Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Rückkehr Soltikoffs. – Ich erwarte ihn vergebens bei mir. – Meine Vorwürfe und seine Ausreden. – Ich lasse verschiedene Personen meine Verachtung fühlen. – Kammerherr Brockdorf und der Makler Braun. – Wortwechsel zwischen mir und dem Großfürsten. – Umzug nach Oranienbaum. – Der Großfürst läßt ein ganzes Truppendetachement aus Holstein kommen. – Man findet das Ganze sehr lächerlich. – Prophezeiung. – Sir Williams. – Graf Poniatowski. – Namensfest meines Sohnes. – Sergius Soltikoff verliert in meinen Augen. – Die holsteinschen Truppen reisen ab. – Briefe Leon Narischkins an mich. – Der wirkliche Verfasser dieser Briefe ist Poniatowski. – Angenehmer Aufenthalt im Winterpalast. – Des Großfürsten liebstes Spielzeug. – Bälle und Konzerte beim Großfürsten. – Tollheiten Narischkins. – Heimliche nächtliche Besuche bei den Narischkins und bei mir.
Das Jahr 1755 begann. Von Weihnachten bis zur Fastenzeit gab es nichts als Feste am Hofe und in der Stadt. Anlaß dazu war noch immer die Geburt meines Sohnes. Jedermann beeilte sich, die schönsten Gastmähler, Bälle, Maskeraden, Illuminationen und Feuerwerke um die Wette zu veranstalten. Aber unter dem Vorwand von Krankheit war ich selbst bei keinem dieser Feste dabei.
Als der Karneval sich seinem Ende näherte, kam Sergius Soltikoff endlich wieder aus Schweden zurück. Während seiner Abwesenheit schickte mir der Großkanzler Graf Bestuscheff alle Nachrichten, die er von ihm empfing, sowie die Depeschen des Grafen Panin, der damals russischer Gesandter in Schweden war, durch Madame Wladislawa. Diese bekam sie durch ihren Schwiegersohn, den ersten Schreiber des Großkanzlers, zugestellt, und ich meinerseits sandte auf demselben Wege Briefe an Sergius. Auf diese Weise hörte ich auch, daß, sobald Sergius Soltikoff zurückgekommen sein würde, man entschlossen war, ihn als russischen Bevollmächtigten nach Hamburg zu senden, an Stelle des Fürsten Galitzin, den man zur Armee versetzte. Diese Nachricht trug natürlich nicht dazu bei, meinen Kummer zu vermindern.
Als Sergius Soltikoff zurückgekehrt war, ließ er mich durch Leon Narischkin bitten, ihm mitzuteilen, ob ich es möglich machen könnte, ihn zu empfangen. Ich sprach mit Madame Wladislawa darüber, die denn auch in eine Zusammenkunft willigte. Er sollte erst zu ihr, dann durch ihr Zimmer zu mir kommen. Ich wartete die ganze Nacht bis drei Uhr morgens, aber er kam nicht. Während ich in Todesangst schwebte und mir den Kopf zerbrach, was ihn vom Kommen abgehalten haben könnte, erfuhr ich am folgenden Tage, daß er vom Grafen Roman Woronzow in eine Freimaurerloge geschleppt worden war, und er selbst behauptete, er habe sich nicht zurückziehen können, ohne Verdacht zu erregen. Aber ich fragte und forschte Leon Narischkin so lange aus, bis es mir schließlich klar wie der Tag ward, daß er bloß aus Mangel an Zuneigung und Aufmerksamkeit für mich nicht gekommen war, ohne die geringste Rücksicht auf das, was ich seit langer Zeit allein aus Liebe zu ihm litt.
Sogar Leon Narischkin, sein Freund, entschuldigte ihn nicht, und ich will es nur gestehen, ich selbst fühlte mich aufs äußerste beleidigt. So schrieb ich ihm denn einen Brief, worin ich mich bitter über sein Benehmen beklagte. Er antwortete mir und kam. Es war für ihn ein leichtes, mich zu besänftigen, weil ich nur allzu sehr geneigt war, mich von ihm beruhigen zu lassen. Er redete mir zu, in der Oeffentlichkeit zu erscheinen; ich folgte seinem Rate und war am 10. Februar zum Geburtstage des Großfürsten und Palmsonntag am Hofe zugegen. Ich ließ mir eigens für diesen Tag ein hellblaues, goldbesticktes Samtkleid machen. Da ich während meiner Einsamkeit eine Menge Beobachtungen gemacht hatte, faßte ich den Entschluß, diejenigen, die mir so manchen Kummer verursacht, so viel an mir lag, es fühlen zu lassen, daß man mich nicht ungestraft beleidigt und man meine Zuneigung oder Billigung nicht durch schlechtes Betragen gewinne. Daher versäumte ich auch keine Gelegenheit, den beiden Schuwaloffs merken zu lassen, wie sehr sie mich zu ihren Gunsten eingenommen hatten, und bezeigte ihnen meine tiefste Verachtung. Ich deckte gegen andere ihre Schlechtigkeit und Dummheit auf, machte sie lächerlich, wo ich nur konnte, wußte ihnen immer einige Sarkasmen zu sagen, welche sich blitzschnell in der ganzen Stadt verbreiteten und ihre schadenfrohen Feinde auf ihre Kosten amüsierten. Mit einem Wort, ich rächte mich an ihnen auf jede nur mögliche Weise. Waren sie anwesend, so verfehlte ich niemals, diejenigen auszuzeichnen, die sie nicht leiden mochten, und da eine große Anzahl Leute sie haßten, hatte ich keinen Mangel an Personen, die für meine Zwecke geeignet waren. Besonders bezeigte ich den beiden Grafen Razumowski, die ich sehr gern hatte, mehr Gunst denn je, verdoppelte meine Aufmerksamkeit und Höflichkeit gegen jedermann, mit Ausnahme der Schuwaloffs. Kurz, ich hielt mich aufrecht, ging erhobenen Hauptes, mehr als Anführer einer großen Partei, als ein gedemütigtes und unterdrücktes Wesen einher. Einen Augenblick wußten die Herren Schuwaloff nicht, wie sie sich dazu stellen sollten. Sie hielten Rat und nahmen ihre Zuflucht zu höfischen Listen und Ränken. Zu jener Zeit erschien in Rußland ein Herr Brockdorf, ein holsteinscher Edelmann, der früher durch die damalige Umgebung des Großfürsten, Brummer und Berkholz, aus Rußland ausgewiesen worden, weil er als intriganter Mensch von schlechtem Charakter bekannt war. Dieser kam den Schuwaloffs sehr gelegen. Da er vom Großfürsten als Herzog von Holstein einen Kammerherrnschlüssel erhalten, hatte er Zutritt bei Seiner kaiserlichen Hoheit, die überhaupt für jeden Dummkopf, der aus Holstein kam, günstig gestimmt war. Brockdorf wurde bald mit Peter Schuwaloff bekannt, und zwar auf folgende Weise. In dem Gasthause, wo er logierte, machte er die Bekanntschaft eines Menschen, der die Gasthäuser Petersburgs nur verließ, um drei sehr hübsche deutsche Mädchen namens Reifenstein zu besuchen, von denen die eine vom Grafen Peter Schuwaloff unterhalten wurde. Der Erwähnte hieß Braun und war eine Art Makler für alle möglichen Dinge. Er brachte auch Brockdorf zu den Mädchen, wo dieser den Grafen Schuwaloff traf. Letzterer erklärte in den überschwenglichsten Ausdrücken seine Ergebenheit für den Großfürsten und beklagte sich selbstverständlich über mich. Brockdorf berichtete alles bei der ersten Gelegenheit dem Großfürsten wieder und bearbeitete ihn, er solle, wie er sich ausdrückte, seine Frau zur Vernunft bringen. Zu diesem Zwecke kam Seine kaiserliche Hoheit eines Tages nach dem Diner in mein Zimmer und sagte, ich fange wirklich an, ganz unerträglich stolz zu werden, aber er wolle mich schon zur Vernunft bringen. Als ich ihn fragte, worin denn dieser Stolz bestehe, antwortete er: »Sie halten sich außerordentlich gerade.« Darauf fragte ich aufs neue, ob man, um ihm zu gefallen, mit gekrümmtem Rücken, wie die Sklaven des Sultans, gehen müsse? Hierüber wurde er böse und sagte, er werde mich schon zur Vernunft zu bringen wissen. – »Wie?« fragte ich. Da stellte er sich mit dem Rücken gegen die Wand, zog seinen Degen bis zur Hälfte und zeigte ihn mir. Ich fragte ihn, was dies bedeute, ob er sich mit mir schlagen wolle? Aber dann müsse auch ich einen Degen haben. Er stieß seinen Säbel wieder in die Scheide und sagte, meine Schlechtigkeit überschreite jegliche Grenze, und als ich ihn fragte, inwiefern? erwiderte er stotternd: »Nun, den Schuwaloffs gegenüber.« Hierauf antwortete ich, er schwatze alles nach, was er höre, und würde gut tun, lieber nicht von Dingen zu sprechen, die er nicht wisse oder verstehe. Er indes fuhr fort: »Das sind die Folgen, wenn man seinen wahren Freunden nicht traut; es geht einem schlecht dabei. Hätten Sie Vertrauen zu mir gehabt, Sie würden sich sehr wohl dabei befunden haben.« – Ich erwiderte: »Vertrauen, worin?« – Und nun begann er eine so unsinnige und gegen die gewöhnlichen Regeln des gesunden Menschenverstandes verstoßende Auseinandersetzung, daß ich, da ich sah, daß er einzig und allein faselte, ihn reden ließ, ohne zu antworten, und eine günstige Pause benutzte, um ihm den Rat zu geben, er solle zu Bett gehen. Denn ich sah deutlich, daß der Wein ihm sein ganzes bißchen Vernunft genommen und allen Verstand in ihm abgestumpft hatte. Er folgte denn auch meinem Rate und legte sich schlafen. Schon damals fing er an, fortwährend nach Wein und Tabak zu riechen, ein Geruch, der allen, die ihm nahe kamen, unerträglich war.
Denselben Abend beim Kartenspiel meldete mir Graf Alexander Schuwaloff seitens der Kaiserin, sie habe meinen Damen verboten, verschiedene Putzsachen zu tragen, die in einer öffentlichen Bekanntmachung einzeln aufgezählt waren. Um ihm nun zu zeigen, wie Seine kaiserliche Hoheit mich in bezug auf mein Benehmen gegen die Schuwaloffs gebessert hatte, lachte ich ihm direkt ins Gesicht und sagte, er hätte sich die Mühe sparen können, mir diesen Befehl zu übermitteln, denn ich trüge nie etwas, was Ihrer kaiserlichen Majestät mißfiele. Außerdem suche ich mein Verdienst weder in der Schönheit, noch in der Kleidung, denn wenn die eine dahin sei, werde die andere lächerlich; der Charakter allein sei dauernd. Er hörte mich bis zu Ende an, blinzelte dann, wie es seine Gewohnheit war, mit dem rechten Auge und ging, während ich seine Grimasse hinter ihm nachäffte, worüber die ganze Gesellschaft laut auflachte.
Einige Tage nachher teilte mir der Großfürst mit, er wolle die Kaiserin wegen seiner holsteinschen Angelegenheiten, welche sich mehr und mehr verschlimmerten, um Geld bitten; Brockdorf habe ihm diesen Rat gegeben. Daß dies nur ein Köder war, den man ihm hinhielt, damit er seine ganze Hoffnung, Geld zu erhalten, auf die Schuwaloffs setzen sollte, sah ich nur zu gut und fragte ihn deshalb, ob man nicht auf andere Weise Geldmittel auftreiben könnte. Er erwiderte, er wolle mich mit den Forderungen der Holsteiner bekannt machen, und tat es. Nachdem ich die Papiere, die er mir zeigte, durchgelesen, sagte ich zu ihm, mir scheine, er könne sich's ersparen, seine Tante um Geld anzukriegen, zumal sie wohl seine Bitte abschlagen werde, nachdem sie ihm erst vor kaum sechs Wochen 100 000 Rubel geschenkt habe. Er indes blieb bei seiner Meinung, und ich bei der meinigen. Das Ende davon war, daß man ihn lange Zeit mit der Hoffnung auf Geld hinhielt und er schließlich doch nichts bekam.
Nach Ostern zogen wir nach Oranienbaum. Vor unserer Abreise erlaubte mir die Kaiserin, meinen Sohn zu sehen: zum dritten Male, seit er geboren war. Um in sein Zimmer zu gelangen, mußte man alle Gemächer Ihrer Majestät durchschreiten. Ich fand ihn in einer erstickenden Hitze, wie ich bereits erzählt habe.
Auf dem Lande angelangt, hatten wir eine merkwürdige Ueberraschung. Seine kaiserliche Hoheit, mit dem die Holsteiner unablässig von dem Defizit im Staatshaushalt sprachen, obwohl ihm jedermann riet, diese Leute zu meiden, die er noch dazu nur verstohlen und zeitweise sehen konnte, faßte plötzlich den kühnen Entschluß, ein ganzes holsteinsches Detachement Soldaten kommen zu lassen. Auch dies war ein Kunstgriff jenes verwünschten Brockdorf, welcher der vorherrschenden Leidenschaft des Großfürsten schmeichelte. Er hatte den Schuwaloffs zu verstehen gegeben, daß, wenn sie ihm mit diesem Spielzeug oder Steckenpferd freien Willen ließen, sie sich seiner Gunst auf immer versichern könnten, denn sie würden dadurch seiner Zustimmung zu allem, was sie etwa unternähmen, gewiß sicher sein. Wie es schien, verbarg man der Kaiserin, die Holstein und alles, was von dort kam, haßte, weil sie gesehen, wie ähnliche militärische Kinderspiele den Vater des Großfürsten, den Herzog Karl Friedrich, in den Augen Peters I. und ganz Rußlands in ein schlechtes Licht gesetzt hatten, die Sache anfangs, und sagte ihr, es habe so wenig auf sich, daß es nicht der Mühe wert wäre, davon zu reden. Außerdem war ja auch die Gegenwart des Grafen Schuwaloff allein von genügendem Einfluß, allen üblen Folgen vorzubeugen. In Kiel eingeschifft, landete also das Detachement bei Kronstadt und kam nach Oranienbaum. Der Großfürst, der zur Zeit Tschoglokoffs die holsteinsche Uniform nur in seinem Zimmer ganz verstohlen getragen hatte, legte jetzt keine andere mehr an, ausgenommen bei Hoffesten, obgleich er Oberstleutnant des Regiments Preobraschenski und außerdem Chef eines russischen Kürassierregiments war. Auf den Rat Brockdorfs hüllte er mir gegenüber diesen Truppentransport in das tiefste Geheimnis. Ich gestehe, daß ich, als ich zum ersten Male davon hörte, vor der verderblichen Wirkung zitterte, welche dieser Schritt bei dem russischen Volk und bei der Kaiserin selbst, deren Gefühle mir bekannt waren, hervorbringen mußte. Als das Detachement durch Oranienbaum marschierte, stand Alexander Schuwaloff neben mir auf dem Balkon und blinzelte mit den Augen, denn innerlich mißbilligte er, was er und seine Genossen übereingekommen waren, öffentlich zu dulden. Die Bewachung des Schlosses Oranienbaum war abwechselnd dem Regiment Ingermanland und dem Regiment Astrachan anvertraut, und ich erfuhr, daß die Leute jener Regimenter, als sie die holsteinschen Truppen vorbeimarschieren sahen, gerufen hatten: »Diese verfluchten Deutschen sind alle an den König von Preußen verkauft; es sind lauter Verräter, die man nach Rußland bringt.« Im allgemeinen war das Publikum über die Tat des Großfürsten entrüstet. Die Ergebensten zuckten die Achseln, die Gemäßigten fanden die Sache lächerlich. Im Grunde genommen war es ein sehr unvorsichtiges Kinderspiel. Ich für meinen Teil schwieg, wenn man mich aber direkt darüber fragte, sagte ich ganz offen jedem meine Meinung, damit man sah, ich billige das Geschehene durchaus nicht. Und von welcher Seite ich es auch betrachten mochte, immer erschien es mir von dem schädlichsten Einfluß auf das Wohl des Großfürsten. Konnte man denn anderer Ansicht sein, wenn man alles genau überlegte? Sein bloßes Vergnügen konnte ihn doch niemals für den Nachteil entschädigen, der ihm dadurch bei der öffentlichen Meinung erwuchs. Aber der Großfürst, begeistert von seinen Soldaten, richtete sich mit ihnen in dem dazu aufgeschlagenen Lager ein und beschäftigte sich ausschließlich damit, sie einzuexerzieren. Nun mußten sie aber auch ernährt werden – daran hatte man nämlich gar nicht gedacht. Aber die Sache eilte. Es gab einige Debatten mit dem Hofmarschall, der auf die an ihn gestellten Forderungen nicht vorbereitet war. Endlich indes ließ er sich bereden, und die Hoflakaien samt den Soldaten der Schloßwache vom Regiment Ingermanland mußten für die Neuangekommenen Nahrungsmittel aus dem Schlosse herbeischaffen. Dann befand sich das Lager nicht eben in nächster Nähe des Palastes. Außerdem bekam niemand etwas für seine Mühe – kurz, man kann sich den angenehmen Eindruck vorstellen, den eine so geschickte und kluge Anordnung hervorbringen mußte. Die Soldaten des Regiments Ingermanland murrten: »Sind wir denn die Diener dieser verfluchten Deutschen geworden?« Die Hoflakaien: »Man zwingt uns, einen Haufen Dorflümmel zu bedienen!« Als ich sah und hörte, was vorging, faßte ich den festen Entschluß, mich diesem nachteiligen Kinderspiele so fern als möglich zu halten. Da die Verheirateten unserer Kammerherren ihre Frauen bei sich hatten, bildeten wir eine ziemlich ansehnliche Gesellschaft, zumal die Herren selbst im holsteinschen Lager, das Seine Hoheit keinen Augenblick verließ, nichts zu tun hatten. Wir gingen so oft wie möglich spazieren, aber immer an der dem Lager entgegengesetzten Seite vorbei, wo wir mit demselben in keiner Weise in Berührung kamen.
Ich hatte damals den Einfall, mir in Oranienbaum einen Garten anzulegen. Da ich jedoch wußte, daß der Großfürst keinen Zoll Erde dazu hergeben werde, bat ich den Fürsten Galitzin, mir 300 Toisen nutzlosen und seit langer Zeit brachliegenden Landes, welches er in der Nähe von Oranienbaum besaß, zu verkaufen oder abzutreten. Dieses Terrain gehörte acht Personen der Familie, aber sie traten es mir trotzdem bereitwilligst ab, ohne eine Bezahlung anzunehmen. Ich fing also an, Pläne zu machen und zu pflanzen, und da es das erstemal war, daß ich mich auf diesem Gebiete versuchte, so nahmen sie sehr große Dimensionen an. Mein alter Chirurg Gyon sagte, als er dies sah: »Wozu soll das? Denken Sie an mich, ich sage Ihnen im voraus, daß Sie dies alles eines Tages aufgeben werden.« Seine Prophezeiung erfüllte sich. Aber ich bedurfte damals einer Unterhaltung, die meine Phantasie anregte. Zur Anpflanzung meines Gartens bediente ich mich zuerst des Gärtners von Oranienbaum, namens Lamberti. Dieser war im Dienste der Kaiserin, als sie noch Prinzessin war, auf dem Gute Zarskoje Selo gewesen und von dort nach Oranienbaum versetzt worden. Er war ein wenig Prophet, und eine seiner Prophezeiungen, welche die Kaiserin betrafen, hatte sich erfüllt. Er hatte ihr nämlich vorhergesagt, daß sie den Thron besteigen werde. Auch mir prophezeite dieser Mann, so oft ich es hören wollte, daß ich einst souveräne Kaiserin von Rußland werde, daß ich Söhne, Enkel und Großenkel haben und in hohem Alter, über achtzig Jahre alt, sterben werde. Ja, er tat mehr: er nannte sogar das Jahr meiner Thronbesteigung, sechs Jahre bevor dies Ereignis eintrat. Es war ein wunderlicher Mensch, der mit einer Zuversicht sprach, die durch nichts erschüttert werden konnte. Unter anderm behauptete er, die Kaiserin zürne ihm, weil seine Prophezeiung eingetroffen sei, und habe ihn von Zarskoje Selo nach Oranienbaum geschickt, weil sie ihn fürchte.
Zu Pfingsten, glaube ich, ließ man uns von Oranienbaum nach der Stadt kommen. Ungefähr um dieselbe Zeit traf der englische Gesandte Sir Williams in Rußland ein. In seinem Gefolge befand sich auch der polnische Graf Poniatowski, der Sohn jenes Poniatowski, der die Partei Karls XII., des Königs von Schweden, vertreten hatte. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Stadt kehrten wir nach Oranienbaum zurück, wo auf Befehl der Kaiserin die Feier des Peterstages stattfinden sollte. Sie selbst erschien nicht dabei, weil sie keine Lust hatte, das erste Namensfest meines Sohnes Paul zu feiern, welches auf denselben Tag fällt. Sie blieb also in Peterhof, setzte sich an ein Fenster und verließ diesen Platz wahrscheinlich den ganzen Tag nicht, denn alle, die nach Oranienbaum kamen, wollten sie sitzen gesehen haben. Die Gesellschaft war sehr zahlreich. In dem Saale am Eingang meines Gartens wurde getanzt und später gegessen, wozu sich auch die fremden Gesandten und Minister einfanden. Dabei erinnere ich mich, daß der englische Gesandte Sir Williams beim Souper mein Nachbar war und wir uns auf eine ebenso angenehme als heitere Weise unterhielten. Da er viel Geist und Kenntnisse besaß und fast ganz Europa kannte, war es nicht schwer, mit ihm zu konversieren. Später hörte ich, daß er sich an diesem Abend ebensosehr amüsiert hatte, als ich, und mit großer Anerkennung von mir gesprochen habe. Das letztere war mir übrigens bei mir verwandten Seelen nichts Neues, und da ich damals noch wenige Neider hatte, sprach man im allgemeinen mit viel Achtung von mir. Ich galt für geistreich, und viele, die mich näher kannten, ehrten mich durch ihr Vertrauen, fragten mich um Rat und befanden sich nicht übel dabei. Selbst der Großfürst nannte mich seit langer Zeit »Madame Hilfsquelle«, und so böse und verdrießlich er auch gegen mich sein mochte, kam er doch, sobald er in irgend einer Beziehung sich nicht zu helfen wußte, gewohnheitsgemäß eilig zu mir gelaufen, um sich meinen Rat zu holen, worauf er, nachdem er ihn empfangen, sich ebenso eilig wieder aus dem Staube machte. Auch erinnere ich mich, daß ich bei jenem Feste in Oranienbaum, während Graf Poniatowski tanzte, mit dem Chevalier Williams über Poniatowskis Vater sprach und wie schlecht sich derselbe gegen Peter I. benommen habe. Der englische Gesandte sagte mir viel vorteilhaftes vom Sohne und bestätigte mir, was ich wußte, nämlich daß sein Vater und die Familie seiner Mutter, die Czartoriskis, damals die russische Partei in Polen bildeten, und der Alte seinen Sohn nach Rußland geschickt habe, um ihn in den Gefühlen seiner Partei für Rußland zu befestigen. Im übrigen hofften seine Verwandten sehr auf den Erfolg des jungen Mannes in Rußland. Poniatowski mochte damals zwei- bis dreiundzwanzig Jahre alt sein. Ich erwiderte dem englischen Gesandten, was die Fremden beträfe, so betrachte ich Rußland überhaupt als einen Probierstein des Verdienstes, und wer in Rußland Erfolg habe, könne sicher sein, in ganz Europa Erfolg zu haben. Und diese Ansicht habe ich stets aufrecht erhalten, denn nirgends als in Rußland versteht man besser die Schwächen, Lächerlichkeiten und Fehler eines Ausländers zu entdecken. Man kann gewiß sein, daß ihm hier nichts entgeht, weil jeder Russe von Natur aus die Fremden nicht liebt.
Um dieselbe Zeit erfuhr ich, wie unüberlegt Sergius Soltikoff sich sowohl in Schweden als in Dresden benommen hatte. Außerdem hatte er allen Frauen, mit denen er in Beziehung kam, seine Liebesgeschichte erzählt. Anfangs wollte ich es zwar nicht glauben, allein später wurde es mir von so vielen Seiten wiederholt, daß ihn sogar seine Freunde nicht mehr entschuldigten.
Während dieses Jahres knüpfte ich die engsten Freundschaftsbande mit Anna Narischkin, woran ihr Stiefbruder Leon großen Anteil hatte. Er war immer als Dritter in unserm Bunde, und seine Narrheiten nahmen kein Ende. Manchmal sagte er zu uns: »Derjenigen von euch beiden, die sich am besten aufführt, schenke ich ein Kleinod, wofür ihr mir Dank wissen werdet.« Wir ließen ihn reden, und keine hatte das Verlangen, zu wissen, was dies Kleinod sei.
Im Herbst wurden die holsteinschen Truppen auf dem Seewege wieder zurücktransportiert und wir bezogen den Sommerpalast. Leon Narischkin erkrankte damals an einem hitzigen Fieber, während welcher Zeit er mir Briefe schrieb, denen ich auf den ersten Blick ansah, daß sie nicht von ihm waren. Aber ich antwortete ihm trotzdem. Er bat mich in seinen Briefen um eine Menge Näschereien und andere ähnliche Nichtigkeiten und bedankte sich dann überschwenglich dafür. Die Briefe waren übrigens sehr gut und mit viel Humor geschrieben. Er behauptete, er ließe sie von seinem Sekretär schreiben, schließlich aber erfuhr ich, daß dieser Sekretär kein anderer als Graf Poniatowski war, der nicht aus Leons Hause wich, überhaupt mit den Narischkins sehr vertraut verkehrte.
Zu Anfang des Winters zogen wir aus dem Sommerpalast in den Winterpalast, den die Kaiserin aus Holz an derselben Stelle, wo jetzt das Haus der Tschitscherins steht, hatte bauen lassen. Er nahm die ganze Fläche bis gegenüber dem Hause der Gräfin Matjuschkin ein, das damals Naumkoff gehörte. Meine Fenster lagen diesem Hause gerade gegenüber, welches zu dieser Zeit meine Ehrendamen bewohnten. Bei meinem Eintritt war ich sehr überrascht von der Höhe und Größe der Räume, die man uns darin anwies. Vier große Vorzimmer und zwei Gemächer mit einem Kabinett waren für mich und eben so viele für den Großfürsten bestimmt. Sie waren so gut verteilt, daß ich die Nähe des Großfürsten nicht im geringsten zu erleiden hatte. Damit hatte ich viel gewonnen! Graf Alexander Schuwaloff bemerkte meine Zufriedenheit und eilte sofort zur Kaiserin, ihr zu sagen, daß ich die Größe und Zahl der für mich bestimmten Räumlichkeiten sehr gelobt hätte, was er mir darauf mit einer Art Genugtuung, welche er durch das bekannte Blinzeln der Augen und ein Lächeln bezeigte, mitteilte.
In jener Zeit und noch lange nachher bestand das Hauptspielzeug des Großfürsten in einer ungeheuren Menge kleiner Puppen und Soldaten aus Blei, Holz, Teig oder Wachs, welche er auf sehr schmalen Tischen, die ein ganzes Zimmer einnahmen, aufstellte; kaum konnte man sich zwischen den Tischen bewegen. Diese hatte er der Länge nach mit Messingstücken miteinander verbunden, und an dem Messing waren Schnüre befestigt, so daß, wenn man diese anzog, seiner Meinung nach ein Geräusch entstand, das einem Kleingewehrfeuer glich. Die Hoffeste feierte er mit großer Regelmäßigkeit, indem er seine Truppen auf die eben erwähnte Weise Feuer geben ließ. Außerdem löste man täglich die Wache ab, d. h. man nahm von jedem Tische die Puppen, welche dazu bestimmt waren, auf die Wache zu ziehen. Bei dieser Parade war er selbst in Uniform, gestiefelt und gespornt, mit Ringkragen und Schärpe zugegen, und seine Diener, welche zu diesen herrlichen Exerzitien zugelassen wurden, mußten ebenso erscheinen.
Im Winter desselben Jahres glaubte ich aufs neue schwanger zu sein, und man ließ mir zur Ader. Ich hatte oder glaubte vielmehr eine Entzündung an beiden Wangen zu haben, aber nachdem ich einige Tage Schmerzen gehabt, kamen vier Backenzähne zum Vorschein.
Da unsere Gemächer sehr geräumig waren, veranstaltete der Großfürst jede Woche einmal einen Ball und ein Konzert, wozu nur die Ehrendamen und unsere Hofkavaliere mit ihren Frauen eingeladen wurden. Nach den Aussagen der Beteiligten waren diese Bälle niemals interessant. Die Narischkins indes, wozu ich auch die Damen Siniawin und Ismailoff, die Schwestern Narischkins, und die Frau des ältesten Bruders, deren ich bereits Erwähnung getan, rechne, waren geselliger als alle anderen. Leon Narischkin, toller wie je, wurde von jedermann für einen unbedachten Menschen gehalten, und war es auch wirklich. Er hatte die Gewohnheit, beständig aus den Zimmern des Großfürsten in das meinige zu rennen, aber nirgends lange zu bleiben. Um bei mir eingelassen zu werden, fing er gewöhnlich vor meiner Tür wie eine Katze zu miauen an, und wenn ich ihm dann antwortete, kam er herein. Eines Tages, es war am 17. Dezember zwischen sechs und sieben Uhr abends, meldete er sich auch auf diese Weise an meiner Tür, worauf ich ihn eintreten ließ. Zuerst übermittelte er mir die Grüße seiner Schwägerin, erzählte mir dann, sie wäre nicht ganz wohl, und fügte hinzu: »Sie sollten sie eigentlich einmal besuchen.« – »Ich würde es gern tun,« erwiderte ich, »aber Sie wissen doch, daß ich nicht ohne Erlaubnis ausgehen kann, und man es mir niemals erlauben wird.« – »Dann werde ich Sie hinführen,« antwortete er, worauf ich rief: »Haben Sie denn den Verstand verloren? Wie kann ich mit Ihnen gehen? Man wird Sie auf die Festung schicken, und ich werde Gott weiß welche Unannehmlichkeiten auszustehen haben!« – »Oh,« sagte er, »kein Mensch wird etwas davon erfahren; wir werden schon die nötigen Vorsichtsmaßregeln treffen.« – »Wieso?« – »Ich werde Sie in ein oder zwei Stunden von hier abholen, während der Großfürst zu Abend ißt« – schon lange nämlich blieb ich unter dem Vorwande, daß ich nicht soupieren wollte, auf meinem Zimmer – »er wird einen Teil der Nacht bei Tafel zubringen, wird ganz betrunken sein und sich dann schlafen legen« – er schlief seit meiner Niederkunft meist in seinem Zimmer. »Zur größeren Sicherheit legen Sie Männerkleider an, und dann wollen wir zusammen zu Anna Nikitischna Narischkin gehen.« Das Abenteuer fing an, mich zu reizen, umsomehr, da ich immer allein in meinem Zimmer mit meinen Büchern war, ohne alle Gesellschaft. Endlich, nachdem ich mich mit ihm über diesen an sich tollen Plan, der mir gleich anfangs sehr gewagt erschien, gestritten hatte, sah ich doch die Möglichkeit darin, mir für einige Augenblicke Vergnügen und Heiterkeit zu verschaffen. Er ging. Ich rief meinen kalmückischen Friseur und befahl ihm, mir einen meiner Herrenanzüge und alles dazu Nötige zu bringen, weil ich jemand ein Geschenk damit machen wollte. Dieser Bursche pflegte den Mund nicht aufzutun, und man hatte mehr Mühe, ihn zum Sprechen zu bringen, als andere zum Schweigen. Er führte also meinen Auftrag pünktlichst aus und brachte mir alles, was ich brauchte. Ich schützte Kopfschmerzen vor und ging sehr früh zu Bett. Sowie Madame Wladislawa mich zur Ruhe gebracht und sich zurückgezogen hatte, stand ich wieder auf und zog mir meinen Herrenanzug an; meine Haare arrangierte ich so gut ich konnte, denn ich war darin seit langer Zeit geübt und nicht ungeschickt. Zur bestimmten Stunde miaute Leon Narischkin, der durch die Gemächer des Großfürsten gekommen war, an meiner Tür und ich öffnete ihm. Wir gingen durch ein kleines Vorzimmer in die Halle, setzten uns in seinen Wagen, ohne daß uns jemand gesehen hätte, und lachten wie toll über unsern Streich. Leon bewohnte mit seinem Bruder und dessen Frau ein und dasselbe Haus. Bei unserer Ankunft fanden wir Anna Nikitischna, sowie den Grafen Poniatowski vor. Leon stellte mich als einen seiner besten Freunde vor, den er gut aufzunehmen bat, und der Abend verging in der ausgelassensten Lustigkeit. Nach anderthalbstündigem Besuch verließ ich sie und kam glücklich und wohlbehalten wieder nach Hause, ohne daß eine Menschenseele uns begegnet wäre. Am folgenden Tage, dem Geburtstage der Kaiserin, war morgens Cour und abends Ball bei Hofe. Wir konnten uns nicht ansehen, ohne laut über unsern tollen Streich vom Abend vorher zu lachen. Einige Tage später schlug Leon einen Gegenbesuch vor, der mir gelten sollte. Wieder brachte er auf gleiche Weise seine Gäste in mein Zimmer, ohne daß irgend jemand etwas davon merkte. So begann das Jahr 1756. Wir fanden ein eigentümliches Vergnügen an diesen nächtlichen Zusammenkünften. Jede Woche hatten wir mindestens eine oder zwei, ja sogar drei, bald bei dem einen, bald bei dem andern, und wenn einer von der Gesellschaft unpäßlich war, ging man natürlich zu ihm. Bisweilen verabredeten wir uns auch im Theater, ohne einander zu sprechen, durch gewisse vorher ausgemachte Zeichen – obwohl wir in verschiedenen Logen und einige sogar im Parterre saßen – wo wir zusammen kommen wollten; und niemals gab es ein Mißverständnis. Zweimal indes war ich genötigt, zu Fuß nach Haus zu gehen, aber das war ein Spaziergang für mich.