Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Neunzehntes Kapitel.

Tod des Ministers Pechlin. – Die Abenteurer in Oranienbaum nehmen von Jahr zu Jahr zu. – Die Gelage des Großfürsten. – Uebergabe Memels am 24. Juni. – Rückkehr nach der Stadt. – Langersehnte Unterredung mit der Kaiserin. – Uebereilter Rückzug Apraxins. – Ich schreibe ihm einen ermahnenden Brief. – Seine Zurückberufung. – Er stirbt. – Fürst Lieven. – General Fermor. – Leon Narischkins verändertes Benehmen. – Besuch des Prinzen Karl von Sachsen am russischen Hofe. – Seine Abreise.

Zu Anfang des Frühlings starb Pechlin, der Minister des Großfürsten für Holstein. Der Großkanzler, Graf Bestuscheff, der seinen Tod voraussah, hatte mir den Rat gegeben, dem Großfürsten einen gewissen Stambke an seiner Stelle vorzuschlagen.

Im Frühjahr gingen wir nach Oranienbaum, wo unsere Lebensweise ganz dieselbe wie in den vorhergehenden Jahren war, nur daß die Zahl der dort stationierten holsteinschen Truppen und der als Offiziere angestellten Abenteurer von Jahr zu Jahr zunahm. Da indes so viele Menschen in dem kleinen Dorfe Oranienbaum, das anfangs aus nicht mehr als achtundzwanzig Hütten bestand, nicht einquartiert werden konnten, wurde ein Lager für die Truppen aufgeschlagen, deren Zahl sich übrigens nie auf mehr als 1300 Mann belief. Die Offiziere dinierten und soupierten bei Hofe, weil es jedoch nur fünfzehn bis sechzehn Hofdamen, die Frauen der Kammerherrn mit inbegriffen, gab, Seine kaiserliche Hoheit aber große Gastmähler leidenschaftlich liebte und solche in seinem Lager und in allen Ecken und Winkeln in Oranienbaum häufig veranstaltete, lud er nicht allein die Sängerinnen und Tänzerinnen der Oper dazu ein, sondern noch eine Menge bürgerlicher Damen aus sehr schlechter Gesellschaft, die man ihm aus Petersburg verschaffte. Sowie ich von der Zulassung der Sängerinnen etc. hörte, enthielt ich mich jeder ferneren Beteiligung an diesen Festen, anfangs unter dem Vorwande einer Brunnenkur. Ich speiste meist mit drei oder vier Personen aus meiner Umgebung auf meinem Zimmer. Später aber sagte ich dem Großfürsten, ich fürchte, die Kaiserin werde es übel aufnehmen, wenn ich in so gemischter Gesellschaft erschiene. Nie kam ich, wenn ich wußte, daß unbeschränkte Gastfreundschaft herrschte, so daß, wenn der Großfürst unbedingt meine Anwesenheit wünschte, nur die Hofdamen zugelassen wurden.

Zu den Maskeraden, die der Großfürst in Oranienbaum veranstaltete, erschien ich immer in sehr einfacher Toilette, ohne Juwelen und sonstigen Schmuck. Dies gefiel besonders der Kaiserin, welche die Feste in Oranienbaum, wo die Gastmähler zu wahren Bacchanalien ausarteten, weder gern sah, noch billigte. Sie ließ sie indes geschehen, oder verbot sie wenigstens nicht. Ich erfuhr, daß Ihre Majestät eines Tages geäußert habe: »Diese Feste machen der Großfürstin ebenso wenig Vergnügen als mir, denn sie erscheint dabei stets in so einfacher Kleidung, wie nur irgend möglich, und speist niemals mit jedermann, der dort Zutritt hat.«

Ich beschäftigte mich damals in Oranienbaum mit der Anlage und Anpflanzung meines Gartens. Während der übrigen Zeit ging, ritt oder fuhr ich aus, und wenn ich in meinem Zimmer war, las ich.

Im Juli erfuhren wir, daß Memel sich den russischen Truppen am 24. Juni durch Vergleich übergeben hätte, und einen Monat später traf die Nachricht von der am 19. August durch die russische Armee gewonnenen Schlacht von Großjägerndorf ein. Am Tage, an dem das Te Deum gesungen wurde, gab ich dem Großfürsten und allen in Oranienbaum anwesenden bedeutenden Persönlichkeiten ein großes Gastmahl, bei welchem der Großfürst und alle übrigen überaus heiter und zufrieden schienen. Dies minderte für kurze Zeit den Schmerz Peters über den zwischen Rußland und dem König von Preußen ausgebrochenen Krieg. Seit seiner Kindheit hatte er für Friedrich den Großen eine große Zuneigung gefaßt, eine Zuneigung, in der gewiß anfangs nichts Außerordentliches lag, die aber später in reinen Wahnsinn ausartete. Damals indes zwang ihn die allgemeine Freude über den Erfolg der russischen Waffen, seine geheimen Gedanken zu verbergen. Mit Bedauern erfuhr er die Niederlage der preußischen Truppen, die er für unbesiegbar gehalten hatte.

Einige Tage nach diesem Feste kehrten wir in die Stadt zurück und bezogen den Sommerpalast. Hier meldete mir Graf Alexander Schuwaloff eines Abends, daß die Kaiserin sich bei seiner Frau befände und mich auffordere, dorthin zu kommen, um mit ihr zu reden, wie ich es vergangenen Winter gewünscht hätte. Ich begab mich also unverzüglich in die Gemächer des Grafen und der Gräfin Schuwaloff, die hinter den meinigen lagen, und fand dort die Kaiserin ganz allein. Nachdem ich ihr die Hand geküßt und sie mich, ihrer Gewohnheit gemäß, umarmt hatte, erwies sie mir die Ehre, zu sagen, sie habe gehört, daß ich mit ihr zu reden wünsche und sei nun gekommen, um zu erfahren, was ich auf dem Herzen habe. Nun waren aber damals mehr als acht Monate seit meiner Unterredung mit Alexander Schuwaloff, hinsichtlich Brockdorfs, vergangen. Ich erwiderte daher Ihrer Majestät, als ich im vorigen Winter das Benehmen Brockdorfs mit angesehen, hätte ich es für unerläßlich gehalten, mit Graf Alexander Schuwaloff darüber zu sprechen, damit er Ihre Majestät davon in Kenntnis setzen konnte. Er hatte mich dann gefragt, ob er mich erwähnen dürfe, worauf ich ihm erwidert: »Wenn Ihre kaiserliche Majestät es wünschte, würde ich selbst alles wiederholen, was mir bekannt sei.« Dann erzählte ich ihr die Affäre Elendsheim in ihrem wahren Hergange. Sie hörte mir anscheinend mit großer Kälte zu und fragte mich dann nach Einzelheiten über das Privatleben des Großfürsten und über seine Umgebung. Mit der größten Wahrhaftigkeit sagte ich alles, was ich wußte. Als ich aber über die holsteinischen Verhältnisse einige Bemerkungen machte, woraus sie ersehen mußte, daß ich sie gut kannte, sagte sie streng: »Sie scheinen über dieses Land sehr wohl unterrichtet zu sein.« Ich antwortete naiv, dies könne mir nicht schwer fallen, da der Großfürst mir befohlen habe, mich damit bekannt zu machen. Aber ich sah es der Kaiserin an, daß dieses Vertrauen des Großfürsten zu mir einen unangenehmen Eindruck auf sie machte; überhaupt schien sie während der ganzen Unterredung eigentümlich verschlossen. Sie ließ mich reden, fragte mich aus, sagte aber selbst kaum ein Wort, so daß diese Unterhaltung mir von ihrer Seite mehr wie eine Art Verhör, als ein vertrauliches Gespräch vorkam. Endlich verabschiedete sie mich ebenso kalt, als sie mich empfangen, und ich war sehr wenig erbaut von meiner Audienz. Alexander Schuwaloff empfahl mir, sie so geheim wie möglich zu halten, was ich auch versprach – übrigens konnte ich mich ihrer auch nicht rühmen. In mein Zimmer zurückgekehrt, schrieb ich die Kälte der Kaiserin der Abneigung zu, welche, wie ich schon seit längerer Zeit wußte, die Schuwaloffs ihr gegen mich eingeflößt hatten. In der Folge wird man sehen, zu welch abscheulichem Gebrauch von dieser Unterredung, wenn ich so sagen darf, man sie überredete.

Kurz darauf erfuhren wir, daß der Marschall Apraxin, statt seine Erfolge zu benutzen, nach der Einnahme von Memel und dem Siege bei Großjägerndorf sich mit solcher Eile zurückzog, daß dieser Rückzug fast einer Flucht glich, denn er vernichtete und verbrannte sein ganzes Gepäck und vernagelte alle seine Kanonen. Niemand begriff ein solches Verfahren. Selbst seine Anhänger konnten es nicht rechtfertigen, und eben deshalb vermutete man ein Geheimnis dahinter. Obgleich ich wirklich selbst nicht wußte, wem der übereilte und unzusammenhängende Rückzug des Generals Apraxin zuzuschreiben war, da ich ihn niemals wieder zu sehen bekam, so glaube ich doch die Ursache davon zu vermuten. Er erhielt nämlich von seiner Tochter, der Fürstin Kurakin, die noch immer – aus Politik, nicht aus Neigung – mit Peter Schuwaloff ein Verhältnis hatte, sowie von seinem Schwager, dem Fürsten Kurakin, und andern Verwandten und Freunden ziemlich genaue Nachrichten über die Gesundheit der Kaiserin, die von Tag zu Tag schlechter wurde. Man war schon damals ziemlich allgemein überzeugt, daß sie alle Monate regelmäßig an sehr heftigen Krämpfen litte. Diese Krämpfe schwächten ihre Organe zusehends, so daß sie nach jeder Krise drei bis vier Tage in einem solchen Zustand von Schwäche und Entkräftung ihrer Geistesfähigkeiten war, der schon mehr an Lethargie grenzte. Während dieser Zeit konnte man über nichts mit ihr sprechen und sie von nichts unterhalten. Apraxin, der vielleicht die Gefahr für größer hielt, als sie wirklich war, hatte es wahrscheinlich nicht für ratsam gehalten, sich noch weiter in Preußen vorzuwagen, sondern für besser befunden, eine Rückwärtsbewegung zu machen, um sich der russischen Grenze zu nähern. Unter dem Vorwande, daß es ihm an Lebensmitteln gebrach, ging er immer weiter zurück, zumal er voraussah, daß im Falle des Todes der Kaiserin dieser Krieg sofort aufhören würde. Es war schwer, den Schritt Apraxins zu rechtfertigen; aber dies mußte wohl der Grund seiner Handlung sein, denn er hielt sich in Rußland für äußerst nötig.

Graf Bestuscheff ließ mir durch Stambke mitteilen, welche Wendung das Benehmen des Grafen Apraxin nähme, worüber sich der kaiserliche und der französische Gesandte laut beklagten. Er ließ mich dringend bitten, dem Marschall ganz im Vertrauen zu schreiben und meine Vorstellungen mit den seinigen zu vereinigen, um ihn zur Umkehr zu bewegen und eine Flucht zu beendigen, die seine Feinde gehässig und unheilvoll auslegten. In der Tat schrieb ich an den Marschall Apraxin einen Brief, in welchem ich ihn von den üblen in Petersburg umlaufenden Gerüchten in Kenntnis setzte und ihm sagte, daß seine Freunde nur mit Mühe seinen übereilten Rückzug rechtfertigen könnten. Ich bat ihn ferner, wieder vorwärts zu gehen und die von der Regierung erhaltenen Befehle zu befolgen. Der Großkanzler Bestuscheff schickte ihm diesen Brief; Apraxin antwortete mir nicht.

Inzwischen sahen wir den kaiserlichen Generalbaudirektor General Fermor von Petersburg abreisen und von uns Abschied nehmen, der, wie man uns sagte, bei der Armee verwendet werden sollte. Er war früher Generalquartiermeister des Grafen Münnich gewesen. Das erste, was Fermor verlangte, war, seine Untergebenen im Baufach, die Brigadiers Reaznof und Mordwinoff mit sich nehmen zu dürfen. Mit ihnen ging er zur Armee ab. Es waren Militärs, die bisher nur Baukontrakte gemacht hatten. Sobald er angekommen war, befahl man ihm, den Oberbefehl an Stelle des Grafen Apraxin zu übernehmen, der zurückberufen wurde. Auf seiner Reise nach Petersburg fand dieser in Trihorski einen Befehl vor, hier seine Fahrt zu unterbrechen und die Befehle der Kaiserin zu erwarten. Es dauerte lange, bis diese kamen, weil seine Freunde, sowie seine Tochter und Peter Schuwaloff alles taten, Himmel und Erde in Bewegung setzten, um den Zorn der Kaiserin zu besänftigen, den die Grafen Woronzow, Buturlin, Iwan Schuwaloff und andere anfachten. Diese wieder wurden von den Gesandten des Versailler und Wiener Hofes aufgehetzt, Apraxin zu schaden. Endlich ernannte man eine Untersuchungskommission. Aber schon nach dem ersten Verhör bekam der Marschall Apraxin einen Anfall von Apoplexie, woran er vierundzwanzig Stunden später starb.

In diesen Prozeß wäre sicher auch der General Lieven verwickelt worden, denn er war der Freund und Vertraute Apraxins. Dies würde mir noch mehr Kummer verursacht haben, denn Lieven war mir aufrichtig ergeben. Aber so groß auch meine Freundschaft immer für Apraxin und Lieven gewesen, ich kann es beschwören, daß mir die Ursache ihres Verhaltens und dieses selbst völlig unbekannt war, obgleich man versucht hat, das Gerücht auszusprengen, daß sie, nur um mir und dem Großfürsten zu gefallen, rückwärts gegangen wären.

Lieven gab zuweilen sehr sonderbare Beweise seiner Ergebenheit gegen mich; unter andern auch folgenden. Einst veranstaltete der Gesandte des Wiener Hofes, Graf Esterhazy, einen Maskenball, an dem die Kaiserin und der ganze Hof teilnahm. Als Lieven mich durch den Saal gehen sah, sagte er zu seinem Nachbar, dem Grafen Poniatowski: »Das ist eine Frau, für die ein ehrlicher Mann einige Knutenhiebe ohne großen Kummer ertragen könnte.« – Ich habe diese Anekdote vom Grafen Poniatowski, dem nachmaligen König von Polen, selbst.

Nachdem General Fermor das Oberkommando übernommen hatte, beeilte er sich, seine Instruktionen auszuführen, nämlich vorwärts zu marschieren. Trotz der rauhen Jahreszeit besetzte er Königsberg, das ihm am 18. Januar 1758 eine Deputation entgegenschickte.

Im Laufe des Winters bemerkte ich plötzlich eine große Veränderung im Benehmen Leon Narischkins. Er fing an, unhöflich und grob zu werden, kam nur widerwillig zu mir, tat Aeußerungen, die deutlich bewiesen, daß man ihm eine gewisse Abneigung gegen mich, seine Schwägerin, seine Schwester, den Grafen Poniatowski und alle, die zu mir hielten, in den Kopf gesetzt hatte. Ferner erfuhr ich, daß er fast immer mit Iwan Schuwaloff zusammen war, und ich ahnte, daß man ihn von mir abwendig machen wollte, um mich dafür zu strafen, daß ich ihn verhindert hatte, Fräulein Hittroff zu heiraten. Es war mir gewiß, daß man weit genug gehen werde, um ihn zu Indiskretionen zu verleiten, die sehr unangenehme Folgen für mich haben konnten. Seine Schwester und Schwägerin, sowie sein Bruder waren ebenfalls um meinetwillen sehr böse auf ihn. Er betrug sich aber auch wirklich wie ein Verrückter und beleidigte uns mit der größten Dreistigkeit, wo er nur konnte – und dies zu einer Zeit, wo ich auf meine Kosten das Haus ausmöblierte, das er nach seiner Verheiratung bewohnen sollte. Jedermann klagte ihn der Undankbarkeit an und sagte ihm, daß er nicht die geringste Ursache habe, sich zu beschweren und in solcher Weise zu handeln. Kurz, man sah deutlich, daß er denen, die sich seiner bemächtigt hatten, nur als Werkzeug diente. Er machte dem Großfürsten regelmäßiger den Hof, suchte ihn so viel als möglich zu amüsieren und verleitete ihn mehr und mehr zu Dingen, von denen er genau wußte, daß ich sie mißbilligte. Ja, er trieb seine Unhöflichkeit mitunter so weit, daß er, wenn ich mit ihm sprach, nicht antwortete. Und ich weiß bis heute noch nicht, was ihm damals in den Kopf gestiegen war, während ich ihn und seine ganze Familie, solange ich sie kannte, mit Wohlwollen und Freundschaft überhäufte. Ich glaube aber, daß er sich – gleichfalls auf den Rat der Schuwaloffs – bemühte, dem Großfürsten gefällig zu sein, weil sie ihm vorstellten, daß dessen Gunst ihm einst wertvoller sein werde, als die meine, denn ich wäre bei der Kaiserin und dem Großfürsten schlecht angeschrieben und keiner von beiden liebte mich. Er werde daher seinem Glücke nur schaden, wenn er sich von mir nicht lossage, denn nach dem Tode der Kaiserin würde der Großfürst mich in ein Kloster stecken – und andere ähnliche Aeußerungen der Schuwaloffs, die mir alle hinterbracht wurden. Außerdem zeigte man ihm aus der Ferne den St. Annenorden als Beweis der Gunst des Großfürsten. Mit Hilfe solcher Versprechungen und Auseinandersetzungen brachte man schließlich diesen schwachen, charakterlosen Menschen zu all den kleinen Verrätereien, die man von ihm wünschte. Ja, er ging sogar weiter als verlangt wurde, obwohl er – wie sich später zeigen wird – Anwandlungen von Reue hatte. Damals indes tat er alles, was in seiner Macht stand, den Großfürsten von mir zu entfernen, so daß dieser mich fast unaufhörlich schalt und sein Verhältnis mit der Gräfin Elisabeth Woronzow wieder anknüpfte.

Zu Anfang des Frühlings verbreitete sich das Gerücht, daß Prinz Karl von Sachsen, der Sohn des Königs August III. von Polen, nach Petersburg kommen werde. Dem Großfürsten mißfiel dieser Besuch aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil er dadurch eine Vermehrung persönlicher Unbequemlichkeiten befürchtete, denn er konnte nicht leiden, wenn die Lebensweise, die er sich zurecht gemacht hatte, auch nur im geringsten gestört wurde; zweitens, weil das sächsische Haus auf seiten der Feinde des Königs von Preußen stand, und drittens vielleicht auch, weil er bei einem eventuellen Vergleich zu verlieren fürchtete. Das letztere zeugte allerdings von größter Bescheidenheit, denn der arme Prinz von Sachsen war ein ganz nichtssagender Mensch, ohne alle Kenntnisse und Bildung. Die Jagd und den Tanz ausgenommen, verstand er nichts; und er selbst sagte mir, daß er in seinem ganzen Leben kein Buch in der Hand gehabt hätte, außer den Gebetbüchern, die ihm seine bigotte Mutter, die Königin, schenkte.

Prinz Karl von Sachsen kam also am 5. April dieses Jahres in Petersburg an. Man empfing ihn mit großer Feierlichkeit und bedeutendem Aufwande von Glanz und Pracht. Sein Gefolge war sehr zahlreich. Eine Menge Polen und Sachsen, unter ihnen ein Lubomirski, ein Pototski, ein Rzewuski, den man den Schönen nannte, ferner zwei Fürsten Sulkowski, ein Graf Sapieha, Graf Branitzki, später Oberfeldherr, ein Graf Einsiedel und viele andere, deren Namen ich mich augenblicklich nicht erinnere, begleiteten ihn. Er hatte auch eine Art Untergouverneur bei sich, namens Lachinal, der sein Benehmen und seine Korrespondenz leitete. Man quartierte den Prinzen in das Haus des Kammerherrn Iwan Iwanowitsch Schuwaloff ein. Dieses war erst vor kurzem fertig geworden, und sein Besitzer hatte all seinen Geschmack daran verschwendet, d. h. es war trotz seiner Kostbarkeit äußerst geschmacklos und schlecht eingerichtet. Es waren zwar viele Gemälde darin, aber meistenteils Kopien. Ein Zimmer war mit Tschinarholz ausgelegt, da aber Tschinar nicht glänzt, hatte man es gefirnißt. Dadurch wurde die Farbe gelb, doch ein unangenehmes Gelb, welches dem Zimmer ein gemeines Aussehen gab; und, um den schlechten Eindruck zu mildern, überlud man es mit schwerem, versilbertem Schnitzwerk. Von außen sah das an sich große Haus wegen der Menge seiner Verzierungen aus wie eine mächtige Alençoner Spitzenmanschette. Man gab dem Prinzen von Sachsen den Grafen Iwan Czernitscheff bei, und er wurde ganz auf Kosten des Hofes unterhalten, sowie auch von den Hofdomestiken bedient.

In der Nacht, die der Ankunft des Prinzen Karl vorausging, hatte ich eine so heftige Kolik gehabt, daß ich wohl mehr als dreißigmal zu Stuhle gehen mußte. Obwohl ich sehr geschwächt war, kleidete ich mich den folgenden Morgen an, um den Prinzen von Sachsen zu empfangen. Man führte ihn um zwei Uhr nachmittags zur Kaiserin, und, als er diese verlassen hatte, zu mir in mein Zimmer. Kurz nach ihm sollte der Großfürst eintreten. Zu diesem Zwecke hatte man drei Fauteuils an die Wand gestellt. Das mittlere war für mich, das zu meiner Rechten für den Großfürsten und das linke für den Prinzen von Sachsen bestimmt. Ich mußte natürlich die Unterhaltung führen, denn der Großfürst war nicht zum Sprechen zu bringen, und Prinz Karl war nicht gesprächig. Endlich, nach einer Unterhaltung von einer Viertelstunde, erhob sich Prinz Karl, um uns sein ungeheures Gefolge vorzustellen. Er hatte, glaube ich, mehr als zwanzig Personen bei sich, wozu sich an diesem Tage noch der polnische und sächsische Gesandte am russischen Hofe mit ihren Sekretären gesellten. Nach einer halben Stunde verließ uns der Prinz. Ich kleidete mich sofort wieder aus, um mich ins Bett zu legen, wo ich drei oder vier Tage im heftigsten Fieber zubrachte. Darauf stellten sich von neuem Zeichen von Schwangerschaft bei mir ein.

Gegen Ende April begaben wir uns nach Oranienbaum. Vor unserer Abreise erfuhren wir, daß Prinz Karl von Sachsen als Freiwilliger zur russischen Armee abginge. Doch ehe er sich dahin begab, begleitete er die Kaiserin nach Peterhof, wo man ihn sehr feierte. Dort und in der Stadt nahmen wir nicht an diesen Festlichkeiten teil, sondern blieben auf unserem Landsitz, wo er auch Abschied von uns nahm und am 4. Juli abreiste.



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