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Unterredung des Großfürsten mit Graf Bernis über die holsteinschen Angelegenheiten. – Man erlaubt auch mir, meine Meinung darüber zu äußern. – Die kleinen Sänger der Kaiserin. – Man verdächtigt Beketoff der Homosexualität. – Leon Narischkin wird unser Kammerherr. – Folgenschwerer Befehl der Kaiserin. – Wir richten uns unsere Gemächer auf unsere eigenen Kosten ein. – Madame Tschoglokoff wird meine Freundin. – Kindische Einfälle des Großfürsten. – Heimlicher Briefwechsel zwischen mir und Zacharias Czernitscheff.
Anfangs des Jahres 1751 kam der Großfürst, der ebenso wie ich zu dem Grafen Bernis, dem Gesandten des Wiener Hofes eine große Zuneigung gefaßt hatte, auf den Gedanken, mit ihm über die holsteinschen Angelegenheiten, die Schulden, mit denen das Land belastet, und über die Unterhandlung mit Dänemark, die mit seiner Erlaubnis begonnen worden war, zu sprechen. Eines Tages forderte er auch mich auf, mit Bernis darüber zu reden, worauf ich ihm antwortete, daß, wenn er es befehle, ich es nicht unterlassen werde. Ich näherte mich denn auch auf dem ersten Maskenball dem Grafen Bernis, als er an einer Balustrade stand, um den Tanzenden zuzusehen, und sagte ihm, der Großfürst habe mir befohlen, mit ihm über die Angelegenheit Holsteins zu sprechen. Bernis hörte mich mit großem Interesse und viel Aufmerksamkeit an. Offen und ehrlich gestand ich ihm, daß, da ich jung sei und niemand habe, der mir rate, da ich mich außerdem vielleicht schlecht auf Politik verstehe und keinerlei Erfahrung besitze, meine Ideen und Ansichten ganz mir gehörten. Wohl entbehrten sie der Kenntnis vieler Tatsachen, doch zunächst scheine es mir, daß die Lage Holsteins nicht so verzweifelt sei, als man sie darzustellen versuche. Was den Austausch beträfe, so sähe ich sehr wohl ein, daß derselbe von großem Nutzen sowohl für Rußland als auch für die Person des Großfürsten selbst sein könne. Als Erbe des Thrones aber müsse ihm das Interesse des Reiches teurer sein; und wenn es für dieses Interesse notwendig sei, Holstein abzutreten, um den fortwährenden Streitigkeiten mit Dänemark ein Ende zu machen, so würde es sich in bezug auf Holstein nur um den günstigsten Moment handeln, wann der Großfürst seine Zustimmung gäbe. Mir scheine es aber, daß dieser Augenblick noch nicht gekommen sei, weder für das Interesse noch für den persönlichen Ruhm des Großfürsten. Es könne jedoch eine Zeit kommen, wo die Umstände diesen Akt weit bedeutsamer und ruhmvoller für ihn, und für Rußland vielleicht vorteilhafter gestalteten; augenblicklich indes habe das Ganze ein offenbares Gepräge der Intrige, deren Gelingen auf den Großfürsten einen Schein von Schwäche werfen müsse, von dem er sich vielleicht nie in der öffentlichen Meinung wieder rehabilitieren könne. Es seien sozusagen erst wenige Tage, seit er die Regierung des Landes in Händen habe; er liebe dieses Land leidenschaftlich, und trotzdem wäre man schon dahin gelangt, ihn, ohne daß er selbst eigentlich wisse, warum, zum Austausch mit Oldenburg zu überreden, das ihm ganz unbekannt und viel weiter von Rußland entfernt sei, während der Hafen von Kiel in den Händen des Großfürsten für die russische Schiffahrt wichtig werden könne. Graf Bernis ging auf alle meine Einwände ein und sagte zuletzt: »Als Gesandter habe ich keine Instruktionen über diesen Gegenstand, aber als Graf Bernis glaube ich, daß Sie recht haben.« Später teilte mir dann der Großfürst mit, der Gesandte habe ihm bemerkt: »Alles, was ich Ihnen über diese Sache sagen kann, ist, daß ich glaube, daß Ihre Gemahlin recht hat und Sie gut tun würden, ihren Rat anzunehmen.« Infolgedessen war der Großfürst sehr gegen die Unterhandlungen abgekühlt; man bemerkte dies und fing an, seltener mit ihm davon zu sprechen.
Nach dem Osterfeste bezogen wir wie gewöhnlich den Sommerpalast von Peterhof, wo indes unser Aufenthalt von Jahr zu Jahr kürzer wurde. In diesem Jahre ereignete sich dort ein besonderer Vorfall, welcher den Hofleuten viel Stoff zum Schwatzen gab. Er entsprang aus den Intrigen der beiden Herren Schuwaloff. Oberst Beketoff, von dem ich bereits gesprochen, und der zur Zeit seiner Begünstigung vor Langeweile nicht wußte, was er tun sollte, kam nämlich auf den Einfall, die kleinen Sänger der Kaiserin bei sich singen zu lassen. Wegen der Schönheit ihrer Stimmen faßte er zu mehreren eine große Zuneigung, und da er selbst und sein Freund Yelagin Verse machten, dichteten sie Lieder, welche die Knaben sangen. Diese Beziehungen Beketoffs zu den Knaben legte man indes auf die schändlichste Weise aus, weil man wußte, daß die Kaiserin nichts mehr verabscheute, als Laster dieser Art. Beketoff ging in der Unschuld seines Herzens mit den Kindern im Garten spazieren, was man ihm als Verbrechen anrechnete. Kurz darauf begab sich die Kaiserin auf einige Tage nach Zarskoje Selo und kehrte dann nach Peterhof zurück, während Beketoff, angeblich wegen Krankheit, in Zarskoje Selo zurückgelassen wurde. In der Tat blieb er einige Zeit mit Nelagin dort, erkrankte an einem gefährlichen Fieber, an dem er zu sterben drohte, und träumte in seinen Phantasien nur von der Kaiserin, mit der er sich aufs ernsthafteste beschäftigte. Endlich erholte er sich, blieb aber in Ungnade und entfernte sich vom Hofe. Hierauf wurde er in die Armee versetzt, wo er indes keinen Erfolg hatte, denn er war für das Kriegshandwerk ein zu verweichlichter Mensch.
Um dieselbe Zeit begaben wir uns nach Oranienbaum, wo jeden Tag Jagden stattfanden, und zu Anfang des Herbstes, im September, kehrten wir wieder in die Stadt zurück. Damals ernannte die Kaiserin Leon Narischkin zum Kammerkavalier an unserm Hofe. Er war soeben mit seiner Mutter, seinem Bruder, dessen Frau und seinen drei Schwestern aus Moskau eingetroffen. Narischkin war einer der sonderbarsten Menschen, die ich je gekannt, und nie habe ich mehr über jemand gelacht, als über ihn. Er war der geborene Hanswurst, und wäre er nicht durch seine Geburt gewesen was er war, so hätte er sich durch seine wirklich komischen Talente ernähren und reich werden können. Es fehlte ihm dabei durchaus nicht an Geist; er hatte von allem reden hören und alles nahm in seinem Kopfe eine eigentümliche Gestalt an. Er war imstande, über irgend eine Kunst oder Wissenschaft Vorlesungen zu halten, gebrauchte technische Ausdrücke und sprach eine Viertelstunde, oder noch länger – und zuletzt verstand weder er selbst noch irgend ein anderer etwas von den zusammengeflickten Worten, die seinem Munde entströmten, bis endlich alle in lautes Lachen ausbrachen. Von der Geschichte sagte er z. B., er liebe die Geschichte nicht, in der Geschichten vorkämen, und eine gute Geschichte müsse frei sein von Geschichten, die Geschichte werde sonst zum Phöbus. Auch über Politik sprach er unnachahmlich, und wenn er davon anfing, konnte auch der Ernsthafteste nicht widerstehen. Auch behauptete er, daß gut geschriebene Lustspiele meistens langweilig seien.
Kaum war er bei Hofe angestellt, als die Kaiserin seiner älteren Schwester befahl, sich mit einem gewissen Siniawin zu vermählen, der aus diesem Grunde uns als Kammerkavalier beigegeben wurde. Dieser Befehl traf das junge Mädchen wie der Blitz, denn sie heiratete diesen Menschen nur mit dem größten Widerwillen. Auch das Publikum nahm jene Heirat schlecht auf, deren ganze Schuld Schuwaloff trug, der Günstling der Kaiserin, der vor seiner Begünstigung eine zärtliche Neigung für das Fräulein gehabt. Man behauptete, sie werde zu einer so schlechten Partie gezwungen, damit er sie aus dem Gesicht verliere. Es war dies eine wahrhaft tyrannische Tat; kurz, sie heiratete ihn, wurde schwindsüchtig und starb.
Ende September bezogen wir den Winterpalast. Der Hof litt damals so großen Mangel an Möbeln, daß dieselben Spiegel, Betten, Stühle, Tische und Kommoden, die wir im Winterpalast gebrauchten, uns in den Sommerpalast und von dort nach Petersburg, ja selbst nach Moskau folgten. Während des Transports wurde natürlich eine große Anzahl zerstoßen und zerbrochen, aber trotzdem gab man sie uns, so daß es fast unmöglich war, sie zu benutzen. Da man jedoch eines besonderen Befehls der Kaiserin bedurfte, um andere zu erhalten, und die Kaiserin meist schwer zugänglich oder völlig unzugänglich war, so entschloß ich mich, nach und nach Kommoden und die unentbehrlichsten Möbel sowohl für den Winter- als für den Sommerpalast von meinem eigenen Gelde zu kaufen. Wenn ich dann von einem Schloß ins andere übersiedelte, fand ich alles was ich brauchte ohne Mühe und ohne die Nachteile des Transportes vor. Dies gefiel auch dem Großfürsten, und er tat für sein Zimmer dasselbe. In Oranienbaum, das dem Großfürsten gehörte, richteten wir sogar alles auf unsere Kosten ein. Um aber jeden Streit und jede Schwierigkeit zu vermeiden – denn Seine kaiserliche Hoheit, obschon sehr verschwenderisch in der Befriedigung seiner eigenen Launen, war dies durchaus nicht in allem, was mich betraf, und im allgemeinen nichts weniger als freigebig – möblierte ich mein Zimmer ganz und gar auf meine eigenen Kosten aus, was ihn ausnehmend befriedigte.
Im Laufe des Sommers faßte Madame Tschoglokoff eine so große und wahrhafte Zuneigung zu mir, daß sie nach unserer Rückkehr in die Stadt nicht ohne mich leben mochte und sich langweilte, wenn ich nicht in ihrer Nähe war. Der Grund dieser Zuneigung lag darin, daß ich die Aufmerksamkeiten ihres Herrn Gemahls nicht im geringsten erwiderte, was mir in den Augen seiner Frau ein ganz besonderes Verdienst verschaffte. Sie empfing damals wenig Gesellschaft, immerhin aber mehr als ich, die ich meist allein mit Lesen beschäftigt war, d. h., wenn der Großfürst nicht hereinkam, um mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen und mit mir von Dingen zu reden, die wohl ihn interessierten, für mich aber nicht das geringste Interesse hatten. Sein Auf- und Abgehen dauerte gewöhnlich ein bis zwei Stunden und wiederholte sich mehrmals am Tage, wahrend ich an seiner Seite bleiben, ihm aufmerksam zuhören und antworten mußte, bis meine Kräfte erschöpft waren. Und seine Bemerkungen hatten meist weder Hand noch Fuß, häufig waren sie weiter nichts als kindische Einfälle. So erinnere ich mich, daß er während eines ganzen Winters mit dem Plane beschäftigt war, bei Oranienbaum ein Lusthaus in Form eines Kapuzinerklosters bauen zu lassen, in welchem er, ich sowie sein ganzer Hof Kapuzinerkutten tragen sollten. Er fand diese Art von Anzug reizend und bequem. Jeder sollte einen Esel haben, und sollte abwechselnd diesen Esel austreiben, um Wasser und Lebensmittel in das sogenannte Kloster zu schaffen. Dabei schüttelte er sich vor Lachen über die herrlichen, amüsanten Wirkungen, welche seine Erfindung hervorbringen würde. Dann forderte er mich auf, eine Bleistiftskizze dieses schönen Werkes zu entwerfen, und jeden Tag mußte ich etwas hinzufügen oder verändern. So entschlossen ich nun auch war, gefällig und geduldig gegen ihn zu sein, so gestehe ich doch offen, daß ich oft vor Langeweile bei seinen Besuchen, Promenaden und Unterhaltungen beinahe umkam, denn diese waren von einer Abgeschmacktheit, wie ich nie etwas Aehnliches erlebt habe. Wenn er fort war, schien mir das langweiligste Buch die köstlichste Unterhaltung.
Mit dem Herbste begannen auch die Hofbälle und öffentlichen Bälle, die Auswahl der Toiletten und Maskenanzüge wieder bei Hofe. Graf Zacharias Czernitscheff kehrte nach Petersburg zurück. Da ich auf Grund unserer alten Bekanntschaft immer sehr freundlich mit ihm verkehrte, hing es nur von mir ab, seine Aufmerksamkeiten diesmal zu deuten, wie es mir gefiel. Er debütierte damit, mir zu sagen, er finde, ich sei viel schöner geworden. Es war das erstemal in meinem Leben, daß mir jemand so etwas sagte, und es schmeichelte mir nicht wenig. Ja, ich tat mehr, ich besaß sogar die Gutmütigkeit, zu glauben, daß er die Wahrheit sage. Bei jedem Ball machte er neue Bemerkungen derselben Art. Eines Tages brachte mir die Fürstin Gagarin eine Devise von ihm, der ich, als ich sie erbrach, es ansah, daß sie geöffnet und wieder geschlossen worden war. Der Zettel war wie gewöhnlich gedruckt, enthielt aber zwei sehr zärtliche, sehr gefühlvolle Verse. Nach dem Diner ließ ich mir ebenfalls verschiedene solcher Devisen bringen, suchte nach einem Spruch, welcher, ohne mich zu kompromittieren, auf jenen antwortete und fand bald einen solchen. Diesen steckte ich in eine eine Orange darstellende Devise und gab dieselbe der Fürstin Gagarin, welche sie dem Grafen Czernitscheff einhändigte. Am folgenden Tag brachte sie mir wieder eine von ihm, aber diesmal fand ich darin ein Billett mit einigen Zeilen von seiner Hand. Ich antwortete sofort, und auf diese Weise befanden wir uns plötzlich mitten in einer ganz regelmäßigen, ganz sentimentalen Korrespondenz. Als er beim nächsten Maskenball mit mir tanzte, flüsterte er mir ins Ohr, er habe mir tausend Dinge zu sagen, die er weder dem Papier anvertrauen noch in eine Devise stecken könne, welche die Fürstin Gagarin vielleicht in ihrer Tasche zerbräche oder unterwegs verlöre. Er bitte mich daher, ihm in meinem Zimmer, oder wo ich es sonst für passend halte, einen Augenblick Gehör zu schenken. Aber ich erwiderte ihm, dies sei ganz unmöglich, weil meine Zimmer unzugänglich wären und ich sie ebensowenig verlassen könne. Darauf sagte er, er wolle sich, wenn es nötig sei, als Bedienter verkleiden, aber dies schlug ich ihm rund ab, und es blieb bei unserer in Devisen versteckten Korrespondenz. Schließlich aber ahnte die Fürstin Gagarin unser Geheimnis, grollte mir, daß ich sie als Ueberbringerin benutzte und wollte keine Devisen mehr befördern.