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Im Winter

Abdullah Keremejew, der Tatar, saß bei der kleinen Lampe in seiner Isba und zählte die Geldscheine, die er während des Herbstes verdient hatte. Es war ein hübsches Häuflein Geld, auch größere Scheine waren darunter, Goldstücke, Silber, Kupfer – alles durcheinander. Er war leidlich zufrieden, Abdullah Keremejew. Für Gurken, Melonen, Arbusen, Kartoffeln, Mais und Tomaten, die er auf seinem mit Schöpfrädern, die durch Kamele betrieben wurden, bewässerten Garten am Steppensee gezüchtet hatte, hatte er siebenhundertvierundachtzig Rubel neunundfünfzig Kopeken reinen Gewinn erhalten. Von der Bachtscha, dem aufgepflügten Steppenlande, das er gleichfalls mit Kamelen und Ochsen bearbeiten ließ, waren sechshundertvierzig Rubel eingekommen. Kam dazu der Fellhandel – nun – das war noch nicht abgeschlossen. Da teilte er den Gewinn zu gleichen Teilen mit Ibrahim Garbeijew und Abram Ischkin, seinen Verwandten. Aber – sicher, ganz sicher: achthundert Rubel würde die Sache schon einbringen. Sein Getreidegeschäft ging auch leidlich – er konnte zufrieden sein!

Ganz seiner Meinung war auch der Vater, der alte Abram Keremejew, der ihm gegenüber am Tische saß und aus einer Pfeife bedächtig rauchte. Hin und wieder nahm einer der beiden einen Schluck aus dem Teeglase – dann vertieften sich Vater und Sohn wieder in die Rechnungen.

Im Nebenraum hantierte Hagar, das junge Weib Keremejews, mit allerlei Küchengerät; Fatma, die hübsche sechzehnjährige Schwester Keremejews, saß am Webstuhl. Der Stuhl knarrte, wenn das Mädchen die Webschiffchen zog; die kleinen Silbermünzen in den geteilten, langen, rabenschwarzen Zöpfen klirrten leise.

Die beiden Männer blickten von ihrer Arbeit auf – denn ein Fremder war, nach kurzem Klopfen, ins Zimmer getreten, verbeugte sich ein wenig und murmelte: » Salem aleikum!«

Abdullah und Abram erwiderten den Gruß und blickten gespannt auf den späten Gast. Dieser hatte, wie die Tataren mit Genugtuung bemerkten, nach muselmanischer Sitte die Stiefel ausgezogen und die Mütze aufbehalten. Er näherte sich lächelnd und sagte: »Entschuldigt – ich bin hierher von Wind und Wetter verschlagen. Es bläst draußen in der Steppe, daß man denken könnte, Himmel und Erde wollten zusammenstürzen. Ich heiße Wsjewolodski; Iwan Grigoritsch – und komme von der Atjabinsker Steppe her. Meine beiden Kirgisen sind draußen bei den Kamelen.«

»Nehmt getrost Platz, Fremder«, sagte Abram. »Wir werden Euch gleich Tee geben und etwas zu essen. Nehmt vorlieb. Eure Kirgisen können in der Küche zu essen bekommen – sie haben wohl Läuse. Schlafen können die Leute im Heu über dem Pferdestall – da ist es warm.«

Der Fremde dankte. Er setzte sich zu den Tataren und trank, nachdem er Hagar und Fatma zurückhaltend begrüßt hatte, seinen dampfenden Tee mit sichtlichem Behagen.

»Ein furchtbarer Schneesturm heute«, berichtete der Russe. »Hatten uns ein wenig verspätet. Es ist ein Glück, daß wir euere Jurte gefunden haben. Es gibt auch viele Wölfe jetzt. Gestern sahen wir vier oder fünf, heute verfolgte uns ein einzelner. Das war ein Kerl! Ein großer, grauer Wolf, so ein Vieh, wie man es hier sonst nie sieht. Unsere Wölfe sind kleiner, dunkler gefärbt.«

»Ja – es gibt hier solch einen Wolf«, bestätigte Keremejew. »Im Herbst haben unsere Nachbarn, die Kosaken, auch solch einen mit Hunden erbeutet. Das sind Wölfe aus dem Norden, die zugewandert sind.«

»Neulich sahen ihn unsere Leute«, sagte der Alte, »dicht am Dorf. Dieser Wolf scheint sich hier heimisch zu fühlen; denn er kommt immer wieder. Neulich hat er sich Kurmakajews große Hündin von der Dorfstraße geholt.«

»Es ist ängstlich, hier durch die Steppen zu reisen«, sagte der Russe.

»Wieso?« fragte Keremejew.

»Nun – der Wölfe wegen.«

»Das ist so schlimm nicht«, meinte der Alte. »Menschen rühren sie im allgemeinen nicht an. Natürlich – wenn einer betrunken vom Schlitten fiel und im Schnee erfror – der wird gefressen. Mag ja einmal vorkommen, daß eine große Rotte einen einzelnen Menschen überfällt – ein einzelner Wolf ist jedenfalls ganz ungefährlich. Er verfolgt die Menschen nur aus Neugier.«

»Mir folgte er bis dicht an diese Jurte.«

Kaum hatte der Russe dies gesagt, als draußen im Hofe lautes Geschrei und Hundegekläff ertönte.

»Was gibt's?« rief Keremejew durch das geöffnete Fensterchen.

»Ein Wolf hat eben unseren schwarzen Hund geholt – mitten hier vom Hofe!«

Die Stimme des jungen Tataren bebte.

»Alle guten Geister …« sprach der Russe.

»Wie Allah will«, meinte Abram Keremejew.

»Wir müssen morgen die Kosaken bitten, diesen Wolf zu jagen«, meinte Abdullah.

Würgezahn war den ganzen Tag, bis zum Abend, hinter der kleinen Karawane hergetrabt, in der Hoffnung, bei dieser Gelegenheit irgend etwas zu erwischen. Als es dunkel war und die Leute im Dorf Schutz gesucht hatten, hatte der Wolf, tothungrig, wie er war, sich ein Herz gefaßt und war durch den Zaun geschlüpft.

So war er auf Keremejews Hof gekommen, hatte dort den Hund gewittert, aufgespürt und mit ein paar kräftigen Bissen ins Genick abgetan. Mit einigen Sätzen war er mitsamt seiner Beute zum Hofe hinaus und in der Finsternis verschwunden. Nachdem er den Hund zum großen Teil aufgefressen hatte, trabte er eine Stunde weit fort, am Kosakendorf vorbei, bis zu einem großen alten Strohhaufen. Dort wühlte er sich ein, wohl bedacht darauf, daß er unter dem Winde blieb, er also von jedem Verfolger Witterung bekommen mußte, und verschlief den Rest der Nacht und den Morgen.

Frisch gekräftigt, trabte er weiter und schlug den Weg nach Westen ein; denn ein unerklärliches Gefühl sagte ihm, daß die alte Gegend für ihn gefährlich sei. Er mochte etwa vier oder fünf Stunden gelaufen sein, als er hinter sich in der Steppe ein Geräusch hörte, das ihm unheimlich vorkam. Der Wind hatte fast ganz nachgelassen, das Wetter war sonnig und klar.

Der Wolf setzte sich auf die Hinterkeulen, spitzte die Gehöre und lauschte und schaute rückwärts.

Da gewahrte er drei größere Punkte in der Steppe, die sich ziemlich rasch näherten …

Bald darauf hörte er ein ihm von früher her bekanntes Trappeln – erkannte auch gleich, daß es Reiter waren, die hinter ihm herkamen.

Schleunigst ergriff er die Flucht, um eine Balka zu erreichen, in der er Schilf und andere Deckung wußte.

Er war noch nicht lange gelaufen, als er merkte, daß die Windhunde ihm dicht auf den Fersen waren …

Schon hörte er das Hecheln der Rüden – schon spürte er ihren Blutodem im Genick …

Da – als gäbe ihm ein anderer den plötzlichen Einfall ein, als riefe es ihm eine innere Stimme zu: Herum!

Mit einem ungeheueren Schwung ist der Wolf beiseite, hat sich, umwirbelt von Schnee, herumgeworfen – hat sich, das Rückenhaar gesträubt und das furchtbare Gebiß gefletscht, den Hunden entgegengestellt!

Erschreckt, wollen die Rüden im Anlauf anhalten – zu spät! Der eine schießt noch gerade am Wolfe vorüber – der andere prallt gegen ihn an …

Ein furchtbares Aufheulen – ein Knacken, Knirschen …

Verzuckend liegt ein Barsoi am Boden, der andere rennt rutenkniffig davon. In langen Sätzen aber hat Würgezahn die Flucht fortgesetzt, lange, ehe ihn die Kosaken erreichten, immer schneller wurde sein Lauf.

Erst tief drinnen im Burjan und Schilf macht er halt. Sein Herz schlägt zum Zerspringen, sein Atem geht hastig, rauh.

In der Ferne hört er das Fluchen der Kosaken.

Zu spät hatte Kusma erkannt, daß dies ein Wolf war, dem man vier Hunde hätte auf den Pelz hetzen müssen. Sein Gesicht ist hochrot vor Ärger, als er sieht, daß seinem Maltschik, seinem besten Barsoi, nicht mehr zu helfen ist. Er flucht, wie ein Heide, tobt und schimpft – seinen Hund bringt er nicht ins Leben zurück.

Nach einer Weile aber reiten Kusma, Kulischow und Samochin fort, dem fernen Dorfe zu. Es spricht keiner der dreie ein Wort; seitdem Kusma sein Gefluche mit dem Schluß- und Hauptwort der Russen und Kosaken bekräftigte und besiegelte: » Jebjonnaja matj!«

Was das heißt, ist einerlei. Ein grober Fluch ist's jedenfalls. Im Lexikon steht's nicht, und in Familien ist's nicht gebräuchlich. Und der Wissensdurstige sei vor diesem Wort gewarnt – wie vor Kusmas Zorn; denn beide sind fürchterlich.

Vor Kusmas Zorn schwiegen auch Kulischow und Samochin. Denn man konnte nicht wissen, ob Onkel Kusma dann nicht am Ende ihnen grob gekommen wäre, hätten sie ihn in seinem zornigen Schweigen gestört.

Darum murmelte Samochin nur ganz leise: » Nitschewo.«

Und damit war die Sache abgetan und die Wolfsjagd endgültig zu Ende.

Doch – nicht ganz. Denn wer Kummer gehabt und Ärger, greift gern zum Becher. So auch die drei Kosaken. Die saßen in Onkel Kusmas Stube am Abend und tranken, bis sie unterm Tisch lagen. Bis auf Onkel Kusma – der trank noch weiter.

Der Wolf wagte sich lange nicht hervor. Als die Sterne funkelten und der allerletzte rötliche Schein im Westen verloschen war, machte er sich erst auf und lief ohne Aufenthalt weiter, immer in der einmal eingeschlagenen Richtung. Dies Land war ihm verleidet – er fühlte sich nicht sicher hier.

Den nächsten Tag brachte er an einem alten, verlassenen Mauerwerk zu, in der Salzsteppe. Hier mochte wohl einst eine Schäferei gewesen sein, auch eine Kameltränke; denn zwei Brunnen mit Rändern aus rohem Kalkstein standen noch da. Weit und breit war kein Lebewesen – nur ein paar Sumpfohreulen eilten schwanken Fluges über die Steppe dahin, um Mäuse zu fangen, und Bussarde, große, hellgefärbte Vögel, Zuwanderer aus dem Norden, zeigten sich hin und wieder.

Der Tag verlief ganz ruhig. Gegen Abend verspürte Würgezahn heftigen Hunger, und er begann, sich nach Nahrung umzusehen. Da weit und breit keine menschliche Ansiedlung und auch weder Kalmücken noch Kirgisen mit Herden, mußte sich Würgezahn auf den Mäusefang legen – ein für einen Wolf immerhin mühseliges und zeitraubendes Geschäft. Man braucht viele Mäuse, um satt zu werden …

Nachdem Würgezahn den knurrenden Magen halbwegs mit Mäusen besänftigt hatte, trabte er weiter und gelangte endlich ohne Zwischenfälle in ein Gelände, das ihm paßte. Hier waren viele, tiefeingeschnittene Balki, kleine Salzseen, trockene Flußläufe mit viel Schilf, riesige Burjanfelder. Auch spürte man überall Herden der Kalmücken, die in dieser Gegend nomadisieren. Mäuse gab es in ziemlicher Menge, auch vereinzelte Ziesel und sehr viel Hasen. Die Steppe war bevölkert von Großtrappen; es zeigten sich Zwergtrappen, Rebhühner, und überall waren Fuchsspuren zu wittern.

Würgezahn beschloß, hier den Rest des Winters zuzubringen. –

Einmal hatte er ein kleines Schaf erbeutet, war aber durch den Kalmücken, der die Herde führte, gestört worden. Der Mann war auf seinem zottigen Pferdchen herangeritten und hatte sogar auf den Wolf geschossen – allerdings, ohne Schaden anzurichten; denn das Gewehr schoß wohl schlecht, und die Entfernung war groß. So hörte Würgezahn nur einige Schrotkörner pfeifen und kam unverletzt davon.

Von da ab war er sehr vorsichtig und raubte nur in der Nacht. Unangenehm waren die riesigen Hunde der Kalmücken, die wohl imstande waren, einen Wolf zu besiegen, wenn sie sich zu dreien oder vieren auf ihn stürzten. Immerhin gelang mancher Schafraub – mal hier, mal da.

Noch zweimal wurde nach Würgezahn geschossen, mehrere Male wurde er von Hunden gehetzt – aber es gelang ihm immer, unbeschädigt zu entkommen.

So ward er stärker und stärker und immer schlauer und erfahrener.

An einem schönen, klaren Mittwintertage sonnte sich der kleine Höhlenfuchs vor seinem Bau. Er dachte über die Schwierigkeiten des Lebens nach und über die Gefahren, die heutzutage ein braver Korsak zu bestehen hat. Früher, hieß es, sei das besser gewesen – jedenfalls berichtete alte Höhlenfuchsüberlieferung: die große Steppe habe einst ganz den Höhlenfüchsen, den Korsaks, gehört, und es habe keine bösen Konkurrenten gegeben, wie in neuer Zeit, wo die Füchse ins Land gekommen seien und den kleineren Verwandten das Leben sauer machten.

Das sind schlimme Brüder, diese Füchse. Mehr als doppelt so groß und stark, wie ein Korsak, sind sie noch dazu viel schneller, als dieser, dessen kurze Läufe nicht einmal erfolgreiche Flucht ermöglichen. Schon manchen Korsak hatten sie draußen in der Steppe erwischt und abgewürgt. Sie gönnen einem nicht mal die paar Mäuse, dachte Höhlenschlupf, der Korsak, bitter bei sich.

Plötzlich fährt Höhlenschlupf auf, stößt ein paarmal mit dem Näschen in die Luft, horcht und blickt um sich. Verdammt – was ist denn das für eine scheußliche Witterung?

Da sieht er auch schon ein großes, graues Tier – ähnlich einem riesigen Fuchs, ähnlicher noch fast einem Hunde, dicht an dem Ufer, wo der Bau der Höhlenfüchschen ist, vorübertraben.

»Na – der fehlte uns auch noch!« denkt Höhlenschlupf ärgerlich und voller Schreck. »Es ist doch gut, daß ich heute dicht beim Bau geblieben bin und nicht, wie sonst, bis zu der alten, verlassenen Schäferei gelaufen bin, wie ich das gern mache. Man muß eben noch nächtlicher werden und noch vorsichtiger. Läuft dies Wolfspack jetzt schon hier herum und – dazu noch so früh am Tage!«

Er keckert ärgerlich und schlieft in den Bau. In die enge Röhre kann kein Fuchs, kein Hund – geschweige denn ein Wolf. Hier ist er sicher.


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