eilte nach tausend Danksagungen hinaus, wahrscheinlich um sofort die Nachricht zu verbreiten, daß er eine seines Verdienstes würdige Belohnung erhalten habe. Es ist wohl unnötig, hinzuzufügen, wie herzlich wir über diesen Vorfall lachten, der ebenso charakteristisch für die Gewandtheit und Klugheit der Kaiserin war, als für Betskois Einfältigkeit. –

Aber inmitten der Betrachtungen, welche diese interessanten Begebenheiten anregten, wurden meine Gedanken plötzlich von einer furchtbaren Gewißheit in Anspruch genommen, die mich mit Bestürzung und Schrecken erfüllte: das tragische Ende Peters III. Ich war so empört über diese Nachricht, so wütend über einen solchen Ausgang dieser glorreichen Revolution, daß ich, obwohl ich den Gedanken einer Mitschuld der Kaiserin an diesem Verbrechen, das Alexis Orloff begangen, weit von mir wies, mich doch nicht entschließen konnte, den Palast früher zu betreten, als den folgenden Tag. Ich fand die Kaiserin mit sehr verstörter Miene, offenbar in großer Gemütsbewegung. Sie empfing mich mit folgenden Worten: »Mein Abscheu bei diesem Tode ist unaussprechlich; es ist ein Schlag, der mich zu Boden wirft.« – »Es ist ein zu rascher Tod für Ihren und meinen Ruhm, Madame,« erwiderte ich.

Der Gedanke an dieses Verbrechen kam mir nicht aus dem Sinn, und ich war unvorsichtig genug, im Laufe des Abends im Vorzimmer vor vielen Leuten zu sagen, ich hoffte, Alexis Orloff würde jetzt mehr als je fühlen, daß wir nicht geschaffen wären, dieselbe Luft zu atmen, und ich sei stolz genug, zu glauben, er werde mich in Zukunft nicht einmal mehr als Bekannte anreden. Von diesem Tage an wurden alle Orloffs meine unversöhnlichen Feinde. Aber ich muß Alexis die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er trotz seiner angeborenen Unverschämtheit zwanzig Jahre hindurch niemals mehr ein Wort an mich zu richten wagte.

Wer aber boshaft genug sein kann, die Kaiserin der Teilnahme oder auch nur der Mitwisserschaft an der Ermordung ihres Gemahls zu beschuldigen, wird einen absoluten Beweis von der Ungerechtigkeit dieses Verdachtes in einem Briefe finden, der noch existiert. Er ist von Alexis Orloffs Hand wenige Augenblicke nach der Vollstreckung der gräßlichen Tat an sie geschrieben. Der unzusammenhängende Stil zeigt trotz seiner Trunkenheit das Entsetzen und die Wildheit seiner Befürchtungen, während er für die Tat in den demütigsten Ausdrücken um Verzeihung fleht.

Dieser wichtige Brief wurde von Katharina II. mit großer Sorgfalt unter andern wichtigen Papieren in einem Koffer aufbewahrt, den Fürst Bosborodka nach ihrem Tode auf Pauls Befehl untersuchen mußte, um die Papiere, die er enthielt, in seiner Gegenwart zu lesen. Als er die Lektüre des Briefes Alexis Orloffs beendet hatte, machte der Kaiser Paul das Zeichen des Kreuzes und rief: »Gott sei gelobt! die wenigen Zweifel, die ich in dieser Beziehung noch über meine Mutter hatte, sind gelöst.« –

 


 


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