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Ueble Stimmung des Großfürsten. – Mein Gartenfest in Oranienbaum. – Leon Narischkin erneuert seine Besuche bei mir. – Verdiente Züchtigung. – Die Schlacht bei Zorndorf. – Graf Fermor wird abberufen und Peter Soltikoff zu seinem Nachfolger ernannt. – Die Kaiserin bekommt auf offener Straße einen Krämpfeanfall. – Rückkehr in die Stadt. – Der Großfürst langweilt sich. – Er leugnet die Vaterschaft meines Kindes. – Mein Benehmen gegen meinen Gemahl. – Poniatowski wird abberufen. – Einfältiges Benehmen des Großfürsten. – Geburt meiner Tochter. – Zwei Kabinettsordres von je 60 000 Rubel. – Vereinsamt!
Da der Großfürst fast immer übler Laune gegen mich war, wofür ich mir keinen andern Grund denken konnte, als daß ich weder Brockdorf noch die Gräfin Elisabeth Woronzow, die wieder anfing, Favoritin zu werden, empfing, kam mir der Gedanke, Seiner kaiserlichen Hoheit ein Gartenfest in Oranienbaum zu geben, um seine schlechte Stimmung so viel wie möglich zu vermindern. Seine kaiserliche Hoheit hatte nämlich jedes Fest gern. So ließ ich denn an einem abgelegenen Orte im Gehölz von meinem damaligen italienischen Architekten Antonio Rinaldi einen großen Wagen bauen, worauf ein Orchester von sechzig Personen, Musikern und Sängern, bequem Platz hatte. Der italienische Hofpoet mußte die Verse machen und der Kapellmeister Araja dieselben in Musik setzen. In der großen Allee wurde ein illuminiertes Transparent mit einem Vorhang angebracht, dem gegenüber die Tafel fürs Souper gedeckt war. Am 17. Juli gegen Abend begaben sich Seine kaiserliche Hoheit und alles was in Oranienbaum war, sowie eine Menge Zuschauer, die aus Kronstadt und Petersburg gekommen waren, in den prächtig illuminierten Garten. Man setzte sich zu Tisch, und nach dem ersten Gang teilte sich der Vorhang, der die große Allee verdeckte. Man sah in der Ferne das Orchester auf einem Wagen herankommen, der von etwa zwanzig mit Kränzen geschmückten Ochsen gezogen wurde, und von allen Tänzern und Tänzerinnen, die ich hatte auftreiben können, umgeben war. Die Allee war illuminiert, und zwar so hell, daß man alle Gegenstände deutlich unterschied. Als der Wagen hielt, wollte es der Zufall, daß der Mond gerade über ihm stand, was eine wundervolle Wirkung hervorbrachte und die ganze Gesellschaft angenehm überraschte, zumal da außerdem das Wetter prachtvoll war. Jedermann sprang von der Tafel auf, um die Schönheit der Symphonie und des Schauspiels voller genießen zu können. Als sie zu Ende war, fiel der Vorhang, und man setzte sich zum zweiten Gang wieder an die Tafel. Darauf hörte man Fanfaren und Zimbeln, und ein Gaukler rief plötzlich: »Meine Herren und Damen, kommen Sie hierher, in meinen Buden werden Lose für die Lotterie umsonst verteilt.« Zu beiden Seiten des Vorhangs teilten sich nun noch zwei kleine Vorhänge und man erblickte zwei hellerleuchtete Buden. In der einen verteilte man gratis Lotterienummern für das darin enthaltene Porzellan, in der andern für Blumen, Bänder, Fächer, Kämme, Geldbeutel, Handschuhe, Degengehänge und andere solche Kleinigkeiten. Als die Buden leer waren, aß man das Dessert, worauf bis sechs Uhr morgens getanzt wurde. Keine Intrige, kein unliebsamer Zwischenfall kam während meines Festes vor. Seine kaiserliche Hoheit, sowie alle, die daran teilnahmen, waren entzückt davon und priesen die Großfürstin und ihr Fest. Aber ich hatte es auch an nichts fehlen lassen. Man fand meinen Wein köstlich, mein Souper herrlich. Alles ging auf meine eigenen Kosten, und das Fest kostete mich gegen 10 000 bis 15 000 Rubel – man bedenke, daß ich nur 30 000 Rubel jährlich zur Verfügung hatte. Doch dieser Tag wäre mir beinahe noch teurer zu stehen gekommen, denn als ich am Nachmittag mit Madame Narischkin ausgefahren war und gerade aus dem Kabriolett steigen wollte, machte das Pferd eine Bewegung, die mich zur Erde schleuderte, und das im vierten oder fünften Monat meiner Schwangerschaft. Ich tat jedoch, als ob nichts vorgefallen wäre, blieb bis zuletzt auf dem Feste und machte die Honneurs. Dennoch fürchtete ich mich sehr vor einer Fehlgeburt, aber glücklicherweise fand nichts dergleichen statt, und ich kam mit dem bloßen Schrecken davon. Der Großfürst, seine ganze Umgebung, alle seine Holsteiner, ja selbst meine erbittertsten Feinde hörten noch viele Tage nicht auf, mich und mein Fest zu loben, denn jeder, Freund oder Feind, hatte eine Kleinigkeit als Andenken an mich davon mit nach Hause gebracht. Da es ein Maskenfest war und alle möglichen Leute daran teilgenommen hatten, war die Gesellschaft natürlich sehr gemischt gewesen. Unter andern waren eine Menge Frauen da, die sonst nicht am Hofe und in meiner Gegenwart erschienen. Alle rühmten sich nun und prunkten mit meinen Geschenken, obgleich dieselben im Grunde keinen großen Wert hatten, denn ich glaube, es war keins darunter, das mehr als hundert Rubel kostete. Aber es war eben ein Geschenk von mir, und man prahlte gern: Ich habe dies von Ihrer kaiserlichen Hoheit der Großfürstin, ach, sie ist die Güte selbst, sie hat allen Leuten etwas geschenkt, sie ist reizend; sie sah mich so vergnügt und leutselig an, es machte ihr Vergnügen, uns tanzen, essen und spazieren gehen zu sehen; wer keinen Platz hatte, bekam einen von ihr, u. s. w. u. s. w. Kurz, man fand an mir plötzlich Eigenschaften, die man vorher nicht an mir gekannt hatte, und auf diese Weise entwaffnete ich meine Feinde, Das war auch meine Absicht; es dauerte nur leider nicht lange, wie man in der Folge sehen wird.
Nach diesem Feste fing Leon Narischkin wieder an, mich zu besuchen. Als ich eines Tages in mein Boudoir trat, fand ich ihn impertinenterweise auf einem Sofa liegen und ein unsinniges Lied singen. Sowie ich dies sah, ging ich wieder hinaus, schloß die Tür hinter mir ab und begab mich unverzüglich zu seiner Schwägerin. Dieser sagte ich, man müsse eine handvoll Nesseln nehmen und diesen Menschen, der sich schon lange so unverschämt gegen uns benähme, damit züchtigen, um ihn Rücksicht zu lehren. Madame Narischkin stimmte aus ganzer Seele bei, und wir ließen uns sofort gute Ruten bringen, die mit Nesseln eingefaßt waren. Darauf begaben wir uns in Begleitung einer meiner Frauen, namens Tatiana Juriewna, in mein Boudoir, wo Leon Narischkin noch auf demselben Platze lag und aus voller Kehle sein unverschämtes Lied sang. Als er uns sah, suchte er zu entwischen. Allein wir versetzten ihm so viele Schläge mit unsern Nesselruten, daß seine Hände, seine Beine und sein ganzes Gesicht drei Tage lang geschwollen waren, und er am andern Tage nicht mit uns zur Cour nach Peterhof kommen konnte, sondern zu Hause bleiben mußte. Und er hütete sich, mit jemand über das Geschehene zu sprechen, denn wir hatten ihm versichert, daß wir bei der geringsten Veranlassung zur Klage über ihn genau dasselbe Mittel wieder anwenden würden, da es wirklich kein anderes gab, mit ihm fertig zu werden. Wir faßten zwar dies alles als bloßen Scherz auf, allein unser Mann hatte genug gespürt, um sich daran zu erinnern, und gab sich keine Blößen mehr, wenigstens nicht mehr in dem Grade, wie es früher der Fall gewesen war.
Im August erfuhren wir von der am 14. desselben Monats gelieferten Schlacht bei Zorndorf, einer der blutigsten Schlachten des Jahrhunderts, da auf jeder Seite mehr als 20 000 Tote und Verwundete geblieben waren. Unser Verlust an Offizieren war beträchtlich; mehr als 1200 hatten wir zu beklagen. Zwar meldete man uns diese Schlacht als für uns gewonnen, allein im geheimen flüsterte man sich zu, die Verluste wären auf beiden Seiten gleich, und drei Tage hindurch hätte keine der beiden Armeen gewagt, sich den Sieg zuzuschreiben. Endlich, am dritten Tage, habe der König von Preußen in seinem Lager und Graf Fermor auf dem Schlachtfelde das Te Deum singen lassen. Der Aerger der Kaiserin und die Bestürzung der Bevölkerung waren groß, als man alle Einzelheiten dieses blutigen Tages erfuhr, an dem viele ihre Verwandten, Freunde und Bekannten verloren. Lange Zeit hindurch hörte man nur Aeußerungen des Schmerzes. Auch viele Generale waren getötet, verwundet oder gefangen genommen worden. Schließlich fand man, daß Graf Fermors Benehmen nichts weniger als geschickt und militärisch gewesen sei, und der Hof rief ihn zurück und ernannte den Grafen Peter Soltikoff an seiner Stelle zum Befehlshaber des russischen Heeres in Preußen. Soltikoff wurde zu diesem Zwecke aus der Ukraine abberufen, wo er befehligte, und man übertrug sein Kommando einstweilen dem General Froloff Bagreeff, jedoch mit dem geheimen Befehl, nichts zu unternehmen, ohne die Generalleutnants Graf Rumianzoff und Fürst Alexander Galitzin zu befragen. Den letzteren beschuldigte man, er hätte, da er in kurzer Entfernung vom Schlachtfelde mit einem Korps von 10 000 Mann auf den Anhöhen postiert gewesen, von wo er die Kanonade hörte, die Schlacht entscheidender machen können, wenn er der preußischen Armee in den Rücken gefallen wäre, während sie mit der unserigen kämpfte. Allein Graf Galitzin hatte dies unterlassen. Als ihn daher sein Schwager Rumianzoff in seinem Lager aufsuchte und er ihm von der stattgehabten Schlächterei erzählte, war dieser sehr schlecht gelaunt, sagte ihm alle möglichen Grobheiten und wollte später nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil er ihn als Feigling betrachtete. Dies war aber Fürst Galitzin keineswegs. Die ganze Armee ist mehr von seiner als von der Unerschrockenheit des Grafen Rumianzoff überzeugt, trotz dessen gegenwärtiger Siege und Berühmtheit.
Anfang September befand sich die Kaiserin in Zarskoje Selo. Am 8., dem Marientage, begab sie sich zu Fuß in die Dorfkirche, die nur ein paar Schritte von dem nördlichen Tore des Schlosses entfernt war, zur Messe. Kaum aber hatte der Gottesdienst begonnen, als sich Elisabeth plötzlich unwohl fühlte und die Kirche verließ. Sie ging den kleinen schräg nach dem Palaste zu liegenden Perron hinab, aber schon kurz hinter der Kirche fiel sie bewußtlos ins Gras. Rings um sie herum wogte die Menge des Volkes, das von allen Dörfern der Umgegend zusammengekommen war, um die Messe zu hören. Niemand von ihrer Begleitung war der Kaiserin gefolgt, als sie die Kirche verließ. Aber bald verbreitete sich das Gerücht von dem Unfall Ihrer Majestät, und die Ehrendamen und Vertrauten kamen eiligst herbei. Sie fanden sie bewußtlos inmitten des Volkes, das sie neugierig betrachtete, ohne indes zu wagen, sich ihr zu nähern und ihr zu helfen. Da die Kaiserin groß und stark war, mußte sie sich beim Fallen erheblich verletzt haben. Man bedeckte ihr Gesicht mit einem weißen Tuch und holte schnell ein paar Aerzte und Chirurgen herbei. Der Wundarzt erschien zuerst. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihr in Gegenwart aller zur Ader zu lassen, aber sie kam nicht zu sich. Ihr Leibarzt konnte nur sehr langsam kommen, da er selbst krank und nicht imstande war zu gehen. Man brachte ihn daher in einem Lehnstuhl getragen. Es war der verstorbene Condoijdij, ein Grieche von Geburt. Der Chirurg Fouzadier war ein französischer Flüchtling. Endlich wurden Wandschirme und ein Kanapee aus dem Schlosse geholt, worauf man die Kaiserin legte. Durch allerlei Heilmittel und die eifrigsten Bemühungen brachte man sie schließlich wieder zum Leben zurück. Allein als sie die Augen öffnete, erkannte sie niemand und fragte in fast unverständlicher Weise, wo sie sich befände. Endlich, nachdem zwei Stunden verflossen waren, beschloß man, Ihre Majestät mit dem Sofa ins Schloß zu tragen. Man kann sich wohl die Bestürzung vorstellen, in die das ganze Hofpersonal geriet; und die Oeffentlichkeit der Sache vermehrte den peinlichen Eindruck. Bis dahin hatte man ihren Zustand äußerst geheim gehalten, aber nun war die Runde davon in alle Schichten der Bevölkerung gedrungen. Ich selbst erfuhr das Geschehene am folgenden Morgen in Oranienbaum durch einen Brief des Grafen Poniatowski. Sogleich benachrichtigte ich den Großfürsten davon, der noch nichts wußte, da man uns ja im allgemeinen alles mit der größten Sorgfalt verschwieg, besonders Dinge, die die Kaiserin persönlich betrafen. Nun war es aber Sitte, daß jeden Sonntag, wenn wir uns nicht an ein und demselben Orte mit Ihrer Majestät aufhielten, einer unserer Kammerherrn abgesandt wurde, um nach dem Befinden der Kaiserin zu fragen, wir unterließen dies natürlich auch den folgenden Sonntag nicht und erfuhren, daß Elisabeth mehrere Tage lang die Sprache verloren hatte und es ihr noch große Anstrengung verursachte, zu reden. Man erzählte, sie habe sich während ihrer Ohnmacht die Zunge zerbissen, was vermuten ließ, daß dieser Unfall mehr von Krämpfen als von einer Ohnmacht herrührte.
Ende September kehrten wir in die Stadt zurück. Da ich meiner Schwangerschaft wegen anfing, schwerfällig zu werden, erschien ich nicht mehr bei öffentlichen Gelegenheiten, zumal ich mich auch meiner Entbindung näher glaubte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Dies langweilte den Großfürsten, weil er, wenn ich mich in der Oeffentlichkeit zeigte, öfters die Ausrede gebrauchen konnte, er fühle sich nicht wohl, um in seinen Gemächern zu bleiben. Außerdem erschien die Kaiserin sehr selten bei öffentlichen Gelegenheiten, so daß sich die Hoffeste und Bälle nur um mich drehten, während, wenn ich nicht zugegen war, Seine kaiserliche Hoheit gezwungen war, zu erscheinen, damit wenigstens jemand zum Repräsentieren da war. Seine kaiserliche Hoheit war also sehr ärgerlich über meinen Zustand, und eines Tages kam es ihm in den Sinn, im Beisein Leon Narischkins und anderer zu sagen: »Der Himmel weiß, woher meine Frau guter Hoffnung ist; ich bin durchaus nicht gewiß, ob dies Kind mir gehört, und ob ich es auf meine Rechnung setzen kann.« – Leon Narischkin eilte natürlich sofort zu mir, um mir diese Aeußerung brühwarm wieder zu erzählen. Selbstverständlich erschrak ich nicht wenig und erwiderte: »Ihr seid alle Einfaltspinsel. Laßt ihn doch schwören, ob er nicht mit seiner Frau geschlafen hat, und sagt ihm, wenn er den Eid geleistet, daß Ihr es sofort Alexander Schuwaloff, als Großinquisitor des Reichs, mitteilen werdet.« – Leon ging auch wirklich zu Seiner kaiserlichen Hoheit und forderte ihm den Eid ab. – »Gehen Sie zum Teufel und sprechen Sie mir nicht mehr davon!« war die Antwort des Großfürsten.
Jene unvorsichtige Aeußerung Peters verstimmte mich sehr und ich erkannte seitdem, daß ich von zwei gleich schwierigen Wegen einen besonders einschlagen müßte. Entweder mußte ich die Schicksale des Großfürsten teilen, folglich stündlich allem ausgesetzt sein, was er für oder wider mich anzuordnen beliebte, und mit ihm oder durch ihn zugrunde gehen, oder ich wandelte meine eigene, von allen Ereignissen unabhängige Bahn und rettete dadurch mich selbst, meine Kinder und vielleicht auch den Staat aus dem Schiffbruch, dessen Gefahren alle physischen und moralischen Eigenschaften des Prinzen voraussehen ließen. Das letztere schien mir das sicherste. Ich faßte also den Entschluß, ihm so viel ich konnte mit Rat und Tat zu seinem Besten zur Seite zu stehen, aber mich nie mehr wie früher zu erzürnen, wenn er meine Ratschläge nicht befolgte. Ich wollte ihm, so oft ich Gelegenheit hätte, über seine wahren Interessen die Augen öffnen, mich im übrigen aber in ernstes Schweigen hüllen. Anderseits jedoch mußte auch ich meine Interessen beim Publikum zu wahren suchen, so daß man eintretendenfalls auf mich, als die Retterin der öffentlichen Angelegenheiten, blicken konnte.
Im Oktober erhielt ich vom Großkanzler Grafen Bestuscheff die Nachricht, daß der König von Polen dem Grafen Poniatowski sein Abberufungsschreiben übersandt habe. Graf Bestuscheff hatte darüber einen heftigen Streit mit dem Grafen Brühl und dem sächsischen Kabinett. Er ärgerte sich, daß man ihn nicht wie früher vorher um Rat gefragt hatte. Zuletzt erfuhr er, daß es der Vizekanzler Graf Woronzow und Iwan Schuwaloff gewesen waren, die durch Prasse, den sächsischen Residenten, die ganze Sache durchgesetzt hatten. Dieser Prasse war außerdem über eine Menge Dinge unterrichtet, von denen man nicht begriff, woher er sie wußte. Erst viele Jahre später kam man seinen Quellen auf die Spur. Er war nämlich der sehr geheime und sehr diskrete Liebhaber der Gemahlin des Vizekanzlers, der Gräfin Anna Karlowna Woronzow, geborene Skawronski, die mit der Frau des Zeremonienmeisters Samarin äußerst befreundet war. Bei Madame Samarin trafen sich die Gräfin und Prasse häufig. Der Kanzler Bestuscheff ließ sich das Abberufungsschreiben des Grafen Poniatowski geben und schickte dasselbe unter dem Vorwande eines Formversehens wieder nach Sachsen zurück.
In der Nacht vom 8. zum 9. fing ich an, Geburtswehen zu spüren. Ich schickte daher Madame Wladislawa zum Großfürsten, sowie zum Grafen Alexander Schuwaloff, damit er Ihre kaiserliche Majestät davon benachrichtige. Nach einiger Zeit, ungefähr halb drei Uhr morgens, trat der Großfürst ein. Er kam in seiner holsteinschen Uniform, mit Stiefeln und Sporen, der Schärpe um den Leib und einem großen Degen an der Seite; kurz, in großer Toilette. Erstaunt über diesen Aufzug, fragte ich ihn, weshalb er in so ausgesuchtem Anzug erschiene, worauf er erwiderte, nur bei großen Gelegenheiten erkenne man seine wahren Freunde. In dieser Uniform sei er bereit, seiner Pflicht gemäß zu handeln, denn die Pflicht eines holsteinschen Offiziers sei, seinem Eide gemäß, das herzogliche Haus gegen alle Feinde zu verteidigen. Da ich mich nicht wohl befinde, käme er mir nun so zu Hilfe. Man hätte glauben können, er scherze, allein dies war durchaus nicht der Fall, er sprach vielmehr im vollsten Ernst. Ich bemerkte sofort, daß er betrunken war, und riet ihm, zu Bett zu gehen, damit die Kaiserin, wenn sie käme, nicht den doppelten Schmerz habe, ihn betrunken und auch noch von Kopf bis Fuß in die ihr verhaßte holsteinsche Uniform gekleidet zu sehen. Es kostete mir indes große Mühe, ihn zum Fortgehen zu bewegen, aber schließlich gelang es mir doch mit Hilfe Madame Wladislawas und der Hebamme, die versicherte, daß meine Entbindung noch nicht so bald stattfinden werde. Kaum hatte er sich entfernt, so trat die Kaiserin ein. Sie fragte nach dem Großfürsten, und man antwortete ihr, er sei eben wieder weggegangen, werde aber gewiß bald zurückkommen. Als sie sah, daß meine Schmerzen nachließen und die Hebamme erklärte, es könne noch einige Stunden dauern, entfernte auch sie sich, während ich mich in mein Bett legte und bis zum folgenden Morgen schlief. Ich stand wie gewöhnlich auf, fühlte dann und wann wohl Schmerzen, die aber später ganz verschwanden. Gegen Abend verspürte ich großen Hunger und ließ mir mein Abendessen auftragen. Als die Hebamme, die neben mir saß, sah, mit welchem Heißhunger ich aß, sagte sie: »Essen Sie, essen Sie, das ist von Vorteil für Sie.« In der Tat fühlte ich, als ich vom Tische aufstand, einen so heftigen Schmerz, daß ich einen lauten Schrei ausstieß. Die Hebamme und Madame Wladislawa hoben mich auf ein zu meiner Entbindung bestimmtes Lager und schickten zur Kaiserin, sowie zum Großfürsten. Kaum waren mein Gemahl und Ihre Majestät eingetreten, als ich von einer Tochter entbunden wurde. Es war am 9. Dezember zwischen zehn und elf Uhr abends. Ich bat die Kaiserin, mir zu erlauben, mein Töchterchen nach ihr zu nennen, allein sie entschied, es solle den Namen der ältesten Schwester Ihrer Majestät, der Herzogin von Holstein und Mutter des Großfürsten, Anna Petrowna, tragen. Der Großfürst schien über die Geburt des Kindes sehr erfreut zu sein und veranstaltete in seinen Gemächern große Festlichkeiten. Auch in Holstein ließ er solche veranstalten und nahm alle Glückwünsche, die man ihm darbrachte, mit sichtbarer Zufriedenheit entgegen. Am sechsten Tage hielt die Kaiserin selbst das Kind zur Taufe und überreichte mir eine Kabinettsordre für 60 000 Rubel. Dem Großfürsten schickte sie ebensoviel, was seine Zufriedenheit, wie man sich denken kann, bedeutend erhöhte. Nach der Taufe begannen allerorten die Festlichkeiten. Sie waren sehr schön, wie man mir sagte, ich jedoch habe nichts davon gesehen. Ich lag in meinem Bett ganz einsam und allein, ohne die geringste Gesellschaft, denn sobald ich niedergekommen war, hatte die Kaiserin nicht nur, wie das erstemal, das Kind in ihre Gemächer bringen lassen, sondern man ließ mich noch obendrein unter dem Vorwande, daß ich der Ruhe bedürfe, wie eine arme Unglückliche allein. Niemand setzte den Fuß über meine Schwelle und fragte, noch ließ fragen, wie es mir ginge. Da ich aber schon bei der Geburt meines Sohnes unter dieser gänzlichen Verlassenheit unsäglich gelitten hatte, war ich diesmal vorsichtiger gewesen, mich wenigstens gegen den unangenehmen Zugwind zu schützen. Sobald ich entbunden war, stand ich auf und legte mich in mein Bett. Und da niemand zu mir zu kommen wagte, oder höchstens ganz verstohlen, hatte ich auch dafür gesorgt, daß ich nicht immer ganz allein war. Mein Bett nahm fast die Hälfte meines ziemlich langen Schlafzimmers ein. Rechts vom Bett befanden sich zwei Fenster, und eine Tapetentür führte in eine Art Garderobe, die zugleich als Vorzimmer diente und mit Wandschirmen und Koffern verbarrikadiert war. Von meinem Bett bis zu jener Tür hatte ich eine ungeheure spanische Wand stellen lassen, die das reizendste Kabinett verbarg, das ich je besaß. In diesem kleinen Boudoir befanden sich ein Sofa, Spiegel, tragbare Tische und einige Stühle. Wenn der Vorhang meines Bettes auf dieser Seite zugezogen war, sah man gar nichts; war er offen, so sah ich das Kabinett vor mir und die darin Anwesenden; diejenigen jedoch, die ins Zimmer traten, sahen nur den Wandschirm. Und fragte man, was sich hinter diesem Schirme befände, so sagte man: der Nachtstuhl. Dieser aber befand sich im Schirm und man hätte ihn ruhig zeigen können, ohne in das Kabinett zu kommen, das der Wandschirm vollkommen verdeckte; übrigens war niemand so neugierig, ihn zu sehen.