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Es kam ein Todeshauch von Osten her. Er berührte die Städte, die Dörfer. Er riß den Vater, die Mutter von den Kindern, er riß die Braut vom Liebsten, den Gatten von der Frau. Er mordete – still und schleichend, er vernichtete blühende Leben, er fraß das Land leer.
Die Pest …
Sie trat geräuschlos in die Häuser der Städter zu Astrachan, in die Hütten der Bauern, der Kosaken und Tartaren; sie schlich sich in die Kibitka des kirgisischen Hirten und in das Zelt des Kalmücken.
Sie ist groß, die Steppe. Groß ist das Glück in ihr, wenn die Sonne des Lebens scheint. Groß ist in ihr das Unglück, unfaßbar groß, groß sind die Plagen: Dürre und Brand, Mißwachs und Heuschrecken, Ziesel- und Mäuseplage, Seuchen und Tod. Am größten aber ist die Pest.
Die Popen und Mönche an der Wolga wußten es besser als die Ärzte, da die Cholera das Land heimgesucht hatte im Jahre vordem. Sie predigten und schalten die Ärzte Narren und verkündeten: »Gott gab uns das Wasser – weshalb soll es schlecht sein? Trinkt es, glaubt nicht, was die Doktoren sagen. Heiliges Wasser der Wolga ist so gut wie das gekochte der Ärzte! Eine Plage ist diese Krankheit, eine Prüfung, von Gott gesandt, als Strafe für unsere Sünden! Betet! Betet!«
Auch diesmal predigten sie und schalten die Ärzte Betrüger. Die Pest sei von Gott – und wer sie bekommen sollte, bekäme sie, möge er tun, was er wolle. Desinfektion sei Teufelswerk. Heiligenbilder wurden herumgetragen, damit das Volk sie um Rettung anflehte, Muttergottesbilder …
Die Popen sangen, die Mönche beteten – die Menschen starben …
Die Niederlassungen der Kalmücken und Kirgisen wurden leer, die Herden waren hirtenlos. Jeder trieb sich Vieh zusammen, wo er es fand.
Auch in den Kosakendörfern starben viele Menschen, viele. Auch in der Jurte der Tataren am Fluß starben gar viele. Auch Ischkin, der Händler, und Dshabeiew, der Gärtner, und Abram Keremejew und sein Sohn Abdullah, dessen Weib Hagar und Fatma Kurmakajew, Nassibulah Ischkajew und Ibrahim Garbeijew, Mohammed Kurmakajew und Abram Issajew mitsamt seinem Weibe Sara.
Als der Händler Wsjewolodski einst durch die Steppe fuhr und Obdach vor Wind und Wetter im Zelt der Kalmücken suchte, fand er den toten Erentssin und die Leiche Sarans, nebst seines Weibes und seiner Kinder Leichen – und er floh hindurch durch die herrenlosen Herden, bis er die nächste Kosakenstaniza erreichte. Aber auch dort war schon das große Sterben.
Da erntete der Wolf! …
Es war aber noch ein anderes Sterben im Lande neben dem schwarzen. Das rote Sterben und das weiße Sterben.
Sie verstanden sich nicht – die Menschen eines Stammes, einer Sprache. Und einer fand den anderen rot – den dritten weiß …
Und sie töteten sich – die Weißen und die Roten.
Es ward ein Turm gebaut zu Babel. Der sollte bis an den Himmel reichen, zum Zeichen der Herrlichkeit der Menschheit und ihres Geschlechts.
Der Herr aber verwirrte die Sprache der Menschen, und keiner verstand mehr, was der andere sprach.
Es war aber ein Zar, der hatte böse Ratgeber. Er selbst war schwach. Und so stimmte er diesen Räten zu, einen Turm zu bauen, einen Turm zu Rußlands Herrlichkeit und zum Ruhme des Zaren – einen Turm, hoch bis zum Himmel und breit von der Nordsee zum Schwarzen Meere …
Der Herr aber schlug ihn und seine Räte und fern Heer mit Blindheit und verderbte ihn und sein Heer.
Und der Herr verwirrte den Sinn seines Volkes und ließ den Bruder den Bruder rot sehen, den zweiten Bruder den ersten aber weiß. Da erkannten sich die Brüder nicht mehr und verstanden einander nicht. Und sie zerfleischten einander mit Eifer und Grausamkeit.
Sie verstanden ja einander nicht …
So ward denn die Zeit wüst und wild, und das Land brannte von Feuer und Schmerz.
Da erntete der Wolf!
Er erntete die Blutopfer der Menschen, er ward Besitzer der Herden.
Er und die Füchse und Raben.
Von allen Seiten zogen sich die Wölfe ins Land. In Rotten streiften sie durch die Steppen.
Die Heere zogen – die Wölfe folgten ihnen …
Würgezahn hatte gute Tage. Er hatte sich wieder mit seinem Bruder Zangenbiß getroffen und strolchte in der Gegend der Kämpfe umher. Heute gab es ein totes Pferd, morgen einen toten Mann – es war stets gedeckter Tisch. Ja – es gab kaum eine Beißerei zwischen den Brüdern und fremden Wölfen, die sich massenhaft in der Gegend herumtrieben; denn alle fürchteten sich vor den großen, hellgrauen Rüden, deren Gebiß so furchtbar, deren Kraft so groß war.
Es waren ganz verschiedene Wölfe in der Gegend, große und kleinere, zugewanderte Nordwölfe und Steppenwölfe. Die Zugewanderten waren meist groß und hellgrau und standen selten in größeren Trupps zusammen. Die kleineren Steppenwölfe aber waren oft zu zehn, fünfzehn Stück in einer Rotte.
Es war Winter geworden. Noch lag wenig Schnee in der Steppe, und das Wetter war lau.
Die Gegend war stark verändert: nirgends sah man Viehherden; die meisten Pferde waren fortgetrieben, die Gehöfte waren großenteils verlassen. Requisitionen und Plünderungen hatten viele der Bauern vertrieben, die Kalmücken hatten sich weit in die Salzsteppe zurückgezogen, das Land war leer und öde.
Was hätten die vielen Wölfe denn zum Leben gehabt, da ja Schafe und Rinder fehlten, wenn es nicht Soldatenleichen und Pferdekadaver gegeben hätte?
Den Wölfen aber ist's gleich, wen sie fressen – Rote oder Weiße. Mensch ist Mensch. Aber – der Wolf, der einmal Menschenfleisch fraß, zieht es jedem anderen vor, selbst dem Hundefleisch.
Dörfer brennen in der Ferne. Würgezahn und Zangenbiß huschen über das blutige Feld. Sie kümmern sich nicht um die Füchse, die da an den Pferdeleichen zerren und reißen – sie haben selbst genug.
Sie finden, was sie suchen. Einen jungen Soldaten.
Sie zerren und schlingen. Der graue Rock des Toten reißt leicht unter den furchtbaren Zähnen.
Nebenbei stöhnt einer der Hingestreckten. Die Wölfe horchen auf. Würgezahn fletscht drohend das Gebiß, knurrt. Zangenbiß frißt weiter.
Da richtet sich einer der Leute auf.
Er hebt sein Gewehr – mühsam, ruckweise. Er zielt, er schießt.
Es klatscht neben Würgezahn auf – Zangenbiß fährt herum, beißt nach seiner Flanke.
Dann taumelt er, jappt noch ein paarmal, fällt, streckt sich.
Es rasselt etwas – ein zweiter Feuerblitz … Etwas zischt.
Würgezahn flieht.
Die Nacht bricht an. Das Leichenfeld liegt still. Kein Stöhnen mehr, kein Wimmern, kein Rufen. Der Frost macht alles still.
Eine Kosakensotnja hält oben am Ufer. Unten der große Strom.
Der Wachtmeister hat die Seinen gezählt – es fehlen viele. Die Schar ordnet sich.
Feuer flammen – man lagert. Die Soldaten sprechen gedämpft miteinander. War wieder ein blutiger Tag.
Der Wachtmeister steht außerhalb des Lagers und gibt Anordnungen für morgen.
Morgen … Die Sonne ging so blutig unter – wie wird sie aufgehen? …
Kanonendonner im Norden.
»Das ist nun die Heimat. Ihre Heimat, Herr Wachtmeister«, sagt Iwan Kulischow.
»Meine Heimat.«
»Ein blutiger Tag heute.«
»Und ein blutiger morgen.«
»Wozu?« fragt Alexei Balaschow. »Die drüben – auch sie sind unsere Brüder.«
»Du fragst – wozu? Bist du ein Kosak, oder bist du ein Kazap? Noch ein Wort dieser Art – und …« Kusma rollte die Augen. Er faßte an die Schaschka.
Alexei ging. Kalinin trat herzu und beschwichtigte: »Meint's nicht so, Wachtmeister, ist ein braver Bursche. Aber sagt selbst: Ist es nicht traurig, daß …«
»Traurig oder nicht traurig – das geht uns Soldaten nichts an. Haben dem Zaren geschworen.«
»Soll tot sein, der Zar.«
»Einerlei – Eid ist Eid.«
»Gut. Ihr könnt so reden, Onkel Kusma,« meint Kulischow, »ihr habt nicht Weib, nicht Kind.«
»Kann sein, daß Weib und Kind den Mann zum – Frauenzimmer machen. Mich wird man nicht beschuldigen dürfen, daß ich meinen Schwur nicht hielt. Entweder siegen wir – oder ich – habe ausgelebt. Bei Gott!«
Am Horizont, gegen den roten Himmel hebt sich, eine Gestalt ab.
Die Erscheinung bewegt sich langsam – steht, umflossen von rotem Licht.
»Seht – Onkel Kusma …«
»Ein Wolf«, sagt Balaschow.
»Es ist derselbe wie stets«, sagt Kusma. »Der, der mir folgt, das Steppengespenst – mein Schicksalswolf.«
»Gestern sah ich ihn auch«, meint Besuglow.
»Ich auch«, sagt Kulischow. »Aber gestern waren es zwei.«
»Ganz gleiche.«
»Ja – er war doppelt gestern«, meint Kusma und geht zum Lagerfeuer. Kaltblütig raucht er seine Pfeife an, spuckt aus. Ein derber Soldatenfluch …
Seit dieser Zeit, da er den Bruder – den einzigen gleichstarken Wolf in der ganzen Gegend und den einzigen, mit dem er sich vertrug – verloren hatte, blieb Würgezahn ganz allein. Nur gegen Ende des Winters, wenn die Wölfe Ranzzeit haben und sich paaren, lief Würgezahn wohl der einen oder anderen Wölfin nach, ergriff auch wohl gleich von mehreren Besitz; denn es war kein Wolf, der es wagen durfte, ihm Widerstand zu leisten.
Ein paarmal war es vorgekommen, daß andere Wölfe sich ihm entgegensetzten und ihm den Besitz einer Betze streitig machen wollten – jedesmal aber endete der Zweikampf mit dem Tode des Gegners, der dann auch stets zerrissen wurde.
Würgezahn folgte dem Heere. Er folgte weit nach Norden, als das Heer noch siegreich war; er zog sich mit dem Heere zurück, als das Kriegsglück umschlug. Sein Tisch war überall gedeckt; er hatte nirgends Not zu leiden.
Frühling kam, Sommer kam. Noch immer krachten die Kanonen. Und wo die Kanonen brüllten, war Würgezahn nicht weit.
Seine Art war, gegen Abend sich an die Lager der Soldaten heranzuschleichen; vorher aber lief er stets auf einen erhöhten Punkt – einen Kurgan oder Hügel, um Ausschau zu halten.
So erschien er den Kosaken sehr häufig – als Schattenriß am roten Horizont –, und das »Steppengespenst« flößte ihnen abergläubische Furcht und Schrecken ein – roten wie weißen …
Niemals hörte man den unheimlichen, großen Wolf heulen – er blieb immer stumm. Wenn die Steppenwölfe ihren wilden Schauersang in die Nacht schickten, daß sich den Leuten die Haare sträubten und die Pferde ängstlich schnoben und näher zusammendrängten, blieb Würgezahn still.